BT-Drucksache 17/6489

Mehr Rechte für Patientinnen und Patienten

Vom 6. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6489
17. Wahlperiode 06. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Katrin Kunert, Caren Lay,
Jens Petermann, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Mehr Rechte für Patientinnen und Patienten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Mittelpunkt unseres Gesundheitssystems müssen stets die Patientinnen und
Patienten stehen. Die Wahrung ihrer Interessen ist daher oberstes Gebot. Krank-
heit stellt häufig eine starke persönliche Belastung dar. Da das vorrangige In-
teresse der Genesung gilt, ist es schwierig, gleichzeitig die eigenen Rechte ge-
genüber Behandelnden oder Kostenträgern in Erfahrung zu bringen und
durchzusetzen. Noch immer erschweren intransparente, uneinheitliche und vor
allem fehlende gesetzliche Regelungen die Inanspruchnahme von Patienten-
rechten erheblich. Ein eigenständiges Gesetz ist notwendig, um die Rechte der
Patientinnen und Patienten zu bündeln und auszubauen. Diese Rechte müssen
sich nicht nur auf die Diagnose und Therapie, sondern auch auf Pflege- und
sonstige Gesundheitsleistungen beziehen.

Zur näheren Kodifizierung der Patientenrechte ist es in Deutschland bisher prak-
tisch nicht gekommen. Die Rechtsprechung sah sich daher gezwungen, den
Willen des Gesetzgebers weitgehend zu interpretieren. Während in einigen
Bereichen eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes existiert, ist
in vielen anderen medizinrechtlichen Fragen die Rechtsprechung regional diffe-
renziert. Dies bedeutet für alle Beteiligten einen undurchschaubaren und teils
unkalkulierbaren Flickenteppich.

Die Patientenrechte leiten sich aus elementaren Grundrechten ab: Unantastbar-
keit der Menschenwürde und der Gleichheit, Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit, Freiheit der Person. Die Grundrechtecharta der Europäischen
Union geht noch weiter und gewährt das Recht auf Zugang zu den Leistungen
der sozialen Sicherheit, Recht auf gesunde Arbeitsbedingungen sowie das Recht
auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und zu ärztlicher Versorgung. Erforderlich
ist die Aufnahme sozialer Grundrechte auch in das Grundgesetz (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 16/13791).

Viele europäische Länder haben bereits nationale Patientenrechtegesetze verab-

schiedet (u. a. Dänemark, Finnland, Frankreich, Spanien, Österreich, Litauen
und Slowenien). In Deutschland existiert mit dem Papier „Patientenrechte in
Deutschland“ bislang nur eine unverbindliche und grobe Auflistung einzelner
Rechte zur Information von Patientinnen und Patienten sowie von Leistungser-
bringerinnen und Leistungserbringern. Das Richterrecht und damit die gängige
Rechtspraxis werden darin nur unzureichend beschrieben. Das Papier bietet
keine ausreichende Hilfestellung für Patientinnen und Patienten, weil es lücken-

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haft ist und sich niemand rechtlich darauf berufen kann. Mit einem neuen,
namensgleichen „Grundlagenpapier Patientenrechte in Deutschland“ vom
22. März 2011 hat die Regierung die Verwirrung komplett gemacht, denn dieses
enthält lediglich Absichtserklärungen für kommende Gesetzgebungsverfahren.

Doch selbst fixierte Rechte existieren in Deutschland oftmals nur auf dem
Papier. Das Recht auf Einsicht in die Krankenunterlagen ohne Nennung von
Gründen, was ein außergerichtliches und gerichtliches Vorgehen erst ermög-
licht, wird häufig nicht oder nicht vollständig gewährt. In der Realität werden
viele Patientinnen und Patienten bei der Akteneinsicht behindert bzw. erhalten
unvollständige oder – in seltenen Fällen – sogar manipulierte Dokumente.

