BT-Drucksache 17/3644

Stärkung der Kinderrechte

Vom 8. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3644
17. Wahlperiode 08. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Ute Koczy, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stärkung der Kinderrechte

Kinder sind Träger der allgemeinen Grundrechte, sie haben selbst Anspruch auf
den Schutz des Staates und das Recht auf Leben und körperliche Unver-
sehrtheit. Sie sind Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf
Entfaltung ihrer Persönlichkeit. So hat es das Bundesverfassungsgericht in
zahlreichen Urteilen festgestellt.

Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland werden Kinder lediglich
in Artikel 6 Absatz 2 und 5 genannt. Dabei geht es hier allerdings um die Rechte
und Pflichten der Eltern.

Anders im Übereinkommen über die Rechte des Kindes, der UN-Kinderrechts-
konvention, die am 5. März 1992 nach ihrer Ratifizierung durch die Bundes-
republik Deutschland auch hierzulande in Kraft getreten ist. Die UN-Kinder-
rechtskonvention hat in Deutschland wesentlich dazu beigetragen, dass die
Subjektorientierung bzw. die kindzentrierte Perspektive eine Stärkung erfahren
haben. Die Konvention hat den Rang einer verbindlichen Menschenrechtserklä-
rung für Kinder und ist damit ein Meilenstein in der Geschichte der Kinder-
rechte. Ihre zentrale Botschaft lautet: „Alle Kinder haben die gleichen Rechte“.

Allerdings ist die Bilanz der Umsetzung der Kinderrechtskonvention in
Deutschland nach Auffassung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen ge-
trübt. Obwohl beispielsweise die offizielle Rücknahme der Vorbehalte, die die
damalige Bundesregierung 1992 bei der Ratifikation eingelegt hatte, inzwi-
schen erfolgt ist, hat die Bundesregierung gegenüber den Bundesländern er-
klärt, dass „mit der Rücknahme der Erklärung keine Änderung des Aufenthalts-
und Asylverfahrensrechts verbunden ist“ (Protokollnotiz in der Beschluss-
niederschrift über die 190. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister
und -senatoren der Länder am 27./28. Mai 2010 in Hamburg, TOP 19). Die
Bundesregierung übergeht die seit Jahren geäußerte Kritik, dass das Aufent-
halts- und Asylverfahrensrecht nicht mit dem Ziel und Zweck des Überein-
kommens vereinbar ist, und die Konvention eben nicht gleichermaßen für alle
Kinder in Deutschland gilt, da daraus resultierende Rechte insbesondere Kin-

dern im Asylverfahren verweigert werden.

Im Koalitionsvertrag mit dem Titel „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ zwi-
schen CDU, CSU und FDP widmen die Parteien den Kinderrechten auf Seite 70
einen eigenen Absatz, der wie folgt lautet:

Drucksache 17/3644 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

„Kinderrechte

Wir setzen uns für eine Stärkung der Kinderrechte ein. Diese Rechte müssen im
Bewusstsein der Erwachsenen stärker verankert werden. Wir wollen in allen
Bereichen, insbesondere bei den Schutz-, Förder- und Partizipationsrechten,
kindgerechte Lebensverhältnisse schaffen. Wir wollen die Vorbehaltserklärung
zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen. An der Ausgestaltung eines
Individualbeschwerdeverfahrens zur UN-Kinderrechtskonvention werden wir
aktiv mitwirken.

Wir werden die Partizipation von Kindern und Jugendlichen von Beginn an för-
dern und uns dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche ihre Lebenswelten
und die Gesellschaft ihrem Alter gemäß mitgestalten können.“

Die in der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonven-
tion in Deutschland zusammengeschlossenen Nichtregierungsorganisationen
haben zum 20. Jahrestag der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention eine
„Erste Nationale Konferenz für die Rechte des Kindes“ durchgeführt. Unter
gleichberechtigter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen haben Persön-
lichkeiten aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ihre Forderungen
zur Politik für die künftigen Generationen ausformuliert. Anlässlich des Jahres-
tages der UN-Kinderrechtskonvention am 20. November und der inzwischen
einem Jahr zurückliegenden ersten Nationalen Konferenz für die Rechte des
Kindes werden die seinerzeit diskutierten Fragen hier wieder aufgegriffen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welches Ziel verfolgte die Bundesregierung mit der Rücknahme der Vorbe-
haltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention?

Warum wurden seinerzeit überhaupt Vorbehalte hinterlegt, wenn nunmehr
die Rücknahme angeblich keinerlei Konsequenzen haben soll?

