BT-Drucksache 17/5759

Ausbeuterische Kinderarbeit weltweit bekämpfen

Vom 10. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5759
17. Wahlperiode 10. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katrin Werner, Annette Groth, Sevim Dag˘delen,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz,
Dr. Diether Dehm, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Diana Golze, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Katja Kipping, Harald Koch, Jutta Krellmann,
Stefan Liebich, Cornelia Möhring, Niema Movassat, Thomas Nord, Yvonne Ploetz,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Ausbeuterische Kinderarbeit weltweit bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind weltweit
327 Millionen Kinder erwerbstätig. Schätzungsweise zwischen 126 und
165 Millionen Kinder unter 15 Jahren müssen dabei unter ausbeuterischen
und sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten, die ihre physische und psy-
chische Entwicklung erheblich beeinträchtigen. Ein Teil der von ihnen her-
gestellten landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnisse wird für den
Exportmarkt produziert und findet dadurch seinen Weg auch zu deutschen
Konsumentinnen und Konsumenten. Laut ILO-Konvention 182 betreffen
schlimmste Formen der Kinderarbeit neben unmenschlichen Arbeitsbedin-
gungen auch den Verkauf von und den Handel mit Kindern, ihre Heranzie-
hung und Anbietung für die kommerzielle Sexindustrie, die Zwangs- oder
Pflichtrekrutierung von Kindern als Soldaten in bewaffneten Konflikten
sowie ihren Einsatz zum Drogen- und Waffenschmuggel. Insbesondere
Massenarmut, soziales Elend und Bürgerkriege stellen ursächliche Faktoren
vor allem für ausbeuterische Formen von Kinderarbeit dar. Die Länder süd-
lich der Sahara sind hiervon besonders stark betroffen.

2. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass sich die Bundesrepublik Deutsch-
land zwar mit der am 18. April 2002 erfolgten Ratifizierung des ILO-Über-
einkommens 182 völkerrechtlich bindend dazu verpflichtet hat, sich aktiv
mit konkreten Maßnahmen für die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen
einzusetzen und ausbeuterischer Kinderarbeit aktiv entgegenzuwirken, sich
in den vergangenen Jahren an der bestehenden Situation jedoch kaum etwas
geändert hat.
3. Der Deutsche Bundestag bekräftigt des Weiteren ausdrücklich den Inhalt des
Artikels 32 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. No-
vember 1989, wonach jedes Kind das Recht hat, „vor wirtschaftlicher Aus-
beutung geschützt und nicht zu einer Arbeit herangezogen zu werden, die
Gefahren mit sich bringen, die Erziehung des Kindes behindern oder die
Gesundheit des Kindes oder seine körperliche, geistige, seelische, sittliche
oder soziale Entwicklung schädigen könnte“.

Drucksache 17/5759 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass das Problem der ausbeuterischen
Kinderarbeit dennoch in zahlreichen Ländern unverändert fortbesteht und
die seitens der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen bislang keine
greifbaren Ergebnisse gezeigt haben. Selbst die Kontrolle bzw. Identifizie-
rung der von ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellten Produkte ist nur
sehr eingeschränkt möglich.

5. Der Deutsche Bundestag unterstützt daher die Entschließung des Bundes-
rates vom 9. Juli 2010, Bundesratsdrucksache 309/10, den Marktzugang von
Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu verhindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich verstärkt bilateral und international dafür einzusetzen, dass das im Rah-
men des ILO-Übereinkommens 182 geltende Verbot der schlimmsten For-
men der Kinderarbeit weltweit umgesetzt wird und unverzüglich effektive
Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels ergriffen werden;

2. zu prüfen, inwieweit auf der Ebene der Welthandelsorganisation ein Markt-
zugang von Produkten, die nachweislich durch ausbeuterische Kinderarbeit
hergestellt wurden, künftig effektiv verhindert werden kann;

3. sich zu diesem Zweck im Rat der Europäischen Union für ein gemeinsames
Vorgehen und einen EU-weiten, dauerhaften Kontroll- und Sanktionsmecha-
nismus mit dem Ziel einzusetzen, die Einfuhr von Produkten aus ausbeute-
rischer Kinderarbeit zu verbieten;