Patientinnen und Patienten haben bei einem vermuteten Behandlungsfehler die
Möglichkeit, sich mit Hilfe von Gutachterkommissionen und Schlichtungsstel-
len außergerichtlich mit dem Behandelnden zu einigen. Diese Stellen sind bei
den Ärztekammern angesiedelt und werden von den Haftpflichtversicherungen
der Beschuldigten mitfinanziert. Nach Ansicht von Patientenorganisationen sind
diese Stellen nicht unabhängig und neutral. Ihre Verfahren sind meist nicht
qualitätsgesichert. Hinzugezogene Gutachterinnen bzw. Gutachter unterliegen
keinen gesetzlich geregelten, objektiven Qualitäts- oder Unabhängigkeitsanfor-
derungen. Zudem sind beide Parteien nicht verpflichtet, einem Schlichtungsver-
fahren oder dem Schiedsspruch zuzustimmen. Häufig wird den Behandelnden
eine außergerichtliche Einigung von ihren Haftpflichtversicherungen untersagt.

Gerichtsverfahren bei einem vermuteten Behandlungsfehler dauern häufig fünf
Jahre und mehr. Da die Streitwerte oft hoch sind, trägt die Patientin bzw. der
Patient ein erhebliches finanzielles Risiko. Dies gilt auch bei Inanspruchnahme
von Prozesskostenhilfe. Das „Sezieren“ des eigenen Leids vor Gericht stellt zu-
dem eine große psychische Belastung dar. Der Prozessausgang ist nicht zuletzt
aufgrund der unsicheren rechtlichen Situation auch für Expertinnen und Exper-
ten kaum vorherzusagen. Viele Patientinnen und Patienten sehen daher davon
ab, ihr Recht auch durchsetzen zu wollen. Auch Ärztinnen und Ärzte werden
durch die lange Verfahrensdauer und die aufwändigen Verfahren belastet.
Zudem stellt das Risiko eines Schadensfalls mit entsprechend langwierigem
Gerichtsverfahren für viele Ärztinnen und Ärzte eine Beeinträchtigung ihres
Berufsalltags dar.

Die Schwierigkeiten beim Arzthaftungsprozess liegen zum Teil in der Natur der
Sache (individuelle Krankheitsverläufe, nicht vorhersagbare Behandlungser-
folge etc.), zum Teil aber auch in der Verteilung der Darlegungslasten der ver-
schiedenen Parteien. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Waffen-
gleichheit zwischen den Prozessparteien ist trotz der maßgeblich vom
Bundesgerichtshof entwickelten Beweiserleichterungen für Patientinnen und
Patienten bei weitem noch nicht hergestellt. Der Ursachenzusammenhang (Kau-
salität) zwischen Fehlbehandlung und Gesundheitsschaden ist oft für die
beweisbelastete Person sehr schwierig zu belegen. Obwohl vor allem die behan-
delnden Ärztinnen bzw. Ärzte beurteilen können, ob ihre Behandlung fachge-
recht ausgefallen ist, liegt die gesamte Darlegungs- und Beweislast in der Regel
bei der Patientin bzw. dem Patienten. Der Patientin bzw. dem Patienten bleibt
zum Nachweis meist nur die Dokumentation der Ärztin bzw. des Arztes. Diese
ist jedoch vorrangig nicht für die juristische, sondern für die medizinische Nach-
verfolgung der Behandlung konzipiert.

In den meisten Arzthaftungsprozessen kommt der Gutachterin bzw. dem Gut-
achter eine zentrale Rolle zu. Aufgrund ihrer bzw. seiner Einschätzung wird in
der Regel entschieden, ob ein Behandlungsfehler vorliegt und ob dieser als grob
einzuschätzen ist. Damit eng verbunden ist die Frage, wer die Beweislast zu tra-
gen hat, und damit häufig der Ausgang der Verfahren. An die Qualifikation und

Unabhängigkeit der Gutachter und Gutachterinnen sind daher hohe Anforderun-
gen zu stellen.

