BT-Drucksache 17/649

Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Verdachtskündigung und der Erweiterung der Kündigungsvoraussetzungen bei Bagatelldelikten

Vom 9. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/649
17. Wahlperiode 09. 02. 2010

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Jan Korte, Klaus Ernst, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Diana Golze, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Kersten Steinke,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Verdachtskündigung und der Erweiterung
der Kündigungsvoraussetzungen bei Bagatelldelikten

A. Problem

Will der Arbeitgeber einen unliebsamen Mitarbeiter loswerden, erscheint kein
Anlass für eine fristlose Kündigung zu klein zu sein. Seit der Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichtes 1984 zu dem Verzehr eines Bienenstiches durch eine
Verkäuferin hat sich eine Rechtsprechungspraxis im Arbeitsrecht entwickelt, die
eine Null-Toleranz-Politik bei Delikten zu Lasten des Arbeitgebers verfolgt –
frei nach dem Motto „Wer klaut, der fliegt, wer einmal lügt, dem glaubt man
nicht“. So wurden der Diebstahl eines Käses im Wert von 1,99 Euro im Geschäft
des Arbeitgebers, die Mitnahme unverkäuflicher Ware, das Trinken eines Kaf-
fees im Wert von 0,20 Euro, der Verzehr einer Milchschnitte oder die vermeint-
liche Unterschlagung von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro als wichtige Grün-
de durch die Rechtsprechung anerkannt, die eine Kündigung des Arbeitnehmers
rechtfertigen. Unter dem Deckmantel des irreparablen Vertrauensverlustes wer-
den zum Schutz des Arbeitgebereigentums aus generalpräventiven Gründen
dabei sämtliche sozialen Folgen einer Kündigung für den Arbeitnehmer miss-
achtet. Dabei muss der Arbeitgeber vielfach nicht einmal mehr eine solche
Handlung des Arbeitnehmers beweisen. Es reicht aus, wenn dem Gericht ein
dringender Verdacht präsentiert wird. Diese Rechtsprechung ist nicht nur Aus-
druck sozialer Kälte. Sie findet im Gesetz auch keine Grundlage.

B. Lösung

Das Kündigungsschutzgesetz wird ergänzt um Regelungen, nach denen Kündi-
gungen aufgrund von Eigentums- und Vermögensdelikten des Arbeitnehmers,
die sich nur auf geringwertige Gegenstände beziehen, ohne vorherige Abmah-
nung nicht gerechtfertigt sind. Die Kündigung aufgrund des Verdachts einer

Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer wird ausgeschlossen. Darüber hinaus
werden entsprechende Regelungen für das Bürgerliche Gesetzbuch und das Be-
rufsbildungsgesetz getroffen.

Drucksache 17/649 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Bund, Länder und Gemeinden werden durch die Änderung nicht mit Kosten be-
lastet.

1. § 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 3 eingefügt:

„(3) Eine Kündigung ist ohne vorherige Abmah-
nung nicht durch Gründe in der Person oder dem Ver-
halten des Arbeitnehmers bedingt, soweit der Arbeit-
nehmer Eigentums- oder Vermögensdelikte begangen
hat und diese sich auf geringwertige Gegenstände be-
zogen haben.“

b) Nach Absatz 3 wird folgender Absatz 4 eingefügt:

„(4) Eine Kündigung ist rechtsunwirksam, wenn die
Gründe in der Person oder dem Verhalten des Arbeit-
nehmers auf einem Verdacht beruhen.“

c) Die bisherigen Absätze 3 und 5 werden die Absätze 5
und 7.

d) Die bisherige Absatz 4 wird Absatz 6 und in Satz 1
wird die Angabe „Absatz 3“ durch die Angabe „Ab-
satz 5“ ersetzt.

