BT-Drucksache 17/4196

Menschenrechtsschutz bei den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen stärken

Vom 15. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4196
17. Wahlperiode 15. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Viola von
Cramon-Taubadel, Priska Hinz (Herborn), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe
Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agens Malczak, Kerstin Müller
(Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof
Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtsschutz bei den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen
stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die OECD-Leitsätze (OECD – Organisation für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung) für multinationale Unternehmen wurden 1976 von der
OECD verabschiedet und sind derzeit das am weitesten reichende Instrument
zur Stärkung der globalen Unternehmensverantwortung. Die Leitsätze beinhal-
ten u. a. Vorgaben zur Einhaltung von Menschenrechten, zu Arbeits- und So-
zialstandards, zum Umweltschutz und zum Verbraucherschutz. Die Leitsätze
werden oft als „emerging law“ bezeichnet und stehen an der Schnittstelle zwi-
schen freiwilligen und verbindlichen Regelungen: Für Unternehmen sind die
Leitsätze nur freiwillig, für die 31 Mitgliedstaaten der OECD sowie weitere
elf Staaten gelten sie jedoch als verbindlich. Diese Staaten müssen eine Natio-
nale Kontaktstelle (NKS) einrichten, die Beschwerden über Missachtungen der
Leitsätze bearbeitet.

Die letzte große Revision der Leitsätze erfolgte im Jahr 2000. Seitdem können
Unternehmen auch zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie außerhalb des
Territoriums der unterzeichnenden Staaten die Leitsätze verletzen. Auch können
seitdem Nichtregierungsorganisationen bei den NKS Beschwerden vorbringen.
Trotz dieser weit reichenden Neuerungen wurden in den letzten zehn Jahren
gravierende Schwächen bei der Umsetzung der OECD-Leitsätze deutlich. Im
Mai 2010 beschloss die OECD daher eine erneute Überarbeitung der Leitsätze,
die noch andauert und voraussichtlich im Frühjahr 2011 abgeschlossen sein
wird. Der Revisionsprozess bietet die Chance, bestehende Schwächen zu be-
heben und die Leitsätze zu einem wirksameren Instrument der globalen Unter-
nehmensverantwortung auszugestalten. Der Sonderbeauftragte der Vereinten
Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, hält diese Über-

arbeitung für dringend notwendig. Insbesondere sieht er den Bezug zu Menschen-
rechten in den Leitsätzen als zu schwach. Der Deutsche Bundestag begrüßt die-
sen Revisionsprozess und hält darüber hinaus angesichts der eingeschränkten
Effektivität freiwilliger Selbstverpflichtungen von Unternehmen die Entwick-
lung verbindlicher Regelungen zur menschenrechtlichen Unternehmensverant-
wortung für notwendig.

Drucksache 17/4196 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die NKS ist in Deutschland im Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-
logie in der Abteilung für Auslandsinvestitionen angesiedelt. Nichtregierungs-
organisationen und Gewerkschaften sind bei Beschwerdeverfahren lediglich
durch ihre Mitwirkung in einem Arbeitskreis eingebunden, der sich einmal pro
Jahr trifft. Im Vergleich zu anderen NKS nimmt die deutsche NKS mit der Ab-
lehnung von zehn der bisherigen 16 Beschwerdefälle die Spitze ein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich in der Überarbeitung der OECD-Leitsätze dafür einzusetzen, dass die
Menschenrechte innerhalb der Leitsätze stärker ins Zentrum gerückt werden,
indem menschenrechtliche Verpflichtungen von Unternehmen nicht mehr nur
wie bisher im Grundsatzkapitel erwähnt, sondern in einem eigenen Kapitel
konkretisiert werden;

2. sich bei der Überarbeitung der OECD-Leitsätze dafür einsetzen, dass diese
für alle Geschäftstätigkeiten von Unternehmen, auch für Zulieferbeziehun-
gen, gelten und nicht auf das Vorliegen eines „Investment Nexus“ reduziert
werden dürfen;

3. sich dafür einzusetzen, dass länderbezogene Rechnungspflichten in den Leit-
sätzen verankert werden;

4. sich für einen Sanktionsmechanismus einzusetzen und zukünftig bei Feststel-
lung einer Verletzung der OECD-Leitsätze klarzustellen, welche Konsequen-
zen sich daraus für das Unternehmen ergeben, und dabei Einschränkungen
von staatlichen Mitteln der Außenwirtschaftsförderung vorzusehen;

5. sich dafür einzusetzen, dass in den OECD-Leitsätzen einheitliche Mindest-
standards für die Arbeit der NKS festgelegt werden;

6. sich für einen Revisionsmechanismus im Fall von kontroversen Verfahren
einzusetzen;

7. eine Überprüfung der deutschen NKS durch ein unabhängiges Gremium zu
veranlassen, bei der ein Best-Practice-Vergleich mit anderen NKS erfolgt und
insbesondere Fragen der institutionellen Ansiedelung der NKS sowie der Er-
mittlungsbefugnis der NKS in Beschwerdefällen geklärt werden;

8. eine stärkere institutionelle Einbindung von Nichtregierungsorganisationen
und Gewerkschaften in das Beschwerde- und Umsetzungsverfahren festzu-
legen;

9. sich für die Entwicklung von über freiwillige Selbstverpflichtungen hinaus
gehende verbindliche Regelungen zur menschenrechtlichen Unternehmens-
verantwortung einzusetzen.