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Nicht zuletzt sind Fehler Bestandteil des menschlichen Wirkens und auch Pro-
dukt von äußeren Bedingungen. Der Umgang mit Fehlern wird aber immer noch
stark mit persönlichem Versagen assoziiert. Notwendig sind eine qualitätsför-
dernde Fehlerkultur und ein Arbeitsumfeld, das Arbeiten auf hohem Niveau er-
möglicht und fördert.

Mitbestimmung ist ein elementares demokratisches Recht, das Patientinnen und
Patienten immer noch zu wenig gewährt wird. Zu viele Entscheidungen werden
über sie, aber nicht mit ihnen getroffen. Trotz Fortschritten in den letzten Jahren
besteht hier weiterhin Nachholbedarf. Im Gemeinsamen Bundesausschuss
(G-BA), dem zentralen Gremium zur näheren Festlegung des Leistungskatalo-
ges der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), ist zwar 2004 eine Patienten-
beteiligung eingeführt worden. Allerdings verfügt diese nicht einmal in Verfah-
rensfragen über ein Stimmrecht. Damit Patientenorganisationen perspektivisch
mehr Verantwortung übernehmen können, brauchen sie eine entsprechende per-
sonelle und finanzielle Ausstattung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzent-
wurf vorzulegen, der bereits bestehende und neue Rechte von Patientinnen und
Patienten in einem Gesetz zusammenführt. Er soll die Umsetzung folgender
Patientenrechte gewährleisten:

1. Recht auf gute und menschenwürdige Behandlung

a) Gute Behandlung

Die Gesundheitsversorgung muss allen Bürgerinnen und Bürgern barriere-
frei* zugänglich sein und dem medizinischen Wissensstand entsprechen.
Die Gesundheitsversorgung darf für die Patientinnen und Patienten nicht
mit eigenständigen Kosten oder Auslagen (Zuzahlungen, Praxisgebühr,
Vorkasse etc.) verbunden sein.

Die Menschenwürde ist in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung zu
achten und der medizinischen bzw. pflegerischen Qualität gleichzustellen.
Zu einer „guten Behandlungsqualität“ zählen in diesem Sinne einerseits
die medizinisch-wissenschaftliche Qualität im Sinne der Einhaltung des
Facharztstandards, andererseits auch die Zufriedenheit der Patientinnen
und Patienten über das Ergebnis der Behandlung von Grunderkrankung
und Begleitsymptomen sowie über den Behandlungsverlauf, ggf. auch ein
möglichst minimierter Kostenaufwand. Der Patient bzw. die Patientin ist
darüber aufzuklären, wie er bzw. sie zur Sicherung des Heilerfolges bei-
tragen kann.

Steht für eine schwere Erkrankung keine anerkannte Therapie zur Verfü-
gung, hat die Patientin bzw. der Patient prinzipiell Anspruch auf ärztliche
Behandlung außerhalb des regulären Leistungskataloges der gesetzlichen
Krankenkassen. Die vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten Ni-
kolaus-Urteil entwickelten Voraussetzungen dafür sind folgendermaßen
moderat zu erweitern:

Der Anspruch gilt,

– wenn die Erkrankung die Lebensqualität besonders stark einschränkt
oder regelmäßig tödlich verläuft,

– Anhaltspunkte für einen möglichen Therapieerfolg gegeben sind und
* Unter Barrieren sind alle baulichen, kommunikativen und kulturellen Barrieren zu verstehen, die eine
volle Teilhabe an der Gesundheitsversorgung behindern können.

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– keine anerkannte Therapie für die jeweilige Erkrankung zur Verfügung
steht oder keine der anerkannten Therapien einen Nutzen erbracht hat.

