BT-Drucksache 17/3150

Behinderung und Entwicklung - Die Stärkung der Belange von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Vom 4. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3150
17. Wahlperiode 04. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Markus Kurth, Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
Höfken, Katja Keul, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Behinderungen und Entwicklung – Die Stärkung der Belange von Menschen mit
Behinderungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (United Nations – UN) leben welt-
weit über 600 Millionen Menschen mit Behinderungen, rund 70 Prozent davon
in Entwicklungsländern. Die Weltbank geht davon aus, dass jeder fünfte
Mensch, der in absoluter Armut lebt, eine körperliche, psychische oder intellek-
tuelle Beeinträchtigung hat. Auch der Weltentwicklungsbericht 2006 bestätigt
mit der Auswertung einer Vielzahl von Länderstudien, dass Menschen mit Be-
hinderungen in höherem Ausmaß von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen
sind als nicht behinderte Menschen. Eine Integration in den Arbeitsmarkt wird
ihnen größtenteils verwehrt, gleichzeitig erhöhen Ausgaben für medizinische
Behandlung, Pflege und Transport die Lebenshaltungskosten.

Menschen mit Behinderungen erfahren weltweit Diskriminierungen und den
Ausschluss von sozialen, politischen und ökonomischen Prozessen. Dies hält
sie oftmals davon ab, ihre Rechte und Freiheiten gleichberechtigt und selbst-
bestimmt auszuüben. Ihnen mangelt es weltweit häufig an angemessener Schul-
bildung und bedarfsgerechter, sozialer Risikoabsicherung. Zu den Ursachen
von körperlichen, psychischen und intellektuellen Beeinträchtigungen zählen
unter anderem Ernährungsmangel, Krankheiten, Unfälle und Krieg.

Am 26. März 2009 traten in Deutschland das Übereinkommen über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) sowie
das dazugehörige Fakultativprotokoll (A/RES/61/106) in Kraft. Nach dieser ers-
ten großen Menschenrechtskonvention des 21. Jahrhunderts stehen staatliche
und gesellschaftliche Institutionen in der Pflicht, den Gestaltungs- und Hand-
lungsraum von Menschen mit Behinderungen zu garantieren und durch aktives
Handeln möglich zu machen.
Artikel 32 der UN-Behindertenrechtskonvention betrifft die internationale Ent-
wicklungszusammenarbeit und verpflichtet die Vertragsstaaten zu einer inter-
nationalen Zusammenarbeit, welche die Belange von Menschen mit Behinde-
rungen einbezieht und für sie zugänglich macht.

Die internationale Entwicklungsgemeinschaft orientiert sich zunehmend an
einem inklusiven, menschenrechtsbasierten Ansatz, der für die Beteiligung aller
Bevölkerungsgruppen am Entwicklungsprozess und für deren gleichberechtig-

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ten Zugang zu öffentlichen Diensten wie Gesundheit und Bildung steht. Er defi-
niert die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Kontext ihrer Gesell-
schaften und befähigt sie, diese Rechte wahrzunehmen.

Die Millenniumserklärung und die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium
Development Goals – MDGs) der Vereinten Nationen markieren den Rahmen
internationaler Entwicklungszusammenarbeit.

Die Belange von Menschen mit Behinderungen sind in den MDGs generell
impliziert.

Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Erreichung der Ziele ohne die
Berücksichtigung der Bedarfe behinderter Menschen und die Förderung ihrer
Rechte nicht möglich sein wird.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
hat eine Studie zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Rah-
men der Entwicklungszusammenarbeit in Auftrag gegeben. Zwar liegen seit
Oktober 2008 die Ergebnisse mitsamt den konkreten Handlungsempfehlungen
vor; diese wurden allerdings bislang von Seiten der Bundesregierung nicht
aufgegriffen. Der von der Bundesregierung angekündigte Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention scheint dem Handlungsfeld
„Internationale Entwicklungszusammenarbeit“ eine untergeordnete Rolle bei-
zumessen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was sind aus Sicht der Bundesregierung die zentralen Ergebnisse der Studie
zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Rahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit von 2008?

2. a) Wie schätzt die Bundesregierung den Zusammenhang von Armut und
Behinderungen ein?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

3. Wie schätzt die Bundesregierung den Stellenwert des Themas „Behinde-
rung“ im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit ein?

4. Wie definiert die Bundesregierung die inklusive Gestaltung der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit?

5. Wie definiert die Bundesregierung die barrierefreie Gestaltung der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit?

6. Welche Konzepte hat die Bundesregierung zur nachhaltigen Stärkung der
Belange von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Entwicklungs-
zusammenarbeit entwickelt?

7. Inwiefern berücksichtigt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit kon-
zeptionell die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderun-
gen als heterogene Gruppe (Frauen und Männer, Kinder, Jugendliche und Er-
wachsene, geistig und körperlich behinderte Menschen)?

