BT-Drucksache 17/3206

Pakistan nach der Flut langfristig unterstützen und Schulden umwandeln

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3206
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Priska Hinz (Herborn),
Tom Koenigs, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Katrin Göring-Eckardt,
Ulrike Höfken, Katja Keul, Agnes Malczak, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Hans-Christian
Ströbele, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Pakistan nach der Flut langfristig unterstützen und Schulden umwandeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die extreme Flut, die Pakistan seit Juli dieses Jahres traf und immer noch an-
dauert, hat zur größten humanitären Katastrophe in der Geschichte der Vereinten
Nationen geführt. Laut Angaben des Büros der für die Koordinierung humani-
tärer Angelegenheiten Vereinten Nationen (OCHA) sind etwa 20 Millionen
Menschen von der Flut betroffen.

Die Flut hat nach offiziellen Angaben ca. 1 800 Menschenleben gekostet, ca.
3 000 Menschen verletzt und 1,9 Millionen Häuser zerstört (Stand: 22. Septem-
ber 2010). Die Folgen der Überschwemmungen sind gravierend. Circa 5 Mil-
lionen Menschen wurden obdachlos. Die menschenwürdige Versorgung der
zahlreichen Binnenvertriebenen stellt eine große Herausforderung dar. Ein
Großteil der ungefähr 2 Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan ist ebenfalls be-
troffen. Den meisten Flutopfern ist die Lebensgrundlage genommen: Die Infra-
struktur ist in weiten Teilen zerstört, ganze Regionen sind von lebenswichtiger
Versorgung abgeschnitten. Sauberes Trinkwasser, Nahrung und Unterkünfte
fehlen, Krankheiten und Seuchen drohen auszubrechen, Schlammmassen ver-
hindern die nächste Aussaat, Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen
verschärfen sich. Die Atommacht Pakistan wird durch die Katastrophe und ihre
Folgen weiter destabilisiert.

Die nächsten Monate und Jahre werden die Entwicklung des Landes, in dem
etwa 10 Prozent der Bevölkerung von der Flutkatastrophe betroffen sind, stark
beeinflussen. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass der Wiederaufbau
mindestens 5 Jahre in Anspruch nehmen wird. Daher haben die Vereinten Na-
tionen (UN) am 19. September dieses Jahres den Mittelbedarf für den Pakistan
Initial Floods Emergency Response Plan (PIFERP) von 0,46 Mrd. US-Dollar

auf über 2 Mrd. US-Dollar erhöht. Lediglich 340 Mio. US-Dollar sind aber bis-
lang durch die internationale Gebergemeinschaft zugesagt worden. Deutsch-
land beteiligt sich bislang mit 35 Mio. Euro bilateraler Gelder sowie anteilig
mit 20 Prozent an den 70 Mio. Euro von ECHO (European Commission Hu-
manitarian Aid and Civil Protection) und 4 Prozent an dem United Nations
Central Emergency Response Fund (insgesamt weitere 15 Mio. Euro) an der
Bewältigung der Flutkatastrophe.

Drucksache 17/3206 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Es geht nicht nur darum, die finanziellen Mittel für Pakistan aufzustocken, son-
dern vor allem um eine effiziente und kohärente Hilfe für das politisch instabile
Land. Dabei dürfen die Fehler der letzten Jahre nicht wiederholt werden: In der
Vergangenheit hat die internationale Gemeinschaft die pakistanische Regierung
massiv mit Militärhilfe unterstützt, ohne ausreichend auf die Stärkung und För-
derung der pakistanischen Zivilbevölkerung zu drängen. Seit der Flutkatastro-
phe ist der pakistanischen Regierung keine zufriedenstellende Krisenbewälti-
gung gelungen. Sowohl das Militär als auch islamistische Parteien und die
Taliban versuchen, aus der Flut politisches Kapital zu schlagen. Die zukünfti-
gen finanziellen Mittel der Bundesrepublik Deutschland für Pakistan müssen
ausschließlich dem Aufbau der zivilen Infrastruktur, der Stärkung demokrati-
scher Prozesse und des pakistanischen Bildungswesens zu Gute kommen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im laufenden Haushaltsverfahren dafür einzusetzen, dass ein Sonder-
titel „Wiederaufbauhilfe nach der Flutkatastrophe in Pakistan“ im Einzel-
plan 23 eingerichtet wird, über den in 2011 mindestens 120 Mio. Euro und
innerhalb der nächsten 4 Jahre mindestens weitere 480 Mio. Euro für den
nachhaltigen Wiederaufbau Pakistans bereitgestellt werden;

