BT-Drucksache 17/6305

Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts - Mehr Transparenz und Verantwortung für das Gemeinwohl

Vom 29. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6305
17. Wahlperiode 29. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Herbert Behrens, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Diana Golze, Katja Kipping, Jutta
Krellmann, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Yvonne Ploetz, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts – Mehr Transparenz
und Verantwortung für das Gemeinwohl

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In der Bevölkerung besteht immer weniger Vertrauen gegenüber der Politik und
den Abgeordneten. Die Wahlbeteiligung stagniert auf niedrigem Niveau. Immer
mehr Menschen haben den Eindruck, dass in der parlamentarischen Demokratie
ihre Interessen nur während des Wahlkampfes ernst genommen werden.

Das Bild der Abgeordneten in der Öffentlichkeit ist zudem bestimmt von dem
Vorwurf der Selbstbedienungsmentalität und der Orientierung an durchset-
zungsstarken wirtschaftlichen Einzelinteressen anstatt am Wohl der Allgemein-
heit. Die Bürgerinnen und Bürger wenden sich enttäuscht von der Politik ab
und versuchen auf anderen Wegen ihre Interessen wahrzunehmen.

1. Gegen das verbreitete Misstrauen helfen nur konsequente Offenheit und die
Bekämpfung jedweder Interessenkonflikte und Korruption schon im Ansatz:

– Die Unzulässigkeit solcher Nebentätigkeiten, die mit der Stellung und der
Tätigkeit als Abgeordnete unvereinbar sind, muss geregelt werden. Dies
betrifft insbesondere die bezahlte Tätigkeit als Verbandsvertreter von
Lobby- bzw. Interessenverbänden.

– Ein wichtiger Schritt für mehr Transparenz besteht in der Veröffent-
lichung der Nebeneinkünfte der Abgeordneten in ihrer jeweiligen ge-
nauen Höhe ab einer Mindestgrenze – unter Beachtung der Grundrechte
der Abgeordneten und Dritter.

– Ein grundsätzliches Verbot von Spenden an Abgeordnete und ggf.
Bundestagskandidatinnen bzw. -kandidaten ist zu regeln. Dies hat auch
die Gruppe der Staaten gegen Korruption GRECO, der die Bundes-
republik Deutschland angehört, in ihrem letzten Evaluierungsbericht vom
4. Dezember 2009 gefordert.
– Ein verpflichtendes, sanktionsbewehrtes Lobbyistenregister und die
Erweiterung der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung sind dringend
erforderlich.

– Darüber hinaus sollte das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs
abgeschafft werden.

Drucksache 17/6305 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Die Abgeordnetenentschädigung und -versorgung müssen dringend refor-
miert werden:

– Die Einbeziehung der Mitglieder des Bundestages in die allgemeinen so-
zialen Sicherungssysteme ab der 18. Legislaturperiode muss verfassungs-
konform geregelt werden und soll (mit den entsprechenden Übergangs-
regelungen) die zweckgleichen bestehenden Ansprüche im Abgeordne-
tengesetz ersetzen. Dass die Abgeordneten im Gegensatz zur Mehrheit
der Wählerinnen und Wähler keinen Eigenbeitrag zu ihrer sozialen Ab-
sicherung, insbesondere der Altersentschädigung leisten, kann nach dem
demokratischen und sozialstaatlichen Grundverständnis des Bundestages
nicht länger hingenommen werden. Die Aufnahme der Mitglieder des
Bundestages in die gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeits-
losenversicherung würde zur solidarischen Finanzierung und zur Stär-
kung der sozialen Sicherungssysteme beitragen. Darüber hinaus sichert
die Arbeitslosenversicherung im Gegensatz zur Regelung des Über-
gangsgeldes nicht nur die finanziellen, sondern auch die erforderlichen
betreuenden und vermittelnden Unterstützungsleistungen.

– Der Orientierungsmaßstab der monatlichen Abgeordnetenentschädigung
ist kritisch zu überprüfen. Die Entwicklung des monatlichen Durch-
schnittslohns sollte als ein Anpassungskriterium für die Diäten erwogen
werden.

– Die Abgeltung der durch das Mandat veranlassten Aufwendungen der
Mitglieder des Bundestages sollte zukünftig in einer anderen Form er-
folgen. Zwar ist die bisherige Form der steuerfreien monatlichen Kosten-
pauschale verfassungskonform. Eine Abrechnungslösung trüge aber
beispielsweise zum Abbau unnötiger Privilegien bei (vgl. hierzu schon
Bundestagsdrucksache 12/5020, S. 11 f.). Einige Länder haben bereits
Verfahren für die Erstattung der Aufwendungen von Landtagsabgeordne-
ten geregelt, die weitere Ausgestaltungsmöglichkeiten ohne eine steuer-
freie Kostenpauschale aufzeigen.

II. Der Deutsche Bundestag respektiert, dass die gesetzlichen Regelungen zur
Änderung des Abgeordnetenrechts nach dem Willen des Grundgesetzes allein
durch die Mehrheit der Abgeordneten selbst – also durch die Betroffenen –
zu beschließen sind. Die Entscheidungen können jedoch durch eine unabhän-
gige Kommission befördert werden. Denn sie kann vorab die Problemstellun-
gen und gesellschaftlich diskutierten Lösungsansätze sachverständig prüfen
und bewerten.

III. Der Deutsche Bundestag setzt daher eine unabhängige Kommission zur
Befassung mit der Reform des Abgeordnetenrechts ein. Sie soll transparent und
öffentlich beraten und themenbezogene Vorschläge und Anregungen interes-
sierter Bürgerinnen und Bürger einbeziehen. Der Deutsche Bundestag bekundet
den Willen, noch in dieser Legislaturperiode die längst überfällige Reform der
Abgeordnetenentschädigung und -versorgung und Regeln für mehr Transparenz
auf den Weg zu bringen. Der Abschlussbericht der Kommission wird daher bis
Ende Juni 2012 erwartet.

IV. Die unabhängige Kommission setzt sich aus 17 Sachverständigen zusam-
men. Diese werden durch die Fraktionen einvernehmlich vorgeschlagen und
vom Präsidenten im Benehmen mit dem Ältestenrat berufen. Die Auswahl der
Sachverständigen sollte relevante gesellschaftliche Bereiche berücksichtigen
und fachliche Expertise bieten. Die Auswahl der Sachverständigen hat ge-
schlechterquotiert zu erfolgen – darauf ist bereits bei der Erstellung der Vor-

schlagsliste zu achten. Als Sachverständige berücksichtigt werden könnten bei-
spielsweise Vertreterinnen bzw. Vertreter von Arbeitslosen-, Sozial- und Wohl-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6305

fahrtsverbänden, Behindertenverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgebervereini-
gungen, des Bundes der Steuerzahler Deutschland e. V. und des Bundes der
Versicherten e. V. Die Kosten der Kommission, insbesondere diejenigen der
Geschäftsstelle, werden durch den Deutschen Bundestag übernommen.

Berlin, den 29. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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