BT-Drucksache 17/6340

Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten - Umgang mit Gefangenen in palästinensischen Gefängnissen verändern

Vom 29. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6340
17. Wahlperiode 29. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Stefan Liebich, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm,
Steffen Bockhahn, Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann,
Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Barbara Höll, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Katja Kipping, Jan Korte, Caren Lay, Michael Leutert, Petra Pau, Jens Petermann,
Richard Pitterle, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten – Umgang mit Gefangenen
in palästinensischen Gefängnissen verändern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Situation in Gefängnissen unter Autorität der im Rahmen des Oslo-Prozesses
errichteten palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) unter Führung der Fatah
in der Westbank sowie in Gefängnissen unter der Autorität der Hamas in Gaza
ist mit rechtsstaatlichen und Menschenrechtsprinzipien nicht zu vereinbaren.

Die palästinensische Unabhängige Kommission für Menschenrechte (ICHR)
registrierte im Jahr 2009 insgesamt 3 442 Beschwerden über Menschenrechts-
verletzungen und Bürgerrechtseinschränkungen durch Sicherheitskräfte. 2 449
davon entfielen auf die Gebiete der Westbank und 993 auf den Gazastreifen. Die
Beschwerden betreffen willkürliche Verhaftungen, politisch motivierte Verhaf-
tungen, Verhaftungen ohne Haftbefehl sowie längere Inhaftierung als rechtlich
(24 bzw. 48 Stunden unmittelbar nach Verhaftung) zulässig. Darüber hinaus er-
folgten in der Haft Misshandlungen in Form von psychischer und physischer
Gewaltanwendung. Entsprechenden Vorwürfen wird nur selten nachgegangen.
Mehrere Todesfälle von Gefangenen in Gefängnissen sowohl der Westbank als
auch des Gazastreifens sind ungeklärt. Der Druck der Hamas auf PNA-loyales
Justizpersonal in Behörden des Gazastreifens wie auch die Anweisung von Prä-
sident Mahmud Abbas, trotz Bezahlung durch die Autonomiebehörde nicht an
solchen Stellen zu arbeiten, führte seit den innerpalästinensischen Konflikten
2007 zur Ersetzung durch nicht ausreichend qualifiziertes Personal und in der
Folge zu anhaltend wirkenden Defiziten bei juristischen Verfahren.

Nach dem Amnesty International Report 2010 halten die Menschenrechtsverlet-
zungen bis heute an. Auch dort wird auf willkürliche Verhaftungen, ein nur sehr

eingeschränkt funktionierendes Justizwesen in der Westbank und im Gazastrei-
fen, auf Folter- und Misshandlungsvorwürfe in Gefängnissen und ungeklärte
Todesfälle in Gewahrsam der Sicherheitskräfte der Fatah-geführten Autonomie-
behörde (drei in 2009) und der Hamas (mindestens vier in 2009) hingewiesen.

Besonders besorgniserregend ist die Verurteilung von Inhaftierten zum Tode.
Unabhängig von der grundsätzlichen Ablehnung der Todesstrafe durch den
Deutschen Bundestag ist zusätzlich inakzeptabel, dass die Urteile oft auf

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Anklagen wegen Kollaboration oder Verrat beruhen. Nach einer Zeit, in der
keine Todesurteile von Gerichten der palästinensischen Gebiete vollstreckt
wurden, sind am 15. April 2010 die beiden Palästinenser Nasser Abu Freih und
Mohammed Ismail im Gazastreifen hingerichtet worden. Dafür lag nicht einmal
die nach palästinensischem Recht notwendige Zustimmung des Präsidenten vor.
Anfang Mai 2011 erfolgte wiederum eine Hinrichtung eines wegen „Kollabora-
tion mit Israel“ verurteilten Palästinensers im Gazastreifen.

Die schwierigen Rahmenbedingungen infolge der Besatzung können nicht als
Rechtfertigung für die andauernden Menschenrechtsverletzungen herangezogen
werden. Zu einem nachhaltigen Friedensprozess gehört auch die Sicherung
politischer Rechte durch palästinensische Behörden. Demokratische und rechts-
staatliche Standards sind für die innerpalästinensische Aussöhnung und eine
nachhaltige Entwicklung unabdingbar. Gerade mit Blick auf den jüngsten inner-
palästinensischen Versöhnungsversuch und auf die neuen Rahmenbedingungen
infolge der sozialen und demokratischen Umwälzungen im arabischen Raum
sowie dem damit wieder wachsenden Druck hin zu einer Lösung des Nahost-
konfliktes, zu einer Zweistaatenlösung mit einem politisch stabilen palästinen-
sischen Staat, ergeben sich auch aktuell Herausforderungen für die Einhaltung
von Menschenrechtsstandards innerhalb der palästinensischen Gesellschaft.

II. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Verantwortung tragenden palästi-
nensischen Politiker, dafür Sorge zu tragen, dass

– Menschen- und Bürgerrechte beachtet werden,

– keine willkürlichen oder politisch motivierten Verhaftungen erfolgen,

– keine Todesurteile mehr gefällt und vollstreckt bzw. verhängte Todesurteile
in Haftstrafen umgewandelt werden,

– Gefangene gemäß internationalen Rechtsnormen nicht misshandelt und ge-
foltert (UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte; UN-Anti-Folterkon-
vention) werden und

– Sicherheitskräfte und Justizbehörden in die Lage versetzt werden, die ein-
schlägigen internationalen und palästinensischen Rechtsstandards für ordent-
liche Verfahrensabläufe und korrekte Behandlung von betroffenen Bürgerin-
nen und Bürgern zu kennen und einzuhalten.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in diesem Sinne
auf die palästinensischen Gesprächspartner einzuwirken.

Berlin, den 29. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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