BT-Drucksache 17/7485

Umbenennung von Bundeswehrkasernen und Straßennamen auf den Bundeswehrliegenschaften

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7485
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, Wolfgang Gehrcke,
Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch, Jan Korte,
Stefan Liebich, Niema Movassat, Wolfgang Neskovic, Thomas Nord, Petra Pau,
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Umbenennung von Bundeswehrkasernen und Straßennamen auf den
Bundeswehrliegenschaften

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

57 Jahre nach Gründung der Bundeswehr ist das Bundesministerium der Vertei-
digung (BMVg) immer noch nicht bereit, eine eindeutige Zäsur zu der Wehr-
macht und ihrer Rolle in der nationalsozialistischen Diktatur und dem Zweiten
Weltkrieg vorzunehmen. Sie verortet die Bundeswehr nicht als eine Streitkraft,
die ihre Traditionsbezüge zur Wehrmacht vorbehaltlos bricht. Dies zeigt sich
z. B. in Mittenwald, wo die Bundeswehr regelmäßig an Gedenkveranstaltungen
des Kameradenkreises der Gebirgstruppe teilnimmt, bei denen auch Angehöri-
gen der Gebirgsjäger der Wehrmacht, deren Einheiten in Griechenland in
Kriegsverbrechen schuldhaft verstrickt waren, anwesend sind. Es zeigt sich
auch in der Beibehaltung von Militärritualen und anderen zeremoniellen Auftrit-
ten, wie z. B. Zapfenstreiche und Gelöbnisse, die auch von Hitlers Wehrmacht
praktiziert worden sind. Auch in Bezug auf die Anwendung des wichtigen In-
strumentes der Traditionspflege, der öffentlichen Ehrung historischer Personen
und Ereignisse durch Benennung von Kasernen und Straßennamen auf diesen
Liegenschaften, Einheiten und Waffensystemen, offenbaren sich gravierende
Defizite bei der Bundeswehr. Noch bis vor kurzem waren Zerstörer der Marine
im Dienst, die nach Wehrmachtsoffizieren benannt wurden, die maßgeblich
Hitlers Angriffskrieg, der zu mehr als 40 Millionen Toten geführt hat, mitgetra-
gen haben („Rommel“ bis 1998 im Dienst, „Mölders“ und „Lütjens“ bis 2003).
Bis heute sind noch mehr als zwei Dutzend Kasernen nach Wehrmachtssoldaten
benannt, die den verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg mitgetragen
haben, wie z. B. General Konrad (in Bad Reichenhall), Generalfeldmarschall
Rommel (in Augustdorf), Generaloberst Freiherr von Fritsch (in Koblenz), Gene-
ral von Seidel (in Trier) oder General Hüttner (in Hof an der Saale). Auch wenn
dies gerne von der Bundeswehr ausgeblendet wird, zählen auch diejenigen

Soldaten dazu, die zwar dem Widerstand gegen Adolf Hitler zugerechnet werden,
jedoch zu den anfänglichen blutigen militärischen Erfolgen der Wehrmacht, u. a.
bei dem Überfall auf die Sowjetunion, bereitwillig ihren Beitrag geleistet haben.
Gleiches trifft für die Gruppe von Soldaten zu, die nach ihrem Dienst in Hitlers
Wehrmacht – u. a. auch in hervorgehobenen Führungspositionen und direkt
beteiligt an den Planungen des Angriffskrieges, wie z. B. General Heusinger –

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maßgeblich am Wiederaufbau der Bundeswehr beteiligt waren und dort hervor-
gehobene Führungspositionen eingenommen haben.

Im Umgang mit historisch belasteten Kasernen- und Straßennamen offenbart
sich am deutlichsten der Unwille im BMVg mit der unrühmlichen Geschichte
der Wehrmacht konsequent zu brechen. Wenn die Grundlage der Traditions-
pflege der Bundeswehr tatsächlich, wie im gültigen Traditionserlass von 1982
(Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundes-
wehr) festgehalten, die Darstellung der Wertgebundenheit der Streitkräfte und
ihres demokratischen Selbstverständnisses ist, dann sind Umbenennungen auch
in den Fällen unverzüglich vorzunehmen, in denen mit der Namensgebung
„nur“ das „militärische Handwerk“ von Angehörigen einer Organisation, die
eine tragende Stütze des deutschen Faschismus gewesen ist, gewürdigt wird.

