BT-Drucksache 17/5386

Europäische Forschungsförderung in den Dienst der sozialen und ökologischen Erneuerung stellen

Vom 6. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5386
17. Wahlperiode 06. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Dr. Martina Bunge,
Dr. Diether Dehm, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Barbara Höll,
Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Ulla Lötzer, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Sabine Stüber, Kathrin Vogler, Harald Weinberg
und der Fraktion DIE LINKE.

Europäische Forschungsförderung in den Dienst der sozialen und ökologischen
Erneuerung stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Forschungsförderung im Rahmen der Europäischen Union ergänzt die na-
tionalen und regionalen Programme und Einrichtungen. Insbesondere die EU-
Forschungsrahmenprogramme (FRP) sind in den vergangenen Jahren in einem
beachtlichen Umfang ausgebaut worden. Das 7. EU-Forschungsrahmenpro-
gramm mit der Laufzeit von 2007 bis 2013 umfasst ein Volumen von 54,3 Mrd.
Euro und trägt damit im Umfang von knapp 7 Prozent zum Forschungsbudget
in Europa bei. Das Programm wurde unter der Leitlinie der Lissabon-Strategie
erarbeitet, nach der Europa bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dyna-
mischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ gestaltet werden solle.
Der Orientierung auf Wirtschaftswachstum und Wertschöpfung ordnen sich alle
anderen strategischen Ziele, denen Forschung und Wissenserarbeitung folgen
können, unter. Obwohl der Anteil der direkten Förderung an die Industrie auf
25 Prozent gesunken ist, wird trotzdem mehr als die Hälfte der Mittel des
7. FRP im Rahmen industriegeführter Forschungskonsortien verausgabt. Wäh-
rend der Laufzeit dieses Rahmenprogramms wurden diverse neue Förderinstru-
mente ins Leben gerufen – zumeist ebenfalls mit einem industrienahen Fokus.
Dazu gehören die Gemeinsamen Technologieinitiativen (Joint Technology Ini-
tiatives – JTI) sowie die Wissens- und Innovationsgesellschaften (Knowledge
and Innovation Communitiy – KIC) im Rahmen des Europäischen Instituts für
Innovation und Technologie EIT sowie weitere Förderformen der Verbund-
forschung. Aus der Wissenschaft wurde hingegen immer wieder bemängelt,
dass die Industrie auf Grund ihrer konjunkturabhängigen und marktgesteuerten
Handlungslogiken häufig nicht die Nachhaltigkeit für langfristig angelegte For-
schungsprojekte mitbringe.

Die Fokussierung auf die Wertschöpfung etablierter Industrien verstellt zudem

den Blick auf die zu bewältigenden sozialen und ökologischen Herausforderun-
gen. Mehr als 4 Mrd. Euro EU-Fördermittel für die Nuklearenergie steht ledig-
lich 1 Mrd. Euro für die Entwicklung erneuerbarer Energien gegenüber. Von
den 2,3 Mrd. Euro, die im Rahmen des 7. FRP für die Energieforschung vorge-
sehen sind, ist ein relevanter Teil für die Erforschung der Speicherung von CO2
(Carbon Capture and Storage – CCS) vorgesehen. Die Konzentration auf die

Drucksache 17/5386 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Erforschung der Kernfusion, insbesondere das Projekt ITER, blockiert zudem
Ressourcen, die zur Lösung drängender Fragen etwa in Bezug auf die System-
integration oder die Implementation erneuerbarer Energietechnologien in die
ärmeren Regionen dringend benötigt werden. Angesichts des fortschreitenden
Klimawandels muss die schnelle Entwicklung und Integration erneuerbarer
Energiequellen forciert werden.

Die zu lösenden sozialen Probleme sind bisher zu wenig berücksichtigt, obwohl
Wissenschaft und Forschung zu ihrer Lösung entscheidende Beiträge leisten
können. Im Rahmen der Lissabon-Strategie wurde vor allem die Aufweichung
sozialstaatlicher Regulierung verfolgt. Nun steht im Rahmen der Zielsetzung
der Strategie „Europa 2020“ die Frage, ob das benannte Ziel des Wachstums
mit einem Ausbau von Bildung und Innovation, von Nachhaltigkeit und mehr
sozialem Zusammenhalt verbunden wird.