2. In § 13 Absatz 3 werden die Wörter „§ 1 Absatz 2 und 3“
ersetzt durch die Wörter „§ 1 Absatz 2 bis 5“.

vorherige Abmahnung zumutbar, soweit der zur Dienst-
leistung Verpflichtete Eigentums- oder Vermögensdelikte
begangen hat und diese sich auf geringwertige Gegen-
stände bezogen haben.“

2. Folgender Absatz 4 wird angefügt:

„(4) Die Kündigung ist rechtsunwirksam, wenn der
wichtige Grund auf einem Verdacht beruht.“

Artikel 3

Änderung des Berufsbildungsgesetzes

In § 22 Absatz 2 Nummer 1 des Berufsbildungsgesetzes
vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 931), das zuletzt durch Arti-
kel 15 Absatz 90 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I
S. 160) geändert worden ist, werden die Wörter „aus einem
wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist,“
durch die Wörter „entsprechend § 626 BGB,“ ersetzt.

Artikel 4

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 9. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/649

Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Verdachtskündigung und der Erweiterung
der Kündigungsvoraussetzungen bei Bagatelldelikten

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Kündigungsschutzgesetzes

Das Kündigungsschutzgesetz in der Fassung der Bekannt-
machung vom 25. August 1969 (BGBl. I S. 1317), das zuletzt
durch Artikel 3 des Gesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I
S. 444) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 2

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

§ 626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung der
Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909;
2003 I S. 738), das zuletzt durch das Gesetz vom 28. Septem-
ber 2009 (BGBl. I S. 3161) geändert worden ist, wird wie
folgt geändert:

1. Folgender Absatz 3 wird angefügt:

„(3) Die Fortsetzung des Dienstverhältnisses ist ohne

Rechtsbegriffe vorgenommen, vgl. § 1 Absatz 1, 2 KSchG, richtet. Sowohl aus § 626 BGB wie auch aus § 1 Absatz 1, 2

§ 13 KSchG i. V. m. § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB). Damit soll ein hohes Maß an Flexibilität bei der Be-
urteilung des Einzelfalles gewährleistet werden. Daraus

KSchG folgt daher, dass eine Kündigung nur gerechtfertigt
ist, wenn alle Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer
Interessenabwägung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis-
Drucksache 17/649 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Die Ausgestaltung, Vollziehung und Beendigung von Ver-
einbarungen zwischen Privatpersonen ist Teil der allgemei-
nen Handlungsfreiheit, Artikel 2 Absatz 1 des Grundgeset-
zes (GG). Obwohl die Grundrechte Abwehrrechte des Ein-
zelnen gegen den Staat sind, ist die als „Selbstbestimmung
des Einzelnen im Rechtsleben“ gewährleistete Privatautono-
mie nicht unbegrenzt und nicht frei von staatlicher Regulie-
rung. Vertragsfreiheit setzt ein annähernd ausgewogenes
Kräfteverhältnis der Partner voraus. Der Gesetzgeber ist da-
her bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung nicht frei.
Er muss bei strukturellen Störungen der Vertragsparität ge-
eignete Instrumente zum Ausgleich vorsehen (BVerfG, Be-
schluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 –, NJW 1994,
36, 38).

Im Arbeitsrecht stehen sich die widerstreitenden, regelmäßig
grundrechtlich verankerten Interessen von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern gegenüber. Sowohl Arbeitnehmer wie
Arbeitgeber üben ihre Berufsfreiheit, Artikel 12 GG, und
ihre wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, Artikel 2 Absatz 1
GG, aus (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 1998 – 1 BvL
15-87 –, NJW 1998, 1475, 1476). Der Arbeitgeber hat ein
Interesse, sein Unternehmen nach eigenen Vorstellungen
auch im Hinblick auf die Wahl der Mitarbeiter zu führen.
Dem steht das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung
seines Arbeitsplatzes gegenüber. Diese kollidierenden Posi-
tionen sind durch den Gesetzgeber in ihrer Wechselwirkung
zu erfassen und zu einem wirksamen Ausgleich zu führen.
Die dabei vorzunehmende Gewichtung der Belange muss
sich an der Schutzbedürftigkeit der Betroffenen ausrichten
(BVerfG NJW 1998, 1475, 1476). Dabei ist insbesondere
das Sozialstaatsprinzip nach Artikel 20 Absatz 1, Artikel 28
Absatz 1 GG als verfassungsrechtliches Leitbild zu achten
(BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1982 – 1 BvR 848/77 –,
NJW 1982, 1447ff; BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000 –
1 BvR 6/97 –, NZA 2000, 1049).

Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist ein Ergebnis die-
ser Abwägung. Es begrenzt das Recht des Arbeitgebers zur
einseitigen Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund
der besonderen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer. Der
Arbeitsplatz bildet die wirtschaftliche Existenzgrundlage für
den Arbeitnehmer und seine Familie. Lebenszuschnitt und
Wohnumfeld werden davon bestimmt, ebenso gesellschaft-
liche Stellung und Selbstwertgefühl. Mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses wird dieses ökonomische und soziale
Beziehungsgeflecht in Frage gestellt. Die Aussichten, eine
ähnliche Position ohne Einbußen an Lebensstandard und
Verlust von Nachbarschaftsbeziehungen zu finden, hängen
vom Arbeitsmarkt ab.

Der Gesetzgeber hat die Ausgestaltung des Kündigungs-
schutzrechtes durch Generalklauseln und unbestimmte

NZA 1985, 661). Bei der Auslegung und Anwendung von
Generalklauseln sind die Gerichte im besonderen Maße kraft
Verfassungsgebots gefordert, den Wertgehalt des Verfas-
sungsrechtssatzes auch zur Geltung zu bringen (BVerfG, Ur-
teil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/57 –, NJW 1958, 257,
258). Dies gilt auch für Kündigungen von Arbeitsverhältnis-
sen außerhalb des unmittelbaren Geltungsbereiches des
KSchG, vgl. § 23 KSchG (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni
2006 – 1 BvR 1659/04 –, NZA 2006, 913). Für außerordent-
liche Kündigungen müssen diese Wertungen in die Ausle-
gung des § 626 BGB einfließen. Bei ordentlichen Kündigun-
gen nach § 620 Absatz 2 BGB sind die Arbeitnehmer durch
die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder
treuwidrigen Kündigung, §§ 138, 242 BGB, des Arbeitge-
bers geschützt, bei deren Anwendung der objektive Gehalt
der Grundrechte zu beachten ist (BVerfG, NZA 2006, 913).

Diesen Anforderungen wird die Rechtsprechung der Ar-
beitsgerichte in zwei wichtigen Konstellationen nicht mehr
gerecht:

1. Sogenannte „Bagatellkündigungen“

2. „Verdachtskündigungen“

Zu Nummer 1

Diese Fallgruppe ist hauptsächlich gekennzeichnet durch
Eigentums- und Vermögensdelikte i. S. der §§ 242, 246, 263,
266 des Strafgesetzbuchs (StGB) des Arbeitnehmers zu Las-
ten des Arbeitgebers, die sich auf geringwertige Sachen be-
ziehen (z. B. Diebstahl von Büromaterial, der Verzehr von
Lebensmitteln). Derartige Handlungen sind als Pflichtverlet-
zungen im Arbeitsverhältnis zu qualifizieren, vgl. § 241 Ab-
satz 2 BGB. Daher sind sie sowohl im Rahmen der zweistu-
figen Prüfung des § 626 BGB auf erster Stufe „an sich“
geeignet, als wichtiger Grund eine außerordentliche Kündi-
gung (BAG, Urteil vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 3/83 –, NJW
1985, 284), als auch aus Gründen in dem Verhalten des
Arbeitnehmers eine ordentliche Kündigung, § 1 Absatz 1, 2
KSchG, zu rechtfertigen (BAG, Urteil vom 20. September
1984 – 2 AZR 633/82 –, NZA 1985, 286, 287). Ob sich eine
solche Handlung auf einen nur als geringwertig einzustufen-
den Gegenstand bezogen hat, ist bereits eine Wertungsfrage
(BAG, Urteil vom 12. August 1999 – 2 AZR 923/98 –, NJW
2000, 1969, 1971). Für die Feststellung, ob überhaupt eine
Pflichtverletzung vorgelegen hat, ist dies ohne Bedeutung,
vgl. auch § 281 Absatz 1 Satz 3 a. E., § 323 Absatz 5 Satz 2
a. E., § 536 Absatz 1 Satz 3, § 543 Absatz 2 Satz 1
Nummer 3a BGB.

