BT-Drucksache 17/3591

Verhältnis Deutschlands zu Syrien

Vom 1. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3591
17. Wahlperiode 01. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, Marieluise Beck
(Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verhältnis Deutschlands zu Syrien

Der deutsche Staatsbürger Ismail Abdi, wohnhaft in Kiel, wurde am 23. August
2010 bei der Ausreise am Flughafen in Aleppo von syrischen Sicherheits-
beamten festgenommen. Ismail Abdi ist ein in Deutschland tätiger Menschen-
rechtsaktivist und setzt sich seit Jahren für die Wahrung der Menschenrechte
und mehr Demokratie in Syrien ein. Es ist bekannt, dass die syrische Regierung
Misshandlung und Folter gegenüber politischen Gefangenen nicht scheut.

Ismail Abdi ist der Vorsitzende des CDF (Komitee zur Verteidigung der demokra-
tischen Freiheiten und der Menschenrechte in Syrien) der Zweigstelle Deutsch-
land und kooperierte mit weiteren Menschenrechtsorganisationen im In- und
Ausland. Er lebt seit 13 Jahren mit seiner Ehefrau und vier Kindern in Deutsch-
land. Die Familie hat sich rasch integriert. Seine älteste Tochter studiert und
erhält ein Studienstipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. Sein Sohn steht kurz
vor dem Abitur. Die jüngeren Töchter besuchen die Grundschule. Seit dem
Zeitpunkt seiner Festnahme liegen keinen Informationen über seinen Aufent-
haltsort und Zustand vor. Seiner Familie ist es ebenfalls nicht möglich, Kontakt
aufzunehmen. Der gesundheitliche Zustand Ismail Abdis ist nicht stabil. Er lei-
det an starkem Asthma, Migräne und Magenproblemen. Die entsprechenden
Medikamente führt er nicht mit sich.

In einem Schreiben vom 22. September 2010 an den Abgeordneten Volker Beck
(Köln) erklärte der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
dass auch knapp einen Monat nach Ismail Abdis Festnahme weder sein Aufent-
haltsort noch der Grund der Inhaftierung dem Auswärtigen Amt bekannt sei.
Zwar bemühe sich das Auswärtige Amt um seine konsularische Betreuung und
habe daher um Informationen zu seinem Aufenthaltsort und dem Haftgrund, um
konsularischen Zugang und um seine anwaltliche Vertretung gebeten sowie fer-
ner angeboten, Ismail Abdi in der Haft mit den vom ihm benötigten Medikamen-
ten zu versorgen. Allerdings seien die syrischen Behörden auf dieses Angebot

und diese Bitte nicht eingegangen. Da Ismail Abdi von den syrischen Behörden
als eigener Staatsangehöriger betrachtet werde, bestehe keine völkerrechtliche
Verpflichtung Syriens, konsularische Hilfe und Betreuung durch die deutsche
Botschaft zuzulassen.

In der Fragestunde am 6. Oktober 2010 (Plenarprotokoll 17/64, S. 6789 (A)) er-
klärte das Auswärtige Amt auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln)
(Bundestagsdrucksache 17/3113, Frage 94), die Deutsche Botschaft Damaskus

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habe nach wie vor keinen konsularischen Zugang zu Ismail Abdi, bemühe sich
jedoch weiterhin darum.

Zur gleichen Zeit konnte die deutsche Menschenrechtsorganisation KurdWatch
in Erfahrung bringen, dass Ismail Abdi sich im Adra-Gefängnis in Damaskus
befindet und unter Bezugnahme auf § 287 des syrischen Strafgesetzbuches
(wissentliche Verbreitung falscher Informationen über Syrien im Ausland)
sowie § 288 des syrischen Strafgesetzbuches (nicht genehmigte Mitgliedschaft
in einer internationalen Organisation) angeklagt werden soll. Das Auswärtige
Amt konnte diese Information bisher weder bestätigen noch dementieren.