2. Welchen Sinn macht es nach Auffassung der Bundesregierung, die Vorbe-
haltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen, wenn sich
aus dieser Rücknahme keine Änderung des Aufenthalts- und Asylverfah-
rensrechts ergibt?

3. Sind 16- und 17-jährige Jugendliche nach Auffassung der Bundesregierung
Kinder im Sinne des Artikels 1 der UN-Kinderrechtskonvention?

a) Wenn ja, warum?

b) Wenn nein, warum nicht?

4. Inwieweit gelten für 16- und 17-jährige Jugendliche, die ohne Begleitung
von Erwachsenen, insbesondere ohne Eltern(teile) oder Sorgeberechtigte in
die Bundesrepublik Deutschland einreisen, die gleichen Rechte wie für Kin-
der und Jugendliche mit deutscher Staatsangehörigkeit?

Wenn nicht, warum nicht?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Amtsgerichts Gießen (Akten-
zeichen: 244 F 1159/09 VM) vom 16. Juli 2010, wonach § 80 Absatz 1 des
Aufenthaltsgesetzes und § 12 Absatz 1 des Asylverfahrensgesetzes im Wider-
spruch zur UN-Kinderrechtskonvention stehen und mit einer entsprechenden
Anpassung des Aufenthaltsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes zu rech-
nen sei (siehe Begründung des Urteils)?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3644

6. Erhält die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Zusage gegenüber
den Bundesländern aufrecht, dass „mit der Rücknahme der Erklärung keine
Änderung des Aufenthalts- und Asylverfahrensrechts verbunden ist“ (Pro-
tokollnotiz in der Beschlussniederschrift über die 190. Sitzung der Ständi-
gen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 27./28. Mai
2010 in Hamburg, TOP 19)?

Wenn ja, warum?

7. In welchem Verhältnis zu den nach der Konvention übernommenen Staa-
tenverpflichtungen sieht die Bundesregierung ihre kinder- und jugendpoli-
tischen Vorhaben?

Inwiefern betrachtet die Bundesregierung die herkömmlich vor allem auf
kommunaler Ebene als freiwillig betrachteten Leistungen nunmehr als
Staatenverpflichtungen im Sinne der Kinderrechtskonvention?

Wenn ja, welche Leistungen sind dies?

Wenn nein, warum nicht?

8. Ist die Bundesregierung bereit, ihre globalen völkerrechtlichen Verpflich-
tungen als politische Verantwortung gegenüber der nachwachsenden Gene-
ration auszuweisen und der gesamten Politik für Kinder damit einen neuen
Verantwortungsrahmen zu geben?

9. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um zur Erfüllung der
globalen Entwicklungsaufgaben Kohärenz zwischen den verschiedenen
Ressorts herzustellen und Kinderrechte in den unterschiedlichen Ressort-
politiken zur Geltung zu bringen?

10. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den bestehenden Rück-
stand bei der Erfüllung der Millenniumsziele in den ärmsten Ländern vor
allem Subsaharaafrikas aufzuholen?

11. Gibt es angesichts der Tatsache, dass die globale Verantwortung elementare
Interessen der Betroffenheit der nachwachsenden Generation betrifft, inner-
halb der Bundesregierung Überlegungen zur Senkung des Wahlalters?

Wenn nein, warum nicht?

12. Welche Initiativen plant die Bundesregierung, um den vielfältigen Forde-
rungen und den Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des
Kindes nachzukommen, die Rechte des Kindes ausdrücklich in das Grund-
gesetz aufzunehmen?

13. Wie gedenkt die Bundesregierung bekannt zu machen, und welche Kon-
sequenzen hat es, das der Vorrang des Kindeswohls gemäß Artikel 3 der
UN-Kinderrechtskonvention und nach Artikel 24 Absatz 2 der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union nunmehr auch geltendes europäisches
Recht ist?

14. Welche Regelungen plant die Bundesregierung, um die Interessenabwä-
gung zugunsten des Kindeswohlvorrangs sicherzustellen, insbesondere
wenn es um „Kinderlärm“, Erreichbarkeit von Spielflächen, Wegeführun-
gen und Verkehrsbelangen oder ähnliche Interessenkollisionen geht?

15. Anhand welcher Kriterien will die Bundesregierung die angekündigte Stär-
kung der Kinderrechte bemessen?

16. Aus welchen Kinderrechten, wie sie die UN-Kinderrechtskonvention auf-
listet, ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung menschenrecht-
liche Individualansprüche?

