BT-Drucksache 17/4497

Kürzungen beim öffentlichen Personennahverkehr Sachsen

Vom 20. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4497
17. Wahlperiode 20. 01. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Herbert Behrens, Roland Claus,
Katja Kipping, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Thomas Lutze,
Dr. Ilja Seifert, Dr. Axel Troost, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Kürzungen beim öffentlichen Personennahverkehr in Sachsen

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist ein zentraler Bestandteil des
Verkehrs. Auf ein gutes und reibungsloses Funktionieren sind insbesondere die-
jenigen angewiesen, die nicht die Möglichkeit haben ihre Fahrten mit einem
Auto zurückzulegen. Insbesondere sind ältere Menschen, Studenten, Kinder,
Menschen mit Behinderung sowie Menschen mit geringen Einkommen beson-
ders auf den ÖPNV angewiesen. Auch ist ein gut ausgebauter und funktionie-
render ÖPNV ein zentraler Bestandteil für die für den Klimaschutz erforderli-
che Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen durch den Verkehr.

Die Bundesländer erhalten „zur Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung
der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr“
(§ 1 Absatz 1 des Regionalisierungsgesetzes – RegG) vom Bund jährliche
Zuweisungen (sog. Regionalisierungsmittel). Bei der letzten Novelle des RegG
wurde eine Berichtspflicht der Länder an den Bund neu ins Gesetz eingeführt.
In ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 87 auf Bundestagsdrucksache 17/2589
der Abgeordneten Sabine Leidig, Fraktion DIE LINKE., vom 8. Juli 2010, ob
diese Berichte dem Bund von allen Ländern vorliegen, führte die Bundesregie-
rung aus: „Der Bundesregierung liegen von allen Bundesländern Berichte über
die Verwendung der Mittel gemäß § 6 Absatz 2 des Regionalisierungsgesetzes
(RegG) vor. Die Zusendung der Berichte ergibt sich aus der Umsetzung des
Auftrages in § 6 Absatz 2 RegG.“

In ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 88 auf Bundestagsdrucksache 17/2589
zu den Kriterien für diese Berichte führte die Bundesregierung ferner aus:
„Auf der Verkehrsministerkonferenz am 22./23. April 2009 haben sich Bund
und Länder auf die im Folgenden dargestellten einheitlichen Kriterien verstän-
digt.“

Drucksache 17/4497 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Tabelle 1: Kriterien nach § 6 Absatz 2 RegG, welche die Bundesregierung auf
die Schriftliche Frage 88 der Abgeordneten Sabine Leidig bereit-
stellte:

Nachweis über die Verwendung der Regionalisierungsmittel für das Bun-
desland:

Die Zuweisungen des Bundes für Sachsen steigen für 2011 im Vergleich zu
2010 um 7,4 Mio. Euro. Anstatt die vom Bund bereitgestellten Mittel voll-
umfänglich für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) zur Verfügung zu
stellen, werden im Freistaat Sachsen (vgl. u. a. DNN-Online, Artikel vom 29. De-
zember 2010)1 die Regionalisierungsmittel nicht in vollem Umfang weiterge-
reicht. Eine Anhörung im Sächsischen Landtag am 14. September 2010 ergab,
dass von 2009 bis 2012 rund 144 524 700 Euro (Regionalisierungsmittel des
Bundes für Betriebskosten ÖPNV) und 100 933 700 Euro (Regionalisierungs-
mittel des Bundes für Investitionskosten ÖPNV) nicht an die regionalen
Zweckverbände in Sachsen weitergereicht worden sind bzw. nicht weiter-
gereicht werden sollen.

Durch die Kürzungen werden nötige Ersatzinvestitionen unmöglich und es
droht damit letztendlich ein Investitionsstau. Für Leipzig bedeutet das konkret:
Streichung der Baukostenzuschüsse für die Sanierung SPNV Regionalnetze
von 2011 bis 2013, eine Tariferhöhung bis 10 Prozent sowie die Infragestellung
von rund 800 000 Zugkilometer pro Jahr (das sind rund 8 Prozent des gesamten
Angebotes).

Unter anderem ist eine befristete Stilllegung der Linie S1 (Verbindung Grünau
mit Leipziger Hauptbahnhof) im Gespräch. Diese Linie, welche rund 3 000 täg-
liche Nutzer hat, ist für rund 46 000 Bürgerinnen und Bürger ein schneller Weg
in die Innenstadt.

Bereiche Verwendungszweck

1 Verfügbare Mittel Zuweisung nach § 5 RegG

Reste Vorjahr

verfügbare Mittel insgesamt

2 Leistungsbestellungen Bestellungen im SPNV

Bestellungen im ÖPNV

3 Managementaufwand SPNV

ÖPNV

4 Investition in Verkehrsanlagen SPNV

ÖPNV

5 Investition in Fahrzeuge SPNV

ÖPNV

6 Tarifausgleiche Verbundförderung

Ausgleich Ausbildungsverkehr

7 Sonstiges
1 Vergleiche DNN-Online vom 29. Dezember 2010 (www.dnn-online.de/nachrichten/sachsen/mittelkuer-
zung-laesst-nahverkehr-in-sachsen-rechnen--ausduennung-der-fahrplaene-droht/r-sachsen-a-17546.html).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4497

Eine neue, ab 1. Januar 2011 gültige Finanzierungsverordnung2 (FinVO) sieht
im Vergleich zur derzeit gültigen vom 29. April 2009 trotz der steigenden Mit-
tel, Kürzungen für die Zweckverbände bis 2014 in Höhe von insgesamt
131 795 747 Euro vor (Tabelle 2).

Tabelle 2: Vergleich alter und neuer Finanzierungsverordnung (FinVO)

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass die vom Bund zugeteilten
Mittel komplett an die Aufgabenträger weitergereicht werden sollten?

