BT-Drucksache 17/5194

zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat Auf dem Weg zu einer verstärkten europäischen Katastrophenabwehr: die Rolle von Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe (KOM(2010) 600 eng.; Ratsdok. 15614/10) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes i.V.m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Katastrophenabwehr in Europa effektiv gestalten

Vom 23. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5194
17. Wahlperiode 23. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Reinhard Grindel,
Peter Altmaier, Günter Baumann, Manfred Behrens (Börde), Clemens Binninger,
Wolfgang Bosbach, Helmut Brandt, Michael Frieser, Dr. Franz Josef Jung,
Günter Lach, Stephan Mayer (Altötting), Stefan Müller (Erlangen), Beatrix Philipp,
Armin Schuster (Weil am Rhein), Ingo Wellenreuther, Volker Kauder,
Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Manuel Höferlin,
Dr. Stefan Ruppert, Jimmy Schulz, Serkan Tören, Birgit Homburger
und der Fraktion der FDP

zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat
Auf dem Weg zu einer verstärkten europäischen Katastrophenabwehr: die Rolle
von Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe
(KOM(2010) 600 endg.; Ratsdok. 15614/10)

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2
des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union

Katastrophenabwehr in Europa effektiv gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zusammenarbeit in Katastrophenfällen ist ein völkerrechtliches Anliegen
und Ausdruck der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und gegenüber Dritt-
staaten. Mit dem Vertrag von Lissabon hat die Union die Kompetenz erhalten,
die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern, um die Systeme
zur Verhütung von Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachten Kata-
strophen und zur Bewältigung solcher Katastrophen wirksamer zu gestalten.

Gemäß Artikel 196 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union

(AEUV) bestehen die Ziele der Union in der Unterstützung und Ergänzung der
Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes, der
Förderung einer schnellen und effizienten Zusammenarbeit zwischen den ein-
zelstaatlichen Katastrophenschutzstellen und der Verbesserung der Kohärenz
der Katastrophenschutzmaßnahmen auf internationaler Ebene.

Eckpfeiler der Strategie der Kommission zu einer verstärkten europäischen Ka-
tastrophenabwehr sind der Aufbau einer Europäischen Notfallabwehrkapazität

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(Katastrophenreaktionskapazität) und die Einrichtung eines Europäischen Not-
fallabwehrzentrums (einheitliches ECHO Notfallreaktionszentrum) bei gleich-
zeitiger engerer Koordinierung mit den Vereinten Nationen.

Es soll ein Ressourcenpool eingerichtet werden, in den die Mitgliedstaaten auf
Basis von bereits vereinbarten Notfallplänen im Voraus Kapazitäten zum Abruf
durch die Kommission einstellen und in dem zusätzlich EU-finanzierte Ressour-
cen bereitgestellt werden.

Die Koordinierungszentralen für Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe sol-
len zusammengelegt werden. Die einzelnen Krisenabwehrinstrumente sollen
kohärenter werden und den Europäischen Auswärtigen Dienst sowie militäri-
sche Mittel mit einbeziehen. Schließlich sollen die EU-Hilfen besser nach außen
sichtbar gemacht werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt im Grundsatz den Vorschlag der Kommis-
sion, eine effektivere und effizientere Katastrophenabwehr zu entwickeln und
dazu die wichtigsten Instrumente des Katastrophenschutzes und der humani-
tären Hilfe besser miteinander zu kombinieren.

1. Er erinnert jedoch an die vertraglich geregelten Kompetenzen der Euro-
päischen Union auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes und weist auf
Artikel 196 Absatz 2 AEUV hin, wonach jegliche Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Maßnahmen der
Europäischen Union zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung dür-
fen gemäß Artikel 2 Absatz 5 AEUV nicht an die Stelle der Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten treten.