Drucksache 17/3644 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

17. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die Prozesse in der
Europäischen Union im Hinblick auf eine Europäische Kinderrechtsstrate-
gie zu unterstützen?

18. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in der 17. Legislaturperiode
in eigener Initiative unternommen, um in allen Bereichen, insbesondere bei
den Schutz-, Förder- und Partizipationsrechten, kindgerechte Lebensver-
hältnisse zu schaffen?

19. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in der 17. Legislaturperiode
in eigener Initiative unternommen, um die Kinderrechte zu stärken?

20. Welche Projekte und Maßnahmen freier Träger hat die Bundesregierung seit
Beginn der 17. Legislaturperiode gefördert, mit denen die Kinderrechte ge-
stärkt werden sollten (bitte Zuwendungsgeber, Zuwendungsempfänger und
Förderhöhe getrennt ausweisen)?

21. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in der 17. Legislaturperiode
in eigener Initiative unternommen, um die Kinderrechte im Bewusstsein
der Erwachsenen stärker zu verankern?

22. Anhand welcher Kriterien will die Bundesregierung bemessen, dass sich
die Kinderrechte stärker im Bewusstsein der Erwachsenen verankert ha-
ben?

23. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das im Koalitionsvertrag zwi-
schen CDU, CSU und FDP formulierte Ziel, die Schaffung kindgerechter
Lebensverhältnisse, erreicht ist?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

24. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Nationalen Aktionsplan „Für ein
kindergerechtes Deutschland 2005–2010“ fortzuschreiben?

a) Wenn ja, wann ist mit einer neuen Vorlage zu rechnen, und wie wird der
Deutsche Bundestag von dieser Kenntnis erhalten?

b) Wenn nein, welche alternativen Maßnahmen sollen ergriffen werden, um
durch eine mit dem Trägerkreis abgestimmte Strategie kindgerechte Le-
bensverhältnisse zu schaffen, insbesondere im Bereich Kinderschutz,
Förderung und Partizipation?

25. Inwieweit handelt es sich bei den Maßnahmen der Bundesregierung um eine
handlungsfeldübergreifende Strategie, ähnlich dem Aktionsplan, mit der
Vorgabe von konkreten termingebundenen und messbaren Zielen und Vor-
haben?

Wenn eine vergleichbare Strategie nicht geplant ist, warum nicht?

26. Welche Instrumente zur Sicherung der Interessen von Kindern und Jugend-
lichen im öffentlichen Raum entwickelt und verankert die Bundesregierung
im Rahmen von Stadtentwicklungsprogrammen?

27. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet bzw.
plant die Bundesregierung, um die Partizipation von Kindern und Jugend-
lichen von Beginn an zu fördern und zu gewährleisten, dass Kinder und
Jugendliche ihre Lebenswelten und die Gesellschaft ihrem Alter gemäß mit-
gestalten können?

28. Wie verhält sich die Bundesregierung zur Einrichtung eines Nationalen
Kinder- und Jugendforums, wie es die National Coalition zur Umsetzung
der UN-Kinderrechtskonvention vorgestellt hat?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3644

29. Plant die Bundesregierung die Neuauflage einer Beteiligungskampagne,
ähnlich der beendeten Kampagne „Projekt P“ (Aktionsbündnis des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Bundeszentrale
für politische Bildung sowie dem Deutschen Bundesjugendring)?

Wenn ja, wie sehen diese Planungen aus?

Wenn nein, warum nicht?

30. Inwieweit hat die Bundesregierung bisher an der Ausgestaltung eines Indi-
vidualbeschwerdeverfahrens zur UN-Kinderrechtskonvention aktiv mitge-
wirkt, und welchen Erfolg hatte diese Mitwirkung?

31. Wie soll ein solches Individualbeschwerdeverfahren nach Auffassung der
Bundesregierung gestaltet werden?

32. Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass das Verfahren kindge-
recht gestaltet wird?

33. Wie wird die Bundesregierung sich zur Frage der Vertretung von Kindern
positionieren?

34. Welches Monitoring-Konzept zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonven-
tion (Koordinierungsinstrumentarium, Kinderbeauftragte/r, „Unabhängige
Menschenrechtsinstitution“ oder „Einstiegsmodell“; siehe Monitoring der
UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland – Das Einstiegsmodell, Natio-
nal Coalition, Berlin 2006) wird die Bundesregierung verfolgen?

Berlin, den 8. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.