Das Recht auf ein Versorgungsmanagement beim Übergang zwischen sta-
tionärer und ambulanter Behandlung (bisher § 11 Absatz 4 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch – SGB V) ist so zu konkretisieren, dass beste-
hende Vollzugsprobleme überwunden und Qualitätsindikatoren entwickelt
werden, mit deren Hilfe eine flächendeckende Anwendung nachprüfbar
wird.

b) Wartezeiten

Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht auf eine zeitnahe Be-
handlung. Dies muss gleichermaßen für Versicherte der gesetzlichen wie
der privaten Krankenversicherung und hier insbesondere auch für Versi-
cherte im Basistarif gelten. Ist eine Ärztin oder ein Arzt aus Auslastungs-
gründen nicht in der Lage, eine Patientin oder einen Patienten zeitnah zu
behandeln, hat sie bzw. er die Vermittlung einer Ärztin oder eines Arztes
in zumutbarer Erreichbarkeit durch die zuständige Kassenärztliche Verei-
nigung (KV) zu initiieren. Kann die KV im Rahmen ihres Sicherstellungs-
auftrages in angemessener Zeit keine Behandlung anbieten, ist sie mit
Sanktionen zu belegen.

c) Aufklärung

Die Patientinnen und Patienten haben das Recht, über ihren gesundheit-
lichen Zustand, die Diagnose, Behandlungsmethoden und -alternativen,
Dauer und persönlich zu tragende Kosten, mögliche Nebenwirkungen und
Risiken sowie Erfolgsaussichten der Behandlung inhaltlich und sprachlich
verständlich aufgeklärt zu werden (Selbstbestimmungsaufklärung). Diese
Aufklärung muss der Patientin oder dem Patienten individuell angepasst
und barrierefrei zugänglich sein. Insbesondere sind sprachliche Barrieren
mithilfe eines spezialisierten Dolmetscherdienstes zu überwinden. Im
Mittelpunkt der Aufklärung steht das persönliche Gespräch. Der Inhalt der
Aufklärung ist zu dokumentieren. Des Weiteren besteht das Recht auf
Nichtwissen. Demnach haben Patientinnen und Patienten das Recht, aus-
drücklich und in schriftlicher Form auf die Selbstbestimmungsaufklärung
ganz oder teilweise zu verzichten. Voraussetzung dafür ist, dass die Pa-
tientinnen und Patienten über die Tragweite ihrer Entscheidung informiert
wurden.

d) Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL)

Für Leistungen außerhalb des Leistungskataloges der GKV ist ein sicherer
rechtlicher Rahmen zu schaffen. Insbesondere ist damit sicherzustellen,
dass Patientinnen und Patienten darüber informiert werden, warum die
jeweilige Leistung nicht Bestandteil des GKV-Leistungskataloges ist,
welche Behandlungsalternativen existieren und welche Kosten ihnen
entstehen. IGeL erfordern eine angemessene Bedenkzeit sowie die schrift-
liche Einwilligung der Patientin bzw. des Patienten. Sie dürfen nur auf
Initiative einer Patientin bzw. eines Patienten erbracht werden. Es sind wirk-
same Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die Erbringung von IGeL zu
ergreifen. Auf die Möglichkeit einer Beratung durch die Unabhängige Pati-
entenberatung Deutschland/UPD gemeinnützige GmbH ist hinzuweisen.

e) Fehlermanagement

Ein Fehlermeldesystem dient dazu, die Behandlungsqualität zu steigern,
und hilft, künftig Fehler zu vermeiden. Vorhandene Fehlermanagement-
systeme sind in ein bundesweites Fehlermeldesystem einzubeziehen. Die

Meldung erfolgt an eine zentrale Stelle, z. B. einen Patientenbeauftragten
des Bundestages (siehe Nummer 6).

