BT-Drucksache 17/6781

Bilanz der deutschen Außenpolitik gegenüber Turkmenistan seit 2007 und Konsequenzen für das geplante EU-Abkommen

Vom 8. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6781
17. Wahlperiode 08. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), Ute Koczy,
Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bilanz der deutschen Außenpolitik gegenüber Turkmenistan seit 2007
und Konsequenzen für das geplante EU-Abkommen

Mit dem Amtsantritt von Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow 2007 hatten
sich viele Hoffnungen auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage verbun-
den. Wiederholt versprach der Präsident Reformen und eine Verbesserung der
Menschenrechtssituation. In einem Statement beim Gipfel der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Astana am 1. Dezember
2010 stellte Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow noch einmal heraus, dass
sich Turkmenistan in einer Phase „ernsthafter Reformen“ befinde, die auf die
Übernahme „moderner Standards und Normen“ in die Praxis der demokrati-
schen Institutionen zielten, und dass sich die internationale Zusammenarbeit
hier zuletzt „dynamisch entwickelt“ habe (www.osce.org/cio/73906). Am 8. Juli
2011 hat Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow Berichten zufolge erklärt,
dass die im Exil lebenden Oppositionellen, die unter dem ehemaligen Präsiden-
ten Saparmurat Nijasow gezwungen waren, das Land zu verlassen, für die Präsi-
dentschaftswahlen 2012 nach Turkmenistan zurückkehren können. Viele Oppo-
sitionelle scheinen das Angebot von Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow
annehmen zu wollen, sollte der Präsident ihnen Sicherheit vor Strafverfolgung
zusichern.

Bisher haben sich die Hoffnungen auf einen Wandel jedoch nicht erfüllt, das
Bekenntnis des Präsidenten zu Reformen erscheint vier Jahre nach seinem
Amtsantritt als leeres Versprechen. Turkmenistan gilt nach wie vor als einer der
repressivsten Staaten weltweit. Das Land gehört zu den neun Staaten der Welt,
die bei der Bewertung der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten durch
die Nichtregierungsorganisation Freedom House in beiden Kategorien die
schlechteste Wertung erhielten.

Ebenso wie die vorhergehenden Wahlen war auch die Wahl, die 2007 den jetzi-
gen Präsidenten an die Macht brachte, weder frei noch fair. Die Demokratische

Partei Turkmenistans, die den Präsidenten stellt, ist die einzige registrierte
Partei. Sie wird nach Berichten der Nichtregierungsorganisationen von der Re-
gierung kontrolliert, genau wie alle anderen Organisationen. Es ist demnach
nicht möglich, eine von der Regierung unabhängige Partei oder Nichtregie-
rungsorganisation zu gründen.

Freie und unabhängige Medien existierten in Turkmenistan nicht. Alle Medien
befinden sich unter strikter staatlicher Kontrolle. Journalisten, die mit auslän-

Drucksache 17/6781 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

dischen Medien zusammenarbeiten, die für kritische Berichterstattung bekannt
sind, werden eingeschüchtert und schikaniert. Reporter ohne Grenzen stuft
Turkmenistan 2010 in Bezug auf Pressefreiheit vor Nordkorea und Eritrea auf
den drittletzten Platz ein. Nur 1,6 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben
laut dem Statistischen Bundesamt Zugang zum Internet. Dienste wie Facebook
und Twitter sowie viele andere Webseiten sind gesperrt. Die Deutsche Welle
hat nach eigenen Angaben ihre Ausstrahlung über Kurzwelle im gesamten rus-
sischsprachigen Raum und damit auch in Turkmenistan zum 30. Juni 2011 ein-
gestellt, obwohl der Sender einer der wenigen war, die auch analog empfangen
werden konnten.