2. einen Großteil der Mittel zur besseren Koordinierung und Organisation der
humanitären Hilfe nicht bilateral, sondern multilateral zu vergeben;

3. auf einen Teil der bilateralen Schulden Pakistans aus der Finanziellen Zu-
sammenarbeit zu verzichten, unter der Bedingung, dass Pakistan diese Mit-
tel zum Wiederaufbau nutzt;

4. sich dafür einzusetzen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
ihre Maßnahmen im Rat und in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission
abstimmen mit dem Ziel, eine gemeinsame und langfristig ausgerichtete
Antwort auf die Katastrophe in Pakistan und für den Wiederaufbau zu fin-
den;

5. sich in den Gremien der multilateralen Gläubiger von Weltbank, Internatio-
nalem Währungsfonds (IWF), Asiatischer Entwicklungsbank (ADB) für ein
mindestens 3-jähriges Moratorium der Schuldenrückzahlungen für Pakistan
einzusetzen;

6. sich im Rahmen der internationalen Gemeinschaft und unter Einbeziehung
der pakistanischen Zivilgesellschaft für die Entwicklung und Umsetzung
eines nicht auf Krediten, sondern auf Zuschüssen beruhenden Aufbauplans
für Pakistan einzusetzen, der einen nachhaltigen Wiederaufbau des Landes
gewährleistet, sich an den Bedürfnissen der Frauen und Männer orientiert
sowie die betroffenen afghanischen Flüchtlinge in Pakistan unterstützt;

7. sich dafür einzusetzen, dass die Wiederaufbaumaßnahmen und Hilfeleistun-
gen diskriminierungsfrei allen Bevölkerungsgruppen zu Gute kommen;

8. sich auf internationaler Ebene und in Pakistan für Kontrollmechanismen der
Mittelverwendung einzusetzen, um Transparenz zu ermöglichen und Kor-
ruption zu verhindern;

9. gegenüber der pakistanischen Regierung deutlich zu machen, dass vor dem
Hintergrund der humanitären Notlage eine stärkere Zusammenarbeit der
politischen Parteien notwenig ist und dass strukturelle Reformen beispiels-
weise im Steuerrecht eingeleitet werden müssen, die einen gebührenden
Eigenbeitrag Pakistans zum Wiederaufbau und zur Entwicklung des Landes
sicherstellen.

Berlin, den 5. Oktober 2010
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3206

Begründung

Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bezeichnete die Überschwemmungen in
Pakistan als „die komplexeste Naturkatastrophe in der Geschichte der Verein-
ten Nationen“. Sie betrifft mehr Menschen als der Tsunami in Südostasien
2004. Allerdings läuft die Spendenbereitschaft sehr zögerlich an. Vergleichbare
andere Naturkatastrophen wie das Erdbeben in Haiti im Januar 2010 oder der
Tsunami haben sehr viel schneller und umfangreicher private Spenden und
staatliche Hilfsgelder mobilisiert.

Um sicherzustellen, dass die aufgebrachten Mittel tatsächlich der notleidenden
Bevölkerung und dem Wiederaufbau zu Gute kommen, müssen Schulden-
umwandlungen und -erlasse an Konditionalitäten und strenge Kontrollen
geknüpft werden. Die Höhe des Sondertitels sollte sich an dem Berechnungs-
modell „Fair Share“ (Anteil Deutschlands am Weltbruttosozialprodukt) orien-
tieren.

Der Sondertitel begründet sich damit, dass aus guten Gründen für den Wieder-
aufbau nach dem Tsunami ein spezieller Titel „Besondere Finanzierungsausga-
ben“ im Einzelplan 23 eingerichtet wurde.

Die Hilfe für Pakistan muss auch als Chance genutzt werden, zur friedlichen,
langfristigen Stabilisierung und Demokratisierung des Landes beizutragen.

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