BT-Drucksache 17/6097

Keine Erdgasförderung auf Kosten des Trinkwassers - Fracking bei der Erdgasförderung verbieten

Vom 8. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6097
17. Wahlperiode 08. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Johanna Voß, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter,
Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm,
Heidrun Dittrich, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch, Ralph Lenkert,
Ulla Lötzer, Dorothee Menzner, Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Michael
Schlecht, Sabine Stüber, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Erdgasförderung auf Kosten des Trinkwassers – Fracking bei der
Erdgasförderung verbieten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland hat ein Wettlauf um neue Erdgasquellen begonnen. Große
Energiekonzerne wie Exxon Mobil Corporation, Wintershall Holding GmbH
und BNK Petroleum Inc. haben seit dem Sommer 2010 große Landstriche ab-
gesteckt, um dort die Förderung von sogenanntem unkonventionellen Erdgas zu
beantragen. Kohleflözgas, Schiefergas und Tight Gas sind im Gegensatz zu kon-
ventionellem Erdgas im Gestein eingeschlossen und können daher nur mit Hilfe
des aufwändigen Verfahrens des Hydraulic Fracturings, kurz Fracking, gefördert
werden. Beim Hydraulic Fracturing wird eine mit Chemikalien versetzte Flüs-
sigkeit mit hohem Druck in die Tiefe gepumpt, um das gastragende Gestein auf-
zubrechen. Die Frac-Flüssigkeit verbleibt zu einem Teil in der Tiefe, ein anderer
Teil wird wieder nach oben befördert und muss gelagert werden.

Die Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten mit Hilfe von
Fracking ist mit hohen Risiken für die Bevölkerung und die Umwelt, insbeson-
dere das Trinkwasser, verbunden. Gefahren gehen vor allem von der Frac-
Flüssigkeit aus, die in sehr großen Mengen anfällt. Dem Frac-Wasser werden
Chemikalien beigemischt, deren genaue Zusammensetzung die ausführenden
Unternehmen zumeist nicht bekannt geben. Allerdings hat sich an vielen Stel-
len gezeigt, dass das Frac-Wasser Chemikalien enthält, die das Grundwasser
irreversibel verschmutzen können. Darüber hinaus können im Rahmen der Erd-
gasförderung – gleich ob konventionell oder unkonventionell – radioaktive
Substanzen über das Lagerstättenwasser in das Grund- und Oberflächenwasser
gelangen.

In den USA, wo unkonventionelles Erdgas bereits großflächig gefördert wird,

kam es durch Fracking bereits zu Unfällen wie der Kontamination des Trink-
wassers, zu Explosionen und Erdstößen. Auch in Deutschland fürchten viele
Anwohnerinnen und Anwohner sowie Betreiber von Wasserwerken um das
Trinkwasser und protestieren daher gegen geplante Erdgasbohrungen mit Frac-
Verfahren. Der bestehende Rechtsrahmen ist unzureichend, um umfassende
Beteiligungsrechte sicherzustellen und die Belange der Betroffenen und der
Umwelt angemessen zu berücksichtigen.

Drucksache 17/6097 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dafür Sorge zu tragen, dass bei der Erdgasförderung in Deutschland Risiken
für Menschen und Umwelt, insbesondere eine Kontamination des Grund-
und Oberflächenwassers, vollständig ausgeschlossen werden können und
die Fördermethode des Hydraulic Fracturing deshalb zu verbieten und hier-
für einen Gesetzentwurf vorzulegen;

2. Maßnahmen zu ergreifen, um die umweltschädliche Förderung von Erdgas
überflüssig zu machen. Dazu ist eine verstärkte Förderung der erneuerbaren
Energien ebenso erforderlich wie weitere Maßnahmen zur Einsparung und
Effizienzsteigerung bei der Nutzung von Erdgas, insbesondere durch die
energetische Gebäudesanierung;