Eine Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis allein kann je-
doch eine Kündigung nicht rechtfertigen. Die Kündigung ist
keine Sanktion für ein bestimmtes Verhalten. Die Beendi-
gung eines Vertragsverhältnisses ist auf die Zukunft ausge-
folgt auch, dass absolute Kündigungsgründe nicht existieren
(BAG, Urteil vom 15. November 1984 – 2 AZR 613/83 –,

ses für den Arbeitgeber unzumutbar erscheinen lassen. Nach
Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben sind in diese

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/649

Abwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers insbesondere die
Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungs-
freier Bestand sowie die Unterhaltspflichten und das Le-
bensalter einzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 26. März 2009
– 2 AZR 953/07 –). Darüber hinaus ist die Kündigung als
Reaktion auf die Pflichtverletzung Ultima-Ratio. Die Fort-
setzung des Arbeitsverhältnisses ist nicht unzumutbar, wenn
es andere, gleich geeignete mildere Mittel gibt (wie eine Ab-
mahnung oder eine Versetzung), um auf die Pflichtverlet-
zung zu reagieren. Dieser in der Rechtsprechung entwickelte
Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat seinen
Niederschlag auch in § 314 Absatz 2 BGB gefunden.

Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch bei Eigen-
tums- und Vermögensdelikten (BAG NJW 1985, 284, 285;
BAG NJW 2000, 1969, 1971; BAG, Urteil vom 26. März
2009 – 2 AZR 953/07 – ).

Die Auswertung der Rechtsprechung zeigt, dass diese
Grundsätze – bis auf wenige Ausnahmen in der Instanzen-
rechtsprechung (ArbG Hamburg, Urteil vom 25. September
2002 – 21 Ca 425/02 –, LAG Köln, Beschluss vom 16. De-
zember 2008 – 9 Ta 474/08 – ) – im Ergebnis nicht zur An-
wendung gelangen (vgl. umfassend dazu Klueß, „Gering-
wertige Vermögensdelikte – Keine zwangsläufige Entlas-
sung“, NZA 2009, 337, 338f). Trotz vermeintlicher Abwä-
gung der Umstände des Einzelfalles wird stets als Ergebnis
die irreparable Zerstörung des Vertrauens des Arbeitgebers
festgestellt, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
unzumutbar macht.

Exemplarisch sei auf die Entscheidung des LAG Berlin-
Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2009 – 7 Sa 2017/08 –,
NZA-RR 2009, 188ff, hingewiesen. Das Gericht führt in
einem kurzen Absatz aus, dass zugunsten der Arbeitnehme-
rin ein 31 Jahre lang unbeanstandetes Arbeitsverhältnis, ihr
Alter und die daher geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt
sowie der nicht nennenswerte Schaden i. H. v. 1,30 Euro
sprechen. In mehreren folgenden Absätzen wird dann ausge-
führt, warum das Vertrauen der Arbeitgeberin irreparabel
zerstört sei. Die nach dem Gesetz vorgesehene Abwägung
wird anschließend verweigert.

