BT-Drucksache 17/6150

Den Staat Palästina anerkennen

Vom 9. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6150
17. Wahlperiode 09. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Gregor Gysi, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Dr. Dagmar Enkelmann,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan
Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich,
Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Den Staat Palästina anerkennen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die gegen die Diktaturen gerichteten Demokratiebewegungen in vielen arabi-
schen Staaten sind von historischer Bedeutung. Nach jahrzehntelanger Unter-
drückung bestehen sie auf den Prinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie,
der Achtung der Menschenrechte und einem Leben in Würde. Für sie speist sich
die Legitimität der Regierenden fortan aus der Souveränität des Volkes. Ein
Erfolg der Demokratie auf Dauer wird aber nur dann möglich sein, wenn sich
Frieden und soziale Gerechtigkeit entfalten. Europa und Deutschland können
durch eine Politik, die Solidarität zum Maßstab hat, die sozialen und politischen
Veränderungen unterstützen und befördern.

Die Umbrüche in vielen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens können
durch internationale Solidarität den Prozess zur Lösung des Nahostkonflikts be-
fördern.

Noch wird der Bevölkerung in Palästina das Recht auf nationale Unabhängigkeit
verweigert.

Israelische Regierungspolitik fördert die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik
in der Westbank und erschwert die notwendige Teilung Jerusalems. Ein Aus-
gleich zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und der von der
Hamas geführten Regierung im Gazastreifen kann entgegen der Haltung der
israelischen Regierung zur Lösung des Nahostkonflikts beitragen.

Wie die Regierungen anderer EU-Mitgliedsländer hat auch die Bundesregierung
keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass der Frieden zwischen beiden
Völkern die Zwei-Staaten-Lösung voraussetzt. Über 100 Staaten haben sich
inzwischen für die Anerkennung eines palästinensischen Staates eingesetzt.
Diesem Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung müssen nun politische Entschei-

dungen folgen.

Es ist zu befürchten, je länger eine Regelung des israelisch-palästinensischen
Konflikts ausbleibt, desto vernehmlicher jene arabischen Stimmen werden, die
einen radikalen Kurswechsel gegenüber dem Staat Israel verlangen. Israel kann

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seine teilweise Isolierung in der Region weder mit militärischer Überlegenheit
noch mit politischen Verschleppungstaktiken überwinden. Frieden und Gerech-
tigkeit auf Dauer für Israel und Palästina setzt eine Zwei-Staaten-Lösung voraus.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

Um Israelis und Palästinensern ein Leben in Frieden, in politischer Unabhängig-
keit, in nationaler Sicherheit und wirtschaftlichem Wohlstand zu ermöglichen,
wird die Bundesregierung aufgefordert,

1. im UN-Sicherheitsrat und in der UN-Vollversammlung die Proklamation des
Staates Palästina auf der Grundlage der Grenzen von 1967 zu unterstützen
und für seine Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen einzutre-
ten;

2. den Bundespräsidenten zu veranlassen, den Staat Palästina mittels einer Note
anzuerkennen;

3. die Palästinensische Generaldelegation in Berlin und die deutsche Repräsen-
tanz in Ramallah diplomatisch aufzuwerten, wie dies unter anderen die
Regierungen Großbritanniens, Frankreichs, Spaniens und Norwegens getan
haben;

4. der Beschlusslage der Europäischen Union vom Dezember 2009 und den
Empfehlungen der European Former Leader Group zu folgen und Ost-Jeru-
salem als Teil des palästinensischen Staates anzuerkennen;

5. gegenüber der Regierung des Staates Israel unter Verweis auf die EU-Erklä-
rung vom 22. Februar 2011 darauf zu bestehen, dass der völkerrechtswidrige
Siedlungsbau nach internationalem Recht zu beenden ist und dass die paläs-
tinensischen Gebiete nicht länger als Teil der Innenpolitik betrachtet werden
dürfen. Von der Hamas ist die Anerkennung des Staates Israel einzufordern.
Die notwendige Verpflichtung der Palästinenser zum Gewaltverzicht ver-
langt auch einen Gewaltverzicht von Israel;

6. sich für eine auf Dauer angelegte Verständigung zwischen den Führungen in
der Westbank und im Gazastreifen mit der Perspektive freier Wahlen sowie
der Achtung international anerkannter rechtsstaatlicher Prinzipien einzuset-
zen. Die Vereinbarung vom 4. Mai 2011 in Kairo gründet auf der Abwägung
regionaler arabischer und internationaler Entwicklungen und trägt gleichzei-
tig den Rufen der palästinensischen Bevölkerung Rechnung, die politischen
und persönlichen Rivalitäten zu überwinden;

7. den dramatischen Zuspitzungen in den jüdisch-arabischen Beziehungen in
Israel mehr denn je ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Die EU-Erklärung
vom 22. Februar 2011 hat auf die Gefährdung von Demokratie, Frieden und
Menschenrechten in Israel hingewiesen. Auch an der Qualität der Beziehun-
gen zwischen Juden und Arabern in Israel entscheiden sich die Aussichten
auf eine friedliche Zukunft der israelischen und palästinensischen Bevölke-
rung;

8. alle Parteien in diesem Konflikt nachdrücklich zum Verzicht auf jegliche Ge-
waltanwendung bei der Durchsetzung politischer Ziele aufzufordern;

9. sich dafür einzusetzen, dass sich mit der Gründung des Staates Palästina
Israel und Palästina gegenseitig anerkennen und Verhandlungen für gegen-
seitig vorteilhafte Beziehungen aufnehmen.

In den kommenden Monaten muss die Nahostpolitik der Bundesregierung ernst-
haft daran mitwirken, dem Prozess bilateraler Verhandlungen zwischen der PLO
(Palestine Liberation Organization) und Israel neue Dynamik zu verleihen. Die

Gleichberechtigung der israelischen und palästinensischen Bevölkerung wird
zur Marginalisierung radikaler Kräfte in der gesamten Region beitragen. Die

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aktive Mitwirkung an der Herstellung des Friedens zwischen Israelis und Paläs-
tinensern ist kein Gunsterweis für die eine oder andere Partei, sondern liegt im
Interesse des Weltfriedens, aller Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten und
im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.

Berlin, den 9. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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