4. zu prüfen, ob und wie die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit spezielle Sozialprogramme in
den betroffenen Ländern unterstützen oder initiieren kann, welche die Ge-
währung von zusätzlichen Sozialleistungen in Form von Geldzahlungen an
den nachgewiesenen Schulbesuch schulpflichtiger Kinder binden;

5. zu gewährleisten, dass Armutsbekämpfung und der Schutz der Menschen-
rechte und damit auch der Kinderrechte zu einer Schwerpunktaufgabe der
deutschen Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit gemacht wird
und sich in diesem Zusammenhang insbesondere für die Beseitigung der we-
sentlichen Ursachen von Kinderarbeit einzusetzen;

6. gegenüber deutschen Unternehmen die Einhaltung der ILO-Konvention 182
in der gesamten Lieferkette verbindlich einzufordern und insbesondere zu
gewährleisten, dass die Bewilligung von öffentlichen Krediten, anderweiti-
gen öffentlichen Förderungsmitteln und/oder Investitionsschutzabkommen
für deutsche Auslandsdirektinvestitionen nur unter dieser Auflage erfolgt;

7. für den Fall, dass ein Einfuhrverbot nicht erfolgreich sein sollte, das Verant-
wortungs- und Problembewusstsein der bundesdeutschen Verbraucherinnen
und Verbraucher hinsichtlich einer Ablehnung des Kaufs von Produkten aus
ausbeuterischer Kinderarbeit dennoch zu fördern und

8. sich in diesem Fall zu diesem Zweck auf EU-Ebene dafür einzusetzen, eine
generelle EU-weite Dokumentationspflicht der produktionsbezogenen
Merkmale von Importgütern bereits vor ihrer Einfuhr einzuführen.

Berlin, den 10. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5759

Begründung

Ausbeuterische Kinderarbeit ist eine direkte Folge von Armut – wenn das Ein-
kommen der Eltern zum Überleben allein nicht ausreicht, werden häufig auch
Kinder gezwungen, zu arbeiten. Viele Kinder geraten hierbei in langjährige
Schuldknechtschaft, weil ihre Familien die Arbeitskraft der Kinder aufgrund
von nicht bezahlten Schulden verkaufen müssen. Die Kinder sind oftmals ex-
trem ausbeuterischen und sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt.
Sie schuften meist zu Hungerlöhnen oder unentgeltlich im informellen Sektor,
in Privathaushalten, in der Plantagenwirtschaft, in Steinbrüchen oder im Prosti-
tutionsgewerbe. Die von ausbeuterischer Kinderarbeit und Schuldknechtschaft
betroffenen Kinder haben in der Regel dann auch keinen Zugang mehr zu einer
regulären Schul- und/oder Berufsausbildung, wodurch ihnen die Möglichkeit
genommen wird, den Kreislauf aus struktureller Armut und Unterentwicklung
zu durchbrechen.

Alle Strategien zur Bekämpfung der Kinderarbeit müssen daher von wirksa-
men Maßnahmen der Armutsbekämpfung als der unmittelbaren Ursache von
Kinderarbeit flankiert werden. Boykotte und Marktzugangssperren von Pro-
dukten aus ausbeuterischer Kinderarbeit sind notwendig, reichen allein aber
nicht aus. Positive Erfahrungen mit Sozialprogrammen in Mexiko und Brasi-
lien belegen, dass die Verknüpfung von staatlichen Sozialleistungen mit dem
Schulbesuch von schulpflichtigen Kindern einen wirksamen Beitrag zur Ein-
dämmung von Kinderarbeit zu leisten vermag, selbst für solche, die nach der
ILO-Konvention 182 als nicht ausbeuterisch anzusehen ist.

Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der Hauptabnehmerländer von Pro-
dukten, die zum Teil auch durch ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt werden.
Als Ratifizierungsstaat der ILO-Konvention 182 und der UN-Kinderrechtskon-
vention hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, geeignete
Maßnahmen vor allem gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu er-
greifen. Adressatin für die Durchführung dieser völkerrechtlichen Vertragsver-
pflichtungen Deutschlands ist somit die Bundesregierung.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.