BT-Drucksache 17/5292

Psychologische Gutachten bei Erwerbslosen im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Vom 25. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5292
17. Wahlperiode 25. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina
Bunge, Inge Höger, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Yvonne
Ploetz, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Psychologische Gutachten bei Erwerbslosen im Bezug von Leistungen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch

Bei Erwerbsloseninitiativen und bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten
werden wiederholt Beziehende von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozial-
gesetzbuch (SGB II, Arbeitslosengeld II) angetroffen, für die Jobcenter „psy-
chologische Gutachten“ eingeleitet haben oder die bereits begutachtet wurden.

Als Grundlage dessen wird eine Norm der Bundesagentur für Arbeit (BA) ange-
geben, in der es zu den Grenzen des Psychologischen Dienstes der BA heißt: „In
Hinblick auf die Feststellung der Erwerbsfähigkeit kann der psychologische
Dienst ausschließlich eine Aussage treffen, ob und inwieweit psychische Fakto-
ren das Leistungsvermögen der Kundin oder des Kunden mindern. Wird während
der psychologischen Begutachtung deutlich, dass zusätzlich eine ärztliche Aus-
sage notwendig ist, so wird in jedem Fall eine ärztliche bzw. eine fachärztlich-
psychiatrische Begutachtung empfohlen. Geht es um körperliche Einschränkun-
gen, ist in jedem Fall der Ärztliche Dienst einzuschalten.“ (HEGA 04/08 – 20 –
Dienstleistungen des PD für die Integrationsfachkräfte in ARGEn/AagAw,
Geschäftszeichen: SP II PD – II – 1910.2, gültig ab: 20. April 2008, gültig bis:
31. Dezember 2010).

Die Art und Weise der Anwendung dieser Norm wurde in der Sendung „Behin-
dert nach Aktenlage“ in der Sendung „Monitor“ (WDR) am 13. August 2009 im
Bericht von Ralph Hötte und Frank Konopatzki auf ihre Wirkungen kritisch hin-
terfragt (siehe www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2009/0813/behindert.php5).
Dort wurde angegeben, dass von der Bundesagentur für Arbeit immer mehr
Erwerbslose an Behindertenwerkstätten verwiesen wurden. In den letzten fünf
Jahren stieg diese Zahl um mehr als 4 500.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was sind die generellen Rechtsgrundlagen und Ziele psychologischer Gut-
achten bei Beziehenden von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialge-

setzbuch (SGB II)?

2. Welche Rechtsgrundlagen haben die Einleitung psychologischer Gutachten
bei Arbeitslosengeld-II-Beziehenden?

3. Aus welchen Gründen werden für Arbeitslosengeld-II-Beziehende solche
Verfahren eingeleitet?

Drucksache 17/5292 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Wer leitet diese Verfahren ein?

5. Welche Arten von Begutachtungsverfahren neben IQ-Test, Prüfung psy-
chosozialer Eignung für Erwerbstätigkeit, Prüfung von Sanktionen wegen
Beendigung von Arbeitsverhältnissen, wegen Unfähigkeit, einen Umzug
durchzuführen u. Ä. gibt es?

6. In welchem Umfang müssen Arbeitslosengeld-II-Beziehende an diesen
verfahren mitwirken?

7. Müssen Arbeitslosengeld-II-Beziehende nur zum Termin erscheinen?

8. Müssen Arbeitslosengeld-II-Beziehende sich untersuchen lassen?

9. Welche Folge hat es, wenn Arbeitslosengeld-II-Beziehende sich nicht un-
tersuchen lassen?

10. Welche Folgen hat es, wenn Arbeitslosengeld-II-Beziehende eine Patien-
tenverfügung mit Vorsorgevollmacht vorweisen, in der die Teilnahme an
der Untersuchung untersagt ist?

11. Können Arbeitslosengeld-II-Beziehende zur Begutachtung einen Beistand
nach § 13 Absatz 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch mitnehmen?

12. Auf welcher Rechtsgrundlage und aufgrund welcher Empfehlungen oder
Erfahrungen lehnen Gutachterinnen und Gutachter das Beisein von Bei-
ständen ab?

13. Wenn Arbeitslosengeld-II-Beziehende nicht in der Lage sind, sich ohne
Beistand begutachten zu lassen bzw. das nicht wollen, welche Folgen hat
das?

14. Können Arbeitslosengeld-II-Beziehende statt eines männlichen Gutachters
auch eine weibliche Gutachterin verlangen?

15. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende wurden in den einzelnen Jahren
von 2005 bis 2010 in der Bunderepublik Deutschland gesamt und in den
einzelnen Bundesländern zu solchen Begutachtungen eingeladen?

16. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende haben in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den einzelnen
Jahren von 2005 bis 2010 Widerspruch gegen die Teilnahme am Verfahren
eingelegt, und wie viele Widersprüche waren erfolgreich?

17. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende haben in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den einzelnen
Jahren von 2005 bis 2010 Klage gegen die Teilnahme am Verfahren einge-
legt, und wie viele Klagen waren erfolgreich?

18. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende haben in den o. g. Jahren den
Psychologischen Dienst der Bundesarbeitsagentur für Arbeit aufgesucht?

19. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende wurden in den o. g. Jahren an so-
zial-psychiatrische Dienste verwiesen?

20. Bei wie vielen Arbeitslosengeld-II-Beziehenden führte die Begutachtung
zu einer Diagnose, und welchen Diagnosen wurden überwiegend gestellt?

21. Resultieren auch Arbeitsverbote aus solchen Diagnosen?

22. Welche Auswirkungen hatten die Diagnosen für Arbeitslosengeld-II-Bezie-
hende im Einzelnen?

23. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende erhielten in den o. g. Jahren im
Anschluss der Begutachtung Sanktionen?
24. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende wurden in den o. g. Jahren infolge
der Begutachtung in das SGB XII übergeleitet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5292

25. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende blieben mit welchen Folgen in
den o. g. Jahren im Arbeitslosengeld-II-Bezug?

26. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende sind in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den o. g. Jah-
ren infolge solcher Untersuchungen in die Erwerbsminderungsrente ausge-
steuert worden?

27. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende wurden in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den o. g. Jah-
ren infolge solcher Untersuchungen an Schwerbehindertenwerkstätten ver-
wiesen?

28. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende sind in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den o. g. Jah-
ren infolge solcher Untersuchungen zum Aufenthalt in Psychiatrien über-
wiesen worden?

29. Für wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende sind in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den o. g. Jah-
ren infolge solcher Untersuchungen Betreuungsverfahren eingeleitet wor-
den?

30. Für wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende wurden in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den o. g. Jah-
ren infolge solcher Untersuchungen Einzelfallhelferinnen und -helfer be-
stellt?

31. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende haben in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den o. g. Jah-
ren zur Diagnose Akteneinsicht verlangt, wie viele erhielten diese Akten-
einsicht?

32. Wie viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende haben in der Bunderepublik
Deutschland gesamt und in den einzelnen Bundesländern in den o. g. Jah-
ren gegen die Diagnosen Klage eingereicht, wie viele waren damit erfolg-
reich?

33. Welche weiteren Folgen hatten Diagnosen aus psychologischen Gutachten
für Arbeitslosengeld-II-Beziehende?

34. Werden die Ergebnisse psychologischer Gutachten elektronisch gespei-
chert?

Wenn ja, in welchem System werden die psychologischen Gutachten ge-
speicherter?

35. Wer bzw. wie viele Mitarbeiter der BA und anderer Dienststellen haben Zu-
griff zu diesen Daten, und wer nutzt noch solche Daten?

36. Wie lange bleiben solche Daten gespeichert?

37. Welche Einsichts- und Nachvollzugsmöglichkeiten haben Arbeitslosen-
geld-II-Beziehende über den Verbleib und die elektronischen Transfers ih-
rer Daten?

38. Auf welcher Rechtsgrundlage werden Datenweitergaben von psychologi-
schen Gutachten durchgeführt?

39. Was passiert, wenn Arbeitslosengeld-II-Beziehende keine Schweigepflicht-
entbindungserklärungen unterschreiben oder nur eingeschränkt die Schwei-
gepflichtentbindung gestatten?

40. Wer begutachtet die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden?

Drucksache 17/5292 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
41. In welchen Anteilen beschäftigt die BA externe und interne psychologische
Gutachterinnen und Gutachter?

42. Werden psychologische Gutachterinnen und Gutachter pro Einzelfall ver-
gütet, und wenn ja, in welcher Höhe?

43. Wie viel Geld hat die BA in der Bunderepublik Deutschland gesamt und in
den einzelnen Bundesländern in den einzelnen Jahren von 2005 bis 2010
jährlich für die psychologischen Begutachtungen ausgegeben?

44. Ist der Bundesregierung bekannt, wie SGB-II- und SGB-XII-Träger zur
Verweisung von (ehemaligen) Arbeitslosengeld-II-Beziehenden in Schwer-
behindertenwerkstätten oder Einrichtungen der Eingliederungshilfe stehen?

Berlin, den 25. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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