Der Katastrophenschutz ist maßgeblich Sache der Mitgliedstaaten. Unzwei-
deutige Rahmenbedingung für alle Überlegungen zur Verbesserung der Effi-
zienz und Schnelligkeit der Katastrophenabwehr sowie Schaffung von
Synergien zwischen Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe sind daher
das Substitutionsverbot und das Subsidiaritätsprinzip.

2. Bei der Katastrophenabwehr innerhalb und außerhalb der EU kommt es in
erster Linie auf das Vorhandensein leistungsfähiger und effizienter Katastro-
phenabwehrkapazitäten in den Mitgliedstaaten an. Die Bereitstellung – wenn
auch nur ergänzender – eigener Ressourcen auf EU-Ebene einschließlich der
operativen Verfügungsgewalt der Kommission über diese Ressourcen würde
die Mitgliedstaaten aus ihrer Eigenverantwortung entlassen, statt diese zu
fördern. Zudem würde sie gegen Artikel 196 AEUV verstoßen. Die Unter-
stützung und Ergänzung durch die EU darf sich danach allein auf die Tätig-
keit der Mitgliedstaaten beziehen. Für eine parallele Zuständigkeit der Union
gibt es keine Rechtsgrundlage.

Basis für gemeinsame Einsätze sind daher weiterhin allein die Ressourcen
der Mitgliedstaaten. In dem vertikal gegliederten Notfallvorsorge- und Hilfe-
leistungssystem der Bundesrepublik Deutschland sind für den operativen Be-
reich maßgeblich die Länder zuständig. Im dezentralen deutschen Katastro-
phenschutzsystem spielen vor allem die Feuerwehren sowie viele nicht-
staatliche Hilfsorganisationen eine Rolle, die auf bewährten ehrenamtlichen
und überwiegend kommunalen und regionalen Strukturen beruhen. Das
THW (Bundesanstalt Technisches Hilfswerk) steht regelmäßig auch bei Ka-
tastrophen im inner- und außereuropäischen Ausland zur Verfügung.

Sollte sich bei EU-weiten Bedarfsanalysen herausstellen, dass Lücken in der
Katastrophenabwehr bestehen, muss die EU koordinierend darauf hinwirken,
dass die Lücken durch die Mitgliedstaaten selbst geschlossen werden. Es ist
jedoch nicht Aufgabe der EU, eine eigene Katastrophenabwehr neben der-

jenigen der Mitgliedstaaten aufzubauen. Dies würde unter anderem die her-

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vorragenden ehrenamtlichen Kräfte des Bevölkerungsschutzes in Deutsch-
land in ihrer Arbeitsweise maßgeblich beeinträchtigen.

3. Der Deutsche Bundestag erinnert ferner daran, dass Deutschland mit allen
seinen Nachbarstaaten und weiteren Ländern bilaterale Hilfeleistungsabkom-
men geschlossen hat. Auch viele Regionen und andere Mitgliedstaaten haben
untereinander solche Hilfeleistungsabkommen abgeschlossen. In der Praxis
werden diese bilateralen Nothilfemechanismen regelmäßig zuerst aktiviert
bevor auf die Katastrophenschutzinstrumente der EU zurückgegriffen wird.

Das in 2001 etablierte und in 2007 neugefasste Gemeinschaftsverfahren für
den Katastrophenschutz, das die Sachhilfe der Mitgliedstaaten koordiniert,
funktioniert mit dem Schwerpunkt innerhalb der EU, aber auch bei Katastro-
phen außerhalb der EU erfolgreich und hat sich bewährt. In diesem Rahmen
verfügt die Kommission bereits über das Beobachtungs- und Informations-
zentrum (MIC) und das Gemeinsame Kommunikations- und Informations-
system für Notfälle (CECIS), die beide operativ tätig sind und den Mitglied-
staaten koordinierend zur Seite stehen. Die Mitgliedstaaten benennen im
Voraus einsetzbare Einsatzkontingente, Module und TAST (Technical Assis-
tant Support Teams). Daneben besteht ein Austauschprogramm für Experten
sowie Workshops und Übungen. Seit 2006 verfügt die EU zudem über einen
Mechanismus für ein koordiniertes Vorgehen im Krisenfall (Crisis Coordina-
tion Arrangements – CCA).

