BT-Drucksache 17/726

Konkrete Umsetzung des Afghanistan-Konzepts der Bundesregierung in den Bereichen Aussöhnungs- und Reintegrationsprogramm

Vom 15. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/726
17. Wahlperiode 15. 02. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Agnes Malczak, Hans-Christian Ströbele,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel,
Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs,
Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konkrete Umsetzung des Afghanistan-Konzepts der Bundesregierung in den
Bereichen Aussöhnungs- und Reintegrationsprogramm

Die Bundesregierung hat im Vorfeld der Londoner Afghanistan-Konferenz am
28. Januar 2010 ihr Konzept „Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung:
Das deutsche Afghanistan-Engagement nach der Londoner Konferenz“ vorge-
legt. Sie verspricht darin die Stärkung der afghanischen Eigenverantwortung,
die Konzentration auf das Wesentliche sowie eine bessere Koordinierung des
Engagements in Afghanistan.

Ein wesentliches Element ist dabei die Unterstützung eines innerafghanischen
Versöhnungsprozesses durch die internationale Gemeinschaft. Präsident Hamid
Karzai hat in seiner Inaugurationsrede die nationale Aussöhnung und die Re-
integration militanter Aufständischer in den Mittelpunkt seiner zweiten Amts-
zeit gerückt. Hamid Karzai bemüht sich dabei auch, direkte Verhandlungen mit
den Führungsgruppen der verschiedenen aufständischen Gruppen (Mullah Omar,
Hekmatyar, Haqqani-Clan) zu führen. Auch hat Hamid Karzai in London die
Abhaltung einer „Grand Peace Jirga“ angekündigt und den saudischen König
Abdullah ibn Abd al-Aziz um Hilfe bei der Vermittlung gebeten.

Die Bundesregierung hat sich entschlossen, diese Politik durch die Mitfinanzie-
rung des Fonds zur Reintegration zu unterstützen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Unterstützt die Bundesregierung die Absicht einer nationalen Aussöhnung
von Präsident Hamid Karzai mit allen Afghanen?

a) Wie positioniert sich die Bundesregierung bezüglich der Tatsache, dass
im Hinblick auf das Ziel einer Beendigung des Konflikts mit Aufstän-
dischen und radikalen Islamisten verhandelt wird und dies eventuell zu
deren Regierungsbeteiligung führen kann?
b) Wie reagiert die Bundesregierung auf die Kritik aus der afghanischen
Zivilgesellschaft, an einer Verhandlung mit Talibanführern, die für mas-
sive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind und im Zuge des
Aussöhnungsprozesses womöglich rehabilitiert werden?

Drucksache 17/726 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen auf die Unterstüt-
zung derer, die bisher mit den internationalen Kräften kooperiert haben
und das nationale Aussöhnungs- und Reintegrationsprogramm als falsch
empfinden?

d) Wie bewertet die Bundesregierung Forderungen aus der Zivilgesellschaft
und derer, die bisher mit den internationalen Kräften kooperiert haben,
alle Personen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegs-
verbrechen angelastet werden, aus wichtigen Staatsämtern zu entfernen,
bzw. diese für wichtige Staatsämter nicht zuzulassen und diese Personen
juristisch zur Verantwortung zu ziehen?

e) Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Frauen umfangreich an
einem nationalen Verhandlungsprozess beteiligt werden?

f) Wie will die Bundesregierung sichern, dass Menschenrechte und insbe-
sondere Frauenrechte bei Verhandlungen nicht auf der Strecke bleiben,
sondern anerkannt und gesichert werden?

g) Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um in einem
solchen Versöhnungsprozess zivilgesellschaftliche Kräfte zu stärken und
zu schützen?

h) Gibt es im Hinblick auf die Kabuler Konferenz Initiativen der Bundes-
regierung die Geltung und Umsetzung der allgemeinen Menschenrechte
in Afghanistan zu stärken?

i) Gibt es Bestrebungen eine Wahrheits- und Versöhnungskommission ein-
zurichten, um politisch motivierte Verbrechen während der Zeit der
Taliban aufzuarbeiten?

j) Wird die afghanische unabhängige Menschenrechtskommission, die be-
reits seit 2002 eine Liste von Menschenrechtsverletzungen und daran be-
teiligten Personen erstellt und an Präsident Hamid Karzai übergeben hat,
mit eingebunden bzw. aktiv daran teilnehmen dürfen?

k) Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Arbeit dieser
Kommission bisher von der afghanischen Regierung nicht berücksichtigt
wurde?

2. Welche konkreten Vorstellungen hat die Regierung für die weitere Ausge-
staltung des Reintegrationsfonds, gerade auch im Hinblick auf die anste-
hende Konkretisierung dieses Fonds bei der angekündigten Kabuler Afgha-
nistan-Konferenz?

a) Nach welchen Kriterien sollen die Empfänger von Leistungen aus dem
Reintegrationsfonds ausgewählt werden?

Wie soll insbesondere aus Sicht der Bundesregierung bei der Vergabe der
Fondsmittel zwischen Taliban und Nichttaliban unterschieden werden?

b) Welche konkreten Angebote an Jobs, Ausbildung, Land und finanzieller
Hilfe sind bei der Umsetzung des Reintegrationsprogramms in welchen
Bereichen vorgesehen?

c) Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik an solchen Geld- und Land-
zusagen aus dem notleidenden Teil der Bevölkerung, dass diese nicht in
den Genuss solcher kommen und sich daher benachteiligt und ungerecht
behandelt sehen, da sie nicht zu Waffen gegriffen haben, sondern sich
stets kooperativ verhalten, keine Kontakte zu Al Quaida unterhalten und
die Verfassung anerkannt haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/726

d) Nach welchen Kriterien und mit welchem Verfahren soll die Erfüllung
der Bedingungen für die Teilnahme am Reintegrationsprogramm (Ver-
zicht auf Gewalt, Abbruch aller Kontakte zu Al Quaida, Anerkennung der
afghanischen Verfassung) wirksam überprüft werden?

Sind neben materiellen Hilfsleistungen auch „Umerziehungsmaßnah-
men“ geplant?

e) Mit welchen Maßnahmen und Kontrollinstrumenten will die Bundes-
regierung sicherstellen, dass die für die Durchführung des Reintegra-
tionsprogramms verantwortliche afghanische Regierung die durch den
Internationalen Fonds zur Verfügung gestellten Mittel zweckmäßig,
effektiv und effizient einsetzt und der Missbrauch für machtpolitische
Partikularinteressen sowie durch Korruption ausgeschlossen ist?

f) Welche Vorkehrungen trifft das von der Bundesregierung mitfinanzierte
Reintegrationsprogramm, um die Talibanaussteiger von der Rückkehr zu
aufständischen Kräften abzuhalten und vor Racheakten aus dem Taliban-
lager zu schützen?

g) Wie soll der Anspruch umgesetzt werden, nicht nur einzelne Aufstän-
dische, sondern jeweils die ganzen Dorfgemeinschaften aus dem Re-
integrationsfonds zu fördern?

Berlin, den 15. Februar 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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