BT-Drucksache 17/6108

DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen - Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern

Vom 8. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6108
17. Wahlperiode 08. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Wolfgang Wieland,
Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Stephan Kühn,
Markus Kurth, Monika Lazar, Dr. Konstantin von Notz, Brigitte Pothmer,
Elisabeth Scharfenberg und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen –
Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Erwerbsbiografien von Übersiedlern und Flüchtlingen aus der DDR, die in
der Bundesrepublik Deutschland lebten, wurden rentenversicherungsrechtlich
nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bewertet und damit jenen originärer Bun-
desbürger gleichgestellt: Den Betroffenen wurde eine fiktive westdeutsche
Erwerbsbiografie zugeordnet, die sich an der ehemals ausgeübten beruflichen
Tätigkeit in der DDR orientierte. Die Zuordnung der FRG-gestützten fiktiven
Erwerbsbiografie bedeutete die Zuordnung einer bestimmten „Rangstelle“
(Entgeltpunkte) im System der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit dem Ren-
ten-Überleitungsgesetz (RÜG) wurden die in den Rentenkonten der eingeglie-
derten Übersiedler und Flüchtlinge enthaltenen Daten nach den Kriterien der
Rentenüberleitung neu bewertet, was sehr oft mit einer deutlichen Rentenmin-
derung verknüpft ist.

Die Transformation der DDR-Erwerbsbiografien der Übersiedler und Flücht-
linge im Zuge ihrer individuellen Eingliederung waren Rechtsakte, auf deren
Bestand sich die Betroffenen verlassen haben. Schließlich waren mit der Aber-
kennung bzw. Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft alle Verbindlichkei-
ten gegenüber der DDR gelöscht, auch die gegenüber der DDR-Sozialversiche-
rung. Mit dem RÜG erhielten die Übersiedler, die bis zum 18. Mai 1990 in die
Bundesrepublik Deutschland kamen und nicht unter die Vertrauensschutzrege-
lung fallen, zwar wieder Ansprüche aus der Sozialversicherung der DDR, diese
können aber zumeist die finanziellen Verluste bei der Rente durch die Neube-
wertung nicht ausgleichen.

Aus der Gesetzesbegründung zum RÜG (Bundestagsdrucksache 12/405) geht
hervor, dass die Bewertung von rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet
nach dem Fremdrentenrecht ihre Berechtigung verloren hat und für die Renten-

berechnung künftig die tatsächlichen individuellen Entgelte maßgebend sein
sollen. Nicht enthalten ist die Absicht einer Neubewertung der bereits transfor-
mierten rentenrechtlichen Zeiten der eingegliederten Übersiedler und Flücht-
linge aus der DDR.

Im Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 war festgelegt worden, dass ab diesem
Stichtag keine Eingliederungsverfahren mehr stattfinden sollten. Entsprechend
der Forderung des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 verabschiedete der

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Deutsche Bundestag am 21. Juni 1991 (verkündet am 25. Juli 1991) das Renten-
Überleitungsgesetz, mit dem die Renten und Rentenanwartschaften der Ver-
sicherten des Beitrittsgebietes in die gesetzliche Rentenversicherung der Bun-
desrepublik Deutschland überführt werden sollten. Für Übersiedler, die bis 1995
eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung beantragten, galten aus Vertrau-
ensschutzgründen nach § 259a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI)
in der Fassung des RÜG weiterhin die Tabellenentgelte nach den Anlagen 1
bis 16 des FRG. Mit dem Rentenüberleitungsgesetz-Ergänzungsgesetz vom
24. Juni 1993 wurde die Vertrauensschutzregelung abgeändert, in dem diese nun
für die rentennahen Jahrgänge bis einschließlich 1936 galt.

Bestandsübersiedler und Flüchtlinge der Jahrgänge ab 1937 sind damit renten-
rechtlich zumeist schlechter gestellt. Diese Schlechterstellung darf nicht mehr
hingenommen werden, auch wenn die rechtlichen Regelungen vor der Ge-
richtsbarkeit standhalten. Denn aus den Unterlagen zur Gesetzgebung zum
RÜG geht zumindest nicht hervor, ob die sich durch die Ablösung des FRG für
Übersiedler ergebenden Folgen absehbar und gewollt waren.

Bestandsübersiedler und Flüchtlinge, deren Anwartschaften zunächst nach dem
FRG berechnet werden sollten (erteilte Feststellungsbescheide im Eingliede-
rungsverfahren durch die Rentenversicherungsträger), konnten darauf ver-
trauen, dass ihre Eingliederung in das westdeutsche Rentenrecht auch nach der
Wiedervereinigung Bestand haben würde. Genau hier liegt die Möglichkeit für
eine Abgrenzung zu jenen DDR-Übersiedlern, die nach dem Mauerfall über-
siedelten. Wohnortswechsel waren nunmehr möglich und nicht mehr mit dem
Abbruch aller (rentenversicherungsrechtlichen) Rechte und Pflichten verbun-
den. Daraus lässt sich auch die Berechtigung für eine Ausnahmeregelung für
DDR-Flüchtlinge ableiten, die vor dem Mauerfall ausreisten.

