BT-Drucksache 17/5600

Stärkere Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit auf die am wenigsten entwickelten Länder

Vom 18. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5600
17. Wahlperiode 18. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Priska Hinz (Herborn),
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel,
Ulrike Höfken, Katja Keul, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stärkere Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit auf die am wenigsten
entwickelten Länder

Vom 9. bis 13. Mai 2011 findet in Istanbul die vierte Konferenz der Vereinten Na-
tionen für die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries –
LDC) statt, an der auch die Bundesregierung teilnehmen wird. Auf der Konfe-
renz soll eine Bilanz der Zusammenarbeit der internationalen Gebergemein-
schaft mit den gegenwärtig 48 LDCs innerhalb der letzten zehn Jahre gezogen
werden. Darüber hinaus gilt es, neue Herausforderungen zu identifizieren, die
außerordentliche Verpflichtung der Geberländer gegenüber den LDCs zu be-
kräftigen, und zusätzliche Gelder bereitzustellen sowie neue Ziele und Wege für
die Zusammenarbeit zu bestimmen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich als Unterzeichner der Paris Declara-
tion on Aid Effectiveness (2005) und der Accra Agenda for Action (2008) dazu
verpflichtet, ihre Entwicklungszusammenarbeit (EZ) verstärkt auf die Erfüllung
der Millenniumsziele und auf einen wirksamen Einsatz von Entwicklungsgel-
dern auszurichten. Diese beiden Ziele sind auch im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und FDP hervorgehoben.

Ihr Versprechen, die Leistungen der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit
(ODA) auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) in 2010 aufzustocken,
hat die Bundesregierung gebrochen. Anhand der aktuellen Haushaltsplanung ist
nicht erkennbar, wie das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 erreicht werden soll. Der
2010 veröffentlichte DAC-Prüfbericht (Development Assistance Committee,
DAC) zur deutschen EZ kritisiert u. a., dass die Bundesregierung die deutsche
EZ nur unzureichend auf die ärmsten Länder ausrichtet und zudem nicht genug
Aufmerksamkeit auf das Thema Konflikte und fragile Staatlichkeit lenkt, zwei
Probleme, die insbesondere in vielen Teilen Sub-Sahara-Afrikas große Hinder-
nisse für die Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele darstellen. Folg-
lich empfiehlt der Prüfbericht u. a. die Konzentration der bilateralen ODA vor

allem auf die Partnerländer in Sub-Sahara-Afrika sowie auf von Konflikten und
fragiler Staatlichkeit betroffene Länder weiter voranzutreiben. Deutschland hat
zwar die Anzahl der Partnerländer von 84 auf 57 verringert, es gehen jedoch nur
ca. 40 Prozent der bilateralen ODA-Leistungen an diese Partnerländer. Haupt-
sächlich profitieren weiterhin Länder der mittleren Einkommensgruppe von
Deutschlands bilateralen ODA-Leistungen.

Drucksache 17/5600 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die von der Bundesregierung angekündigte Neuausrichtung der deutschen EZ
ist bisher in strategischer und operativer Hinsicht wenig konkretisiert worden,
auch sind die praktischen Konsequenzen noch unklar.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Blick auf die Neuausrichtung der briti-
schen EZ lohnend. Die liberalkonservative Regierung in Großbritannien wird
nicht nur bereits im Jahr 2013 das 0,7 Prozent erreichen, sondern hat unter der
Vorgabe „more value for the British taxpayer’s money“ eine Neuorientierung
der EZ vorgenommen, die den Fokus auf Hilfe für Länder mit extremer Armut
sowie auf fragile Staaten legt. Basis hierfür ist ein bedarfs- und wirksamkeits-
orientierter Index, bestehend aus dem prozentualen Bevölkerungsanteil mit Ein-
kommen unter einer Armutsgrenze von 2 US-Dollar pro Tag, den Human Deve-
lopment Index, einer Komponente für Staatenfragilität sowie dem Country
Policy and Institutional Assessment Index (CPIA) der Weltbank als Effizienz-
kriterium.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen Stellenwert nimmt in der deutschen EZ die Zusammenarbeit mit
den LDCs ein?