Sowohl der Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle als auch der Beauf-
tragte der Bundesregierung für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe im Aus-
wärtigen Amt, Markus Löning, haben im Laufe ihrer Amtszeiten betont, dem
Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern
hohe Priorität einräumen zu wollen. Eine Kontaktstelle für Menschenrechts-
verteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger, so wie sie die spanische EU-
Ratspräsidentschaft empfohlen hat, existiert jedoch weder in der Zentrale des
Auswärtigen Amts noch in der Deutschen Botschaft Damaskus.

Das am 14. Juli 2008 geschlossene Abkommen zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik
Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen (Rückübernah-
meabkommen) ist am 3. Januar 2009 in Kraft getreten. Schon die Unterzeich-
nung des Abkommens hat bei Menschenrechtsorganisationen schwere Be-
denken ausgelöst, da wichtige internationale Menschenrechtsabkommen von
Syrien entweder nicht ratifiziert wurden oder in der Praxis nicht eingehalten
werden. Auf der Grundlage des Rückübernahmeabkommens werden derzeit
ausreisepflichtige syrische Staatsangehörige sowie Drittstaatenangehörige und
Staatenlose nach Syrien abgeschoben. Dies betrifft insbesondere Flüchtlinge
aus Syrien, deren Asylantrag in Deutschland nicht anerkannt wurde. Bereits die
Stellung eines Asylantrages im Ausland wird zum Anlass genommen, um nach
Syrien rückgeführte Menschen gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches
anzuklagen und einzusperren. Es sind mehrfach von Menschenrechtsorganisa-
tionen dokumentierte Fälle bekannt geworden, in denen im Rahmen des Rück-
übernahmeabkommens nach Syrien Abgeschobene direkt nach der Einreise in
Syrien inhaftiert und misshandelt wurden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welche Weise hat sich das Auswärtige Amt konkret für die Betreuung,
die Sicherheit und das Wohlergehen von Ismail Abdi seit dem 23. August
2010 eingesetzt?

2. Was hat das Auswärtige Amt konkret unternommen, um den Aufenthaltsort
von Ismail Abdi in Erfahrung zu bringen?

3. Was hat das Auswärtige Amt konkret unternommen, um die Gründe für die
Inhaftierung von Ismail Abdi in Erfahrung zu bringen?

4. Unterscheidet sich die in den Fragen 1 bis 3 erfragte Vorgehensweise des
Auswärtigen Amts bei Ismail Abdi von anderen Fällen, in denen deutsche
Staatsangehörige im Ausland inhaftiert sind?

5. Wie ist es zu erklären, dass die Menschenrechtsorganisation KurdWatch den
Aufenthaltsort von Ismail Abdi und die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe
in Erfahrung bringen konnte, während das Auswärtige Amt zumindest in
dem Zeitraum vom 23. August bis 6. Oktober 2010 hierzu nicht imstande
war?
6. Welche Konsequenzen haben die von KurdWatch weitergegebenen Informa-
tionen für die Vorgehensweise des Auswärtigen Amts?

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7. Was tut das Auswärtige Amt, um die von KurdWatch ermittelten Informa-
tionen zu verifizieren?

Hat sich das Auswärtige Amt zu diesem Zwecke mit KurdWatch in Verbin-
dung gesetzt?

Wenn nein, warum nicht?

8. Hat das Auswärtige Amt über die in der o. g. Antwort auf die Mündliche
Frage vom 6. Oktober 2010 mitgeteilten sowie die von KurdWatch ermit-
telten Informationen hinaus, Informationen zu Ismail Abdi, seinem Aufent-
haltsort, seinem Gesundheitszustand, den Gründen und Umständen seiner
Inhaftierung sowie den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf?

Wenn ja, welche?

9. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse, die den Tatvorwurf gemäß den
§§ 287, 288 des syrischen Strafgesetzbuches gegenüber Ismail Abdi stüt-
zen?

10. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob die Inhaftierung von
und Anschuldigung gegen Ismail Abdi mit seiner Tätigkeit als Menschen-
rechtsaktivist in Verbindung stehen?

11. Was genau wird die Bundesregierung tun, um Ismail Abdi im Rahmen sei-
nes Gefängnisaufenthaltes und eines anstehenden Prozesses zu unterstüt-
zen?

12. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, um Ismail Abdi in
die Bundesrepublik Deutschland zu holen?

13. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der juristischen Auffassung der
syrischen Behörden, die Ismail Abdi als syrischen Staatsbürger betrachten
und sich nicht verpflichtet sehen, konsularische Hilfe und Betreuung zuzu-
lassen?

14. Erachtet es die Bundesregierung als angezeigt, den Fall Ismail Abdi ange-
sichts der bislang unkooperativen Haltung der syrischen Behörden auf
Ministerebene anzusprechen?

15. Gibt es eine Beamtin oder einen Beamten an der Deutschen Botschaft
Damaskus, die oder der als Verbindungsbeamtin oder -beamter in Kontakt
zu Menschenrechtsorganisationen bzw. Menschenrechtsverteidigerinnen
und -verteidigern steht?

16. Hätte das Amt einer Verbindungsbeamtin oder eines Verbindungsbeamten
zu Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern den Informations-
fluss im Falle Ismail Abdis nach Auffassung der Bundesregierung be-
schleunigen können?

17. Warum haben weder der Bundesaußenminister noch die Bundeskanzlerin
auf die mittlerweile zwei Monate andauernde Inhaftierung Ismail Abdis
öffentlich reagiert?

18. Wie rechtfertigt die Bundesregierung angesichts derartiger Vorgehenswei-
sen der syrischen Behörden ihr Festhalten am Vollzug des Rücküber-
nahmeabkommens?

19. Wie gedenkt die Bundesregierung für die Vermeidung von Menschen-
rechtsverletzungen an von Deutschland rückgeführten syrischen Staatsbür-
gerinnen und Staatsbürgen, Staatenlosen und durch Syrien gereisten Dritt-
staatlern Sorge zu tragen, wenn es nicht einmal im Falle eines auch deut-
schen Staatsbürgers gelingt, Auskünfte von den syrischen Behörden zu er-

halten?

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20. Wie wird die Bundesregierung vor dem Hintergrund des unkooperativen
Verhaltens der syrischen Behörden im Fall Ismail Abdi die Einhaltung bila-
teraler vertraglicher Vereinbarungen in Rahmen des Rückübernahmeab-
kommens und in anderen vertraglichen Beziehungen sicherstellen?

21. Bekommt, erhebt und verwaltet die Bundesregierung routinemäßig Daten
und Informationen über die nach Syrien aufgrund des Rückübernahme-
abkommens abgeschobenen Menschen und deren Lebensumstände in
Syrien?

Wenn ja, wie sieht diese Routine aus?

Wenn nein, warum nicht?

22. Über das Schicksal wie vieler im Rahmen des Rückübernahmeabkommens
nach Syrien abgeschobener Menschen liegen der Bundesregierung derzeit
konkrete Informationen vor?

Über wie viele abgeschobene Personen gibt es keinerlei Informationen hin-
sichtlich ihres derzeitigen Verbleibs?

23. Gedenkt die Bundesregierung, das Rückübernahmeabkommen auszusetzen
oder zumindest keine Menschen mehr nach Syrien abzuschieben?

24. Wird die Bundesregierung das Schicksal der bislang nach Syrien abgescho-
benen und dort inhaftierten Menschen aufklären und den Deutschen Bun-
destag hiervon unterrichten?

25. Werden die Erkenntnisse über den Umgang mit nach Syrien abgeschobe-
nen Menschen bei der Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) berücksichtigt?

Wenn nein, warum nicht?

26. Wird das BAMF von Amts wegen Wiederaufgreifensanträge bei bereits ab-
gelehnten Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger einleiten?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 29. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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