Dissidentinnen und Dissidenten sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und
Menschenrechtsverteidiger werden von der turkmenischen Regierung nach wie
vor schikaniert, häufig willkürlich verhaftet und in unfairen Verfahren zu hohen
Haftstrafen verurteilt. Folter und Misshandlungen in Gefängnissen sind weit
verbreitet. Die Internetseite der turkmenischen Regierung verbreitet den Aufruf
Präsident Gurbanguly Berdimuhamedows an das Ministerium für Nationale
Sicherheit, all diejenigen zu bekämpfen, die „unseren demokratischen säkularen
Rechtsstaat diffamieren und die Einigkeit und Solidarität unserer Gesellschaft
zu zerstören suchen“. Politische Gefangene, die unter dem ehemaligen Präsiden-
ten Saparmurat Nijasow in Haft kamen, sitzen Berichten zufolge weiterhin im
Gefängnis. Oppositionelle berichten von sogenannten schwarzen Listen, die es
nicht nur ihnen, sondern auch Verwandten verwehren, aus Turkmenistan aus-
zureisen. Inzwischen sollen bis zu 30 000 Namen auf diesen Listen stehen. Im
Februar 2011 wurde Berichten zufolge von einer innerstaatlichen Bewegung die
„Charta 011“ veröffentlicht, die die Politik der turkmenischen Regierung öffent-
lich anprangert. Die Unterstützerinnen und Unterstützer bleiben aus Sicherheits-
gründen bisher anonym.

Am 7. Juli 2011 explodierte nach Angaben verschiedener Zeitungen und Inter-
netangaben der turkmenischen Diaspora ein Munitionslager in Abadan, bei dem
nach inoffiziellen Angaben über 1 500 Menschen ums Leben gekommen sein
sollen, die Regierung spricht lediglich von 15 Toten. Die Regierung scheint
somit zu versuchen, gezielt zu desinformieren und einen gefährlichen Unfall be-
wusst zu verharmlosen.

Im April 2010 schloss die letzte unabhängig arbeitende internationale Nicht-
regierungsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ ihre Büros in Turkmenistan, da
die weitere Zusammenarbeit mit der turkmenischen Regierung nicht mehr mög-
lich gewesen sei. Die Organisation berichtete, dass sie von der turkmenischen
Regierung angewiesen wurde, Statistiken zu fälschen und falsche Diagnosen zu
stellen, um HIV-Infektionen und Tuberkulose-Erkrankungen zu verheimlichen.
Turkmenistan ist für Menschenrechtsorganisationen seitdem kaum beziehungs-
weise nicht mehr zugänglich.

Auch die Religionsfreiheit unterliegt erheblichen Einschränkungen. Die Aktivi-
täten nicht registrierter Religionsgruppen sind verboten, wobei die Registrie-
rung vielen Religionsgemeinschaften häufig ohne Angabe von Gründen ver-
wehrt wird.

Ein weiteres Problem Turkmenistans ist die weit verbreitete Korruption. Auf
dem Korruptionsindex der Nichtregierungsorganisation Transparency Interna-
tional belegte Turkmenistan 2010 Platz 172 von 178, nur in fünf Staaten der
Welt wird die Korruption somit als noch gravierender wahrgenommen.

Die Europäische Union (EU) ist an einer Intensivierung der Beziehungen zu
Turkmenistan interessiert. Im Frühjahr 2011 reiste eine Delegation des Euro-
päischen Parlaments nach Turkmenistan, um sich im Vorfeld der Unterzeich-
nung eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und

Turkmenistan über die Menschenrechtslage vor Ort zu informieren. Die Unter-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6781

zeichnung des Abkommens wurde aufgrund der vorgefundenen schlechten
Menschenrechtslage auf den Herbst 2011 verschoben. Verbesserungen bis zu
diesem Zeitpunkt wurden angemahnt.

Für die EU ist Turkmenistan vor allem wirtschaftlich von Bedeutung. Turk-
menistan ist eines der rohstoffreichsten Länder weltweit, es besitzt die dritt-
größten Gasreserven des Planeten. Interesse an der Sicherung von turkmeni-
schem Gas haben nicht nur Deutschland und die EU, sondern auch China.

