BT-Drucksache 17/7556

Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien

Vom 27. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7556
17. Wahlperiode 27. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs,
Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Katja Keul, Agnes Malczak, Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien

Die Menschenrechtssituation in Äthiopien hat sich seit den gewaltsamen Un-
ruhen infolge der umstrittenen Parlamentswahlen 2005 massiv verschlechtert.
Vor allem nach Inkrafttreten einer ganzen Reihe von restriktiven Gesetzen in den
Jahren 2008 bis 2010, wie z. B. dem NGO-Gesetz oder dem Anti-Terror-Gesetz,
sehen sich unabhängige Journalistinnen und Journalisten, Oppositionspolitike-
rinnen und -politiker und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten einer
massiven Zensur und Verfolgung durch staatliche Sicherheitskräfte ausgesetzt.
Die Bundesregierung spricht in ihrem 9. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik
davon, dass dies „Teil der übergreifenden politischen Strategie“ der regierenden
EPRDF in Äthiopien ist. In deren Werteskala stehe die „Durchsetzung staat-
licher Autorität, Kontrolle und Sicherheit weit vor den Menschenrechten Einzel-
ner“ (S. 165). Premierminister Meles Zenawi hat Mitglieder der äthiopischen
Opposition mehrfach unter Generalverdacht gestellt, sich an terroristischen
Aktivitäten zu beteiligen.

Berichte der unabhängigen Menschenrechtsorganisationen Human Rights
Watch und Amnesty International sowie des Anti-Folter-Komitees der Vereinten
Nationen sprechen von systematischer Verfolgung sowie Anwendung von Ge-
walt und Folter gegen Regimekritikerinnen und -kritiker. Auch das US State
Department berichtet in seinem aktuellen Menschenrechtsbericht zu Äthiopien
über ernstzunehmende Hinweise auf Folterungen von Insassen im zentralen
Untersuchungsgefängnis Maekelawi in Addis Abeba. Der Bericht listet auch die
von ehemaligen Häftlingen berichteten Foltermethoden auf wie z. B. Drohun-
gen mit HIV-infizierten Nadeln und Folter an Genitalien.

Seit März dieses Jahres sind mindestens 100 Oppositionelle und sechs Journa-
listen in Äthiopien festgenommen worden, darunter auch der international
renommierte Journalist und ehemalige „Amnesty Prisoner of conscience“
Eskinder Nega. Ihnen wurden terroristische Aktivitäten vorgeworfen. Amnesty

International geht allerdings davon aus, dass sie nur aufgrund der Ausübung
ihres legitimen Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurden.

Seit Jahren ist die Meinungs- und Pressefreiheit in Äthiopien erheblich ein-
geschränkt und laut dem Menschenrechtsbericht der Bundesregierung gibt es
kaum noch private und unabhängige Medien im Land. Nach Angaben des
Committee to Protect Journalists hat Äthiopien eine der höchsten Exilraten von
Journalistinnen und Journalisten weltweit. Reporter ohne Grenzen berichtet,

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dass Äthiopien innerhalb Afrikas auch einen Spitzenplatz bei Ländern mit
inhaftierten Journalistinnen und Journalisten einnimmt.

Aktuelle Recherchen des britische Nachrichtensenders BBC und des Bureau of
Investigative Journalism vom August dieses Jahres unterstützen die bereits von
Human Rights Watch 2010 erhobenen Vorwürfe, dass Entwicklungsgelder und
Nahrungsmittelhilfen von der äthiopischen Regierung für politische Zwecke
missbraucht werden.

Vor dem Hintergrund der schlechten Menschenrechtssituation hat die Nicht-
regierungsorganisation Freedom House Äthiopien in ihrem aktuellen Jahres-
bericht über die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten von „teilweise
frei“ auf den Status „unfrei“ herabgestuft.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Menschenrechtslage in Äthiopien,
und wie hat sie sich seit dem 9. Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik verändert?

2. Über welche Informationen verfügt die Bundesregierung bezüglich der am
14. September 2011 stattgefunden Inhaftierungen des Journalisten Eskinder
Nega und der oppositionellen Politiker Andualem Arage, Nathanial
Mekonnen, Asaminew Berhanu, die der Partei Unity for Democracy and
Justice angehören, sowie Zemene Molla, Generalsekretär der national-
demokratischen Partei Ethiopian National Democratic Party?

3. Über welche Informationen verfügt die Bundesregierung bezüglich der
Inhaftierungen der Oppositionspolitikerinnen und -politiker Debebe Eshetu,
Bekele Gerba und Olbana Lelisa, die Anfang September dieses Jahres statt-
fanden?

