BT-Drucksache 17/7191

Zivilpersonal in Konflikten besser betreuen

Vom 28. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7191
17. Wahlperiode 28. 09. 2011

Antrag
der Abgeordneten Agnes Malczak, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Tom Koenigs,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zivilpersonal in Konflikten besser betreuen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Konflikte können mit gewaltsamen Mitteln nicht gelöst und in eine dauerhaft
stabile Situation überführt werden. Es besteht daher ein wachsender Bedarf an
zivilen Fachkräften, zu denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entwick-
lungszusammenarbeit und humanitärer Organisationen ebenso gehören wie
Richterinnen und Richter, Polizistinnen und Polizisten und andere zivile
Expertinnen und Experten, die mit ihren vielfältigen Aufgaben und häufig über
einen langen Zeitraum hinweg unverzichtbar für eine strukturelle Krisenpräven-
tion und -bearbeitung sind. Auch das Ziel einer nachhaltigen Stabilisierung des
Friedens in Konfliktregionen kann ohne sie nicht erreicht werden.

Im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr wurde in jün-
gerer Zeit wiederholt in der Öffentlichkeit und Politik thematisiert, dass mit
dem Engagement in einer Konfliktregion für die Menschen ein erhöhtes Risiko
nicht nur für die körperliche, sondern auch für die psychische Gesundheit ver-
bunden ist. Die extremste Ausprägung dieses Risikos für die Psyche ist die
posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). In dieser Hinsicht wurden für
Soldatinnen und Soldaten verschiedene Maßnahmen ergriffen, um ihre Situa-
tion zu erfassen und bei Betreuung, Behandlung und Versorgung Verbesserun-
gen vorzunehmen. Wenn auch in diesem Bereich noch nicht alle Probleme ge-
löst sind, werden hier Schritte in die richtige Richtung gegangen. Eine ähnliche
Auseinandersetzung über die Situation ziviler Fachkräfte im Umfeld von Kon-
flikten hat es bisher jenseits von organisationsabhängigen Einzelmaßnahmen
nicht gegeben. Auch eine systematische Erfassung der Fälle hat bis dato nicht
stattgefunden.

Dabei ist das Engagement des Zivilpersonals in Konflikten nicht minder mit
Risiken behaftet. Das Arbeiten in einer bedrohlichen Situation über mehrere
Monate, das wiederholte Erfahren von schrecklichen menschlichen Katastro-
phen und Verbrechen im Umfeld und insbesondere das Erleben von gewalt-
samen Handlungen gegen das zivile Fachpersonal selbst oder gegen jene, denen
es helfen will, kann zu schwerwiegenden psychischen Problemen führen. Wer-
den diese belastenden Erlebnisse nicht verarbeitet, kann aus einer solchen Ver-
wundung eine langwierige psychische Störung oder sogar eine Traumatisierung
entstehen.

Drucksache 17/7191 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
In einem langwierigen Konflikt wie in Afghanistan sind in dessen Verlauf
mehrere Tausend zivile Fachkräfte unterschiedlicher Professionen tätig. Wid-
rige, belastende und teils lebensgefährliche Bedingungen sind auch hier an der
Tagesordnung. So finden Peacebuilding Missionen häufig parallel zu Peace-
keeping Missionen statt. Ausschreitungen und Angriffe von bewaffneten
Gruppen machen auch vor zivilen Projekten und ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern nicht halt. Das Leben und Arbeiten unter diesen außergewöhn-
lichen Umständen prägt die Menschen und erschwert häufig die Rückkehr in die
Heimatgesellschaft. Allein zur Unterstützung bei der Bewältigung dieses Transi-
tionsprozesses ist das Angebot einer professionellen Betreuung wünschenswert.

Ein weniger dramatisches aber gleichwohl gravierendes Problem für die Rück-
kehrerinnen und Rückkehrer ist die Reintegration in den zivilen Arbeitsmarkt.
Eine professionelle Betreuung und Förderung, die auf die Besonderheiten die-
ser Gruppe eingehen, sind daher angezeigt.

Zivile Kräfte können in der Regel nicht auf äquivalente Begleitungs- und Nach-
sorgeinstrumente zurückgreifen wie Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Aufgrund der unterschiedlichen vertraglichen Regelungen, mit denen deutsches
Fachpersonal im Ausland beschäftigt ist, sind auch die Zuständigkeiten unein-
heitlich geregelt. Aber selbst Stellen wie das Zentrum für Internationale Frie-
denseinsätze, die eine wesentliche Rolle bei der Rekrutierung und Vorbereitung
von Fachkräften übernehmen, sind nicht mit ausreichend personellen und finan-
ziellen Mitteln ausgestattet, um eine umfassende und längerfristige Betreuung
zu übernehmen.

Zivile Fachkräfte, die unter erheblichen persönlichen Entbehrungen und Risi-
ken in den zahlreichen Konflikten dieser Welt engagiert sind, haben höchsten
Respekt und Anerkennung verdient. Aber Respekt und Anerkennung allein rei-
chen nicht aus. Insbesondere für jenes Zivilpersonal, das im Namen der Bun-
desrepublik Deutschland einen Beitrag zur zivilen Konfliktlösung und Frie-
densschaffung leistet, haben wir eine besondere Verantwortung. Im Bereich der
rechtlichen und sozialen Absicherung wurden in den letzten Jahren Verbesse-
rungen vorgenommen. Im Bereich der psychosozialen Betreuung besteht nach
wie vor Nachholbedarf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

a) die Erfahrungen und Probleme des Zivilpersonals vor, während und nach
den Einsätzen zu evaluieren und den Bedarf an psychosozialer und sozialer
Betreuung und Unterstützung zu ermitteln,

b) zeitnah ein Konzept zur umfassenden sozialen und psychosozialen Betreu-
ung ziviler Fachkräfte in Konflikten im Ausland vor, während und nach dem
Einsatz zu entwickeln und umzusetzen, das insbesondere auch die psychi-
schen Belastungen und ihre möglichen Langzeitfolgen berücksichtigt und
hierfür eine Unterstützung bei der Behandlung anbietet,

c) die Zuständigkeiten für die Betreuung zivilen Fachpersonals eindeutig zuzu-
weisen und die zuständigen Institutionen mit den notwendigen Ressourcen
und Kompetenzen auszustatten,

d) die sozialen und medizinischen Unterstützungsleistungen im Falle von ein-
satzbedingten psychischen Störungen ziviler Fachkräfte auszubauen.

Berlin, den 28. September 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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