BT-Drucksache 17/7562

Besuch von Vertreterinnen und Vertretern der Herero und Nama in Berlin

Vom 27. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7562
17. Wahlperiode 27. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln),
Uwe Kekeritz, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola
von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Katja Keul, Tom Koenigs, Agnes Malczak,
Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Besuch von Vertreterinnen und Vertretern der Herero und Nama in Berlin

Während der deutschen Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Südwest-
afrika (der heutigen Republik Namibia) führten kaiserliche „Schutztruppen“
einen Vernichtungskrieg gegen die Volksgruppen der Herero und Nama, um die
antikolonialen Aufstände niederzuschlagen. Nach dem Sieg der deutschen
Truppen in der Schlacht am Waterberg im Jahr 1904 wurden die unterlegenen
Kämpfer und ihre Familien in die wasserlose Omaheke-Wüste getrieben, wo
Zehntausende qualvoll verdursteten. Menschen, die aus der Wüste fliehen woll-
ten, wurden erschossen oder in Konzentrationslager gebracht, wo Tausende
starben. Insgesamt verloren mehr als 70 000 Menschen – Herero, Nama und
andere Völker des Landes – ihr Leben.

Im Jahr 2004 hatte die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, während einer
Reise nach Namibia in einer Rede die deutschen Verbrechen an den Völkern
der Herero und Nama angesprochen und um Vergebung gebeten.

Gebeine der damals Getöteten waren „zu Forschungszwecken“ nach Deutsch-
land verschickt worden. Nach Schätzungen sollen es einige Tausend sein. Eine
große Anzahl ging an die Berliner Charité, wo sie bis heute aufbewahrt sind.
Nachdem dies vor einigen Jahren öffentlich wurde, bemühten sich Nachfahren
der betroffenen Völker, die Gebeine nach Namibia heimzuholen. Nach langen
Identifizierungsverfahren und Verhandlungen wurden am 30. September 2011
erstmals 20 geraubte Gebeine aus den Beständen der Charité an die Nachfahren
der Opfer zurückgegeben.

Zur Übergabe und zur Begleitung der Rückführung war eine große Delegation
von 94 Frauen und Männern aus Namibia nach Berlin gereist. Dieser gehörte
neben Professoren, Anwälten, Regierungsbeamten, Angehörigen von Opfer-
verbänden, Parlamentsabgeordneten und Stammeschiefs auch der Jugend-,
Sport- und Kulturminister Kazenambo Kazenambo an. Die Reise war lange

vorbereitet worden und musste mehrfach verschoben werden.

In Berlin fand zwei Tage vor der Übergabe, am 28. September 2011, eine öffent-
liche Diskussionsveranstaltung mit der Delegation unter dem Titel „Zeugen des
deutschen Völkermords“ im Haus der Kulturen der Welt statt. Zu dieser Dis-
kussion waren Vertreterinnen und Vertreter aller im Deutschen Bundestag ver-
tretenen Parteien und der Bundesregierung eingeladen. Je ein Abgeordneter der

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Fraktionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN war erschie-
nen und nahm auf dem Podium an der Veranstaltung teil. Vertreter/-innen der
Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP und der Bundesregierung hatten
abgesagt oder waren nicht erschienen. Der Bundesminister des Auswärtigen,
Dr. Guido Westerwelle, ließ sich entschuldigen, weil er nicht in Berlin sei. Auch
der Staatsminister und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien,
Bernd Neumann, schickte eine Absage.

Am Vormittag des Tages dieser Veranstaltung hatte die Abgeordnete Heidemarie
Wieczorek-Zeul im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages mehr-
fach den Besuch der Delegation in Berlin angesprochen.

Organisiert wurde der Berlinbesuch der Delegation wie auch die Podiumsdis-
kussion und die Übergabe der 20 Schädel am 30. September 2011 vom Aktions-
bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen (AfricAvenir International,
AFROTAK TV cyberNomads, Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag e. V.
– BER –, Berlin Postkolonial e. V., Deutsch-Afrikanische Gesellschaft e. V.
– DAFRIG – Berlin, Global African Congress, Initiative Schwarze Menschen in
Deutschland – ISD-Bund e. V., Solidaritätsdienst-international e. V. – SODI – in
Kooperation mit dem August Bebel Institut Berlin).