Diese Rechtsprechung ersetzt die Auslegung der unbe-
stimmten Rechtsbegriffe des „wichtigen Grundes“ und der
„Zumutbarkeit“ durch einen weiteren unbestimmten, jedoch
nicht definierten Begriff „Vertrauen“. Es ist schon mehr als
zweifelhaft, ob das nur schwer fassbare „Vertrauen“ des Ar-
beitgebers in den Arbeitnehmer überhaupt Anknüpfungs-
punkt der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung sein
kann. Eine Verletzung oder Zerstörung ließe sich letztend-
lich mit entsprechender Begründung auf jeden erdenklichen
Fall ausweiten. Die Heranziehung begegnet auch systemati-
schen Bedenken, da der Gesetzgeber in den Fällen, in denen
das Vertrauensverhältnis konstituierendes Element des Ver-
trages ist, bereits eine besondere Kündigungsmöglichkeit
vorgesehen hat, vgl. § 627 BGB. Unabhängig von den Erläu-
terungsversuchen wird jedenfalls im Kern verfassungsrecht-
lich bedenklich das grundrechtlich geschützte Eigentums-
interesse des Arbeitgebers aus Artikel 14 GG absolut über
die Interessen des Arbeitnehmers, insbesondere den Kündi-
gungsschutz als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips, gestellt.
Im Hinblick auf das benannte Urteil ist de facto kein ähn-

mögensdelikte, auch wenn sie sich auf geringwertige Sachen
beziehen, sind damit regelmäßig zu einem absoluten Kündi-
gungsgrund geworden.

Zu Nummer 2

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG können nicht nur
die zu Nummer 1 dargestellten erwiesenen Pflichtverlet-
zungen eine Kündigung rechtfertigen. Ausreichend sei be-
reits der Verdacht einer solchen (BAG, Urteil vom 4. Juni
1964 – 2 AZR 310/63 –, NJW 1964, 1918; BAG, Urteil vom
6. Dezember 2001 – 2 AZR 496/00 –, NZA 2002, 847). Nach
§ 626 I BGB sei eine Verdachtskündigung im Ergebnis
rechtlich zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf
objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeig-
net sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses er-
forderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle
zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachver-
halts unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Anknüpfungs-
punkt soll damit nicht die verdachtsbegründende Handlung
sein, sondern die auf diesem Verdacht beruhende Zerstörung
des Vertrauensverhältnisses. Die Verdachtskündigung kann
auch als ordentliche Kündigung ausgesprochen werden
(BAG, Urteil vom 10. Februar 2005 – 2 AZR 189/04 –, NZA
2005, 1056).

Diese Konstellationen unterliegen zunächst derselben Kritik
bei der Heranziehung des „Vertrauens“ wie zu Nummer 1
dargestellt. Darüber hinaus bestehen jedoch erhebliche ver-
fassungsrechtliche Bedenken, ob die Gerichte mit dem Insti-
tut der Verdachtskündigung nicht die Grenzen der richter-
lichen Rechtsfortbildung überschritten haben.

Es ist bereits nach dem Wortlaut der §§ 626 BGB, 1 KSchG
zweifelhaft, ob der „Verdacht einer Pflichtverletzung“ dar-
unter subsumiert werden kann. Nach § 626 Absatz 1 BGB
können nur „Tatsachen“ einen wichtigen Grund bilden. Nach
§ 1 Absatz 2 KSchG sind „Gründe“ in dem Verhalten oder
der Person des Arbeitnehmers erforderlich. Tatsache ist ein
gegenwärtiger oder vergangener Zustand, der sinnlich wahr-
nehmbar und damit dem Beweis zugänglich ist. Einen „Ver-
dacht zu haben“ ist eine Tatsache; der Gegenstand des Ver-
dacht selbst unterscheidet sich aber graduell von der Tat-
sache durch das Fehlen der Beweisbarkeit.

