BT-Drucksache 17/4842

Geschlechtergerechte Besetzung von Führungspositionen der Wirtschaft

Vom 22. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4842
17. Wahlperiode 22. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke,
Katja Kipping, Jan Korte, Jutta Krellmann, Caren Lay, Sabine Leidig, Ulla Lötzer,
Petra Pau, Jens Petermann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Raju Sharma,
Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Geschlechtergerechte Besetzung von Führungspositionen der Wirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die fehlende paritätische Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten der
Privatwirtschaft durch Frauen und Männer widerspricht dem Gleichstellungs-
auftrag des Grundgesetzes (GG) und ist undemokratisch. Sowohl Artikel 3 GG
als auch europäische Richtlinien verpflichten die Bundesregierung zu ver-
bindlichen Festlegungen für die Besetzung von Führungspositionen durch
Frauen und Männer. Doch keine Bundesregierung kam bisher der Aufgabe
nach, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und
Männern in diesen Gremien der Privatwirtschaft zu fördern. Das Deutsche In-
stitut für Wirtschaftsforschung e. V. hat in seiner jüngsten Studie ermittelt,
dass weniger als 1 Prozent der Vorstände in den 100 größten deutschen Unter-
nehmen weiblich sind. Frauen besetzen nur 10 Prozent der Posten in Auf-
sichtsratsgremien. Drei Viertel dieser Frauen gehören dem Aufsichtsrat auf
der Arbeitnehmerseite an. Ohne die Arbeitnehmervertreterinnen wäre
Deutschland im europäischen Vergleich gemeinsam mit Spanien und Italien
absolutes Schlusslicht.

2. Der bundesweite Frauenanteil im Management von 17,37 Prozent ist eine
gleichstellungspolitisch und gesellschaftlich fragwürdige Verschwendung
des Wissens der Mehrheit der Bevölkerung. In der Bundesrepublik Deutsch-
land bilden Frauen fast die Hälfte aller Hochschulabsolventinnen und -ab-
solventen und dies mit deutlich besseren Abschlüssen als Männer. Die hohe
fachliche Qualifikation von Frauen spiegelt sich aber nicht in einer entspre-
chenden Präsenz in Führungspositionen wider.

3. Die Erfahrungen des öffentlichen Dienstes wie auch solche anderer europäi-
scher Staaten zeigen, dass gesetzgeberische Vorgaben, insbesondere Quoten,

einen wesentlichen Impuls zur Herstellung der Geschlechtergerechtigkeit
geben können. So ist in Norwegen seit 2006 ein Anteil von 40 Prozent
Frauen in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften gesetzlich vorgeschrie-
ben. In Frankreich, Spanien und den Niederlanden existieren verbindliche
Quoten von 30 bis 40 Prozent für Aufsichtsräte und Vorstände. Die Bundes-
regierung setzt demgegenüber weiterhin auf eine freiwillige Selbstverpflich-
tung der Wirtschaft. Diese erzielt jedoch ebenso wenig eine substantielle

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Wirkung wie die „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den
Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancen-
gleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“ vom Juli 2001.
Die Ergebnisse der letzten 20 Jahre zeigen, dass eine Selbstverpflichtung
nicht funktioniert. An verbindlichen gesetzlichen Regelungen führt deshalb
kein Weg vorbei.

4. Eine Quotierung der Führungspositionen als alleinige Veränderung ist unzu-
reichend. Der Führungskräftemonitor des Deutschen Instituts für Wirtschafts-
forschung e. V. 2010 beklagt, dass Frauen nicht nur in geringerer Zahl auf
allen Hierarchieebenen vertreten sind, sondern dass sie, wenn sie es in die
entsprechenden Positionen geschafft haben, einen geringeren Verdienst und
auch weniger Sondervergütungen als ihre männlichen Kollegen erhalten. Der
Gender Pay Gap liegt für Führungspositionen bei 28 Prozent und Deutsch-
land damit auf dem drittletzten Rang unter den EU-Staaten im Hinblick auf
die Angleichung der Gehälter von Frauen und Männern.

II. Der Deutsche Bundestag beauftragt die Bundesregierung, im Jahr 2011 einen
Gesetzentwurf zur geschlechtergerechten Besetzung von Führungspositionen
der Wirtschaft vorzulegen, der mindestens folgende Festlegungen enthält:

A. Grundsätzliche Festlegungen

1. Das Gesetz zur geschlechtergerechten Besetzung von Führungsposi-
tionen der Wirtschaft gilt für alle Aktiengesellschaften, Kommanditge-
sellschaften auf Aktien, aufsichtsratsfähigen Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung, Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Ge-
genseitigkeit, Europäische Aktiengesellschaften, Europäische Genossen-
schaften und Gesellschaften nach grenzüberschreitender Verschmelzung,
soweit diese für das dualistische System optiert haben – nachfolgend Un-
ternehmen genannt.

2. Als Führungspositionen im Sinne dieses Gesetzes gelten alle Positionen
in Vorständen und Aufsichtsräten.

3. Ziel des Gesetzes ist die geschlechtergerechte Besetzung aller Führungs-
positionen der Unternehmen mit Frauen und Männern. Dieses Ziel ist in-
nerhalb einer Zeitspanne von zehn Jahren durch folgende Stufenlösung
zu erreichen:

● Innerhalb der ersten fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes werden
die Unternehmen verpflichtet, in Vorständen und Aufsichtsräten einen
Anteil von mindestens einem Drittel Männer und mindestens einem
Drittel Frauen zu erreichen. Die verbleibenden Mandate werden frei
besetzt.