Die EU-Kommission hat im Rahmen der „Leitinitiative Innovationsunion“ ein
Förderprogramm für soziale Innovationen in Aussicht gestellt. Wenn dieses im
Sinne der genannten Ziele wirksam werden soll, muss unter anderem die Er-
neuerung und Stabilisierung sozialstaatlicher Absicherung ein Ziel der Innova-
tionsförderung sein und auf diese Weise die Gestaltung eines sozialen Europa
vorantreiben. Die Erneuerung sozialstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Insti-
tutionen sowie Einrichtungen der Daseinsvorsorge, die durch Forschung und
Innovation befördert werden kann, hat eine große Bedeutung für die Stabilität
und den Ausbau der Demokratie in Europa.

Nicht berücksichtigt oder zumindest nicht erkennbar ist der Beitrag der Euro-
päischen Forschungsförderung zur Umsetzung der UN-Konvention über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK), vor allem hinsichtlich Arti-
kel 4 Buchstabe f und g, obwohl diese Konvention vom Europäischen Par-
lament ratifiziert wurde und somit geltendes Recht ist.

Mit dem Sicherheitsforschungsprogramm im Rahmen des 7. FRP werden tech-
nologische Überwachungs- und Sicherheitsmaßnahmen zunehmend an die
Stelle von ziviler Konfliktbearbeitung gerückt und bewusst die Grenzen
zwischen ziviler und militärischer Forschungs- und Entwicklungsleistung
aufgehoben. Das mit 1,4 Mrd. Euro ausgestattete Programm wurde mit dem
Ziel konzipiert, der europäischen Sicherheitsindustrie neue europäische und
außereuropäische Absatzmärkte und Wachstumschancen zu eröffnen. Diese
Strategie trägt jedoch dazu bei, Asymmetrien in Konflikten zu verstärken, Bür-
gerrechte einzuschränken und Rechtsstaatlichkeit abzubauen. Beispiele dafür
sind der zunehmende Einsatz unbemannter Flugobjekte zu Überwachungs- und
Tötungszwecken sowie die Entwicklung von Körperscannern und Ortungssys-
temen.

Die Zwischenevaluierung des laufenden Rahmenprogramms weist auf weitere
Defizite der bisherigen Fördertätigkeit hin. Der Verwaltungsaufwand für teil-
nehmende Einrichtungen ist zu hoch. Insbesondere kleine und mittlere Unter-
nehmen (KMU), aber auch Hochschulen beklagen langwierige Bewilligungs-
verfahren und unübersichtliche Verfahrensregeln in Verbundprojekten.

Auch wenn Fortschritte erreicht werden konnten, sind Frauen bei der Beteili-
gung an der europäischen Forschungsförderung nach wie vor stark unterreprä-
sentiert. Bei den Ausschreibungen des ERC (European Research Council – Euro-
päischer Forschungsrat) betrug der Frauenanteil lediglich 20 Prozent, bei der
Beteiligung in der sonstigen Projektförderung 25,5 Prozent. In den Experten-
gruppen und Komitees sind zwischen 25 bzw. 35 Prozent Frauen vertreten. Da-
mit ist auch die Forschung weit vom selbst gesetzten Ziel entfernt, europaweit
40 Prozent der Spitzenpositionen weiblich zu besetzen.
Als neue Förderinstitution für die Grundlagenforschung hat 2007 der ERC mit
einem Budget von 7,5 Mrd. Euro für die Laufzeit des 7. FRP seine Arbeit

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5386

aufgenommen. Hier soll die individuelle Förderung der besten europäischen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Mittelpunkt stehen. Die ersten
Evaluierungen der Arbeit des ERC belegen eine dramatische Schieflage bei der
Förderauswahl: 96 Prozent der vergebenen Fördermittel gingen in die alten EU-
Staaten. Damit ist der Forschungsrat trotz ausgezeichneter Projektförderung
seiner Funktion für die Schaffung eines europäischen Forschungsraumes bisher
nicht ausreichend gerecht geworden.

Auch in allen anderen Programmen bleibt die Beteiligung der neuen Mitglied-
staaten mit 5 Prozent der Gesamtmittel gering, obwohl die Erfolgsraten von Pro-
jekten aus den EU-12 nicht wesentlich unter solchen aus einigen südlichen EU-
Ländern liegen. Dies verweist darauf, dass es einer kritischen Masse an For-
schungs- und Wissenschaftskapazität in diesen Ländern fehlt. Nur 2,8 Prozent
der FuE-Aufwendungen (FuE = Forschung und Entwicklung) innerhalb der EU
werden in den neuen Mitgliedstaaten erbracht. Eine Änderung dieses Zustandes
ist angesichts niedriger öffentlicher Aufwendungen für Hochschulen und For-
schungseinrichtungen auch in nächster Zeit nicht in Sicht. Um die Legitimation
einer europäischen Forschungspolitik zu erhöhen, muss die Einbindung der
neuen Mitgliedstaaten bei der Konzeption des neuen Forschungsrahmenpro-
gramms im Mittelpunkt stehen.

