BT-Drucksache 17/472

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 Satz 1)

Vom 20. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/472
17. Wahlperiode 20. 01. 2010

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Cornelia Möhring, Matthias W. Birkwald,
Ulla Jelpke, Wolfgang Nescovic, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 3 Absatz 3 Satz 1)

A. Problem

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, transsexuelle und intersexuelle
Menschen sind in unserer Gesellschaft auch heute noch Anfeindungen, gewalt-
samen Übergriffen und Benachteiligungen ausgesetzt. Einfachgesetzliche Dis-
kriminierungsverbote haben die rechtliche Situation der Betroffenen zwar deut-
lich verbessert. Ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung aufgrund der
sexuellen Identität im Grundgesetz schafft jedoch eine klare Maßgabe für den
einfachen Gesetzgeber. Letztlich steht es für das deutliche Bekenntnis, dass Ge-
sichtspunkte der sexuellen Identität eine ungleiche Behandlung unter keinen
Umständen rechtfertigen können.

Die frühere Strafbarkeit der „Unzucht zwischen Männern“ gemäß § 175 des
Strafgesetzbuchs (StGB) in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juni 1935
(RGBl. I S. 839), die erst durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts
vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) aufgehoben wurde, belegt, dass das all-
gemeine Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 Absatz 1 des Grundgesetzes
keinen ausreichenden Schutz gegenüber abweichenden, in der Gesellschaft
herrschenden Sexualvorstellungen bietet. Ein Umschlag des gesellschaftlichen
Klimas gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, transsexuel-
len und intersexuellen Menschen ist derzeit zwar nicht zu befürchten. Es ist je-
doch eine wesentliche Funktion verfassungsrechtlicher (Grundrechts-)Normen,
ihren Regelungsgehalt der Gestaltungsmacht des einfachen Gesetzgebers und
damit dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen
Kräfte zu entziehen.

B. Lösung

Einfügung des Merkmals der sexuellen Identität in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1
des Grundgesetzes.
C. Alternativen

Keine

Drucksache 17/472 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

D. Finanzielle Auswirkungen

Für die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen und für die sonstigen
Kosten haben die Grundgesetzänderungen keine unmittelbaren Auswirkungen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/472

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 3 Absatz 3 Satz 1)

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2 des

Dr. Gregor Gysi und Frak
tion
Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

In Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetz-
blatt III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten be-
reinigten Fassung, das zuletzt durch das Gesetz vom …
(BGBl. I S. …) geändert worden ist, werden nach den
Wörtern „wegen seines Geschlechtes,“ die Wörter „seiner
sexuellen Identität,“ eingefügt.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 20. Januar 2010

schützt. Die Frage, welche Gründe geeignet sind, eine (LSVD) sowie der meisten Trägervereinen der Christo-

Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen, verweist
auch auf die herrschenden gesellschaftlichen Moral- und
Wertvorstellungen. Diese sind in den letzten Jahren und

pher-Street-Days auf. Die Initiative wird von Landesregie-
rungen getragen, an denen die Fraktionen CDU, SPD, DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beteiligt sind.
Drucksache 17/472 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Als Konsequenz aus der nationalsozialistischen Verfol-
gungs-, Vernichtungs- und Selektionspolitik hatte sich der
Parlamentarische Rat 1948/49 dafür entschieden, neben
dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3
Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) in Artikel 3 Absatz 3 GG
zu verankern, welche persönlichen Merkmale als Anknüp-
fungspunkt staatlicher Differenzierung schlechthin aus-
scheiden: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat
und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politi-
schen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Zwei der im nationalsozialistischen Deutschland systema-
tisch verfolgten Personengruppen fehlten in dieser Aufzäh-
lung: Behinderte und Homosexuelle. Im Rahmen der Über-
arbeitung des Grundgesetzes nach der Deutschen Einheit
wurde 1994 in Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG das Verbot der
Benachteiligung aufgrund der Behinderung aufgenommen.
In der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundes-
tag und Bundesrat sprach sich zwar eine Mehrheit für die
Aufnahme eines Diskriminierungsverbots aufgrund der
sexuellen Identität aus, die erforderliche Zweidrittelmehr-
heit wurde jedoch nicht erreicht (Bundestagsdrucksache
12/6000, S. 54).

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, transsexuelle
und intersexuelle Menschen sind in unserer Gesellschaft
auch heute noch Anfeindungen, gewaltsamen Übergriffen
und Benachteiligungen ausgesetzt. Zwar ist die Diskriminie-
rung aufgrund der sexuellen Identität in vielen Bereichen
durch einfachgesetzliche Regelungen verboten, z. B. § 1 des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, § 75 Absatz 1 des
Betriebsverfassungsgesetzes, § 9 des Bundesbeamtengeset-
zes, § 9 des Beamtenstatusgesetzes, § 19a des Vierten
Buches Sozialgesetzbuch. Die Ergänzung des Artikel 3 Ab-
satz 3 Satz 1 GG schafft darüber hinaus eine klare Maßgabe
für den einfachen Gesetzgeber und hält zum Abbau recht-
licher wie außerrechtlicher Benachteiligungen an.

Ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung aufgrund
der sexuellen Identität im Grundgesetz entfaltet zudem mit-
tels der Ausstrahlungswirkung über die Generalklauseln des
Zivilrechts in zahlreichen Rechtsbereichen Wirkung. Letzt-
lich steht es für das deutliche Bekenntnis, dass Gesichts-
punkte der sexuellen Identität eine ungleiche Behandlung in
unserer Gesellschaft unter keinen Umständen rechtfertigen
können.

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, transsexuelle
und intersexuelle Menschen sind auch durch das allgemeine
Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 Absatz 1 GG vor
willkürlicher Ungleichbehandlung seitens des Staates ge-

schen gekennzeichnet, deren sexuelle Identität von den tra-
ditionell anerkannten Mustern abweicht.

Die verfassungsgerichtlich bestätigte (BVerfGE 6, 389,
420 ff., 432 ff.) frühere Strafbarkeit der „Unzucht zwischen
Männern“ gemäß § 175 StGB in der Fassung des Gesetzes
vom 28. Juni 1935 (RGBl. I, S. 839), die erst durch das
Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969
(BGBl. I, S. 645) aufgehoben wurde, belegt, dass das allge-
meine Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 Absatz 1 GG
keinen ausreichenden Schutz gegenüber abweichenden, in
der Gesellschaft herrschenden Sexualvorstellungen bietet.
Ein Umschlag des gesellschaftlichen Klimas gegenüber
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, transsexuel-
len und intersexuellen Menschen ist derzeit zwar nicht zu
befürchten. Es ist jedoch eine wesentliche Funktion verfas-
sungsrechtlicher (Grundrechts-)Normen, ihren Regelungs-
gehalt der Gestaltungsmacht des einfachen Gesetzgebers
und damit dem Wechselspiel der verschiedenen politischen
und gesellschaftlichen Kräfte zu entziehen.

Nicht zuletzt mit Blick auf diejenigen, die zwischen 1949
und 1969 nach § 175 StGB strafrechtlich verfolgt wurden,
signalisiert ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot in
Artikel 3 Absatz 3 GG, dass Fragen der Sexualität fortan
nicht mehr zum Nachteil gereichen dürfen. Bundestag und
Bundesrat haben dem an die Europäische Union gerichteten
Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrich-
tung in Artikel 21 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union bereits zugestimmt, ebenso der Zustän-
digkeit der Europäischen Gemeinschaft zur Bekämpfung
derartiger Diskriminierungen in ihrem Zuständigkeitsbe-
reich (vgl. Artikel 13 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung
der Europäischen Gemeinschaft).

Der Begriff „sexuelle Identität“ fasst ausdrücklich und aus-
schließlich die geschlechtliche Identität und die sexuellen
Orientierung. Der Schutz vor Diskriminierung bezieht sich
auf Lesben, Schwule, Transsxuelle, Transgender und Inter-
sexuelle. Der Begriff „sexuelle Identität“ ist bereits in § 75
BetrVG, § 1 AGG und in Landesverfassungen von Berlin
und Bremen (Artikel 10 Absatz 2 der Verfassung von Berlin,
Artikel 12 Absatz 2 der Verfassung des Landes Branden-
burg, Artikel 2 der Landesverfassung der Freien Hansestadt
Bremen) eingegangen und wird zum Schutz dieser Gruppen
verstanden. Eine weitergehende Interpretation des Begriffs,
beispielsweise eine, die hierin den Schutz für Sodomiten
und Pädophile sehen würde, diskreditiert den Begriff
„sexuelle Identität“ bewusst.

Die Länder Berlin, Bremen und Hamburg haben einen ent-
sprechenden Gesetzesantrag auf Ergänzung des Artikels 3
Absatz 3 GG in den Bundesrat eingebracht (Bundesrats-
drucksache 741/09 vom 29. September 2009) und griffen
damit eine Initiative des Lesben- und Schwulenverband
Jahrzehnten von einem Abbau der Vorurteile und der damit
verbundenen gesellschaftlichen Ächtung gegenüber Men-

Dieses Anliegen ist im parlamentarischen und außerparla-
mentarischen Raum verankert.

Deutscher Bundestag – 17. Drucksache 17/472
Wahlperiode – 5 –

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1

Die Formulierung greift den der Gemeinsamen Verfas-
sungskommission von Bundestag und Bundesrat vorgeleg-
ten Textvorschlag auf (vgl. Bundestagsdrucksache 12/6000,
S. 54).

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten dieses Gesetzes.

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