BT-Drucksache 17/7551

Folter in afghanischen Haftanstalten

Vom 27. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7551
17. Wahlperiode 27. 10. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Folter in afghanischen Haftanstalten

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA)
ist seit 2004 dazu mandatiert, im Zuge der Justizreform in Afghanistan auch
den Schutz der Menschenrechte von inhaftierten Personen in afghanischen
Haftanstalten zu thematisieren. Auf Grundlage dieses Mandats hatte UNAMA
im Januar 2009 einen Bericht zu willkürlichen Inhaftierungen in Afghanistan
vorlegt. Zwischen Oktober 2010 und August 2011 wurden weitere Erhebungen
in afghanischen Haftanstalten von UNAMA vorgenommen, die im kürzlich er-
schienen Bericht „Treatment of Conflict Related Detainees in Afghan Custody“
ausgewertet wurden. UNAMA kommt zu dem Schluss, dass in einigen Haft-
anstalten systematisch gefoltert werde. Die International Security Assistance
Force (ISAF) hat infolgedessen die Überstellung von in Gewahrsam Genom-
menen an bestimmte afghanische Einrichtungen eingestellt.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Militäroperationen in Afghanistan ist die
Menschenrechtslage in afghanischen Gefängnissen von großer Bedeutung,
schließlich arbeiten NATO-Soldaten mit afghanischen Sicherheitskräften eng
zusammen und setzen auf gemeinsamen Einsätzen Personen fest. Zwischen
dem 1. Dezember 2009 und dem 30. September 2011 sind nach Angaben der
ISAF-Pressemitteilungen 7 146 Personen bei Militäroperationen von ISAF-
Soldaten und afghanischen Sicherheitskräften festgenommen worden. Weil
nicht alle Festnahmen in Pressemitteilungen öffentlich gemacht werden, dürfte
die Zahl der tatsächlich Festgenommenen noch höher liegen. Viele dieser Per-
sonen werden im juristischen Verfahren an Einrichtungen überstellt, in denen
laut den UNAMA-Berichten gefoltert wird und in denen Insassen regelmäßig
misshandelt werden.

In Anbetracht dessen, dass das Folterverbot gemäß des Grundgesetzes, der
Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte, der Genfer Kon-
ventionen, des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, un-

menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und des Internationa-
len Paktes über bürgerliche und politische Rechte für deutsches Staatshandeln
auch im Ausland gilt, dürfen festgenommene Personen unter keinen Umständen
dem Risiko von Folter ausgesetzt werden. Dass Folter und Misshandlungen in
afghanischen Haftanstalten weit verbreitet sind, wirft deswegen für den Aus-
landseinsatz in Afghanistan Fragen auf.

Drucksache 17/7551 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Verdächtige wurden seit September 2010 auf gemeinsamen Opera-
tionen von ISAF und afghanischen Sicherheitskräften, an denen Bundeswehr-
soldaten beteiligt waren, in Gewahrsam genommen, und wie viele dieser in
Gewahrsam Genommenen wurden

a) an die afghanische Polizei,

b) an den afghanischen Geheimdienst,

c) an jene Haftanstalten überstellt, in denen laut UNAMA-Bericht „Treat-
ment of Conflict Related Detainees in Afghan Custody“ systematisch ge-
foltert wird (NDS-Einrichtungen in Herat, Kandahar, Khost und Laghman,
sowie das NDS Counter-Terrorism Department 124 in Kabul), und

d) an jene Haftanstalten überstellten, in denen laut jenem UNAMA-Bericht
Insassen glaubwürdig von Folter berichteten (NDS-Einrichtungen in
Kapisa und Takhar)?

2. Handelte es sich bei den 293 Militäreinsätzen, die zwischen dem 1. Januar
2009 und 30. September 2011 im Regional Command North laut ISAF-
Pressemitteilungen stattfanden und bei denen 561 Personen festgenommen
wurden, ausschließlich um Partnering-Operationen oder wurden Operatio-
nen, bei denen Personen in Gewahrsam genommen wurden, auch ausschließ-
lich von ISAF-Soldaten durchgeführt?

3. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Deutschland seinen
Verpflichtungen gemäß seinem Verfassungsrecht und geltendem internatio-
nalen Recht (insbesondere Grundgesetz, Genfer Konventionen, Übereinkom-
men gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe) nachkommt, wenn bei Operationen, die gemeinsam
mit afghanischen Sicherheitskräften geplant, vorbereitet, durchgeführt und
nachbereitet werden, Personen in Gewahrsam genommen und anschließend
an Einrichtungen überstellt werden, in denen das Risiko von Folter besteht?