Die EU-Kommission hat angekündigt, dass das 8. Forschungsrahmenpro-
gramm verstärkt der Integration des Europäischen Forschungsraums (EFR) die-
nen soll, in dem eine „fünfte Grundfreiheit“, die Mobilität des Wissens, durch-
zusetzen ist. Mobilität von Wissen benötigt soziale und rechtliche Vorausset-
zungen. So müssen unterschiedliche Startbedingungen von Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftlern ausgeglichen werden, wenn alle Regionen in diesem
Forschungsraum teilhaben sollen. Gemeinsam erarbeitetes Wissen, das mobil
sein soll, darf nicht einseitig an die beteiligten Industriepartner fallen.

Der Europäische Forschungsraum muss sich durch Vielfalt auszeichnen. Die
angestrebte Gemeinsame Programmplanung (Joint programming) schafft nur
als Bottom-up-Prozess einen Mehrwert für die europäische Wissenschaftsland-
schaft. Neue Forschungsergebnisse und Innovationen gedeihen am besten in
einem Klima der Pluralität. Statt einer Zentralisierung der Förderplanung soll-
ten daher der Austausch, die Kooperation und die Transparenz über die For-
schungsförderung in den Mitgliedstaaten ganz oben auf der Agenda der EU-
Kommission stehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei der Gestaltung
des 8. EU-Forschungsrahmenprogrammes auf folgende Veränderungen und Re-
formen hinzuwirken:

1. Der finanzielle Gesamtumfang der Förderung sollte mindestens erhalten
bleiben. Wissenschaft und Forschung können einer modernen, sozialökolo-
gischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Europas neue Pers-
pektiven geben und zur gerechteren Lösung gesellschaftlicher Konflikte
über europäische Grenzen hinaus entscheidende Beiträge leisten.

2. Die europäische Forschungsförderung ist auf wenige spezifische Großziele
wie Armutsbekämpfung, Gesundheit, Ernährung und Klima- und Umwelt-
schutz zu fokussieren und soll die Förderaktivitäten der Mitgliedstaaten
ergänzen. Bei der Auswahl der Forschungsfelder sollten Problemumfang
und -tiefe sowie die möglichen Beiträge der europäischen Forschungs- und
Innovationslandschaft zu ihrer Lösung im Mittelpunkt stehen. Privatwirt-
schaftliche Wertschöpfungspotenziale können lediglich ein Kriterium neben
anderen bei der Förderung sein – insbesondere, wenn durch eine verbesserte
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit die Kohäsion und der soziale Ausgleich

in der Europäischen Union und darüber hinaus befördert werden kann.

Drucksache 17/5386 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Die Energieforschung des neuen Rahmenprogramms muss konsequent die
Umstellung der gesamten Energieversorgung auf erneuerbare Energien so-
wie die Steigerung der Energieeffizienz unterstützen. Die Förderung der
Atomforschung ist zu beenden. Zusammen mit den beteiligten Partnern
muss das Abkommen für den geplanten Fusionsreaktor ITER aufgehoben
werden. Falls dies nicht kurzfristig erreicht werden kann, sollte die Bundes-
regierung einen Ausstieg der EU forcieren. Die Förderung von Forschung
und Entwicklung der unterirdischen CO2-Speicherung ist einzustellen.

4. Gesundheitsforschung sollte sich gleichrangig am Therapiebedarf und an
der Prävention ausrichten. Um die tatsächliche Versorgungsqualität zu er-
mitteln und zu optimieren, sollte die Versorgungsforschung ausgebaut wer-
den. Die nichtkommerzielle Pharmaforschung ist unter besonderer Berück-
sichtigung seltener, vernachlässigter und sogenannter Volkskrankheiten stär-
ker als bisher zu fördern. Die Forschung zu Gesundheitsförderung und Prä-
vention sollte mit besonderem Fokus auf ungesunde Lebensverhältnisse und
Förderung von persönlichen Ressourcen vorangetrieben werden.

