BT-Drucksache 17/4709

Deckungslücke bei privat krankenversicherten ALG-II-Beziehenden nach dem Urteil des Bundessozialgerichts

Vom 8. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4709
17. Wahlperiode 08. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Inge Höger, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz,
Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Deckungslücke bei privat krankenversicherten ALG-II-Beziehenden
nach dem Urteil des Bundessozialgerichts

Die Deckungslücke bei privat krankenversicherten ALG-II-Beziehenden (ALG:
Arbeitslosengeld) ist der Bundesregierung seit Inkrafttreten des entsprechenden
Gesetzes, des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes am 1. April 2007 bekannt.
Die Regelungen zur Deckungslücke selbst sind am 1. Januar 2009 in Kraft ge-
treten.

Schon seit Ende 2008 weist die Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag
die Bundesregierung regelmäßig in zahlreichen Schriftlichen und Mündlichen
Fragen, in Kleinen Anfragen und Anträgen darauf hin, dass den Betroffenen
nicht das verfassungsmäßig garantierte Existenzminimum gewährt wird. Die
Bundesregierung hat dies stets bestritten, aber immer wieder eine baldige
Lösung in Aussicht gestellt. Gehandelt hat sie bis heute nicht.

Nun hat das Bundessozialgericht am 18. Januar 2011 festgestellt, dass das ver-
fassungsmäßig garantierte Existenzminimum durch die geltenden Regelungen
verletzt wird. Es hat entschieden, dass die Grundsicherungsbehörde dem betrof-
fenen Kläger die kompletten geforderten Krankenversicherungsbeiträge erstat-
ten muss.

Auf eine Mündliche Frage des Abgeordneten Harald Weinberg in der Frage-
stunde am 26. Januar 2011 (Plenarprotokoll 17/86, S. 9703 C) antwortete die
Bundesregierung, dass die Bundesagentur für Arbeit derzeit die notwendigen
Vorkehrungen träfe, damit für die laufenden Beiträge zur privaten Krankenver-
sicherung von ALG-II-Beziehenden zeitnah ein Zuschuss im notwendigen Um-
fange gezahlt würde. Dieser Zuschuss würde von Amts wegen angepasst, ein
Tätigwerden der Betroffenen sei insoweit nicht notwendig.

Durch die Deckungslücke wird privat krankenversicherten ALG-II-Beziehen-
den durch die ARGEn nur ein Zuschuss von rund 126 Euro gewährt, während
sie den privaten Krankenversicherungen etwa 290 Euro zahlen müssen. Entspre-

chendes gilt auch für die Pflegeversicherung. Die Differenz müssen die Hilfe-
bedürftigen entweder aus dem Regelsatz bestreiten oder bei den Krankenver-
sicherungen Schulden aufhäufen – derzeit bis zu einer Höhe von über 4 000 Euro.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit bewusst, dass die
Betroffenen oftmals seit zwei Jahren in ständiger Angst leben, die laufenden

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Kosten ihrer (Pflicht-)Krankenversicherung nicht zahlen zu können und zu-
dem jederzeit mit der Vollstreckung der aufgelaufenen Ansprüche durch ihre
private Krankenversicherung rechnen müssen?

Ist daher Eile bei der Umsetzung angezeigt?

2. Ab wann werden die Grundsicherungsstellen vor Ort den Hilfebedürftigen
den kompletten Beitrag erstatten?

3. Auf welchem verwaltungstechnischen Weg wird diese Umsetzung erfol-
gen?

4. Wie viele Betroffene gibt es derzeit?

5. Welche laufenden Kosten werden durch die anstehende Neuregelung ent-
stehen (falls nicht bekannt, bitte die Größenordnung angeben), und wie wird
dies finanziert?

6. Wird der komplette Beitrag auch rückwirkend ab dem 1. Januar 2009 erstat-
tet werden?

Wird die rückwirkende Erstattung auch die durch die verfassungswidrige
Regelung entstandenen Mahngebühren, die Zinsen und Ähnliches um-
fassen?

Wenn ja, wie kann dies von Amts wegen geschehen?

7. Gilt diese Beitragsrückerstattung nur in dem Falle, in dem aktuell Schulden
existieren oder auch in den Fällen, in denen die Beiträge zwar bislang nicht
von den Grundsicherungsstellen erstattet, aber von den Hilfebedürftigen be-
zahlt wurden?

8. Wie hoch werden die Kosten für die Beitragsrückerstattung ausfallen (falls
nicht bekannt, bitte die Größenordnung angeben), und wie werden diese
finanziert?

9. Welchen Grund gibt es, dass die Grundsicherungsstellen der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) künftig für einen ALG-II-Beziehenden weni-
ger als die Hälfte des Geldes zahlen, wie den privaten Krankenversicherun-
gen für die prinzipiell gleiche Leistung?

10. Weshalb wird der GKV einerseits ein zu niedriger, willkürlicher Betrag von
rund 126 Euro für die Versicherung von ALG-II-Beziehenden gezahlt und
gleichzeitig ein ebenso willkürlicher pauschaler Steuerzuschuss wegen der
Übernahme gesamtgesellschaftlicher Aufgaben gezahlt?

Worin liegt hier der ordnungspolitische Sinn?

Berlin, den 8. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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