BT-Drucksache 17/6122

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -Drucksachen 17/5125, 17/6105- Entwurf eines Steuervereinfachungsgesetzes 2011

Vom 8. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6122
17. Wahlperiode 08. 06. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Lisa Paus, Fritz Kuhn, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
Dr. Gerhard Schick, Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, Brigitte Pothmer,
Maria Klein-Schmeink, Stephan Kühn, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/5125, 17/6105 –

Entwurf eines Steuervereinfachungsgesetzes 2011

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das deutsche Steuerrecht zeichnet sich durch eine hohe Komplexität aus, die
sich bei Bürgern, Unternehmen und der Finanzverwaltung in einem erheblichen
bürokratischen Aufwand bei der Gesetzesbefolgung bzw. -durchsetzung nieder-
schlägt. Mit dem Entwurf eines Steuervereinfachungsgesetzes 2011 wollte die
Bundesregierung diese Komplexität reduzieren und dadurch einen Beitrag zum
Bürokratieabbau leisten. Der Gesetzentwurf wird diesem Ziel insoweit gerecht,
als er bessere Regeln für den elektronischen Datenaustausch zwischen den Un-
ternehmen und der Finanzverwaltung schafft. Für weite Teile der Bevölkerung
aber auch der Unternehmen und der Finanzverwaltung bringt der Gesetzentwurf
dagegen keine Vereinfachung. Es werden im Gegenteil zum Teil neue bürokra-
tische Hürden errichtet. Darüber hinaus führen einzelne Änderungen zu einer
weiteren Abkehr vom Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
Obwohl der Gesetzentwurf zu keinen substantiellen Verbesserungen oder Ver-
einfachungen im Steuersystem führt, werden die öffentlichen Haushalte unnötig
mit rund 600 Mio. Euro belastet.

● Die vorgesehenen Änderungen bei der steuerlichen Veranlagung von Ehegat-
ten bringen keine wesentlichen Vereinfachungen. Indem die Bundesregie-
rung das Ehegattensplitting unverändert lässt, verpasst sie ihre Chance für
einen echten Vereinfachungsschritt.

● Der Gesetzentwurf formuliert Änderungen bei den Regeln für verbindliche
Auskünfte der Finanzämter, die aber weder für die Steuerpflichtigen noch die
Finanzverwaltung oder die Wirtschaft eine echte Vereinfachung bringen.

Stattdessen steigt für die Verwaltung der bürokratische Aufwand, während
dem lediglich eine geringfügige Kostenentlastung der Steuerpflichtigen ge-
genübersteht.

● Die Änderungen der steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten
stellen eine weitere unsystematische Entwicklung im Einkommensteuerrecht
dar. In immer mehr Familien sind beide Elternteile erwerbstätig. Die für Kin-
der anfallenden Betreuungskosten sind deshalb eindeutig durch diese Er-

Drucksache 17/6122 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

werbstätigkeit veranlasst und daher als Werbungskosten zu betrachten. Die
Vereinheitlichung als Sonderausgabe ist daher nicht sachgerecht.

● Seit der Einführung der Abgeltungsteuer gibt es für verschiedene Einkunfts-
arten unterschiedliche Einkommensteuertarife, welche das Steuerrecht durch
die Abkehr vom Leistungsfähigkeitsprinzip nicht nur ungerechter, sondern
auch komplizierter machen. Dies wird auch im Gesetzentwurf deutlich. Zu-
künftig werden Kapitaleinkünfte nicht mehr Grundlage für die Berechnung
der zumutbaren Belastung sein. Davon profitieren die oberen 10 Prozent der
Bevölkerung, deren Vermögen, aus Sparguthaben und Aktien, über 30 000
Euro beträgt und entsprechend hohe Kapitalerträge abwirft. Diese Personen
müssen zukünftig einen geringeren Teil ihres Einkommens für außergewöhn-
liche Belastungen aufwenden. Die Zeche zahlen alle anderen Steuerzahler.

● Mit den Änderungen der Hinzuverdienstregeln für in Ausbildung befindliche
Kinder öffnet der Gesetzentwurf ein weiteres Steuerschlupfloch. Kindergeld
und Kinderfreibetrag werden für unter 25-jährige Kinder unabhängig von der
Höhe des Einkommens der Kinder gewährt. Insbesondere für vermögende
Eltern lohnt es sich, Kapitaleinkünfte auf die Kinder zu übertragen. Es ist
unsolidarisch, wenn für ärmere Eltern, deren Kinder zur Finanzierung des
Lebensunterhalts mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten müssen, der
Kindergeldanspruch gestrichen wird.

● Für lediglich 1,6 Prozent der Steuerpflichtigen mindert sich durch die Anhe-
bung der Werbungskostenpauschale der bürokratische Aufwand. Für den ein-
zelnen Steuerzahler bedeutet dies höchsten drei Euro mehr im Monat. Dage-
gen werden die öffentlichen Haushalte unverhältnismäßig mit 330 Mio. Euro
belastet.