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Es sind folgende zwei Arten von Fehlermeldungen notwendig:

1. Bei der Meldung von unerwünschten Behandlungsergebnissen oder
vermuteten Fehlern durch Behandelnde oder Patientinnen und Patien-
ten ist konsequente Vertraulichkeit zu wahren. Weder Behandelnden
noch Meldenden darf ein Nachteil entstehen. Diese Daten werden zur
Erhebung von Fehlerhäufungen und anonymisiert zur Versorgungsfor-
schung genutzt. Die Meldung erfolgt an eine zentrale Stelle, z. B. einen
Patientenbeauftragten des Deutschen Bundestages (siehe Nummer 6).
Die zentrale Stelle erhält den Auftrag, bei mutmaßlichen Fehlerhäufun-
gen zusammen mit Verantwortlichen nach Lösungen zu suchen.

2. Richterinnen und Richter, die rechtskräftig einen Behandlungsfehler
festgestellt haben, werden verpflichtet, den Fehler an die zentrale Stelle
zu melden. Auffällige Häufungen oder besonders schwerwiegende Be-
handlungsfehler ermöglichen berufsrechtliche Konsequenzen.

f) Dokumentation

Die Leistungserbringerinnen und -erbringer haben die wesentlichen
Schritte und Ergebnisse ihrer Behandlung so zu dokumentieren, dass Kol-
leginnen und Kollegen die Behandlung nachvollziehen können und die
Ermittlung im Schadensfall ermöglicht wird.

2. Recht auf gesundheitliche Selbstbestimmung

Die Patientinnen und Patienten haben das Recht, die Behandlungsmethode,
den Behandlungsort sowie grundsätzlich die oder den Behandelnden im Rah-
men deren/dessen Kapazität frei auszuwählen. Einschränkungen können aus-
schließlich zur Verbesserung der Versorgungsqualität, z. B. im Rahmen einer
hochwertigen integrierten Versorgung oder von Disease-Management-Pro-
grammen, vorgesehen werden. Die Patientinnen und Patienten haben das
Recht, eine Behandlung abzulehnen oder zu beenden. Es besteht das Recht auf
eine Zweitmeinung.

3. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Sämtliche Informationen über Patientinnen und Patienten müssen streng ver-
traulich behandelt werden. Dieses Recht wird nur dann aufgehoben, wenn die
Patientin oder der Patient selbst die Vertraulichkeit außer Kraft setzt oder
medizinische oder juristische Gründe eine Bekanntmachung erzwingen. Alle
Behandelnden, Kostenträger und anderen beteiligten Personen sind ver-
pflichtet, sämtliche Daten vor unbefugtem Zugriff zu schützen.

Es besteht das Recht auf zeitnahe Einsichtnahme in sämtliche Krankenunter-
lagen wie auch der Pflegedokumentation. Die Behandelnden sind darüber
hinaus verpflichtet, unaufgefordert und kostenfrei eine Dokumentation der
wesentlichen Behandlungsschritte und Befunde an die Patientinnen und
Patienten auszuhändigen. Für schwer kopierbare Unterlagen (z. B. bei be-
stimmten bildgebenden Verfahren) sind die Befunde zu dokumentieren und
den auszuhändigenden Dokumenten beizufügen. Zwischen den Leistungser-
bringerinnen und -erbringern und Kostenträgern ist für diese Dienstleistung
ein Preis zu vereinbaren, der Teil der Vergütung im Regelleistungsvolumen
wird. Für die private Krankenversicherung sind analoge Vereinbarungen zu
treffen, die auch auf Selbstzahlerinnen und Selbstzahler übertragen werden.
Der Patient bzw. die Patientin hat das Recht, ausdrücklich und in schriftlicher
Form auf die Aushändigung der Unterlagen zu verzichten (Recht auf Nicht-
wissen).