4. Über welche Informationen verfügt die Bundesregierung bezüglich der Ver-
haftungen der ehemaligen Abgeordneten des äthiopischen Parlaments Gutu
Melisa und Asfaw Angasu sowie bezüglich der im März dieses Jahres statt-
gefundenen Verhaftungen der früheren Parlamentarier der regionalen Volks-
vertretung im Bundesstaat Oromia, Tadesse Gelalcha und Teshale Edosa
zusammen mit zahlreichen anderen Oppositionellen?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die jüngsten Verhaftungswellen in
Äthiopien?

6. Hat die Bundesregierung die Verhaftungen der genannten Personen gegen-
über der äthiopischen Regierung angesprochen?

Wenn ja, wann, und wie hat sie dies getan, und welche Namen wurden
genannt, welche nicht?

7. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Haftbedingun-
gen und Anklagepunkte der seit 1993 inhaftierten politischen Gefangenen
Abera Yemane, Aberash Berta, Lemma Hailu und Tesfaye Kebede vor?

8. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Haftbedingun-
gen und Anklagepunkte der seit 1991 inhaftierten politischen Gefangenen
Tsegaye Gebre Medhin, Yishak Debretsion, Sitotaw Hussein, Amha Belete,
Teklai Gebre Sellasie, Hagos Bezabih, Azanaw Demile vor?

9. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von dem Untersuchungsgefäng-
nis Maikelawi in Addis Abeba, in dem viele der Verhafteten inhaftiert sein
sollen?

10. Wie bewertet die Bundesregierung Berichte von Amnesty International,

Human Rights Watch und dem US State Department, wonach im Unter-
suchungsgefängnis Maikelawi systematisch gefoltert werde?

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11. Hat der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und
Humanitäre Hilfe, Markus Löning, bei seinem jüngsten Äthiopienbesuch im
September dieses Jahres die sich verschlechternde Menschenrechtslage und
die Haftbedingungen der politischen Gefangenen in Äthiopien gegenüber
der äthiopischen Regierung angesprochen?

Wenn nein, warum nicht?

12. Mit wem hat der Menschenrechtsbeauftragte auf äthiopischer Seite Ge-
spräche geführt?

13. Welche Themen hat der Menschenrechtsbeauftrage konkret bei diesen
Gesprächen angesprochen und mit welchen Ergebnissen?

14. Hat sich der Menschenrechtsbeauftragte während seines Besuchs in
Äthiopien auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Opposition, der Zivil-
gesellschaft sowie Journalistinnen und Journalisten getroffen?

Wenn ja, mit wem?

Wenn nein, warum nicht?

15. Wie bewertet die Bundesregierung den Erfolg ihres Menschenrechtsdialogs
mit der äthiopischen Regierung vor dem Hintergrund der sich verschlech-
ternden Menschenrechtssituation im Verlauf der letzten Jahre?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die Umsetzung der Empfehlungen im
Rahmen des Universal Periodic Review Verfahrens (UPR) durch die äthio-
pische Regierung?

17. Welche Konsequenzen werden die andauernden Menschenrechtsverletzun-
gen in Äthiopien vor dem Hintergrund des neuen Menschenrechtskonzepts
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung für die deutsch-äthiopische Entwicklungszusammenarbeit und für die
Außenpolitik gegenüber Äthiopien insgesamt haben?

18. Wurden seit 2005 äthiopische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von
Deutschland nach Äthiopien ausgewiesen bzw. abgeschoben, und wenn ja,
wie viele, und wie begründet die Bundesregierung diese Ausweisungen
bzw. Abschiebungen vor dem Hintergrund der prekären Menschenrechts-
lage in Äthiopien?

19. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Versorgung der
mehr als viereinhalb Millionen Äthiopierinnen und Äthiopier, die von der
aktuellen Hungersnot betroffen sind?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung Berichte der BBC und des Bureau of
Investigative Journalism vom August dieses Jahres, laut denen die äthio-
pische Regierung Oppositionellen systematisch Nahrungsmittelhilfen ver-
weigert?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung Berichte der BBC und des Bureau of
Investigative Journalism vom August dieses Jahres, wonach die äthio-
pische Regierung Entwicklungsgelder für politische Repressionen miss-
braucht?

22. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Mittel der bilateralen
Zusammenarbeit Deutschlands nicht zur Unterdrückung von politischer
Opposition benutzt werden?

23. Welche Projekte führt die im Staatsbesitz liegende Deutsche Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH oder die GIZ International
Services (GIZ IS) in Äthiopien durch, deren Auftraggeber nicht die Bundes-
regierung ist?

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24. Führt die GIZ IS Projekte im Auftrag der äthiopischen Regierung durch?

Wenn ja, welche?

25. Inwiefern werden durch die Bundesregierung finanzierte Projekte oder
durch Unternehmen im deutschen Staatsbesitz durchgeführte Projekte in
Äthiopien vor der Durchführung auf ihre menschenrechtsrelevanten Aus-
wirkungen geprüft und im Nachhinein daraufhin evaluiert?