Deutsche Firmen wie Daimler AG, Siemens Aktiengesellschaft und die Deutsche
Bank AG haben enge Geschäftsbeziehungen mit Turkmenistan. Geschäftspart-
ner sind ausnahmslos staatliche Firmen oder Regierungsmitglieder persönlich.
Der ehemalige Präsident Saparmurat Nijasow hatte nach Recherchen von Nicht-
regierungsorganisationen die absolute Verfügungsgewalt über das Konto der
turkmenischen Regierung bei der Deutschen Bank AG in Turkmenistan.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung der Menschenrechtslage
in Turkmenistan seit Amtsantritt des amtierenden Präsidenten?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung das Statement des turkmenischen Präsi-
denten beim OSZE-Gipfel 2010 bezüglich der ernsthaften Reformbemühun-
gen Turkmenistans?

3. Welche konkreten Programme und Projekte mit Menschenrechtsbezug sind
bisher als Konsequenz der EU-Zentralasienstrategie in Turkmenistan umge-
setzt worden, und wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg dieser Maß-
nahmen?

4. Besteht ein bilaterales Rücknahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Turkmenistan, und wenn ja, seit wann?

a) Wurden seit 2007 turkmenische Staatsbürger von Deutschland nach
Turkmenistan ausgewiesen bzw. abgeschoben, und wenn ja, wie viele,
und wie begründet die Bundesregierung diese Abschiebungen bzw. Aus-
weisungen vor dem Hintergrund der prekären Menschenrechtslage in
Turkmenistan?

5. Wie sehen die derzeitigen konkreten zeitlichen und inhaltlichen Zielverein-
barungen im Menschenrechtsdialog von EU und Turkmenistan aus?

a) Wer ist auf beiden Seiten an diesem Dialog beteiligt?

b) Werden in diesen Dialog auch zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen,
und wenn ja, welche?

c) Ist nach Ansicht der Bundesregierung auf Seiten der turkmenischen
Regierung ein ernsthaftes Bemühen um konkrete Reformen im Men-
schenrechtsbereich und ein dementsprechend konstruktives Verhalten der
turkmenischen Delegation im Menschenrechtsdialog zu erkennen, und
wenn ja, wie zeigt sich dies in der Praxis?

d) Für wie erfolgreich hält die Bundesregierung den Menschenrechtsdialog
mit Turkmenistan bisher?

e) Welche Schritte wurden von der turkmenischen Regierung in Bezug auf
die Reform des Justizsystems unternommen?

f) Welche Fortschritte wurden im Bereich Pressefreiheit erreicht?

6. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung bezüglich des Zustan-
des der Gefängnisse und der Haftbedingungen in Turkmenistan?
a) Auf welche Weise setzt sich die Bundesregierung gegenüber der turkme-
nischen Regierung für eine Verbesserung der Haftbedingungen ein?

Drucksache 17/6781 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Wie erfolgreich waren die Bemühungen der Bundesregierung um bessere
Haftbedingungen in turkmenischen Gefängnissen bisher?

7. Hat die Bundesregierung Kenntnis von der Bewegung „Charta 011“?

a) Setzt sich die Bundesregierung im Rahmen des völkerrechtlich Mög-
lichen für die Anliegen oppositioneller Bewegungen ein, und wenn ja,
auf welche Weise?

b) Welche Erfolgschancen sieht die Bundesregierung für oppositionelle
Bewegungen wie die „Charta 011“?

8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verhaftung und Ver-
urteilung von Oppositionellen und von Menschenrechtsaktivisten in Turk-
menistan?

a) In welcher Form kritisiert die Bundesregierung die Verhaftung und Ver-
urteilung von Oppositionellen und von Menschenrechtsaktivisten in
Turkmenistan, und wie hat die turkmenische Regierung darauf reagiert?

9. Hat die Bundesregierung Kenntnis von schwarzen Listen der turkmeni-
schen Regierung, die Oppositionellen, Menschenrechtsaktivisten und deren
Verwandten die Ausreise aus Turkmenistan verwehren?

a) Hat die Bundesregierung die Ausreiseverbote gegenüber der turkmeni-
schen Regierung angesprochen und verurteilt, und wenn ja, wie hat die
turkmenische Regierung darauf reagiert?