Das RÜG sowie die Ablösung des FRG wird von der Gerichtsbarkeit nicht be-
anstandet. Dennoch ist zweifelhaft, ob die Regelungen zur Rentenüberleitung
tatsächlich auf Bestandsübersiedler anzuwenden sind: Es sollte sichergestellt
werden, dass diejenigen, die nach Schließung des Staatsvertrages am 18. Mai
1990 in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz nahmen, keine Renten
nach dem FRG beantragen konnten. Diese Regelung ist grundsätzlich nicht in
Frage zu stellen. Eine Ausnahme ist jedoch für jene Versicherten vorzusehen,
die vor dem Mauerfall aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland umsie-
delten, die Voraussetzungen für den geltenden Vertrauensschutz aber nicht
erfüllen, weil sie nach 1936 geboren sind. Sie dürfen rentenrechtlich nicht unter
das RÜG fallen. Die Ergänzung des bestehenden Vertrauensschutzes ist daher
notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

eine Regelung für Bestandsübersiedler zu schaffen, die vor dem Mauerfall
ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatten. Die Bundesregie-
rung hat dabei die Möglichkeiten für die konkrete Ausgestaltung der Aus-
nahmeregelung nach folgenden Maßgaben zu prüfen:

A. Grundlage der Regelung – Stichtag Mauerfall

– Es ist zu gewährleisten, dass die Rentenansprüche von Altübersiedlern, die
nach dem 31. Dezember 1936 geboren und bis zum Fall der Mauer am
9. November 1989 in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind,
nach den Tabellenwerten 1 bis 16 des FRG zu bewerten sind. Die beste-
hende Vertrauensschutzregelung nach § 259a SGB VI bleibt bestehen, muss
aber entsprechend ergänzt werden. Die neue Regelung soll dem Flüchtlings-

bzw. Übersiedlerstatus Rechnung tragen. Damit genießen auch jene Über-
siedler Vertrauensschutz, die tatsächlich noch nicht mit der Auflösung der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6108

DDR und der Wiedervereinigung rechnen konnten. Diese Gruppe vertraute
auf die Möglichkeit einer völligen gesellschaftlichen Eingliederung in die
Bundesrepublik Deutschland mit allen Konsequenzen.

– Ausreisezeitpunkt als Nachweis (Entlassungsurkunde der DDR, Aufnahme-
bescheid eines Notaufnahmelagers der Bundesrepublik Deutschland)

Die hohen finanziellen Verluste in der gesetzlichen Rente erklären sich nicht
allein aus der vorgenommenen Neubewertung nach dem RÜG, sondern sind
schon im Flüchtlings- bzw. Übersiedlerstatus angelegt: So konnten im Ge-
gensatz zu den in der DDR verbliebenen Bürgerinnen und Bürger die Über-
siedler nicht damit rechnen, dass ihre in der DDR erworbenen Renten-
ansprüche einschließlich einer möglichen höheren Versicherung des Ein-
kommens durch die FZR (Freiwillige Zusatzrentenversicherung) erfüllt wür-
den. Ihre Ansprüche gegenüber der DDR-Sozialversicherung gingen mit der
Flucht bzw. mit der Übersiedlung verloren. Daher verzichteten viele Über-
siedler auch auf Beiträge zur FZR, was sich heute wegen des fehlenden Ver-
trauensschutzes im FRG nachteilig auswirkt.

Außerdem war nach dem vor dem Beitritt der DDR geltenden rentenrecht-
lichen Rahmen sichergestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland die ein-
gezahlten Beiträge zur FZR nicht berücksichtigen würde – es galt schließ-
lich das FRG, das eine Anerkennung der Beiträge zur FZR ausdrücklich aus-
schließt.

B. Fremdrentengesetz oder Renten-Überleitungsgesetz – Vergleichsberechnung

Nach Ausführungen des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages kann
die Minderung der Rente bis zu 250 Euro betragen. Damit aber keine Schlech-
terstellung durch die Ausnahmeregelung erfolgt, muss auf Antrag eine Ver-
gleichsberechnung erfolgen. Zu empfehlen ist außerdem ein Stichtag, bis zu
dem ein Antrag auf Vergleichsberechnung erfolgen muss. Damit ist auch der
Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten: Nur die Versicherten, die un-
ter die Ausnahmeregelung fallen und einen Antrag auf Neuberechnung bzw.
eine Vergleichsberechnung bis zum Stichtag stellen, „produzieren“ einen Mehr-
aufwand für die Verwaltung.

– Weil sich die Anwendung der FRG-Tabellenentgelte auch ungünstig auf den
individuellen Rentenanspruch auswirken kann, müsste eine gesetzliche Neu-
regelung – vergleichbar der Regelung des § 309 SGB VI – eine Neufeststel-
lung der Renten auf Antrag vorsehen.

– Um Versicherten wie auch Rentenversicherungsträgern einen verbindlichen
Rahmen zu geben, ist für die Beantragung ein Stichtag festzulegen, bis zu
dem Anträge eingereicht werden können. Die Betroffenen sind über diese
Möglichkeit hinreichend zu informieren.

Berlin, den 7. Juni 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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