● Die geplante Möglichkeit zur Verlängerung der Abgabefrist der Einkommen-
steuererklärung führt zu einem Mehr an Bürokratie. Für die Finanzämter
ergibt sich mit der Zulässigkeitsprüfung ein weiterer Arbeitsschritt. Bereits
auf dieser Ebene müssen die Ämter steuerliche Sachverhalte bewerten. Das
erspart ihnen nicht die Prüfung von zwei Steuererklärungen im Folgejahr.
Wegen der engen Zulässigkeitsgrenzen kommt nur eine geringe Zahl Steuer-
pflichtiger in Betracht und für einen Großteil wäre die Inanspruchnahme die-
ser Regel nachteilig, da sie mit Steuererstattungen rechnen können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

● die gesetzlichen Voraussetzungen für eine strafbewerte Anzeigepflicht von
Steuergestaltungsmodellen bezogen auf alle Steuerarten bei der Finanzver-
waltung zu schaffen. Das Bundeszentralamt für Steuern ist verpflichtet, diese
Modelle zu bewerten und ihre Bewertung zu veröffentlichen. Gleichzeitig
sollen alle registrierten Steuergestaltungen an die elektronische OECD-
Datenbank (OECD = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung) gemeldet werden. Zusammengenommen steigert dies die
Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen, während die Finanzverwaltung
rechtzeitig Steuerausfälle vermeiden und Unternehmen über die voraussicht-
liche Art der Bescheidung informieren kann. Dies bildet ein beachtliches Ver-
einfachungspotential für Unternehmen, die Finanzverwaltung und die Finanz-
gerichtsbarkeit;

● das Einkommensteuerrecht im Hinblick auf das Ehegattensplitting zu verein-
fachen. Ehegatten sollen zukünftig individuell besteuert werden. Wechselsei-
tigen Unterhaltsverpflichtungen soll dagegen durch einen übertragbaren
Grundfreibetrag Rechnung getragen werden;

● die Systematik des Einkommensteuerrechts nicht in der Art zu durchbrechen,

dass erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten nicht mehr als Werbungs-
kosten steuerlich abzugsfähig sind;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6122

● bei Änderungen der Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld und
Kinderfreibetrag in Ausbildung befindlicher Kinder auch die Höhe des Ein-
kommens der Kinder zu berücksichtigen und dies in eine Reform der Ausbil-
dungsfinanzierung insgesamt einzubetten;

● auf die im Gesetzentwurf vorgesehene Verlängerung der Abgabefrist (zwei-
jährige Steuererklärung) und Anhebung der Werbungskostenpauschale zu
verzichten und beispielsweise im Gegenzug mit den eingesparten Mitteln die
Situation Behinderter zu verbessern;

● die Umsatzgrenze von 500 000 Euro für die Ist-Besteuerung bei der Umsatz-
steuer über 2011 hinaus zu verlängern.

Berlin, den 7. Juni 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Für die deutschen Finanzbehörden gestaltet sich der Kampf gegen Steuerspar-
modelle derzeit sehr schwierig, da § 42 der Abgabenordnung (AO) steuernspa-
rende Gestaltungen zwar im Allgemeinen untersagt, die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs den Gesetzesvollzug im Speziellen jedoch beschränkt. Die
Einführung einer gesetzlichen Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle
könnte hier für mehr Rechtssicherheit sorgen. Dies zeigen die Erfahrungen in
Ländern wie den USA, Kanada oder Großbritannien, in denen es eine solche
Pflicht gibt. Auch das Bundesministerium der Finanzen stellte bereits am
17. April 2007 in seinem Bericht an den Finanzausschuss des Deutschen Bun-
destages fest, dass es notwendig ist, „den deutschen Steuerbehörden durch eine
Anzeigepflicht, insbesondere der Vermarkter von Steuergestaltungen, frühzei-
tige Erkenntnismöglichkeiten zu geben, um ihrer Aufgabe der gleichmäßigen
Besteuerung gerecht zu werden und den Gesetzgeber in die Lage zu versetzen,
auf Entwicklungen am Markt zeitnah zu reagieren.“ Die Anzeigepflicht entlastet
Nachfrager von Steuergestaltungsmodellen, da ihnen längere rechtliche Aus-
einandersetzungen mit der Finanzverwaltung erspart bleiben würden. Für die
Finanzverwaltung hätte dies den Vorteil, frühzeitig auf Gestaltungen reagieren
zu können. Dadurch würden Steuerausfälle vermieden und Unternehmen könn-
ten über die voraussichtliche Handhabung der Steuergestaltungsmodelle infor-
miert werden. Insgesamt bietet sich hier ein beachtliches Vereinfachungspoten-
tial für Unternehmen, die Finanzverwaltung und die Finanzgerichtsbarkeit.