10. Für wie vertrauenswürdig hält die Bundesregierung das Angebot des Präsi-
denten Gurbanguly Berdimuhamedow, allen im Exil lebenden Oppositio-
nellen die Rückkehr zu den Wahlen 2012 nach Turkmenistan zu ermögli-
chen?

a) Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob dieses Angebot Straffrei-
heit für die Oppositionellen umfasst?

b) Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Oppositionellen
bei ihrer Rückkehr nach Turkmenistan in Sicherheitsbelangen zu unter-
stützen?

11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Vertagung der eigent-
lich für Juni geplanten Unterzeichnung des Partnerschafts- und Koopera-
tionsabkommens der EU mit Turkmenistan auf Herbst dieses Jahres, und
inwiefern hat sie sich für die Vertagung eingesetzt?

12. Sollte nach Auffassung der Bundesregierung ein solches Abkommen ge-
schlossen werden, wenn die Menschenrechtslage in Turkmenistan nicht zu-
friedenstellend ist bzw. bis Herbst 2011 keine oder keine ausreichenden
Verbesserungen zu erkennen sind?

a) Wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass der Abschluss des
Abkommens an eine Verbesserung der Menschenrechtssituation ge-
knüpft wird?

b) Wird das Abkommen Klauseln enthalten, die auf einen besseren Men-
schenrechtsschutz im Land abzielen?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

13. Wird das Abkommen Bestimmungen zu Sanktionen im Falle fortgesetzter
Menschenrechtsverletzungen beinhalten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6781

14. Welche Auswirkungen hat die Bewertung von Transparency International
bezüglich der verbreiteten Korruption in Turkmenistan auf die Handels- und
Investitionsbestrebungen Deutschlands, und wie beurteilt die Bundesregie-
rung vor diesem Hintergrund den bevorstehenden Abschluss des Handels-
und Partnerschaftsabkommens der EU mit Turkmenistan?

15. Mit welchen konkreten Mitteln und Projekten unterstützt die EU die Kor-
ruptionsbekämpfung in Turkmenistan?

16. Welche seriösen Belege für die Behauptungen der turkmenischen Regie-
rung zum Umfang der Gasreserven hat die Bundesregierung?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rohstoffförderung in Turkmenistan
im Hinblick auf Transparenz der Zahlungsströme einerseits und im Hin-
blick auf die Einhaltung von sozialen, ökologischen und menschenrecht-
lichen Standards andererseits?

18. Welche deutschen und europäischen Unternehmen sind nach Kenntnis der
Bundesregierung im turkmenischen Rohstoffsektor aktiv?

19. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob auch Präsident Gurbanguly
Berdimuhamedow die absolute Verfügungsgewalt über die Konten bei der
Deutschen Bank AG hat, und falls ja, wie beurteilt sie diese Tatsache vor
dem Hintergrund der rechtsstaatlichen Vorstellung von einer Gewaltentei-
lung zwischen Regierung und Staatsoberhaupt sowie der Budgethoheit der
Parlamente?

20. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, ob diese Konten nach den
international geltenden Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche ent-
sprechend überprüft wurden?

21. Hat sich die Bundesregierung vor diesem Hintergrund jemals gegenüber
dem kontoführenden Institut für eine (zeitweise) Sperrung turkmenischer
Konten eingesetzt (bitte für den Zeitraum 2005 bis 2011 einzeln aufschlüs-
seln)?

Wenn nein, warum nicht?

22. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Explosion eines
Munitionslagers in Abadan/Turkmenistan am 7. Juli 2011?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einstellung der Kurzwellenausstrah-
lung der Deutschen Welle für Turkmenistan zum 30. Juni 2011?

24. Welche strategischen außen- und sicherheitspolitischen Interessen verfolgt
die Bundesregierung in Turkmenistan jenseits wirtschaftlicher Interessen,
und welche Fortschritte wurden dabei erzielt?

Berlin, den 8. August 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.