8. a) Wie werden Menschen mit Behinderungen und deren Verbände in Pro-
jekte, die mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit geför-
dert werden, einbezogen?

b) Wie werden Menschen mit Behinderungen und deren Verbände von An-
fang an in die Situationsanalyse, Planungsphase und Implementierung
der Projekte integriert?

c) Wie sind Menschen mit Behinderungen und deren Verbände an der

Durchführung der Projekte beteiligt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3150

9. In welchen Bereichen fördert die Bundesregierung Projekte zur Integration
von Menschen mit Behinderungen (bitte nach Ländern aufschlüsseln)?

10. Wie setzt sich die Bundesregierung in der Europäischen Union und in
multilateralen Institutionen für die Berücksichtigung der Belange von
Menschen mit Behinderung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
ein?

11. Wird das Entstehen von Behinderungenen in der deutschen Entwicklungs-
zusammenarbeit präventiv angegangen?

Wenn ja, in welcher Art und Weise?

Wenn nein, warum nicht?

12. Inwieweit sensibilisieren Akteure der deutschen Entwicklungszusammen-
arbeit öffentliche Institutionen für die Bedarfe von Menschen mit Behinde-
rungen?

13. Wie und mit welchen Entwicklungs- und Schwellenländern arbeitet die
Bundesregierung zusammen, um Konzepte und Maßnahmen zur Inklusion
der Menschen mit Behinderungen zu entwickeln, die auf die Bedingungen
in den Partnerländern zugeschnitten sind?

14. Inwiefern stimmt sich die Bundesregierung mit Regionalorganisationen ab,
um sie darin zu unterstützen, Menschen mit Behinderungen eine gleich-
berechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen?

15. Wie arbeitet die Bundesregierung mit internationalen Nichtregierungsorga-
nisationen wie Handicap International e. V., der Christoffel-Blindenmis-
sion e. V. (CBM) und der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V.
(DAHW) zusammen?

16. Wie arbeitet die Bundesregierung mit Disabled People’s Organisations
(DPOs) zusammen?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Relevanz der Inklusion von Men-
schen mit Behinderungen in die Entwicklungszusammenarbeit in Bezug
auf die Erreichung der MDGs?

18. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass in deutschen Maßnahmen zur
Erreichung der MDGs Menschen mit Behinderungen angemessen berück-
sichtigt werden?

19. Welche Maßnahmen zur Umsetzung des Artikels 32 der UN-Behinderten-
rechtskonvention wird die Bundesregierung ergreifen?

20. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Studie
„Umsetzung der VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Be-
hinderungen im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“ und
insbesondere aus den dort genannten Handlungsempfehlungen?

21. Wie wurde die Situation von Menschen mit Behinderungen in der Bericht-
erstattung zum MDG-Gipfel der Vereinten Nationen im September 2010
berücksichtigt?

22. Wird die Bundesregierung die im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes zur
Umsetzung des VN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen genannten zwölf Handlungsfelder – „Kindheit“, „Arbeit“,
„Gesundheit, Prävention, Rehabilitation, Pflege“, „Frauen“, „Lebenslanges
Lernen (Bildung)“, „Freizeit und Kultur“, „Ehe, Familie und Partnerschaft“,
„Gesellschaftliche und politische Teilhabe“, „Mobilität“, „Alter“, „Wohnen
und Bauen“ und „Freiheit, Schutz, Sicherheit“ – um ein dreizehntes Hand-
lungsfeld „Internationale Zusammenarbeit“ ergänzen?

Wenn ja, wird die Bundesregierung sicherstellen, dass das Handlungsfeld
„Internationale Zusammenarbeit“ gleichberechtigter Teil neben den zwölf

definierten Handlungsfeldern sein wird?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/3150 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
23. Welche konkreten Zahlen liegen der Bundesregierung dazu vor, wie hoch
der Anteil der Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern pro-
zentual an der Gesamtbevölkerung ist?

24. Welche konkreten Zahlen liegen der Bundesregierung dazu vor, wie viel
Prozent der Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern Zugang
zu angemessenen präventiven, kurativen und rehabilitativen Gesundheits-
maßnahmen haben?

25. Wie findet sich die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der
humanitären Hilfe und in der Entwicklungszusammenarbeit im Bundes-
haushalt wieder?

Wie viel wurde dafür im Jahr 2010 veranschlagt (bitte nach Haushaltstiteln
aufschlüsseln)?

26. Wie versucht die Bundesregierung, bei ihren Hilfsmaßnahmen in humani-
tären Notsituationen Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen?

a) Was unternimmt die Bundesregierung, um einen inklusiven und
barrierefreien Wiederaufbau in Haiti so weit wie möglich voranzu-
treiben?

b) Was unternimmt die Bundesregierung, um die Hilfsmaßnahmen in
Pakistan so barrierefrei wie möglich zu gestalten?

Berlin, den 4. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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