3. einen Gesetzentwurf zur grundlegenden Änderung des Bundesberggesetzes
vorzulegen, der die Erkundung und Förderung von Erdgas nur dann zulässt,
wenn der positive Nachweis erbracht ist, dass schädliche Auswirkungen auf
Umwelt und Menschen ausgeschlossen werden können. Dies gilt für kon-
ventionelles Erdgas ebenso wie für unkonventionelles Erdgas, falls eine Er-
kundung und Förderung ohne Hydraulic Fracturing zukünftig möglich wird.
Zudem müssen die Beteiligungsrechte der betroffenen Privatpersonen, Trä-
ger öffentlicher Belange und der zuständigen Behörden ausgebaut werden.
Dazu bedarf es

a) umfassender Beteiligungspflichten für alle Erkundungs- und Fördervor-
haben. Die bisherige Verordnung zur Durchführung einer Umweltver-
träglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben (UVP) für den Bergbau ist
völlig unzureichend, da die Schwellenwerte zu hoch angesetzt sind. Das
Mindestfördervolumen für die UVP-Pflicht muss gestrichen werden, da-
mit eine UVP-Pflicht für alle Vorhaben besteht,

b) klarer und verschärfter Zulassungsvoraussetzungen für eine Genehmi-
gung zur Erkundung und Förderung von Erdgas, die auch die Bereiche
Umweltschutz, Natur- und Landschaftsschutz sowie die Gesundheit um-
fassend berücksichtigen,

c) umfassender Klagemöglichkeiten für betroffene Privatpersonen und Um-
weltverbände;

4. dafür Sorge zu tragen, dass der Trinkwasserschutz bei der Erkundung und
Förderung von Erdgas uneingeschränkten Vorrang erhält. Dies gilt für kon-
ventionelles Erdgas ebenso wie für unkonventionelles Erdgas, falls eine Er-
kundung und Förderung ohne Hydraulic Fracturing zukünftig möglich wird.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass

a) die Beteiligung der Wasser- und Naturschutzbehörden in allen Phasen des
Genehmigungsverfahrens einschließlich der Vergabe von Bergbaube-
rechtigungen sichergestellt ist und eine Genehmigung nur dann erfolgt,
wenn sie der Stellungnahme der Wasser- und Naturschutzbehörden nicht
widerspricht,

b) ein Verbot der Einleitung giftiger Stoffe einschließlich CO2 im Rahmen
von Bergbauvorhaben umgesetzt wird,

c) eine Ausweisung bestimmter Gebiete (Wasserschutzgebiete, Wasserein-
zugsgebiete), in denen keine Förderung von Erdgas stattfinden darf, er-
möglicht wird,

d) radioaktive Stoffe oder andere hochgiftige Stoffe wie Arsen und Queck-
silber im Rahmen der Erdgasförderung nicht an die Oberfläche und in das
Grundwasser gelangen sowie sich nicht im Boden ablagern,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6097

e) eine umweltgerechte Entsorgung der zurückgewonnenen Lagerstätten-
flüssigkeit und – bei bereits durchgeführten Fracs – die umweltgerechte
Entsorgung des Frac-Wassers sichergestellt werden muss;

5. die wissenschaftliche Erforschung der Umweltauswirkungen bei der Förde-
rung von Erdgas zu unterstützen, indem sie

a) einen Gesetzentwurf vorlegt, durch den Unternehmen, die Erdgas fördern
oder fördern wollen, verpflichtet werden, finanzielle Mittel zur diesbezüg-
lichen Forschung für unabhängige Umweltforschungsinstitute bereitzu-
stellen. Die Auftragsvergabe darf dabei nicht in der Hand der beteiligten
Unternehmen liegen,

b) das Umweltbundesamt anweisen, die Erdgasförderung wissenschaftlich
zu begleiten,

c) einen Gesetzentwurf zur Anpassung des Bundeshaushalts vorlegt, damit
finanzielle Mittel aus dem Bundeshaushalt im Gegenzug nicht weiter für
Forschung verwendet werden, die allein dem Zweck dient, das Frac-Ver-
fahren in Deutschland zu befördern;

6. eine Pflicht zur Information der Öffentlichkeit durch die Unternehmen für
alle geplanten Erkundungen und Förderungen von Erdgas einzuführen.

