BT-Drucksache 17/6706

Bonner Außenministerkonferenz zur Zukunft Afghanistans

Vom 28. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6706
17. Wahlperiode 28. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), Ute Kozcy,
Omid Nouripour, Hans-Christian Ströbele, Agnes Malczak, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Katja Keul, Tom Koenigs, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bonner Außenministerkonferenz zur Zukunft Afghanistans

Im Dezember 2011 wird die Bundesregierung die Außenministerkonferenz zur
Zukunft Afghanistans in Bonn ausrichten. Es sind vor allem zwei Entwicklun-
gen, die in der Vergangenheit viel Bewegung in den politischen Prozess ge-
bracht haben. Einerseits hat die NATO wiederholt erklärt, bis Ende 2014 die
Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan vollständig an
afghanische Stellen übergeben zu wollen. Innerhalb dieses Übergabeprozesses
ist es das erklärte Ziel der ISAF-Truppenstellernationen (International Security
Assistance Force), ihre Kampftruppen schrittweise zurückzufahren. US-Präsi-
dent Barack Obama hatte kürzlich bekanntgegeben, bis zum Sommer 2012 ins-
gesamt 33 000 Soldaten und Soldatinnen aus Afghanistan abziehen zu wollen.
Genaue Pläne für den Abzug der ISAF liegen noch nicht vor; allerdings soll
bereits im Juli dieses Jahres damit begonnen werden, die ersten Regionen in die
Verantwortung der afghanischen Sicherheitskräfte zu geben. Es ist davon aus-
zugehen, dass auf der Konferenz ein Zeitplan für die Reduzierung der ISAF-
Truppen Bestandteil der Verhandlungen sein wird.

Anderseits wächst auf Seiten der afghanischen Regierung und der internationa-
len Gemeinschaft die Bereitschaft, in direkte Verhandlungen mit den Taliban zu
treten. Der afghanische Präsident Hamid Karzai erklärte kürzlich, dass es bereits
Gespräche mit den Taliban gebe. Auch der erst kürzlich ausgeschiedene ameri-
kanische US-Verteidigungsminister Robert Gates hatte jüngst erklärt, dass Kon-
takte zwischen dem US-Außenministerium und den Taliban existieren.

Vor diesem Hintergrund kann die Bonner Konferenz für die weitere Entwick-
lung des Landes und der Region wegweisend sein. Es gilt jetzt, in einen nach-
haltigen Friedensprozess einzusteigen, der das Land langfristig stabilisiert und
wenigstens ein Minimum an Sicherheit und Menschenrechten für die Bevölke-
rung sichert. Afghanistan braucht dringend eine Agenda für den Aufbau bis
2014 und danach in Abstimmung mit den afghanischen und internationalen

Partnern. Dazu wird ein breiter, inklusiver und regionaler Ansatz notwendig
sein. Die Bundesregierung, als Ausrichterin der Konferenz, hat dabei die Mög-
lichkeit, die entscheidenden politischen Impulse zu setzen, um die Konferenz
zu einem Erfolg werden zu lassen. Dabei geht es nicht nur darum, für den ange-
kündigten Abzug einen verantwortlichen Zeitplan für eine schrittweise Redu-
zierung der internationalen Truppenpräsenz im Rahmen des Übergabeprozesses
der Sicherheitsverantwortung zu organisieren, sondern auch einen Plan für

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einen politischen Prozess vorzulegen, der sowohl eine Versöhnung innerhalb
der afghanischen Gesellschaft einleitet als auch die internationale Unterstüt-
zung für den zivilen Wiederaufbau des Landes umreißt. Trotz einer Reihe von
Fortschritten in den Bereichen Bildung und Wirtschaft, ist Afghanistan nach
wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Gleichzeitig ist Korruption an der
Tagesordnung – auch innerhalb der afghanischen Administration. Das hat nicht
zuletzt der aktuelle Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Situation in
Afghanistan aufgezeigt.

Die Bundesregierung hat bisher nur stichpunktartig die Schwerpunkte für die
Bonner Außenministerkonferenz im Dezember 2011 vorgelegt. So soll neben
den Aspekten „des Prozesses der Verantwortungsübergabe an die afghanische
Regierung bis 2014“ und der Frage des „langfristigen Engagements der interna-
tionalen Gemeinschaft in Afghanistan nach 2014“ auch über den „politischen
Prozess, der zu einer dauerhaften Stabilisierung des Landes führen soll“, ge-
sprochen werden. Eine konkrete inhaltliche Planung und Zielsetzung hat die
Bundesregierung bisher noch nicht vorgelegt. Außerdem ist bisher offen, wel-
che Rolle zivilgesellschaftlichen Akteuren auf der Konferenz zukommen soll.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Ziele hat sich die Bundesregierung für die Durchführung der
Bonner Außenministerkonferenz, die nach Angaben des Auswärtigen
Amts unter afghanischer Leitung stattfinden soll, gesetzt?

2. Die Klärung welcher Fragen ist aus Sicht der Bundesregierung auf der
Bonner Außenministerkonferenz unverzichtbar, und warum?

3. Welche konkreten Aufgaben übernimmt die Bundesregierung vor und wäh-
rend der Bonner Konferenz?

4. Wie wird die Arbeitsteilung zwischen afghanischer Regierung und Bun-
desregierung bei der Planung der Konferenz und bei der Durchführung der
Bonner Außenministerkonferenz im Detail aussehen?