5. Die Europäische Forschungsförderung hat einen aktiven Beitrag zur Umset-
zung der BRK zu leisten. Gemäß Artikel 4 Buchstabe f und g sind insbeson-
dere für Güter, Dienstleistungen, Geräte und Einrichtungen ein universelles
Design sowie neue Technologien, die für Menschen mit Behinderungen
geeignet sind, zu entwickeln und zu fördern. Forschungen auf dem Gebiet
der „roten Gentechnik“ müssen im Einklang mit dieser Konvention ins-
besondere mit Artikel 3 Buchstabe d stehen, wonach die Akzeptanz von
Menschen mit Behinderungen als Teil der menschlichen Vielfalt zu beachten
ist.

6. Die Programmstruktur ist zu vereinfachen und transparenter zu gestalten.
Dafür bietet sich an, die vorgeschlagene Dreigliederung in Wissenschaft mit
Innovationsfokus („Science for competitiveness“), mit Fokus in der Grund-
lagenforschung („Science for science“) sowie mit Fokus auf gesellschaftli-
che und soziale Bedarfe („Science for society“) zu nutzen. Mit dieser Struk-
turierung sollten eine Transparenz in der inhaltlichen Schwerpunktsetzung
und eine präzise Festlegung der Federführung innerhalb der einzelnen För-
derinstrumente einhergehen. Zugleich müssen der Austausch und die Ko-
operation zwischen diesen Programmlinien unterstützt werden.

7. Ein Schwerpunkt der europäischen Forschungsförderung sollte bei den So-
zial- und Geisteswissenschaften liegen, da zur Lösung der gesellschaftlichen
Probleme neben technischen Lösungen vor allem Veränderungen in sozialen
Systemen nötig werden. Das von der EU-Kommission angekündigte Förder-
programm zur sozialen Innovation sollte zu einer Querschnittsförderung in
allen innovations- und gesellschaftsorientierten Instrumenten ausgebaut und
eine Verengung auf soziales Unternehmertum („social entrepreneurs“) ver-
mieden werden. Sozial- und Geisteswissenschaften dürfen nicht auf Begleit-
oder Akzeptanzforschung begrenzt werden, sondern sind als Produzenten
von Orientierungs- und Lenkungswissen sowie als Treiber sozialer Innova-
tion Kernbestandteil moderner Forschungs- und Innovationsförderung.

In allen Programmen, insbesondere jedoch in der Verbundforschung von
Wissenschaft und Wirtschaft (Programmlinie „Zusammenarbeit“), sollen
neue Fördermaßnahmen grundsätzlich offen konzipiert und ausgeschrieben
werden. Der Zuschnitt von Fördermaßnahmen oder -ausschreibungen auf
einzelne oder mehrere große industrielle Akteure muss zukünftig verhindert
werden. Ziel dieser Programme muss vorrangig die Unterstützung besonders
risikoreicher und interdisziplinärer FuE-Vorhaben (inklusive Grundlagen-
forschung) sowie die Verknüpfung und Einbindung von KMU sein. Für die

Eigenleistung der Industrie in Verbundprojekten müssen transparente und
überprüfbare Standards zur Anwendung kommen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5386

8. Die rechtlichen Rahmenregelungen für alle Verbundprojekte von Wissen-
schaft und Wirtschaft sollten angeglichen werden, um die Einbindung von
KMU und Hochschulen zu erleichtern. Die Zahl der Förderinstrumente in
Form einer Public-Private-Partnership (PPP) muss nach einer umfassenden
Risiken-Nutzen-Bilanz verringert werden. In allen Instrumenten ist ein In-
strumentarium zur Erfolgskontrolle zu implementieren. Die Gemeinsamen
Technologieinitiativen (JTI) sollten als Ideenpool fungieren und insofern
mit dem bisher wenig geförderten Instrument der Europäischen Techno-
logieplattformen fusioniert werden. Eine gemeinsame Förderung dieser In-
strumente mit den Knowledge und Innovation Communitys (KIC) unter
dem Dach des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT)
ist zu prüfen.

9. Alle Förderinstrumente sollten strukturell so gestaltet werden, dass eine
bessere Beteiligung und höhere Erfolgsquoten der Beitrittsländer sicherge-
stellt werden. Ziel ist ein Anteil an den bewilligten Fördermitteln von 10
Prozent. Zudem müssen die Förderinstrumente mit bestehenden EU-Fonds
verknüpft werden, die den Aufbau von Forschungs- und Innovationsstruk-
turen in den Mitgliedsländern unterstützen. Für die Mitgliedstaaten sollten
Anreize entwickelt werden, die Fördermittel aus den Strukturfonds zum
Aufbau von Forschung und Wissenschaft auszuschöpfen. Das Ziel europäi-
scher Fördertätigkeit muss hier eine kohärente Förderkette für Forschungs-
vorhaben in den Beitrittsländern sein, in deren Ergebnis konkurrenzfähige
Wissenschaftseinrichtungen und Forschergruppen entstehen.

