BT-Drucksache 17/3138

Erkenntnisse der Bundesregierung über die extremistischen Auffassungen der Piusbruderschaft

Vom 29. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3138
17. Wahlperiode 29. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Monika Lazar, Josef
Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erkenntnisse der Bundesregierung über die extremistischen Auffassungen
der Piusbruderschaft

Zumindest Teile der Priesterbruderschaft St. Pius X. (genannt Piusbruderschaft)
vertreten extremistische Auffassungen, die im Widerspruch zur freiheitlichen
demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland stehen.

Der Distriktobere der Bruderschaft für Deutschland, P. Franz Schmidberger, hat
sich in verschiedenen Publikationen der Bruderschaft dafür ausgesprochen,
große Teile der grundgesetzlich geschützten Menschenrechte außer Kraft zu
setzen. Zugleich ruft er die Anhänger seines Glaubens dazu auf, aktiv für die
Errichtung einer „christlichen Gesellschaftsordnung“ einzutreten. Auch andere
Mitglieder der Piusbruderschaft, wie der Theologe Dr. Rafael Hüntelmann,
haben sich wiederholt dafür eingesetzt, zentrale Grundrechte wie die Meinungs-
freiheit, die Religionsfreiheit oder die Gleichbehandlungsvorschriften des
Grundgesetzes aufzuheben.

Die Piusbruderschaft betreibt in Deutschland einen eigenen Verlag – den Sarto
Verlag mit Sitz in Stuttgart. In einem Beitrag für das von diesem Verlag heraus-
gegebene Blatt „Civitas“ (Ausgabe 1/2007) hat P. Franz Schmidberger die
„Grundsätze einer christlichen Gesellschaftsordnung“ skizziert. Darin heißt es
unter anderem: „Die Gewalt in Staat und Gesellschaft geht nicht vom Volk aus,
von der Basis aus, sondern von Gott. Folglich bezeichnet das Volk in Wahlen
allein diejenigen, die es regieren sollen, verleiht ihnen aber nicht die Autorität;
ebenso wenig kann es Regierungen beliebig absetzen.“ Er stellt in Frage, ob es
das allgemeine und gleiche Wahlrecht geben sollte: „Würde nicht ein wesent-
lich auf die Familienhäupter abgestütztes Wahlrecht der Familie als Zelle der
Gesellschaft ganz andere Stellung verleihen?“ Generell stellt er die Demokratie
in Frage, wenn er fordert, dass an Stelle der Parteien „jene christlichen Männer
treten, die sich durch sittliche Reife und Lebenserfahrung, durch Gerechtig-
keitssinn und Sorge um das Gemeinwohl auszeichneten.“ Artikel 2 und
Artikel 3 des Grundgesetzes werden in Frage gestellt, wenn er feststellt, dass
eine christliche Gesellschaftsordnung Homosexualität aus dem öffentlichen
Leben verbannen würde. Die Religionsfreiheit will der Distriktobere aufheben,
denn für ihn „gibt es nur eine wahre, von Gott gestiftete Religion.“ Daraus

folgert er, dass „falsche Religionen und Kulte“ verboten gehörten oder wo dies
nicht möglich ist, diese „geduldet würden, ohne ihnen jemals ein Naturrecht auf
Existenz zuzugestehen“. Eine staatliche Neutralität gegenüber den Religionen
dürfe es nicht geben, vielmehr müsse der Staat das Wirken der christlichen
(= katholischen) Kirche fördern, schützen und verteidigen. In demselben Text
fordert er auch die Einführung der Todesstrafe.