4. Rechte gegenüber Kostenträgern
Die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, die Deutsche Rentenversiche-
rung und die Berufsgenossenschaften als Körperschaften des öffentlichen

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Rechts sind verpflichtet, die Wahrung des Gemeinwohls in den Mittelpunkt
ihrer Arbeit zu stellen. Die Rechte von Patientinnen und Patienten sind aktiv
umzusetzen. Patientinnen und Patienten haben Anspruch auf umfassende
Aufklärung über ihre Rechte. Die gesetzlichen Krankenkassen sind ver-
pflichtet, die Versicherten bei Verdacht eines Behandlungsfehlers bei der
Aufklärung des Sachverhaltes und vor Schlichtungsstellen sowie vor Gericht
zu unterstützen. Die Pflichten von Privatversicherungen sowie sonstigen
Kostenträgern sind analog auszugestalten.

Patientinnen und Patienten haben das Recht auf eine transparente und zeit-
nahe Bearbeitung ihrer Anliegen. Dazu zählen insbesondere Genehmigungs-
incl. Widerspruchsverfahren von Leistungsanträgen.

5. Rechte im Schadensfall

a) Wenn eine Patientin oder ein Patient durch eine fehlerhafte Behandlung zu
Schaden gekommen ist, hat sie bzw. er das Recht auf angemessenen Scha-
densersatz. Alle Leistungserbringerinnen und -erbringer haben ab Auf-
nahme der Tätigkeit eine Berufshaftpflichtversicherung nachzuweisen.
Die Regelungen des § 51 der Bundesrechtsanwaltsordnung sind entsprechend
zu übertragen und gelten jeweils für die zu haftende Institution (z. B. auch
für Krankenhäuser). Die Mindestversicherungssumme ist am Schadens-
risiko des jeweiligen Leistungserbringers auszurichten. Hat ein Behand-
lungsfehler zum Tod geführt, haben nahe Angehörige das Recht auf
Schmerzensgeld („Trauerschaden“).

b) Behinderungen der Ermittlung beim Verdacht auf Behandlungsfehler
(z. B. Behinderung der Einsichtnahme in die Krankenunterlagen, Mani-
pulation der Krankenunterlagen) müssen scharf sanktioniert werden und
verlagern die volle Beweislast auf die Seite der bzw. des Behandelnden.
Computerprogramme, die nachträgliche Veränderungen an der Dokumen-
tation unmöglich oder sichtbar machen, sind einzuführen. Dafür sind ent-
sprechende Programme zu entwickeln und zu testen. Auch die bisher
praktizierte Beweislastumkehr bei Dokumentationsfehlern ist gesetzlich
zu fixieren.

c) Die von der Rechtsprechung entwickelten Beweiserleichterungen sind
durch das Patientenrechtegesetz zu garantieren und auszubauen. Der Pa-
tient oder die Patientin (Kläger/-in) hat vor Gericht nur darzulegen, dass
ihm bzw. ihr durch die Behandlung ein Schaden entstanden ist. Die Ärztin
bzw. der Arzt (Beklagte) kann zur Entkräftung darlegen, dass dieser
Schaden für ihn unabwendbar war und auch bei Einhaltung des Facharzt-
standards nicht auszuschließen gewesen wäre. Stellt das Gericht einen Be-
handlungsfehler fest und ist dieser objektiv geeignet, den beschriebenen
Schaden zu verursachen, wird ein ursächlicher Zusammenhang vermutet.
Kann die bzw. der Beklagte diese Vermutung nicht widerlegen, ist er scha-
densersatzpflichtig.

d) Die Einführung eines Entschädigungsfonds zur Deckung von Schadens-
ersatzforderungen ist zu prüfen. Dieser Fonds würde, wie bisher die Haft-
pflichtversicherungen, aus Mitteln der Leistungserbringerinnen und -er-
bringer unterhalten. Zu prüfen sind ebenfalls Modelle, die eine Prämien-
absenkung bei längerer Zeit ohne Behandlungsfehler und Prämienan-
hebungen bei überdurchschnittlicher Häufung von Fehlern bewirken. Der
Fonds könnte als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgestaltet wer-
den und die Ansprüche an diesen könnten der Sozialgerichtsbarkeit unter-
liegen. Da er im Gegensatz zu Versicherungsunternehmen nicht gewinn-
orientiert arbeitete, wären bei identischen Haftungssummen geringere
Prämien für die Leistungserbringerinnen und -erbringer möglich.