Obwohl die Voraussetzungen der Verdachtskündigung Er-
gebnis einer Auslegung des materiellen Rechts sind, verän-
dern sie prozessuale Grundsätze der Darlegungs- und
Beweislast ohne Rechtsgrundlage. Das allgemeine Kündi-
gungsrecht sieht keine besonderen Regelungen für die Dar-
legungs- und Beweislast vor. Daher gilt das allgemeine Prin-
zip, dass derjenige die Voraussetzungen für den Eintritt einer
Rechtsfolge nachweisen muss, der sich auf die für ihn güns-
tige Rechtsfolge einer Norm beruft. Demnach muss der Kün-
digende die Voraussetzungen einer Kündigung, z. B. eine
Pflichtverletzung bei der Erfüllung des Arbeitsverhältnisses,
darlegen und beweisen. Im Geltungsbereich des KSchG
muss der Arbeitgeber gemäß § 1 Absatz 2 Satz 4 KSchG die
kündigungsbegründenden Tatsachen beweisen. Die Ver-
dachtskündigung kehrt dies um. Die Ausräumung des Ver-
dachtes durch den Gekündigten ist nur durch die Darlegung
und den Beweis möglich, dass die Pflichtverletzung, auf die
licher Fall mehr denkbar, in dem die Abwägung zugunsten
des Arbeitnehmers ausgehen könnte. Eigentums- und Ver-

sich der Verdacht bezieht, tatsächlich nicht durch den Ge-
kündigten begangen wurde. Nunmehr muss nicht der Kündi-

Drucksache 17/649 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gende die Pflichtverletzung darlegen und beweisen, sondern
der Gekündigte die Nichtbegehung.

Letztlich sprechen auch systematische Gründe gegen das In-
stitut der Verdachtskündigung. Nach den §§ 9, 13 Absatz 1
KSchG kann das Gericht ein Arbeitsverhältnis auf Antrag
auflösen, selbst wenn die Voraussetzungen einer Kündigung
nicht vorlagen. Die Norm zeigt, dass auch über die zulässi-
gen Möglichkeiten der Kündigung hinaus Gründe vorliegen
können, die eine Auflösung erforderlich machen. Dies erfor-
dert jedoch eine weitere Abwägung und führt zu einem Ab-
findungsanspruch zugunsten des Arbeitnehmers. Die Kon-
stellation der Verdachtskündigung ließe sich zwanglos unter
diese Normen subsumieren. Das Institut der Verdachtskündi-
gung erweitert somit die Kündigungsmöglichkeiten entge-
gen bereits bestehender gesetzlicher Regelungen.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Kündigungsschutz-
gesetzes)

Zu Nummer 1 (Änderung § 1)

Zu Buchstabe a

Aus § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG folgt („nicht … bedingt
ist“), dass eine Kündigung nur nach umfassender Interes-
senabwägung als Ultima-Ratio gerechtfertigt sein kann. In
das Ergebnis dieser Interessenabwägung wird durch den
neuen Absatz 3 zugunsten der Arbeitnehmer aus den darge-
stellten verfassungsrechtlichen Vorgaben eingegriffen. Aus
Absatz 3 folgt, dass eine Kündigung rechtsunwirksam ist
(§ 1 Absatz 1 und 2 KSchG), falls sie nur („soweit“) auf
eine Handlung des Arbeitnehmers („in dem Verhalten“)
gestützt wird, die die Begehung eines Eigentums- und Ver-
mögensdeliktes zum Gegenstand hat und sich dieses auf
geringwertige Gegenstände bezieht. Die Ergänzung der
Formulierung um Gründe „in der Person“ des Arbeitneh-
mers ist zur Vermeidung einer Regelungslücke erforder-
lich, da außerdienstliche Straftaten, die sich auf das Ar-
beitsverhältnis auswirken, die Eignung des Arbeitnehmers
an sich in Frage stellen und daher als personenbedingte
Kündigung begriffen werden. Mit der Wahl der „gering-
wertigen Gegenstände“ wurde zugunsten eines auslegungs-
bedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffes auf eine feste
summenmäßige Obergrenze verzichtet. Wie die Rechtspre-
chung und Literatur zu § 248a StGB zeigt, hängt die Aus-
legung des Begriffes von einer Vielzahl Faktoren ab, die
sich nicht generalisieren lassen und nicht zwangsläufig an
einen messbaren Verkehrswert angeknüpft werden können.
Auch wenn das Strafrecht und das Arbeitsrecht verschiede-
ne Schutzrichtungen haben, lassen sich bei der Auslegung
die Grundlagen des § 248a StGB heranziehen. Zwar han-
delt es sich bei § 248a StGB um eine prozessuale Lösung,
die die Strafbarkeit unberührt lässt. Dennoch hat der Ge-
setzgeber damit auch den rechtspolitischen Willen demons-
triert, Bagatellkriminalität nur einen sehr geringen Un-
rechtsgehalt beizumessen. Der Zugriff auf geringwertige
Vermögensgegenstände folgt in der Regel aus einer gerin-
gen Hemmschwelle und einem geringen Unrechtsbewusst-
sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1992 – 1 D

