BT-Drucksache 17/7552

Internationale humanitäre Hilfe der Bundesregierung

Vom 27. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7552
17. Wahlperiode 27. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Katja Keul,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Internationale humanitäre Hilfe der Bundesregierung

Der weltweite Bedarf an humanitärer Hilfe nimmt zu. Nach dem World Deve-
lopment Report 2010 von UNDP werden Naturkatastrophen und die Zahl von
Gewaltopfern, Flüchtlingen und Vertriebenen durch Konflikte infolge von
Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Klimawandel in Zukunft weiter
ansteigen. Die internationale Gemeinschaft steht vor der Herausforderung, ihre
humanitäre Hilfe besser zu koordinieren und effizienter zu gestalten.

Im Rahmen des Peer-Review-Verfahrens des Development Assistance Com-
mittee der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD-DAC) wurde die internationale humanitäre Hilfe der Bundesregierung
wiederholt kritisiert. Demnach ist der Anteil der humanitären Hilfe an den ins-
gesamt viel zu niedrigen deutschen Gesamtausgaben für Official Development
Aid (ODA) im OECD-Vergleich gering. Sogar Staaten mit geringerer Wirt-
schaftskraft (etwa skandinavische Länder) bringen einen höheren Anteil ihrer
ODA für humanitäre Hilfe auf. Zudem erlaubt das deutsche Haushalts- und Zu-
wendungsrecht noch immer keine Teilnahme an mehrjährigen Unterstützungs-
zusagen. Problematisch ist laut dem Peer-Review-Bericht der OECD-DAC
weiterhin die Aufteilung der deutschen humanitären Hilfe auf unterschiedliche
Ressorts. Vor allem durch die Trennung der Instrumente des Auswärtigen Amts
(AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) erhöhen sich die Transaktionskosten für die Partner. Sie
müssen für verschiedene Teile derselben Projekte gesonderte Anträge und Be-
richte in unterschiedlichen Formaten und nach unterschiedlichen Richtlinien
erstellen. Außerdem kritisiert der OECD-DAC die fehlende Gesamtstrategie
für die deutsche humanitäre Hilfe und deren bilateralen Fokus durch die Be-
grenzung der ODA-Mittel für multilaterale Organisationen auf ein Drittel.
Auch der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung, Dirk Niebel, hat in einem aktuellen Interview eingeräumt, dass eine
solche Regel die Flexibilität der humanitären Hilfe behindere.
Welche Anstrengungen die Bundesregierung derzeit unternimmt, um auf die
wiederholte Kritik des OECD-DAC zu reagieren, ist nicht bekannt. Unklar ist
auch, welche Schwerpunkte die Bundesregierung während ihres Vorsitzes der
OCHA-Unterstützergruppe (Donor Support Group) von 2012 bis 2013 setzen
will. Ob und wenn ja welche Konsequenzen die Bundesregierung aus den
jüngsten humanitären Katastrophen, wie dem Erdbeben in Haiti (2010), den

Drucksache 17/7552 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Überschwemmungen in Pakistan (2010) oder der Hungerkatastrophe am Horn
von Afrika (2011) für die Ausgestaltung ihrer internationalen humanitären
Hilfe zieht, ist nicht bekannt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Zieht die Bundesregierung Konsequenzen aus den jüngsten humanitären
Katastrophen, wie dem Erdbeben in Haiti (2010), den Überschwemmungen
in Pakistan (2010) oder der Hungerkatastrophe am Horn von Afrika (2011)
für die Konzeptionierung, institutionelle Ausgestaltung und Koordination
ihrer internationalen humanitären Hilfe?

Wenn ja, welche?

2. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass auf die Frühwarnung vor huma-
nitären Katastrophen (early warning) auch frühe Reaktionen (early action)
folgen, und wo sieht die Bundesregierung diesbezüglich nationalen sowie
internationalen Handlungsbedarf?

3. Inwiefern erachtet es die Bundesregierung für notwendig, der Empfehlung
des DAC Peer Review nachzukommen und eine Gesamtstrategie der deut-
schen humanitären Hilfe sowie der Übergangshilfe zu entwickeln, und
wenn nein, warum nicht?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Empfehlung des DAC Peer Review,
die humanitäre Not- und Soforthilfe des AA in konzeptioneller, strategi-
scher und operativer Hinsicht stärker mit der entwicklungsorientierten Not-
und Übergangshilfe des BMZ zu verknüpfen, und welche konkreten Maß-
nahmen sind ggf. geplant?

5. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass bereits bei der Planung von
Programmen und Maßnahmen der humanitären Not- und Soforthilfe Über-
gangs- und Exitstrategien bedacht werden, so dass diese Maßnahmen auch
als Not- und Übergangshilfe eingesetzt werden können?

6. Inwiefern plant die Bundesregierung, einheitliche Standards für die Mittel-
vergabe und Ausschreibungsverfahren im Rahmen der humanitären Not-
und Soforthilfe und der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe
einzuführen, damit Partner und Durchführungsorganisationen nicht für
verschiedene Teile derselben Projekte gesonderte Anträge und Berichte
nach unterschiedlichen Richtlinien erstellen müssen?

7. Wie reagiert die Bundesregierung auf die Kritik des DAC Peer Reviews,
dass Nichtregierungsorganisationen einen Mangel an Transparenz bei der
Mittelvergabe der Ministerien (siehe OECD-DAC Peer Review 2010,
S. 17) und eine oftmals mehrmonatige Zeitspanne zwischen Förderzusagen
und tatsächlichem Eingang der Fördermittel beklagen?

8. Inwiefern erwägt die Bundesregierung, das deutsche Haushalts- und Zu-
wendungsrecht so zu reformieren, dass mehrjährige Unterstützungszusagen
möglich werden, und wenn nein, warum nicht?

9. Welche multilateralen Mittel stellt die Bundesregierung im Bereich der
humanitären Hilfe bereit, wie teilen sich diese Mittel auf die verschiedenen
Organisationen auf, und werden diese Zuwendungen den wachsenden
Herausforderungen an die internationale humanitäre Hilfe gerecht?

10. Gedenkt die Bundesregierung, die Begrenzung multilateraler ODA-Mittel
auf ein Drittel des Budgets im Sinne größerer Flexibilität aufzuheben?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7552

11. Inwiefern erwägt die Bundesregierung, im Sinne eines international ver-
einbarten „Good donorship“ Hilfsorganisationen mehr Mittel ungebunden
zur Verfügung zu stellen, und nach Vorbild vieler skandinavischer Staaten
stärker auf der strategischen Ebene und im Policy-Bereich Einfluss zu
nehmen?

12. Wie trägt die Bundesregierung dazu bei, die in der Evaluierung des Clus-
ter-Ansatzes genannten Schwächen (Vernachlässigung von Querschnitts-
themen, mangelnde Einbindung lokaler und nationaler Akteure, Gefähr-
dung humanitärer Prinzipien, mangelhaftes Management der Cluster etc.)
zu beheben?

13. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass Maßnahmen im Rahmen der
humanitären Hilfe von militärischen Operationen abgegrenzt werden?

14. Welche Schwerpunkte plant die Bundesregierung während ihres Vorsitzes
der OCHA-Unterstützergruppe (Donor Support Group) 2012 bis 2013 zu
setzen?

15. Welche Beiträge leistet die Bundesregierung gegenwärtig in der 2009 ge-
gründeten EU-Ratsarbeitsgruppe „Working Party on Humanitarian Aid and
Food Aid“ (COHAFA)?

Berlin, den 27. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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