Berlin, den 14. Dezember 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die OECD-Leitsätze verlangen bisher lediglich, dass Unternehmen „die Men-
schenrechte der von ihrer Tätigkeit betroffenen Personen respektieren, im Ein-
klang mit den internationalen Verpflichtungen und Engagements der Regierung

des Gastlands“. Diese Einschränkung widerspricht dem universellen und unteil-
baren Charakter der Menschenrechte. Menschenrechtliche Verpflichtungen von

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4196

Unternehmen müssen in einem eigenen Kapitel konkretisiert werden, das den
Stand der internationalen Menschenrechte widerspiegelt. Außerdem müssen
Monitoring- und Sanktionsmechanismen bei Menschenrechtsverletzungen ge-
schaffen werden.

Ein Problem stellt der eingeschränkte Anwendungsbereich der OECD-Leitsätze
wegen der Notwendigkeit eines vorliegenden Investitionsbezuges dar. Nach der
Überarbeitung der OECD-Leitsätze im Jahr 2000 wurde zwar die Reichweite
der Leitsätze unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Zulieferbeziehungen
erweitert. Damit wurde deutlich gemacht, dass Unternehmen auch eine Verant-
wortung für die Einhaltung der Standards der OECD-Leitsätze bei ihren Zulie-
ferern tragen. Der Investitionsausschuss der OECD, der unter anderem für die
Interpretation der OECD-Leitsätze zuständig ist, schränkte 2003 die Reichweite
der Leitsätze jedoch wieder ein. Ein Investitionsbezug („Investment Nexus“)
wurde zur Voraussetzung der Geltung der Leitsätze erklärt. Damit bleiben die
OECD-Leitsätze bei den so wichtigen Lieferbeziehungen zwischen Unterneh-
men häufig wirkungslos. Insbesondere die deutsche NKS hatte die Festsetzung
des „Investment Nexus“ auf OECD-Ebene vorangetrieben und diesen Begriff
für eine restriktive Interpretation der Reichweite der Leitsätze genutzt. Mit Be-
zug auf den „Investment Nexus“ lehnte die deutsche NKS bisher vier Beschwer-
den ab, die auf Verstöße gegen die Leitsätze im Rahmen von Handelsgeschäften
oder Finanzdienstleistungen aufmerksam machten.

Bislang sehen die Leitsätze keine länderbezogene Rechnungslegung bezüglich
der Besteuerung vor. Verpflichtende Angaben von Umsätzen und Gewinnen, ge-
zahlten Steuern – und bei Rohstoffunternehmen der Volumina der geförderten
Rohstoffe – für jedes Land sind wichtig, um problematische Transaktionen, etwa
über Steueroasen, transparent zu machen. Zurzeit müssen Konzerne lediglich
konsolidierte Jahresabschlüsse veröffentlichen.

Um die Wirksamkeit der OECD-Leitsätze zu erhöhen, müssen wirkungsvolle
Sanktionsmechanismen bei Verstößen geschaffen werden. Bislang leiten die
NKS nach Annahme einer Beschwerde ein Schlichtungsverfahren ein. Kommt
es zu keiner einvernehmlichen Lösung, ist vorgesehen, dass die NKS eine Erklä-
rung und Empfehlungen an das Unternehmen abgibt. Um Unternehmen wirklich
zur Einhaltung der Leitsätze zu bewegen, muss eine Verletzung der Leitsätze je-
doch Konsequenzen für das Unternehmen haben. Deshalb müssen die OECD-
Leitsätze an nationale Instrumente wie die Vergabe staatlicher Exportkredite,
Hermes-Bürgschaften und weitere staatliche Unterstützungsmaßnahmen für
ausländische Direktinvestitionen und Außenhandel gekoppelt werden.

Die NKS sind bisher institutionell unterschiedlich ausgestaltet und arbeiten auf
einem sehr unterschiedlichen Qualitätsniveau. Dies führt zu uneinheitlichen
Entscheidungen über die Annahme und Bearbeitung von Beschwerdefällen und
schwächt so die Wirksamkeit der OECD-Leitsätze insgesamt. Für eine effiziente
und möglichst kohärente Anwendung der OECD-Leitsätze sind Mindeststan-
dards für die Arbeitsweise von NKS unerlässlich.

Auch bezüglich der institutionellen Ausgestaltung der deutschen NKS, die im
Bundeswirtschaftsministerium in der Abteilung für Auslandsinvestitionen ange-
siedelt ist, gibt es großen Handlungsbedarf. Die Multistakeholder-Struktur der
niederländischen NKS oder die Struktur der britischen NKS mit einem Multi-
stakeholder-Aufsichtsgremium sollten für die deutsche NKS als Vorbild dienen.

Im Fall von kontroversen Verfahren existiert bislang kein Revisionsmechanis-
mus. Die Nationalen Kontaktstellen führen bei einer kontroversen Faktenlage
meist keine unabhängige Recherche durch. Es fehlt ein starker Monitoring-
Mechanismus um die Arbeit der Kontaktstellen besser zu überwachen, zum Bei-
spiel in Form eines Peer- Review auf OECD-Ebene.

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