4. Wie bewertet die Bundesregierung den Bericht „Treatment of Conflict-Rela-
ted Detainees in Afghan Custody“ von UNAMA, und inwieweit wirkt sich
diese Bewertung der Hinweise auf systematische Folter und Misshandlun-
gen in afghanischen Haftanstalten auf die Zusammenarbeit von Bundes-
wehrsoldaten und zivilen Vertretern der Bundesrepublik Deutschland in
Afghanistan mit den afghanischen Partnern aus?

5. Inwieweit folgt die Bundesregierung der Schlussfolgerung des UNAMA-
Berichts, dass die staatliche Kontrolle der afghanischen Polizei und des af-
ghanischen Geheimdienstes und juristische Verfolgung von Misshandlungen
und Folter durch Angehörige dieser Institutionen verbessert werden muss,
und welche Beiträge leistet die Bundesregierung, um diese bestehenden
Missstände zu beseitigen?

6. Welche aktuellen Projekte und Programme zielen nach Kenntnis der Bundes-
regierung darauf ab, die Situation für Menschen in afghanischem Gewahrsam
und Haft zu verbessern, und wie unterstützt die Bundesregierung diese?

7. Welche aktuellen Projekte und Programme zielen nach Kenntnis der Bundes-
regierung darauf ab, Folter und Misshandlungen von Menschen in afghani-
schem Gewahrsam und Haft zu bekämpfen, und wie unterstützt die Bundes-
regierung diese?

8. Welche aktuellen Maßnahmen und Projekte der afghanischen Regierung
zielen auf einen besseren Schutz der Menschenrechte von Personen in Ge-
wahrsam des afghanischen Geheimdienstes (NDS) ab, und wie unterstützt

die Bundesregierung diese?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7551

9. Inwieweit hatten deutsche Stellen schon vor der Veröffentlichung des
UNAMA-Berichts Kenntnisse über Folter und Misshandlungen von Gefan-
genen durch den NDS in der Provinz Takhar, die zum Regional Command
North gehört, und welche Konsequenzen wurden aus diesen Kenntnissen
gezogen?

10. Inwieweit haben deutsche Stellen die Mitarbeiter von UNAMA dabei unter-
stützt, den Bericht „Treatment of Conflict Related Detainees in Afghan
Custody“ zu erstellen?

11. Unterhält die Bundesregierung ebenso wie Kanada, Großbritannien und die
USA ein so genanntes post-transfer detainee monitoring programme, und
hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob die NATO solche Pro-
gramme einrichten will?

12. Welche Missstände haben die sechs Inspektionen der ISAF von afghani-
schen Haftanstalten ergeben, die in der „ISAF-Pressemitteilung 2011-10-
CA-003“ vom 10. Oktober 2011 erwähnt werden, und sind weitere solcher
Inspektionen geplant?

13. Inwiefern ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Menschen, die
wegen vermutlicher Beteiligung an Kampfhandlungen in Afghanistan von
ISAF-Soldaten oder afghanischen Sicherheitskräften festgesetzt werden,
den Status eines Kriegsgefangenen gemäß des Genfer Abkommens über
die Behandlung von Kriegsgefangenen haben?

14. Wie bewertet die Bundesregierung, dass laut UNAMA nur einer der 324
interviewten Inhaftierten Zugang zu einem Anwalt hatte, und deckt sich
diese Beobachtung mit Kenntnissen der Bundesregierung, die aus anderen
Quellen stammen?

15. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Programme der afghanischen
Regierung, die den Zugang der Inhaftierten zu Anwälten verbessern sollen,
und wie unterstützt die Bundesregierung diese?

16. Inwieweit ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus den Gen-
fer Abkommen, dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, dem Inter-
nationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Euro-
päischen Menschenrechtskonvention die Maßgabe, dass Menschen nicht
an solche Institutionen ausgeliefert werden dürfen, wenn man sie damit
dem Risiko von Folter und Misshandlungen preisgibt?

17. Inwieweit erhöht der so genannte Copenhagen Process on the Handling of
Detainees den Schutz der in Gewahrsam Genommenen, den jene bereits
jetzt auf Grundlage bestehender internationaler Konventionen in Afghanis-
tan genießen, und inwieweit unterstützt die Bundesregierung diesen Pro-
zess?

18. Inwieweit beteiligt sich Deutschland an der Entwicklung, Implementierung
und Finanzierung des so genannten police monitoring mechanism, der laut
UNAMA zurzeit in der Afghan Independent Human Rights Commission
(AIHRC) eingerichtet werden soll?

Berlin, den 27. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.