Die Durchbrechung der Individualbesteuerung durch das Ehegattensplitting
kann heute nicht mehr in der Weise begründet werden, wie dies bei dessen Ein-
führung im Jahr 1958 der Fall war. Während die Erwerbsneigung von Frauen
seither deutlich gestiegen ist, setzt das Ehegattensplitting weiterhin Anreize für
die Alleinverdienerehe. Dies ist teuer, bürokratisch und benachteiligt tendenziell
Frauen. Eine Reform des Ehegattensplittings und die Einführung einer Indivi-
dualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag ist unabdingbar und wäre
ein echter Vereinfachungsschritt. Die dadurch zur Verfügung stehenden Mehr-
einahmen können in den Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur und für die
Einführung einer Kindergrundsicherung eingesetzt werden, was Familien ent-
lasten würde.

Mit der Einführung der Abgeltungsteuer wurde die Besteuerung nach Leistungs-

fähigkeit im deutschen Einkommensteuerrecht aufgeweicht. Bezieher zumeist
arbeitsfreier Kapitaleinkünfte müssen heute einen geringeren Anteil ihrer Ein-

Drucksache 17/6122 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
künfte zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben einsetzen als viele abhängig
Beschäftigte. Die nun vorgesehene Herausnahme der Kapitaleinkünfte aus der
Berechnung der zumutbaren Belastung ist nicht nur hierfür ein Beweis, sondern
sie zeigt, dass die Schedulisierung des Einkommensteuerrechts erhebliche
Probleme bei der Trennung der Einkunftsarten zur Folge hat. Die Aufhebung
dieser Trennungen im Einkommensteuerrecht wäre ein Beitrag zur Steuerver-
einfachung und zu mehr Steuergerechtigkeit.

Ebenfalls aus Gründen der Steuersystematik und -gerechtigkeit müssen er-
werbsbedingte Ausgaben weiterhin als Werbungskosten steuermindernd von
den Einkünften abgesetzt werden können. Dies gilt auch für die Kinderbe-
treuungskosten. Dem steht die geplante einheitliche Absetzbarkeit von Kinder-
betreuungskosten als Sonderausgaben entgegen. Diese Regel wird insbesondere
zur Schlechterstellung erwerbstätiger Alleinerziehender führen. Gerade diese
Personengruppe profitierte von der Möglichkeit, durch Kinderbetreuungskosten
entstandene Verluste mit positiven Einkünften späterer Jahre verrechnen zu kön-
nen.

Der Kinderfreibetrag und das Kindergeld gleichen Mehrbelastungen aus, die
Eltern für den Unterhalt sowie Betreuung, Ausbildung und Erziehung eines
Kindes entstehen. Verfügt das Kind dagegen über eigene Einkünfte, so entfällt
diese Begründung. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Einkünfte handelt, die
über dem steuerlichen Grundfreibetrag liegen. Doch nicht die Höhe des Einkom-
mens in Ausbildung befindlicher Kinder ist zukünftig der Maßstab dafür, ob
Mehrbelastungen durch den Kinderfreibetrag und das Kindergeld ausgeglichen
werden, sondern der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit. Eine solche Rege-
lung ist nicht sachgerecht, sie weicht erheblich vom Grundsatz der Leistungsge-
rechtigkeit ab. Statt auf den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit abzustellen,
die gestaltungsanfällig und in Einzelfällen nicht zu prüfen sein wird, müssen wie
bisher auch die Einkünfte der Kinder Grundlage für die Gewährung von Kinder-
geld und Kinderfreibetrag sein. Da es hier jedoch um die Finanzierung in Aus-
bildung befindlicher Kinder geht, müssen diese Regeln mit einer Reform der
Ausbildungsfinanzierung verzahnt werden.

Ein erheblicher Teil der durch die Anhebung der Werbungskostenpauschale ent-
stehenden Kosten ist auf Mitnahmeeffekte zurückzuführen. Deutlich wirkungs-
voller wäre es, dieses Geld gezielt zur Entlastung Bedürftiger einzusetzen. Dies
gilt beispielsweise für behinderte Menschen, deren Pauschbeträge seit 1975
nicht erhöht wurden.

Während von den Vorschlägen im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein
Steuervereinfachungsgesetz 2011 oft nur wenige Bürger oder Unternehmen pro-
fitieren, wäre die Beibehaltung der 500 000-Euro-Umsatzgrenze bei der Ist-
Besteuerung im Bereich der Umsatzsteuer eine erhebliche Entlastung für die
mittelständische Wirtschaft. Dadurch werden einerseits gerade kleine Unter-
nehmen vor teilweise existenzbedrohenden Liquiditätsengpässen bewahrt.
Gleichzeitig führt diese Maßnahme nicht zu dauerhaften Steuerausfällen, da sich
nur der Zeitpunkt der Umsatzsteuerzahlung verschiebt.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.