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P. Franz Schmidbergers Position ist keine Einzelmeinung innerhalb der Pius-
bruderschaft. Herausgeber der zitierten Civitas-Zeitschrift ist Dr. Rafael
Hüntelmann. Dieser veröffentlicht auch in den „Mitteilungsblättern“ der
Bruderschaft, dem zentralen Organ der Organisation. In dem Aufsatz „Eine
christliche Gesellschaftsordnung“ brandmarkt er die gesellschaftliche Ordnung,
die durch das Grundgesetz repräsentiert wird, als „Diktatur des Relativismus“.
Dr. Rafael Hüntelmann betont darin, dass er die Auffassung in Frage stellt, dass
jeder Mensch seine Meinung frei äußern dürfe. Wörtlich heißt es über den
Liberalismus: „Die skurrilste Sekte, die verrückteste Meinung wird respektiert,
denn das höchste aller „Menschenrechte“ ist die Meinungsfreiheit. […] Sobald
jedoch gerade diese Auffassung in Frage gestellt wird und als Diktatur des
Relativismus gebrandmarkt wird, hört die Toleranz sofort auf.“ In einer christ-
lichen Gesellschaft gäbe es dagegen keinen weltanschaulich neutralen Staat.
Denn nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für den Staat gelte „in Bezug
auf unseren Herrn Jesus Christus: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“
Zugleich fordert Dr. Rafael Hüntelmann die „volle und uneingeschränkte
Beachtung und Wirksamkeit des Naturrechts, das jedem einzelnen Gesetz und
dem Staat selbst vorausgeht und selbst dann gültig ist, wenn es nicht gesetzlich
formuliert ist“. Dr. Rafael Hüntelmann begnügt sich in den Ausführungen im
Zentralorgan der Piusbruderschaft jedoch nicht mit theoretischen Überlegun-
gen. Er fordert die Gläubigen zu einem „neuen Marsch durch die Institutionen“
auf, denn man könne sich nicht auf das Gebet für die kommende Herrschaft
Christi zurückziehen.

Besonders anschaulich dokumentiert auch die „Erklärung der Rechte und
Pflichten der menschlichen Person“ – eine alternative Erklärung zur Menschen-
rechtsdeklaration – die extremistischen Auffassungen der Bruderschaft. Diese
Erklärung wurde ebenfalls in der Zeitschrift Civitas veröffentlicht und stellt
eine Neufassung der Menschenrechtsdeklaration dar, die vom Aufbau und
Duktus auch eine Alternative zum Grundgesetz darstellen könnte. Darin wird
neben den bereits zitierten ein weiterer zentraler Verfassungsgrundsatz in Frage
gestellt: In Artikel 16 der Erklärung wird dem Mann die Autorität als Familien-
oberhaupt über die Frau zugestanden. Auch in dieser Erklärung wird die
Meinungsfreiheit negiert: „Der Mensch hat nicht das Recht, d. h. die morali-
sche Freiheit, dem Irrtum anzuhängen.“ Zugleich habe der Mensch das „Recht
auf staatlichen Schutz“ gegen intellektuelle Unbildung und Irrtum und gegen
moralische Verführung. Entsprechend sei es auch Aufgabe des Staates, „die
Bürger durch eine geeignete Gesetzgebung zu schützen gegen die Eingriffe von
Sonderinteressen wie gegen tendenziöse und lügnerische Propaganda“ – also
jede nichtchristliche oder vermeintlich nichtchristliche Publikation.

Die Piusbruderschaft ist bekannt für ihre antisemitischen Äußerungen. Dies
wird auch durch Äußerungen des Pater Marc Grensbittel im Mitteilungsblatt
der Bruderschaft (Ausgabe Februar 2009) in einem „Spezial zum Weltende“
deutlich: „Es ist allgemein theologische Lehre, dass vor dem innerzeitlichen
Ende der Geschichte das Judentum als Volk sich zu Christus bekehren werde.“
Und weiter: „Einmal wird die Barmherzigkeit Gottes auch über den Starrsinn
und die Blindheit des jüdischen Volkes triumphieren.“ Der Vizepräsident des
Zentralrats der Juden, Dr. Salomon Korn, attestiert der Bruderschaft im „Bericht
aus Mainz“ der ARD vom 9. Februar 2009 einen „religiös motivierten Anti-
semitismus, der nun Jahrhunderte alt ist, [aus dem] ist der eliminatorische Anti-
semitismus gewachsen.“

Verschiedene internationale Vertreter der Piusbruderschaft haben den Holocaust
geleugnet, zuletzt im Jahr 2009 der Pater Florian Abrahamowicz, Distriktoberer
der Bruderschaft in Norditalien. Auch der britische Bischof der Bruderschaft,
Roger Williamson, hat widerholt den Holocaust geleugnet. Das Magazin „DER

SPIEGEL“ berichtete in seiner Onlineausgabe vom 30. Januar 2010 von inter-
nen E-Mails der Bruderschaft, aus denen dies hervorginge. Darin wird er unter

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3138

anderem zitiert: „Die Juden sind dank der KZs zu Ersatzerlösern geworden“ –
und: die Zahl von sechs Millionen Opfern sei „eine Riesenlüge“.