sem Umstand muss bei der Abwägung der Interessen zwi-
schen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Rechnung getragen
werden. In den typischen Konstellationen der Bagatellkün-
digung handelt der Arbeitnehmer nicht mit krimineller
Energie gegen den Arbeitgeber, um diesen zu schädigen,
sondern aus Sorglosigkeit, Unbekümmertheit und Un-
bedarftheit. Damit ist ein solches Verhalten zwar nicht
entschuldigt oder rechtmäßig. Dem Arbeitgeber stehen
Sanktionsmechanismen zivilrechtlicher, z. B. § 823 Absatz 1
und 2, § 280 Absatz 1 i. V. m. § 249 ff. BGB, und straf-
rechtlicher, z. B. §§ 242, 263 StGB, Natur zur Verfügung,
um darauf zu reagieren. Es überschreitet jedoch die Gren-
zen der Verhältnismäßigkeit, wenn ein Zugriff auf gering-
wertige Vermögensgegenstände in Ansehung der sozialen
Folgen einer Kündigung für den Arbeitnehmer den Regel-
fall darstellt. Es ist nicht ersichtlich, warum durch eine sol-
che Handlung das Vertrauensverhältnis grundsätzlich zer-
stört sein soll. Jede Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis
kann zu einer Störung im Vertrauensverhältnis führen, ohne
dass damit sofort eine Kündigung zu rechtfertigen wäre
oder der Arbeitgeber diese auch nur in Betracht ziehen
würde. Gestörtes Vertrauen kann wieder hergestellt wer-
den. Daher ordnet die Änderung auch eine obligatorische
Abmahnung für diese Fälle an.

Zu Buchstabe b

Die Rechtsprechung sieht als „Grund“ für eine Verdachts-
kündigung die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses. Die
Umstände des Falles, die den Verdacht begründen, und der
Verdacht selbst bilden danach nur die Ursache für die Zerstö-
rung des Vertrauens. Diesen Überlegungen tritt Absatz 4 ent-
gegen, indem nicht eine (weitere) Regelung zur Darlegungs-
und Beweislast getroffen wird, sondern der dogmatischen
Herleitung der Verdachtskündigung die Grundlage – der
Verdacht selbst – entzogen wird. Durch diese Regelung wird
lediglich der ursprüngliche und vom Gesetzgeber gewollte
Zustand – auch im Hinblick auf die Darlegungs- und Be-
weislast – wieder hergestellt.

Zu Nummer 2 (Änderung § 13)

Es handelt sich um eine Folgeänderung durch die Erweite-
rung von § 1.