Obwohl das BMVg bzw. der Bundesminister das Recht hat, Liegenschaften der
Bundeswehr umzubenennen, wurde in 50 Jahren Bundeswehrgeschichte ledig-
lich dreimal davon Gebrauch gemacht – und erst nachdem der öffentliche Druck
zu groß wurde (Dietl-Kaserne und Kübler-Kaserne im Jahr 1995, Mölders-
Kaserne und Jagdgeschwader im Jahr 2005). Gleiches gilt für Straßennamen die
neben den historisch belasteten Wehrmachtsangehörigen sogar auch Richter des
Nationalsozialismus ehren. So entschloss sich die Bundeswehr erst 2006 nach
wiederholten Protesten zur Umbenennung der Ritter-von-Mann-Straße auf dem
Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, dessen Namensgeber General Hermann Ritter
von Mann als Richter am Reichskriegsgericht u. a. auch die Todesurteile gegen
polnische Antifaschisten, wie z. B. die Widerstandskämpferin Krystyna Wituska,
unterzeichnete. Die Rechtfertigung des BMVg für das Nichtstun, dass eine sol-
che Entscheidung in erster Linie vom Standortpersonal getroffen werden sollte,
dass die Namensgebung im Rahmen demokratischer Meinungsbildungspro-
zesse erfolgen sollte, und dass die damaligen Gründe für eine Namensgebung
wichtiger seien als neue historische Erkenntnisse über den Namensgeber, ist in
mehrfacher Hinsicht bedenklich. Zum einen bedeutet dies, dass das Bundes-
ministerium auf die Durchsetzung der eigenen Richtlinien zum Traditionsver-
ständnis und der Traditionspflege verzichtet. Zum anderen wirft dies kein gutes
Licht auf die Standortbelegschaften, die an ihren Namensgebern festhalten. Bis-
lang wurden lediglich drei Kasernen auf Wunsch des dort stationierten Personals
umbenannt (General-Schwarzkopf- in General-Baudissin-Kaserne, Frankenstein-
in Major-Karl-Plagge-Kaserne und Lettow-Vorbeck- in Evenburg-Kaserne). Die
Umbenennung der Rüdel-Kaserne in Feldwebel-Schmid-Kaserne soll auf einer
Direktintervention des damaligen Bundesministers der Verteidigung Rudolf
Scharping beruht haben. Dies stellt in gewisser Weise auch ein Versagen der
Politischen Bildung und der Inneren Führung dar. An dem Umgang mit den
„Traditionsnamen“ zeigt sich symbolisch, was die Bundeswehr als Institution
aus der deutschen Geschichte gelernt hat und welche geschichtlichen Lehren
und Erfahrungen sie für verbindlich und identitätsstiftend hält.

In der Vergangenheit haben weder die politische Führung der Bundeswehr noch
die Truppe selbst die Initiative ergriffen, sich konsequent von dieser einseitigen
militaristischen Traditionslinie zu trennen. Selbst die Ankündigung des 1999
amtierenden Staatsministers für Kultur und Medien der Bundesregierung von
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Michael Naumann, innerhalb von zwei
Jahren Kasernennamen von Nazi-Generälen zu säubern, blieben weitgehend
folgenlos. Das BMVg ist nicht bereit, aufgrund der eigenen politischen Verant-
wortung eine kritische Überprüfung und Aufarbeitung ihrer Traditionspolitik
durchzuführen. Eine umfassende Überprüfung der Umsetzung der 1982 ver-
abschiedeten Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in
der Bundeswehr („Traditionserlass“) fand bislang nicht statt. 2006 erklärte das
BMVg, dass es sich nicht dazu aufgerufen sehe, „nach bestem Wissen und Ge-

wissen in einem demokratischen Meinungsbildungsprozess getroffene frühere
Werteentscheidungen regelmäßig einer Prüfung zu unterziehen“. Zwar hat das

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BMVg wiederholt das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MFGA) beauftragt,
zu einigen Namensgebern von Kasernen historische Studien, biographische
Skizzen oder Gutachten zu erstellen, die wissenschaftlichen Ergebnisse werden
allerdings unter Verschluss gehalten – eine breite öffentliche Diskussion war
bislang nicht erwünscht.

Das andauernde Festhalten an den historisch belasteten und bedenklichen
Kasernennamen ist einer Armee in einer demokratischen Gesellschaftsordnung
unwürdig. Das Traditionsverständnis der Bundeswehr gehört auf den Prüfstand.
Der Deutsche Bundestag ist aufgerufen, seiner Verantwortung gegenüber der
Parlamentsarmee gerecht zu werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. noch einmal zu bekräftigen und konsequent umzusetzen, dass keine Perso-
nen als Vorbilder für die Bundeswehr in Frage kommen, die weder ethisch
und rechtsstaatlich noch freiheitlich und demokratisch beispielhaft und
erinnerungswürdig sind;

2. die vom MFGA erstellten Untersuchungen, Gutachten, Studien und Kurz-
studien zu den sogenannten Traditionsnamen zu veröffentlichen;

3. im Einvernehmen mit dem Bundestag eine unabhängige Historikerkommis-
sion einzusetzen, die Zugang zu dem Bundesarchiv-Militärarchiv in Frei-
burg erhält und die Namensgeber von Bundeswehrkasernen und Straßenna-
men sowie von anderen Einrichtungen und Einheiten der Bundeswehr prüft;

4. auf Grundlage der Ergebnisse der Untersuchungen dieser unabhängigen
Historikerkommission Namensänderungen vorzunehmen, sofern die betrof-
fene Person weder ethisch und rechtsstaatlich noch freiheitlich und demo-
kratisch beispielhaft und erinnerungswürdig ist, also z. B. auch dann, wenn
der Namensgeber an Kriegsverbrechen beteiligt war oder diese (mit-)geplant
oder verteidigt hat;

5. die Ergebnisse der Untersuchungen dieser unabhängigen Historikerkommis-
sion zu veröffentlichen und regelmäßig dem Deutschen Bundestag Bericht
zu erstatten über weitere Anstrengungen des BMVg, die Richtlinien zum
Umgang mit Traditionspflege zu befolgen und in der Bundeswehr durchzu-
setzen.

Berlin, den 26. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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