Wenn nein, warum nicht?

2. Welche Haltung hat die Bundesregierung gegenüber der Tatsache, dass die
sächsische Landesregierung im Rahmen ihrer Haushaltskürzungen die vom
Bund bereitgestellten Regionalisierungsmittel nicht vollständig an die ent-
sprechenden Zweckverbände weiterreichen will (bitte mit Begründung)?

3. Sieht es die Bundesregierung als gewährleistet an, dass in Sachsen trotz der
vorgesehenen Kürzung der Mittel an die Zweckverbände die Regionalisie-
rungsmittel in Sachsen zweckgemäß verwendet werden?

4. Für welche Jahre liegen dem Bund aus welchen Ländern die Berichte nach
§ 6 Absatz 2 RegG vor?

5. Aus welchem Grund hat die Bundesregierung die Verwendung der Regiona-
lisierungsmittel durch die Länder bislang nicht veröffentlicht, nicht einmal
in aggregierter Form?

6. Inwieweit reichten die Länder die Zuweisungen des Bundes im Rahmen des
Regionalisierungsgesetzes an die entsprechenden Aufgabenträger weiter
(bitte mit tabellarischer Auflistung nach Bundesland und weitergereichten
und nicht weitergereichten Mitteln)?

ÖPNV Sachsen - Mittelbereitstellung
An die Zusammenschlüsse in den Jahren 2008 bis 2014

auszureichende Mittel in EUR

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
1. Zweckverband für Nahverkehrsraum Leipzig 105.437.800 107.019.367 109.246.268 105.963.238 109.184.640 121.902.967 122.707.529
2. Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen 88.307.000 89.631.605 92.699.764 98.867.638 99.641.530 103.222.409 103.702.035
3. Zweckverband Verkehrsverbund Oberelbe 108.860.600 110.493.509 110.213.804 111.795.233 112.759.320 113.549.158 114.870.153
4. Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien 43.926.100 44.584.992 46.397.375 48.027.954 48.500.103 49.037.352 49.485.539
5. Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland 38.468.500 38.468.500 38.455.159 38.552.041 38.854.218 38.074.073 38.264.552

2011 Diff. zu I. 2012 Diff. zu I. 2013 Diff. zu I. 2014 Diff. zu I.
1. Zweckverband für Nahverkehrsraum Leipzig 99.601.833 6.361.405 99.855.906 9.328.734 111.537.932 10.365.035 112.283.388 10.424.141
2. Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen 92.932.211 5.935.427 91.128.159 8.513.371 94.445.725 8.776.684 94.892.431 8.809.604
3. Zweckverband Verkehrsverbund Oberelbe 105.083.711 6.711.522 103.125.165 9.634.155 103.894.422 9.654.736 105.111.805 9.758.348
4. Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien 45.144.640 2.883.314 44.356.255 4.143.848 44.867.857 4.169.495 45.281.687 4.203.852
5. Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr Vogtland 36.237.605 2.314.436 35.534.515 3.319.703 34.836.752 3.237.321 35.013.936 3.250.616

24.206.104 34.939.811 36.203.271 36.446.561
Weniger Mittel insgesamt (2011 bis 2014)

nach neuer FinVO (II.): in EUR
131.795.747

I. Austellung nach FinVO vom 29. April 2009

II. Aufstellung nach neuer FinVO - Inkrafttreten 1.1.11
2 Vergleiche Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zur
Änderung der Verordnung zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehr.

Drucksache 17/4497 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
7. Wie viel wurden aus den dem Land Sachsen zustehenden Regionalisie-
rungsmitteln in den Jahren, für die dem Bund Berichte vorliegen, vom
Land Sachsen verwendet für:

a) Leistungsbestellungen im SPNV,

b) Leistungsbestellungen im ÖPNV,

c) Managementaufwand SPNV,

d) Managementaufwand ÖPNV,

e) Investitionen in Verkehrsanlagen SPNV,

f) Investitionen in Verkehrsanlagen ÖPNV,

g) Investitionen in Fahrzeuge SPNV,

h) Investitionen in Fahrzeuge ÖPNV,

i) Tarifausgleich – Verbundförderung,

j) Tarifausgleich – Ausbildungsförderung?

8. Welche Haltung hat die Bundesregierung gegenüber der Tatsache, dass In-
vestitionsvorhaben im Freistaat Sachsen im Bereich des öffentlichen Perso-
nennahverkehrs (Haushaltsplan des Freistaates Sachsen, Kapitel Verkehr
Titel: 887 06: für 2011 sind 22,872 Mio. Euro eingeplant) zu Gunsten des
Projektes City-Tunnel Leipzig (Kapitel Verkehr Titel: 891 04: hier sind für
2011 50,922 Mio. Euro eingeplant) zurückgestellt werden müssen (bitte
mit Begründung)?

9. Wie ist unter dem Aspekt der Sicherstellung einer ausreichenden Bedie-
nung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen und mehreren tausend Un-
terschriften von Bürgerinnen und Bürger, welche sich gegen die geplante
befristete Stilllegung der Linie S1 aussprechen, die Haltung der Bundes-
regierung gegenüber dieser geplanten befristeten Stilllegung der Linie S1?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Lage, dass angesichts der Wei-
gerung der Deutschen Bahn AG einen zweiten Aufzug am Südausgang des
geplanten Citytunnels Leipzig zu errichten, auf die Stadt Leipzig für 2012/
2013 zusätzliche 200 000 Euro Investitionskosten für den benötigten Auf-
zug am Südausgang (vgl. Leipziger Internet Zeitung 11. Januar 2011) zu-
kommen werden?

Berlin, den 21. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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