2. Wie definiert die Bundesregierung Wirksamkeit der EZ mit den LDCs?

3. Welche konkreten Strategien verfolgt die Bundesregierung, um die Erfül-
lung der Millenniumsentwicklungsziele in den Fokus ihrer EZ zu stellen?

4. Welche Position wird die Bundesregierung bei der vierten LDC-Konferenz
in Istanbul vertreten?

a) Wie beurteilt die Bundesregierung die Umsetzung und die Ergebnisse des
„Programme for Action for the LDCs for Decade 2001–2010“?

b) Welche Anstrengungen und Maßnahmen sind nach Auffassung der Bun-
desregierung notwendig, um das Ziel, die Zahl der LDCs bis 2020 zu hal-
bieren, zu erreichen, und welche konkreten Pläne verfolgt sie diesbezüg-
lich?

c) Was sind nach Auffassung der Bundesregierung die besonderen Heraus-
forderungen für die LDCs in den kommenden Jahren?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Revision der britischen EZ, die unter
der Vorgabe „more value for the British taxpayer’s money“ LDCs und fra-
gile Staaten in den Vordergrund rückt?

a) Inwieweit hat diesbezüglich ein Austausch der Bundesregierung mit der
britischen Regierung stattgefunden?

b) Wurde die britische Initiative im Rahmen der EU thematisiert?

6. Plant die Bundesregierung, ähnlich der britischen liberalkonservativen Re-
gierung, einen bedarfs- und wirksamkeitsorientierten Index zu entwickeln,
anhand dessen die EZ künftig ausgerichtet wird?

a) Wenn ja, ab wann soll der Index angewandt werden, und wie ist dieser In-
dex konkret ausgestaltet?

b) Wenn nein, warum nicht?

c) Wie bewertet die Bundesregierung den Index der britischen Regierung?

7. Plant die Bundesregierung im Kontext einer Fokussierung auf Wirksamkeit
und Erreichung der MDGs (Millennium Development Goals), die Liste der
Partnerländer zu reduzieren?
a) Mit wie vielen und welchen Ländern plant die Bundesregierung keine
Fortsetzung der Zusammenarbeit?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5600

b) Plant die Bundesregierung den Einsatz von ODA-Mitteln stärker auf
Partnerländer zu konzentrieren?

c) Welche Kriterien für die Qualifizierung eines Landes als Partnerland der
deutschen EZ werden dann zugrunde gelegt?

d) Findet vor dem Hintergrund einer möglichen Kürzung der Liste der
Partnerländer eine Absprache innerhalb des DAC zur Vermeidung von
aid orphans und over-funding statt?

8. Plant die Bundesregierung die Anzahl der LDC-Partnerländer von derzeit
24 zu erhöhen?

a) Wenn ja, mit wie vielen weiteren und welchen LDCs plant die Bundes-
regierung eine Zusammenarbeit und in jeweils welchen Schwerpunkt-
bereichen?

b) Wenn nein, warum nicht, und wie steht dies mit dem Ziel der Wirksam-
keit und Erreichung der MDGs im Einklang?

9. Plant die Bundesregierung den Anteil der Mittel für die LDCs an der Ge-
samt-ODA im Haushalt 2012 entsprechend dem DAC-Durchschnitt auf
über 40 Prozent zu erhöhen?

a) Wenn ja, wie hoch soll der Anteil werden?

b) Wenn nein, warum nicht?

10. Plant die Bundesregierung den Anteil der Mittel für ihre Partnerländer an
der Gesamt-ODA im Haushalt 2012 zu erhöhen, und wenn ja, auf welchen
Anteil?

11. Wann wird nach Auffassung der Bundesregierung das Ziel erreicht,
0,15 Prozent des BIP für LDCs zu verwenden?

12. Plant die Bundesregierung eine stärkere Förderung für die Staaten Sub-
Sahara-Afrikas?

Berlin, den 15. April 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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