BT-Drucksache 17/7547

Widerruf der gemäß § 8 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erteilten Zustimmungen zu den Anträgen der Bundesregierung vom 28. Januar 2011 und 23. März 2011 Bundeswehr aus Afghanistan abziehen

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7547
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Neskovic,
Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch,
Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Widerruf der gemäß § 8 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erteilten
Zustimmungen zu den Anträgen der Bundesregierung vom 28. Januar 2011
und 23. März 2011

Bundeswehr aus Afghanistan abziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag widerruft seine Zustimmung (Bundestagsdruck-
sachen 17/4402 (17/4561, 17/4562); 17/5190 (17/5251(neu), 17/5252)) zur
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten In-
ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International
Security Assistance Force, ISAF) gemäß § 8 des Parlamentsbeteiligungsge-
setzes (ParlBG).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Einsatz der bewaffneten deutschen Streitkräfte an der NATO-geführ-
ten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (Inter-
national Security Assistance Force, ISAF) sofort für beendet zu erklären,

2. die Bundeswehr unverzüglich aus Afghanistan abzuziehen.

Berlin, den 26. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung

● Der Abzug der Bundeswehr ist ein deutliches Zeichen für die längst überfäl-
lige Beendigung des Afghanistankriegs. Jeder Tag, den der nun zehn Jahre
dauernde Krieg länger geführt wird, kostet weiteren Menschen Leben und
Gesundheit. Der Afghanistankrieg hat bisher Zehntausenden Zivilistinnen
und Zivilisten (die Opferzahlen schwanken zwischen 30 000 und 100 000),

Drucksache 17/7547 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2 600 alliierten Soldatinnen und Soldaten, darunter 53 deutschen, und zahlrei-
chen zivilen Helferinnen und Helfern das Leben gekostet. Allein in den ersten
sechs Monaten des Jahres 2011 sind 3 268 Opfer, darunter 1 271 Tote und
1 997 Verletzte (Bericht der UN Assistance Mission – UNAMA) zu beklagen.

● Die Ergebnisse des Krieges machen überdeutlich, dass der Konflikt militä-
risch nicht zu lösen ist. Auch der deutsche Sonderbotschafter für Afghanistan
und Pakistan Michael Steiner kommt zu dieser Feststellung. Anlässlich des
NATO-Gipfels im November 2010 erklärte er gegenüber der Tageszeitung
„DER TAGESSPIEGEL“ (TAGESSPIEGEL ONLINE, 18. November 2010):
„Jeder weiß, dass es in Afghanistan keine militärische Lösung geben kann.
Der Westen hat sich zu Afghanistan in der Vergangenheit Illusionen hinge-
geben (…).“

● Die Strategie der NATO und damit auch die der Bundeswehr in Afghanistan
ist gescheitert. Die beständige Erhöhung der Anzahl der eingesetzten Sol-
datinnen und Soldaten im Zuge der bisherigen 13 Mandatierungen hat die
Obergrenze von 1 200 Soldatinnen und Soldaten auf bis zu 5 300 Soldatinnen
und Soldaten derzeit hochgeschraubt, aber nicht mehr Sicherheit in Afgha-
nistan gebracht. Diese Strategie behindert den notwendigen innerafghani-
schen Friedensprozess und den erfolgreichen Wiederaufbau. Der Status und
die Rechte des ISAF-Mandates decken sich nicht mit der Realität des Bun-
deswehreinsatzes. Die Bundeswehr ist dazu übergegangen, das nicht völker-
rechtskonforme Vorgehen anderer ISAF-Staaten zu unterstützen, wie zum
Beispiel gezielte Tötungen oder Operationen von Spezialkräften, die vor
allem von den USA unter nationalem Kommando bzw. im Rahmen der Ope-
ration Enduring Freedom durchgeführt werden. Die Erfahrung lautet: mehr
Militär, mehr Gewalt, mehr Widerstand.

● Die Kosten des Bundeswehreinsatzes in den vergangenen zehn Jahren sind
mittlerweile dreifach so hoch anzusetzen, wie von den Bundesregierungen je-
weils ausgewiesen wurde. Der Krieg verschlingt Mittel, die zumindest zum
Teil dringend für soziale Verbesserungen in Afghanistan und der Region ein-
gesetzt werden müssten. Die Kosten für den Bundeswehreinsatz werden vom
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW) mit bisher 17 Mrd.
Euro und der Einsatz der US-Army von der Eisenhower Study Group mit
3,2 Bio. US-Dollar beziffert. Jedes weitere Jahr Krieg wird die Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler in Deutschland laut DIW 2,5 bis 3 Mrd. Euro kosten.

● Die von ISAF und Bundeswehr forcierte Verschränkung der militärischen
Operationen mit ziviler Hilfe hat die Lage in Afghanistan nicht verbessert.
Diese Verschränkung von Militärischem und Zivilem ist selbst ein Grund
dafür, dass der afghanische Staat auch im Jahr 2014 nicht in der Lage sein
wird, die Basisversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, so die Interna-
tional Crisis Group. Afghanistan belegt beim Human Development Index
den Platz 155 von 169 Staaten, in der Gesundheitsversorgung den letzten
Platz. Mehr als drei Millionen Flüchtlinge weltweit kommen aus Afghanis-
tan (UNHCR 2011). Auch die extrem hohe Zahl von Flüchtlingen aus
Afghanistan – ein Drittel der Flüchtlinge in der Welt – zeigen, dass sich die
Lebenssituation der Menschen in Afghanistan eher verschlechtert hat.

● Laut einer Umfrage von Infratest dimap vom 8. September 2011 wollen
66 Prozent der deutschen Bevölkerung, dass die Bundeswehr sofort aus
Afghanistan abzieht. Der Deutsche Bundestag trägt diesen Meinungen und
dem politischen, sozialen und menschenrechtlichen Scheitern in Afghanis-
tan auch dadurch Rechnung, dass er erstmalig vom Rückholrecht des Parla-
ments (§ 8 ParlBG) Gebrauch macht. Diese Entscheidung des Deutschen
Bundestages soll zugleich zur schnellen Beendigung des Krieges in Afgha-
nistan beitragen.

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