Zu Artikel 2 (Änderung des Bürgerlichen Gesetz-
buchs)

Zu Nummer 1 (Absatz 3 – neu)

Gemäß § 13 Absatz 1 Satz 1, § 23 KSchG bleibt das Recht
zur außerordentlichen Kündigung von den Bestimmungen
des KSchG unberührt. Zwar stehen ordentliche und außeror-
dentliche Kündigung dogmatisch in einem Stufenverhältnis
dergestalt, dass eine außerordentliche Kündigung nicht ge-
rechtfertigt ist, wenn es schon eine ordentliche nicht wäre
(BAG, Urteil vom 20. September 1984 – 2 AZR 633/82 –,
NZA 1985, 286). Daher gilt § 1 Absatz 3 und 4 KSchG-E für
die außerordentliche Kündigung im sachlichen und zeit-
lichen Geltungsbereich des KSchG unmittelbar. Durch die
entsprechende Änderung des § 626 BGB werden jedoch da-
66/91 –, NJW 1994, 210). Diese gesetzgeberische Wertung
ist auch im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Die-

rüber hinaus diese Einschränkungen auf alle außerordent-
lichen Kündigungen von Arbeitsverhältnissen ausgedehnt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/649

Durch die am „Dienstverhältnis“ orientierte Formulierung
der Änderung werden des Weiteren auch arbeitnehmerähnli-
che Personen und sonstige Anstellungsverhältnisse erfasst.
Auch in diesen Fällen besteht ein Schutzgebot durch die in
dem Vertragsverhältnis begründete (wirtschaftliche) Exis-
tenzgrundlage für den Dienstleistenden.

Soweit der Anwendungsbereich auch sonstige Dienstleis-
tungsverhältnisse erfasst, ist die Regelung eine allgemeine
Unerheblichkeitsschwelle, die Ausfluss des Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatzes ist. Das Abmahnungserfordernis ist
in der Rechtsprechung auch für außerordentliche Kündigun-
gen als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ent-
wickelt worden. Der Gesetzgeber hat dies durch die Kodifi-
zierung in § 314 Absatz 2 BGB bestätigt (vgl. BAG, Urteil
vom 12. Januar 2006 – 2 AZR 21/05 –, NJW 2006, 3348).
Die Fallgruppe der Bagatelldelikte ist durch eine nur uner-
hebliche Störung des Vertragsverhältnisses gekennzeichnet.
Die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit durch den
Dienstleistungsberechtigten belastet diesen nicht unan-
gemessen in seinen Rechtspositionen. Durch Schadens-
ersatzansprüche sowie strafrechtliche Sanktionsmöglich-
keiten stehen ausreichende Reaktionsmöglichkeiten zur Ver-
fügung. Die ordentliche Kündigung bleibt von der Regelung
unberührt. Im Übrigen werden Dienstleistungsverhältnisse,
in denen das Vertrauen zwischen den Vertragsparteien kon-
stituierendes Vertragselement ist, nicht berührt, § 627 BGB.

Zu Nummer 2 (Absatz 4 – neu)

Die Regelung schließt die außerordentliche Verdachtskündi-
gung auch bei Dienstverhältnissen aus. Für die Begründung
gelten die zur Änderung des KSchG benannten Erwägungen
entsprechend.

Zu Artikel 3 (Änderung des Berufsbildungs-
gesetzes)

§ 22 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) enthält spezielle
Kündigungsregelungen für Berufsbildungsverhältnisse. Ge-
mäß § 22 Absatz 2 Nummer 1 BBiG ist eine Kündigung
eines Ausbildungsverhältnisses nach der Probezeit durch
den Ausbildenden nur aus wichtigem Grund möglich. Die
Formulierung der Norm sowie die Rechtsprechung dazu ist
an § 626 BGB angelehnt. Die Erwägungen zur Änderung des
Kündigungsschutzgesetzes und zur Änderung des Bürger-
lichen Gesetzbuches beanspruchen erst recht in Berufs-
bildungsverhältnissen Geltung, so dass die bisherige Rege-
lung – auch aus Gründen der Rechtsklarheit – durch einen
Verweis auf § 626 BGB ersetzt wird.

Zu Artikel 4

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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