Die homophobe Grundeinstellung der Bruderschaft ist ebenfalls offenkundig.
In fast allen Schriften finden sich Beispiele dafür, dass die Piusbrüder Homo-
sexualität unter Strafe stellen wollen, obwohl dies mit der Verfassung nach
Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 1 und der Europäischen Menschenrechts-
konvention nicht in Einklang zu bringen ist. In einem Aufruf gegen den Chris-
topher Street Day (CSD) in Stuttgart wurde Homosexualität vom Pater Peter
Lang als „moralische Umweltverschmutzung“ bezeichnet.

Die Bruderschaft St. Pius X wird für diese Thesen von vielen Menschen in
Deutschland und weltweit kritisiert. Der katholische Theologe und Diözesen-
richter der Diözese Trier, Dr. Peter Krämer, attestierte der Bruderschaft in einem
Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger vom 6. Februar 2009 eine „menschen-
verachtende Ideologie“. Wolfgang Beinert, emeritierter Professor für Dogmatik
der Universität Bochum, bezeichnete die Bruderschaft gegenüber dem heute-
journal des ZDF vom 6. Februar 2009 als „reaktionär und demokratiefeindlich“.
Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz wurde unter anderem vom
Politikwissenschaftler Gerd Langguth gefordert.

Die Organisation betreibt nach Schätzungen in Deutschland etwa 40 Priorate,
dazu ein Schwesternkloster. Nach eigenen Angaben zählt die Bruderschaft
weltweit 527 Patres, 239 Seminaristen, 117 Brüder und 82 Oblatinnen als Mit-
glieder ihrer Organisation. Dazu kommen die Mitglieder der Schwesternschaft
der Bruderschaft St. Pius X. Weltweit würden mehr als 600 000 Menschen
Anhänger der Lehren der Bruderschaft sein. Ebenfalls nach eigenen Angaben
betreibt die Bruderschaft weltweit zwei Universitäten und über 90 Schulen.
Auch Altersheime werden von der Bruderschaft betrieben. Angaben über das
Engagement in Deutschland veröffentlicht die Bruderschaft nicht. Es ist aber
bekannt, dass die Bruderschaft mindestens fünf Schulen betreibt und für diese
in der Vergangenheit auch staatliche Zuschüsse erhalten hat.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Priesterbruderschaft
St. Pius X. in Gänze oder in Teilbereichen Bestrebungen verfolgt, die im
Widerspruch mit der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung in der
Bundesrepublik Deutschland stehen?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Aufsatz „Grundsätze
einer christlichen Gesellschaftsordnung“ von P. Franz Schmidberger, er-
schienen in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Civitas (2007), Ziele formu-
liert, die im Widerspruch zu der freiheitlichen, demokratischen Grund-
ordnung in Deutschland stehen?

Wenn ja, welche sind dies?

Wenn nein, wieso nicht?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Aufsatz „Die christliche
Gesellschaftsordnung“ von Dr. Rafael Hüntelmann, erschienen im Mit-
teilungsblatt der Bruderschaft (Januar 2010), Ziele formuliert, die im Wider-
spruch zur freiheitlichen, demokratischen Grundordnung in Deutschland
stehen?

Wenn ja, welche sind dies?

Wenn nein, wieso nicht?

4. Welche weiteren Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Bestrebungen

der Piusbruderschaft oder einzelner ihrer Mitglieder, die im Widerspruch zu
der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung in Deutschland stehen?

Drucksache 17/3138 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
5. Hat die Bundesregierung die Aktivitäten der Bruderschaft bei einer Innen-
ministerkonferenz der Länder mit dem Bund thematisiert?

Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob und in welchem
Umfang die Landesbehörden für Verfassungsschutz die Piusbruderschaft
beobachten?

7. Werden die Aktivitäten der Priesterbruderschaft St. Pius X. vom Bundesamt
für Verfassungsschutz beobachtet?

Aus welchen Gründen?

8. Plant die Bundesregierung zukünftig die Bruderschaft durch das Bundesamt
für Verfassungsschutz beobachten zu lassen?

9. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, wie viele
Schulen, Krankenhäuser, Altersheime und sonstige soziale Einrichtungen
die Piusbruderschaft in Deutschland betreibt?

Berlin, den 29. September 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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