26. In welchem Umfang hat Deutschland in den letzten fünf Jahren Rüstungs-
güter nach Äthiopien exportiert, und um welche Güter handelte es sich?

27. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der aktuellen
Hungersnot am Horn von Afrika die Politik der äthiopischen Regierung,
große landwirtschaftlich nutzbare Flächen an ausländische Investoren für
den Anbau von Exportprodukten zu verpachten?

28. Welche Informationen hat die Bundesregierung über deutsche Firmen, die
große landwirtschaftliche Nutzflächen in Äthiopien gepachtet haben?

29. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Landvertreibungen
von Nomaden und Kleinbauern und -bäuerinnen im Zusammenhang mit
der großflächigen Verpachtung von Landflächen in Äthiopien vor?

30. Welche Informationen hat die Bundesregierung von Berichten des Oakland
Instituts über Zwangsvertreibungen und Menschenrechtsverletzungen
durch äthiopische Sicherheitskräfte gegenüber Mitgliedern der indigenen
Gruppen der Mursi, Suri und Bodi im Zusammenhang mit der Planung von
245 000 Hektar staatlicher Zuckerrohrplantagen in der Region Süd-Omo,
und wie bewertet sie diese?

31. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Berichte von Survival
International, wonach Ende September 2011 mehr als 100 Mitglieder der
indigenen Gruppen der Mursi und Bodi verhaften wurden, während sie
gegen die geplanten Zuckerrohrplantagen demonstriert haben, und wie
bewertet sie diese?

32. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über äthiopische Klein-
bauern und -bäuerinnen und Nomaden vor, die gegen die Vertreibung von
ihren angestammten Nutzflächen protestieren?

33. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Berichte der Gesell-
schaft für bedrohte Völker und des Anuak Justice Council, wonach es
Anfang dieses Jahres zu zahlreichen Landvertreibungen von Mitgliedern
der indigenen Gruppe der Anuak im Bundesstaat Gambella gekommen sei,
und wie bewertet die Bundesregierung diese Berichte?

34. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Berichte der Gesell-
schaft für bedrohte Völker, wonach in diesem Jahr 200 Mitglieder der
indigenen Gruppe der Afar verhaftet worden sind, als sie sich weigerten,
Land für neue Zuckerrohrplantagen zur Verfügung zu stellen, und wie
bewertet die Bundesregierung diese Berichte?

35. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die aktuelle Arbeit der
nach dem NGO-Gesetz von 2009 noch verbliebenen äthiopischen Nicht-
regierungsorganisationen (NGO) im Menschenrechtsbereich?

36. Wie wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung das NGO-Gesetz auf
die Arbeit von Menschenrechtsnichtregierungsorganisationen aus, und wie
reagiert die Bundesregierung darauf?

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37. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Enteignung von
Geldern und die Schließung mehrerer regionaler Büros der unabhängigen
äthiopischen Menschenrechtsorganisation „Ethiopian Human Right“ (ehe-
mals Ethiopian Human Rights Committee) sowie über Drohungen und Ver-
folgungen gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, und wie be-
urteilt sie diese?

38. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Enteignung von
Geldern der unabhängigen äthiopischen Menschenrechtsorganisation
„Ethiopian Women Lawyers Assosation“ sowie über Drohungen und Ver-
folgungen gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, und wie be-
urteilt sie diese?

39. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der Frauen angesichts der
Tatsache, dass Frauenrechte trotz eines in der Verfassung verankerten
Diskriminierungsverbots in Äthiopien nicht durchgehend verwirklicht sind,
und wie thematisiert die Bundesregierung das Thema Frauen und Frauen-
rechte in der deutsch-äthiopischen Entwicklungszusammenarbeit?

40. Wie bewertet die Bundesregierung Berichte der Frauenorganisation Terre
des Femmes und der äthiopischen Menschenrechtsorganisation Ethiopian
Human Rights (EHR) über gezielte Einschüchterungen, Vergewaltigungen
und Menschenrechtsverletzungen an politisch aktiven Frauen und Men-
schenrechtlerinnen und Menschenrechtlern durch äthiopische Sicherheits-
kräfte?

41. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Vergewaltigung
von Enat Fentaye, Sprecherin für Frauenangelegenheiten der Oppositions-
partei UDJ?

42. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Ermordung von
Amarech Gelane, Wahlkandidatin der AEUP-Partei, durch äthiopische
Sicherheitskräfte eine Woche nach den äthiopischen Parlamentswahlen am
23. Mai 2010?

43. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Drohungen und Bespitzelungen
gegenüber Exil-Äthiopierinnen und -Äthiopiern durch Agenten des äthio-
pischen Geheimdienstes in Deutschland?

Wenn ja, was tut die Bundesregierung dagegen?

44. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Einhaltung von
Menschenrechtskriterien im Rahmen der (geplanten) Rohstoffförderung in
Äthiopien, insbesondere im Ogaden-Becken?

Berlin, den 27. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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