An der Übergabe der geraubten Gebeine in der Charité am 30. September 2011,
ein für die anwesende namibische Delegation sehr bewegender Moment, nahm
als Vertreterin der Bundesregierung die Staatsministerin beim Auswärtigen Amt
Cornelia Pieper lediglich als Gast teil. Weder der Bundesminister des Auswär-
tigen noch der Staatsminister und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur
und Medien waren gekommen. Die Staatsministerin vermied in ihrer Rede eine
Entschuldigung im Namen der Bundesregierung für die Gräueltaten. Anwesende
bei der Veranstaltung äußerten darüber ihr Missfallen. Daraufhin verließ die
Staatsministerin Cornelia Pieper die Veranstaltung vorzeitig, ohne die Rede des
namibischen Kulturministers abzuwarten. Dies führte zu großer Verstimmung
bei Mitgliedern der namibischen Delegation und anderen Anwesenden.

Laut Presseangaben erwarteten fast 7 000 Menschen in Namibia die Ankunft
der Gebeine am 4. Oktober 2011 am Flughafen von Windhuk. Dort wurde die
Delegation von Premierminister Nahas Angula empfangen. Die namibische
Seite betonte dabei erneut, dass von der deutschen Regierung und dem Parla-
ment in Deutschland endlich die offizielle Anerkennung des im Auftrag der
deutschen kaiserlichen Regierung begangenen Völkermordes an den Herero
und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika erwartet werde sowie eine
ausdrückliche offizielle Entschuldigung. Außerdem wurde das Verhalten der
Bundesregierung im Rahmen des Besuchs der namibischen Delegation in
Deutschland kritisiert.

Egon Kochanke, deutscher Botschafter in Namibia, begründete das Fernbleiben
hochrangiger Vertreter/-innen der Bundesregierung von den Veranstaltungen
im Rahmen der Rückgabe der Gebeine damit, dass das Programm von zivil-
gesellschaftlichen Organisationen sowie der Opposition mit vorbereitet worden
sei und man daher nicht erwarten könne, dass Regierungsvertreter/-innen dann
daran teilnähmen.

Egon Kochanke führte weiter aus, die deutsche Regierung sei ein verlässlicher
Partner des namibischen Volkes und der namibischen Regierung und sie
respektiere die Rolle von traditionellen Autoritäten in der namibischen Gesell-
schaft. Wirkliche Versöhnung und Zusammenarbeit sei aber nur mit der deut-
schen Regierung möglich und „nicht mit solchen, von denen sie denken, es sind
ihre Freunde“.

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Die Zitate der Aussagen des deutschen Botschafters Egon Kochanke in der na-
mibischen Presse lauten (vgl. New Era, 5. Oktober 2011, www.newera.com.na/
article.php?articleid=40998&title=Skulls):

„There were private programmes organised by German civil society and mi-
nority parties in parliament who are in the opposition and you can not expect
that the German government is represented there.“

„(…) if you want to have real reconciliation and cooperation, then the only way
is working with the German government instead of working with those you
think are your friends.“

Diese Bemerkung kann sich nur auf die Vertreter/-innen der zivilgesellschaft-
lichen Organisationen, die die namibische Delegation während ihres Besuchs
betreuten sowie die Abgeordneten der drei Oppositionsparteien Sascha Raabe,
Niema Movassat und Hans-Christian Ströbele beziehen, die auf der Podiums-
diskussion anwesend waren.

Damit kritisiert der Botschafter Deutschlands den Dialog, dem das Auswärtige
Amt sich verweigerte und setzt stattdessen diejenigen herab, die sich diesem
schwierigen Kapitel deutscher Geschichte stellen und um Vergebung bitten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Waren die Bundesregierung und die deutsche Botschaft in Namibia vorab
von dem geplanten Besuch der Delegation aus Namibia unterrichtet?

Wenn ja, seit wann, und über welche Einzelheiten?

2. Waren das Auswärtige Amt (AA) oder die deutsche Botschaft in Namibia im
Vorfeld in die Reiseplanung der namibischen Delegation eingebunden?

Wenn ja, in welcher Form?

3. Waren das AA oder die deutsche Botschaft in Namibia in die Ausgestaltung
des Programms der namibischen Delegation eingebunden bzw. über den
Programmablauf informiert?

Wenn ja, bezüglich welcher Details?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussagen des namibischen Ministers
für Jugend-, Sport- und Kultur, Kazenambo Kazenambo, das ursprünglich
zusammen erarbeitete Programm sei von der deutsche Regierung verworfen
worden: „The truth is that the programme that we worked together (on),
the German government abandoned it,” (vgl. New Era, 5. Oktober 2011,
www.newera.com.na/article.php?articleid=40998&title=Skulls)?