Defizite des bestehenden Gemeinschaftsverfahrens werden durch die Kom-
mission nicht explizit vorgetragen. Dennoch begrüßt der Bundestag grund-
sätzlich Maßnahmen, die dieses Verfahren noch effizienter und effektiver
machen. Darunter fallen die geplante Entwicklung von Referenzszenarien,
die weitere Inventarisierung vorhandener nationaler Ressourcen und die
Beschleunigung der Mobilisierung der verfügbaren Ressourcen. Koordinie-
rungsmaßnahmen durch das MIC dürfen jedoch weiterhin nur auf Anfor-
derung der Mitgliedstaaten oder der Ratspräsidentschaft (im Fall einer Kata-
strophe außerhalb der EU) ausgelöst werden. Die übrigen Mitgliedstaaten
sind gemäß Artikel 222 AEUV zur Solidarität und zur gegenseitigen Unter-
stützung bei Katastrophen aufgerufen.

Eine unabhängige Verwaltung und Abrufbarkeit der Ressourcen durch die
Kommission würde die vom Vertrag vorgesehene Kompetenz der Mitglied-
staaten hingegen in unzulässiger Weise verdrängen. Automatismen dürfen
nicht entstehen.

4. Der Bundestag begrüßt die engere Verzahnung von Katastrophenschutz und
humanitärer Hilfe und eine verstärkte Koordinierung zwischen dem MIC und
der Krisenstelle für humanitäre Hilfe (ECHO). Er ist zudem der Auffassung,
dass die Koordinierung mit den Vereinten Nationen weiter verbessert werden
sollte. Der Bundestag lehnt jedoch eine neue EU-Einsatzzentrale in Form
eines unabhängigen und weisungsbefugten Europäischen Notfallabwehrzen-
trums mangels Kompetenzgrundlage ab. Er weist zudem darauf hin, dass die
außerhalb der Union geleistete humanitäre Hilfe entsprechend dem Euro-
päischen Konsens über die humanitäre Hilfe eine Soforthilfe und stets am Be-
darf ausgerichtet ist.

5. Der Bundestag erinnert an die Osloer Leitlinien und den Europäischen Kon-
sens über die humanitäre Hilfe, wonach militärische Mittel nur als letztes
Mittel eingesetzt werden sollen, wenn es im Einzelfall keine zivilen Möglich-
keiten gibt, um eine dringend benötigte humanitäre Hilfeleistung zu erbringen.
Er macht deutlich, dass nach wie vor jeder Mitgliedstaat selbst entscheidet, ob
und unter welchen Bedingungen er militärische Mittel im Katastrophenschutz
und bei der humanitären Hilfe einsetzt.

Drucksache 17/5194 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
6. Der Bundestag begrüßt grundsätzlich Maßnahmen zur Verbesserung der
Sichtbarkeit der EU-Hilfen, jedoch sollte dies nicht zum Selbstzweck wer-
den. Die nationalen Beiträge sollten zudem weiterhin sichtbar sein.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. diese Stellungnahme als Grundlage für die Verhandlungspositionen zu künf-
tigen Rechtsänderungsvorschlägen im Rahmen der Europäischen Katastro-
phenabwehr zu nutzen;

2. bei allen Überlegungen und Maßnahmen zum Ausbau des europäischen
Katastrophenschutzes auf die Beachtung des Substitutionsverbots und des
Subsidiaritätsprinzips hinzuwirken;

3. Maßnahmen zu unterstützen, die das Gemeinschaftsverfahren effizienter und
effektiver machen sowie die Mobilisierung der verfügbaren Ressourcen be-
schleunigen, bei gleichzeitiger Förderung der Eigenverantwortung der Mit-
gliedstaaten.

Berlin, den 23. März 2011

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Birgit Homburger und Fraktion

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