● Ab dem zehnten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes sind die Unter-
nehmen verpflichtet, einen Anteil von mindestens 50 Prozent Frauen
in allen Führungspositionen nachzuweisen.

4. Die Quoten für die Besetzung der Führungspositionen gelten sowohl für
die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeberseite als auch der Be-
schäftigtenseite.

5. Um die personellen Voraussetzungen für eine fachlich fundierte Auswahl
von Frauen und Männern für Führungspositionen zu verbessern, sind die
Unternehmen ab Inkrafttreten des Gesetzes verpflichtet, ein Qualifizie-
rungskonzept für Führungspositionen zu erarbeiten und geeignete Kandi-
datinnen und Kandidaten auf der Grundlage dieses Konzeptes zur Über-
nahme von Führungsverantwortung zu befähigen (Poolbildung). Inter-

nationale Erfahrungen mit Mentoringprogrammen, in denen erfahrene

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Führungskräfte und Kandidatinnen/Kandidaten gemeinsame Qualifizie-
rungsmaßnahmen durchführen, sind einzubeziehen.

6. Zum Abbau bestehender Entgeltungleichheit bei Führungspositionen sind
die Unternehmen verpflichtet, einen Maßnahmenplan zur gleichen Bezah-
lung (einschließlich Boni und Sonderzahlungen) gleicher und gleich-
wertiger Tätigkeiten von Frauen und Männern in Führungspositionen zu
erarbeiten und zu veröffentlichen.

7. Die Unternehmen sind verpflichtet, in ihrem Jahresabschluss über die
Maßnahmen zum Erreichen der gesetzlichen Quote für Führungspositio-
nen und zur Herstellung der Entgeltgleichheit zu berichten. Der Bericht
muss mindestens Angaben enthalten zum erreichten Anteil der Ge-
schlechter an den Führungspositionen sowie bei Nichterreichen der
Quote die dafür maßgeblichen Gründe, die beschlossenen Maßnahmen
zur Zielerreichung und deren Zeithorizont. Aussagen zur Verringerung
der Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern in Führungsposi-
tionen sind ebenfalls zwingender Bestandteil des Jahresabschlusses.

B. Verfahren in den Unternehmen zur Erhöhung der Transparenz des Auswahl-
verfahrens für Führungspositionen

1. Zur Sicherung von mehr Transparenz bei der Besetzung von Führungs-
positionen und zur Sicherung der Chancengleichheit aller infrage kom-
menden Bewerberinnen und Bewerber wird die anstehende Neubeset-
zung von Vorstands- und Aufsichtsratsposten rechtzeitig vor Auslaufen
des jeweiligen Mandats mindestens auf der Internetseite des Unterneh-
mens veröffentlicht.

2. Für das Vorschlagsverfahren bei Neu- oder Wiederbesetzungen von Vor-
stands- und Aufsichtsratspositionen wird durch die Unternehmen ein No-
minierungsausschuss eingerichtet. Dieser erarbeitet Mindestanforderun-
gen an Kandidatinnen und Kandidaten für neu- oder wiederzubesetzende
Vorstands- oder Aufsichtsratspositionen, die von der Hauptversammlung
beschlossen werden. Dem Nominierungsausschuss gehören die Vertrete-
rinnen und Vertreter der Beschäftigtenseite analog zu den Regelungen
des Drittelbeteiligungsgesetzes an.

Die beschlossenen Mindeststandards sind auf der Internetseite des Unter-
nehmens zu veröffentlichen.

3. Der Nominierungsausschuss veröffentlicht die entscheidungsrelevanten
Details zu den Kandidatinnen und Kandidaten datenschutzkonform auf
der Internetseite des Unternehmens und begründet seinen Vorschlag

a) für Vorstandspositionen gegenüber dem Aufsichtsrat,

b) für Aufsichtsratspositionen gegenüber der Hauptversammlung.

C. Sanktionen bei Verstößen gegen das Gesetz

1. Neu gegründete Unternehmen im Sinne dieses Gesetzes werden ab In-
krafttreten des Gesetzes nur dann in das Handelsregister eingetragen,
wenn die geschlechterbezogene Zusammensetzung ihrer Führungsgre-
mien den gesetzlichen Vorgaben entspricht.

2. Verstößt ein bei Inkrafttreten bereits gegründetes Unternehmen mit der
Neubesetzung einer Führungsposition gegen die Quotierungsregelung
des Gesetzes, ist diese Wahl/Benennung nichtig. Das so gewählte Vor-
stands- oder Aufsichtsratsmitglied wird nicht ins Handelsregister einge-
tragen.

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3. Verstößt ein Unternehmen ein zweites Mal gegen das Gesetz, wird gegen
dieses eine Geldbuße verhängt, deren Höhe an die Wertschöpfung des
Unternehmens gekoppelt ist.

Berlin, den 22. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Führungspositionen in diesem Land werden nach wie vor von Männern do-
miniert, besonders an den Schnittstellen der Entscheidungen in Politik und
Wirtschaft.

Mehrere Bundesregierungen haben versucht, die Unternehmen zu einer freiwil-
ligen Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft
zu bewegen und sind damit gescheitert. Besonders hartnäckig ist die Verweige-
rungshaltung bei der geschlechtergerechten Besetzung von Vorständen und
Aufsichtsräten. Deshalb ist jetzt der Gesetzgeber gefordert, mit klaren Quoten-
regelungen die fortdauernde Verletzung von Artikel 3 GG zu unterbinden.

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