5. Trifft es zu, dass gemeinsame deutsch-afghanische diplomatische De-
marchen gegenüber einer Vielzahl von Ländern mit Blick auf die Außen-
ministerkonferenz in Bonn durchgeführt werden?

Wenn ja, was ist der Gegenstand dieser Demarchen?

6. Welche Information besitzt die Bundesregierung bisher über die Zusam-
mensetzung der afghanischen Delegation auf der Außenministerkonferenz?

7. Was versteht die Bundesregierung unter einer „inklusiven Delegation“, mit
der die afghanische Regierung auf der Bonner Außenministerkonferenz
vertreten sein wird (vgl. Fortschrittsbericht Afghanistan, S. 5)?

8. Wie möchte die Bundesregierung sicherstellen, dass Positionen der afgha-
nischen Akteure aus der Zivilgesellschaft und der afghanischen Opposition
auf der Bonner Außenministerkonferenz vertreten sein werden?

9. Was versteht die Bundesregierung unter einer „geeigneten“ Repräsentation
der Zivilgesellschaft bei der Außenministerkonferenz (siehe Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Entwicklungszusammenarbeit
mit Afghanistan bis 2014 und danach“, Bundestagsdrucksache 17/6218)?

10. Was unternimmt die Bundesregierung, um den Schutz der Teilnehmenden
aus der Zivilgesellschaft vor und nach der Außenministerkonferenz zu ge-
währleisten?

11. Welches Ziel hat das Forum der afghanischen Zivilgesellschaft, das laut

Bundesregierung kurz vor der Außenministerkonferenz in Bonn stattfindet,
und welche Akteure sollen hierbei einbezogen werden (siehe Antwort der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6706

Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Entwicklungszusammenarbeit
mit Afghanistan bis 2014 und danach“, Bundestagsdrucksache 17/6218)?

12. Wer soll Ausrichter und Veranstalter dieses Forums sein, und welche Rollen
sollen die deutschen politischen Stiftungen dabei übernehmen?

13. Welche weiteren Anstrengungen betreibt die Bundesregierung im Vorlauf
zur Bonner Außenministerkonferenz und dem geplanten Forum der Zivil-
gesellschaft, um die demokratischen Akteure aus der afghanischen Zivilge-
sellschaft zu stärken und um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Forde-
rungen in angemessenem Maße auf der Außenministerkonferenz darzule-
gen?

14. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass insbesondere Frauen-
rechtsorganisationen an den Verhandlungen auf der Bonner Konferenz
angemessen beteiligt werden und die Repräsentanz von Frauen auf der
Außenministerkonferenz gewährleistet ist?

15. Welche Überlegungen gibt es nach den Erkenntnissen der Bundesregie-
rung, dass auf der Bonner Außenministerkonferenz auch Vertreter der Auf-
ständischen, wie die Taliban, als Teil der afghanischen Delegation teilneh-
men werden, und wie bewertet die Bundesregierung solche Überlegungen?

16. Worin besteht das Ziel der am 2. November 2011 in Istanbul stattfindenden
Regionalkonferenz zu Afghanistan, die im Vorlauf zur Bonner Außenmi-
nisterkonferenz stattfinden soll?

17. Welche Regierungen und welche anderen politischen Akteure werden an
der Istanbuler Konferenz teilnehmen?

18. Innerhalb welches finanziellen Rahmens plant die Bundesregierung über
das Jahr 2013 hinaus den Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans
zu unterstützen?

19. Für welchen Zeitrahmen plant die Bundesregierung über das Jahr 2013 hin-
aus feste Zusagen für den Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans
zu machen?

20. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um sicherzustel-
len, dass der Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen und die Bekämpfung
von Korruption nach der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die
afghanische Regierung vorangetrieben werden?

21. Für welche Maßnahmen will sich die Bundesregierung im Bereich der tran-
sitional justice zur nachhaltigen Friedenskonsolidierung und Aufarbeitung
von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen auf der Außenminis-
terkonferenz einsetzen?

22. Wie bewertet die Bundesregierung mit Blick auf die Außenministerkonfe-
renz und den Anstoß eines politischen Prozesses die bisherige Bilanz des
afghanischen Friedens- und Reintegrationsprogramms (Afghan Peace and
Reintegration Programme – APRP), an dem sich die Bundesrepublik
Deutschland mit 50 Mio. Euro beteiligt?

a) Welche Maßnahmen oder Projekte wurden im Rahmen dieses Friedens-
und Reintegrationsprogramms bisher durchgeführt?

b) In welche Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens
wurden die Kämpferinnen und Kämpfer integriert?

c) In welcher Höhe wurden bisher Zahlungen an ehemalige Kämpferinnen
und Kämpfer aus den Reihen der Aufständischen getätigt?

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23. Inwiefern sind der Bundesregierung Überlegungen zum Aufbau eines insti-
tutionalisierten regionalen Stabilitätsmechanismus bekannt, und wie be-
wertet die Bundesregierung diese Überlegungen?

24. a) Hat die Bundesregierung Informationen über Pläne des US-Militärs,
nach dem Abzug der Truppen im Rahmen des ISAF-Mandats nach 2014
weiterhin Militärbasen in Afghanistan zu halten, und wie bewertet die
Bundesregierung diese Pläne?

b) Berühren solche Pläne aus Sicht der Bundesregierung den innerafgha-
nischen politischen Prozess, und werden sie voraussichtlich auf der
Außenministerkonferenz gemeinsam diskutiert?

Berlin, den 28. Juli 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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