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e) Durch eine zentrale Stelle, zum Beispiel einen Patientenbeauftragten des
Deutschen Bundestages (siehe Nummer 6), ist ein Gutachterpool aufzu-
bauen. Die Sachkunde und die Unabhängigkeit der Gutachterinnen und
Gutachter sind durch verbindliche Vorgaben sicherzustellen und zu über-
prüfen. Die Gutachten haben gesetzlich festzulegenden Mindestanforde-
rungen zu genügen, die von der zentralen Stelle zu spezifizieren sind. Sie
sind in angemessener Zeit anzufertigen, um die Prozessdauer zu verkür-
zen. Damit Privatgutachten für alle Prozessparteien bezahlbar sind, sind
angemessene Höchstentgelte für Gutachten in einer Honorarordnung zu
regeln. Es sind geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der Zahl der Gutach-
terinnen und Gutachter zu ergreifen.

f) Außergerichtliche Einigungsmöglichkeiten sind zu stärken. Beide Par-
teien haben das Recht auf ein Schiedsverfahren bei einer Gutachterkom-
mission bzw. Schlichtungsstelle der Ärztekammern. Diese sind unabhän-
gig auszugestalten und das Prinzip der Waffengleichheit ist analog den
Vorgaben bei Gerichtsprozessen herzustellen. Für hinzugezogene Gutach-
terinnen und Gutachter sind die Vorgaben nach Nummer 5e anzuwenden.
Patientenvertreter und -vertreterinnen sind an den Verfahren und Entschei-
dungen zu beteiligen. Die Qualität der Gutachterkommissionen und
Schlichtungsstellen ist bundeseinheitlich zu sichern. Längerfristig sind die
Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen an Stellen zu etablieren,
die auch strukturell unparteiisch sind.

6. Patientenvertretung und kollektive Beteiligungsrechte

Patientinnen und Patienten haben das Recht, sich an der Entwicklung von Ge-
sundheitsdienstleistungen und deren Qualitätssicherung zu beteiligen. Da es
sich um ein gesamtgesellschaftliches Interesse handelt, ist den maßgeblichen
Patientenorganisationen mit Mitteln des Bundes diese Beteiligung zu ermög-
lichen. Kurzfristig ist Patientenvertreterinnen und -vertretern im G-BA ein
Stimmrecht in Verfahrensfragen einzuräumen. Dafür ist die Stabsstelle Patien-
tenbeteiligung beim G-BA finanziell und personell aufzuwerten. Dies ist auch
eine unabdingbare Voraussetzung für das perspektivisch zu fordernde Stimm-
recht von Patientenvertreterinnen und -vertretern in Sachfragen im G-BA.

Patientenvertreterinnen und -vertreter sind angemessen an den Entscheidun-
gen von Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen sowie auf Bundes-
und Landesebene zu beteiligen. Es sind regelmäßig unabhängige Patienten-
fürsprecherinnen und -fürsprecher in Krankenhäusern einzuführen.

Ein neu zu schaffendes Amt einer oder eines Patientenbeauftragten des
Bundestages soll als Beschwerde- und Auskunftsstelle für Patientinnen und
Patienten dienen. Er bzw. sie ist für die Auswertung der Daten des Risiko-
managementsystems nach Nummer 1 zuständig. Er bzw. sie fungiert in den
Debatten im Deutschen Bundestag explizit als Anwalt der Patientinnen und
Patienten und hat dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über seine
bzw. ihre Arbeit und Erkenntnisse auf dem Gebiet der Patientenrechte und
-beteiligung vorzulegen. Das Amt des Patientenbeauftragten des Deutschen
Bundestages löst das des Patientenbeauftragten der Bundesregierung ab.

Berlin, den 6. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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