Berlin, den 8. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Hohe Risiken für das Trinkwasser, zahlreiche belegte Unfälle

Im Rahmen der Erdgasförderung kann das Trinkwasser laut dem Bundesver-
band der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. Landesgruppe Nordrhein-Westfalen
(BDEW NRW) durch verschiedene Prozesse gefährdet werden: eine nicht aus-
reichende Abdichtung des Bohrlochs, Verunreinigungen mit Chemikalien und
Gasaustritte durch die künstliche Rissbildung beim Frac-Verfahren, Leitungs-
lecks für Frac- und Lagerstättenwasser sowie eine unsachgemäße Entsorgung
von Frac- und Lagerstättenwasser. In den USA wurde mit Hilfe von umfang-
reichen wissenschaftlichen Studien der Zusammenhang zwischen Trinkwasser-
verschmutzungen und Fracking belegt. Erst in jüngster Zeit, d. h. am 20. April
2011, kam es in Bradford County (Pennsylvania) im Rahmen eines Hydraulic
Fracturing zu einem sogenannten Blowout, bei dem zehntausende Liter giftige
Frac-Flüssigkeit austraten. Daraufhin wurden die anliegenden Bewohner auf-
gefordert, ihre Häuser zu verlassen. Darüber hinaus sind in den USA Fälle be-
legt, bei denen Fracking Explosionen und Erdstöße verursachte. Neben diesen
Gefahren ist eine hohe Flächeninanspruchnahme in jedem Fall eine Begleit-
erscheinung bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas, da mehr Förder-
flächen auf gleichem Raum erforderlich sind als bei der konventionellen Erdgas-
förderung.

Negative Klimabilanz von unkonventionellem Erdgas

Die Förderung von unkonventionellem Erdgas ist mit einem hohen technischen
und energetischen Aufwand und mit großen Umweltbelastungen verbunden.

Die Klimabilanz von unkonventionellem Erdgas ist daher laut einer wissen-

Drucksache 17/6097 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
schaftlichen Studie des Tyndall Centre for Climate Change Research negativ.
Eine Energiepolitik, die den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien
ebnet, erfordert daher drastische Einsparungen im Verbrauch von Erdgas sowie
eine Förderung erneuerbarer Energien. Erdgas als fossiler Energieträger wird
nur als Übergangsrohstoff auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien
mittelfristig weiter benötigt.

Beispiel nehmen an Moratorien

In den USA, aber auch in vielen anderen Ländern, haben breite Bürgerproteste
gegen geplante Fracking-Maßnahmen bereits dazu geführt, dass Moratorien
erlassen wurden. Auch in Deutschland haben sich in den betroffenen Gegenden
in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Anwohnerinnen und Anwohner zu
Bürgerinitiativen zusammengeschlossen. Die Proteste in Nordrhein-Westfalen
führten dazu, dass auch die nordrhein-westfälische Landesregierung vorschlug,
die laufenden Genehmigungsverfahren bis zum Jahresende 2011 auszusetzen.
Bis zu diesem Zeitpunkt soll eine Studie über die möglichen Umweltauswir-
kungen von Fracking vorliegen. Fracking ist allerdings nicht nur in Nordrhein-
Westfalen geplant. Auch Niedersachsen ist betroffen und in den Bundesländern
Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Thüringen wurden bereits Bergbau-
berechtigungen („Claims“) vergeben. Deswegen ist eine bundesweite Regelung
erforderlich.

Unzureichende Beteiligungsrecht und Umweltstandards im Bergrecht

Der rechtliche Rahmen zur Förderung von Erdgas ist nicht auf die Gefahren
von Fracking ausgelegt. Das Bundesbergrecht ist grundsätzlich ungeeignet, um
den Schutz des Allgemeinwohls sowie die Grundrechte der Betroffenen zu
garantieren. Es verhindert transparente Genehmigungsverfahren, die Beteili-
gung der Kommunen, der Betroffenen und die vorrangige Berücksichtigung der
Belange der Anwohnerinnen und Anwohner sowie der Umwelt. Eine Novellie-
rung des Bergrechts und eine Präzisierung des Wasserrechts unter Berücksichti-
gung von Frac-Verfahren sind daher dringend erforderlich.

Einseitige Forschungsförderung

Erdgasbohrungen mit Hilfe von Hydraulic Fracturing sind nur unzureichend
wissenschaftlich erforscht. Umfangreiche wissenschaftliche Studien über die
möglichen Umweltauswirkungen der geplanten Frac-Verfahren in Deutschland
wurden bisher nicht öffentlich gefördert. Die Bundesregierung finanziert dage-
gen Forschungsprojekte, die vorrangig dazu dienen, die Erschließung von un-
konventionellem Erdgas in Deutschland zu fördern.

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