10. Bei der Errichtung oder Förderung europäischer Forschungsinfrastrukturen
ist auf eine ausgewogene regionale Verteilung zu achten und eine Konzent-
ration in den alten Mitgliedstaaten zu vermeiden. Zudem sollten tragfähige
Finanzierungsmodelle für die in der Europäischen Roadmap definierten
Forschungsinfrastrukturen (ESFRI-Prozess) entwickelt und eine bessere
Vernetzung mit nationalen Großforschungseinrichtungen aufgebaut wer-
den.

11. Die Beteiligung von Frauen an den Förderprogrammen muss schnell ver-
bessert werden. Die Genderperspektive sollte verstärkt in die Forschungs-
ziele und -fragen integriert werden. Zu diesem Zweck muss Gleichstellung
als strategisches Ziel und integrativer Bestandteil in allen geförderten Pro-
jekten enthalten sein. Hierbei sind die Erfahrungen mit den Gender Action
Plans (6. FRP) auszuwerten. Insbesondere müssen Maßnahmen vorgenom-
men werden, die strukturelle Hindernisse für die Beteiligung von Frauen
auf allen Ebenen abbauen. Nach der Antragsbewilligung muss ein Monito-
ring Erfolge und Probleme bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen
darstellen.

12. Neue Förderinstrumente sind zur Erreichung der mit dem neuen Rahmen-
programm angestrebten Ziele nicht nötig. Die laufenden Instrumente und
Förderlinien des Forschungsrahmenprogramms sollten hingegen nach einer
Evaluierung weiterentwickelt und je nach Ergebnis ausgebaut oder einge-
stellt werden.

13. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist auszubauen und
konsequent an den Leitlinien der „Europäischen Charta für Forscher“ aus-
zurichten. Dazu gehört, im Rahmen der geplanten europäischen Standards
für die Promotion die Anbindung an den wissenschaftlichen Berufsalltag
sicherzustellen, eine Absicherung im Rahmen der Sozial- und Krankenver-
sicherung herzustellen und die Mobilität der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler zu befördern. Die Promotion ist als erste Phase wissen-
schaftlicher Berufsausübung zu betrachten, die in der Regel auf einer Be-

schäftigung auf einer Stelle basiert. Diese Standards müssen auch die
Grundlage für die Gestaltung der Europäischen Doktorandenschulen sein.

Drucksache 17/5386 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Einzelförderung durch das Programm „Marie Curie“ im Rahmen der
Förderlinie „Menschen“ soll uneingeschränkt erhalten bleiben und ist stär-
ker mit den themenbezogenen Förderinstrumenten zu verknüpfen.

14. In allen Förderlinien des Forschungsrahmenprogramms sollte eine Politik
des Wissens- und Technologietransfers in ärmere Regionen innerhalb und
außerhalb der EU verfolgt werden. Dazu gehören unter anderem die abge-
stufte Lizensierung erarbeiteter Forschungsergebnisse, die Einbindung von
Expertinnen und Experten aus diesen Regionen in die Erarbeitung neuer
Fördermaßnahmen sowie die flächendeckende Verankerung des Open Ac-
cess-Ansatzes in der europäischen Forschungsförderung. Bei spezifischen
Themen sollten verstärkt offene Ausschreibungen erfolgen, die auch For-
schungseinrichtungen aus Drittstaaten einbeziehen.

15. Das europäische Sicherheitsforschungsprogramm sollte radikal umgebaut
und im Umfang verkleinert werden. Die technologische Orientierung auf
Dual-use-Anwendungen ist zugunsten eines rein zivilen Charakters aufzu-
geben. Zudem ist der bisher zugrunde gelegte Begriff von Sicherheit als
Abwehr von Bedrohungen neu zu definieren zu Gunsten eines neuen Be-
griffes von Sicherheit, der die Ursachenforschung, eine zivile Lösung so-
wie eine nichttechnologische Bearbeitung von sozialen Konflikten und Ka-
tastrophen als Ausgangspunkt hat. Das Programm sollte transparent dar-
stellen, auf welche konkreten Problemlagen wissenschaftliche Antworten
gegeben werden sollen, und wie die Einhaltung wissenschaftsethischer und
bürgerrechtlicher Grundwerte garantiert wird.

Berlin, den 6. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.