5. Wieso übernahm die Bundesregierung nicht die Kosten (bzw. Anteile) der
namibischen Delegationsreise?

6. Welche Kenntnis hatte die Bundesregierung über die Unterbringung der
namibischen Delegation?

7. Aus welchem Grund übernahm das AA nicht federführend die Organisation
und Durchführung der feierlichen Übergabe der 20 Schädel, sondern trat
dort selbst nur als Gast auf – insbesondere vor dem Hintergrund,

a) der Antwort des Staatsekretärs beim Auswärtigen Amt Dr. Wolf-Ruthart
Born vom 22. Dezember 2010 auf die Schriftliche Frage 9 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/4350 des Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) betreffend finanzielle Unterstützung bei der Rückführung
der in Deutschland befindlichen Gebeine, in der die Unterstützung für eine
„würdige Übergabezeremonie“ durch das AA zugesagt wird,

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b) dass das AA „(…) in einem andauernden engen Konsultationsprozess
mit dem zuständigen namibischen Ministerium für Jugend, Nationale
Dienste, Sport und Kultur sowie der namibischen Botschaft“ bezüglich
der Rückführung steht, wie sich aus der Antwort des Staatsekretärs
Dr. Wolf-Ruthart Born vom 22. Dezember 2010 auf die Schriftliche
Frage 10 auf Bundestagsdrucksache 17/4350 des Abgeordneten Uwe
Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) betreffend eines Beschluss zur
Repatriierung von Schädeln nach Namibia durch die Bundesregierung,
ergibt?

8. Ist der offenbar im Dezember 2010 vorhandene enge Austausch zwischen der
deutschen und namibischen Regierung, den Staatsekretär Dr. Wolf-Ruthart
Born in seiner Antwort vom 22. Dezember 2010 zu den beiden unter den
Fragen 7a und 7b genannten Fragen des Abgeordneten Uwe Kekeritz
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) anführt, zwischenzeitlich abgerissen, und
wenn ja, warum?

9. Wieso empfing der Bundesminister des Auswärtigen Dr. Guido Westerwelle
die namibische Delegation zu keinem Zeitpunkt persönlich, und weshalb
nahm er selbst an keiner der Veranstaltungen teil (Podiumsdiskussion im
Haus der Kulturen der Welt, Gedenkgottesdienst in der St. Matthäuskirche,
feierliche Übergabezeremonie in der Charité)?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Absage des Büros des Staatsminis-
ters und Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf die
Einladung zur Podiumsdiskussion „Zeugen des deutschen Völkermords“,
mit den Worten man wünsche „eine schöne Veranstaltung mit interessanten
Gesprächen“?

11. Wie rechtfertigt die Bundesregierung das Auftreten der Staatsministerin
Cornelia Pieper bei der feierlichen Übergabezeremonie der Schädel am
30. September 2011, insbesondere die Tatsache, dass sie die Veranstaltung
ohne Verabschiedung und ohne die Rede des namibischen Kulturministers
anzuhören, verließ?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerungen des deutschen Bot-
schafters in Namibia, Egon Kochanke, Aussöhnung sei nur mit der Bun-
desregierung möglich und nicht mit solchen, von denen sie denken, dass es
ihre Freunde sind (vgl. New Era 5. Oktober 2011, www.newera.com.na/
article.php?articleid=40998&title=Skulls) – insbesondere vor dem Hinter-
grund, dass sich die Bundesregierung dem Dialog mit der namibischen
Delegation aktuell konsequent verweigert hat?

13. Aus welchem Grund ließ die Bundesregierung die Chance für einen
konstruktiven Dialog und Versöhnung, die der Besuch der Delegation bot,
ungenutzt verstreichen und provozierte stattdessen einen diplomatischen
Eklat?

14. Warum hat die Bundesregierung bis heute nicht offiziell den Völkermord
an den Herero und Nama in deutschem Namen anerkannt und eine offi-
zielle Entschuldigung ausgesprochen?

15. Wie ist der Stand der von der früheren Bundesregierung der SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geplanten Einrichtung eines Fonds oder
einer Stiftung, aus der die Nachfahren der Opfer der deutschen Verbrechen
in Namibia Existenzhilfen insbesondere auch für den Erwerb von Land zur
Bewirtschaftung erhalten sollten, um sich und ihre Familien ernähren zu
können?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7562

16. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um den Dialog der Nach-
fahren der Opfer mit Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zu fördern
und einen Fonds einzurichten für die unter Frage 15 vorgenannten Auf-
gaben?

17. Was beabsichtigt die Bundesregierung für einen umfassenden Ver-
söhnungsprozess zu tun?

Berlin, den 27. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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