BT-Drucksache 17/3137

Entschädigung und Versorgung für Strahlengeschädigte in den alten und neuen Bundesländern

Vom 29. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3137
17. Wahlperiode 29. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Paul Schäfer (Köln), Kathrin Vogler, Christine
Buchholz, Dr. Martina Bunge, Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan
Liebich, Thomas Nord, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Alexander Ulrich,
Harald Weinberg und der Fraktion der DIE LINKE.

Entschädigung und Versorgung für Strahlengeschädigte in den alten und
neuen Bundesländern

Die Frage, inwieweit Soldaten durch Radargeräte gesundheitliche Schäden
erlitten haben, beschäftigt den Deutschen Bundestag seit 2000. Der Abschluss-
bericht der Radarkommission („Radarbericht“) von 2003 hat Kriterien erstellt,
die festlegen, in welchen Fällen eine Krankheit auf Strahleneinwirkung zurück-
zuführen ist.
Laut Bund zur Unterstützung Radargeschädigter, der die Interessen der Radar-
geschädigten der Bundeswehr vertritt, liegen der Bundesregierung 3 750 Ver-
sorgungsanträge vor, von denen lediglich etwa 740 (d. h. 20 Prozent) zugunsten
der geschädigten Soldaten beschieden wurden.
Während das Bundesministerium der Verteidigung für die Versorgung und Ent-
schädigung ehemaliger Bundeswehrsoldaten zuständig ist, trägt die Bundes-
unfallkasse Verantwortung für ehemalige NVA-Soldaten und Mitarbeitende
ziviler Einrichtungen der DDR. Letzteren stand bislang keinerlei Versorgungs-
und Entschädigungsleistung zu, da deren Strahlenvorfälle als „Unfälle“ betrach-
tet werden. Laut dem Unfallversicherungsreformgesetz von 2007 müssen
Unfälle, die vor mehr als 10 Jahren passiert sind, nicht entschädigt werden.
Gegen diesen Zustand hat der Bund zur Unterstützung Strahlengeschädigter, die
Interessenvertretung ehemaliger NVA-Soldaten und anderer Mitarbeiter ziviler
Einrichtungen der DDR, Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben.
Hinzu kommt, dass neue medizinische Erkenntnisse, gerade in der Molekular-
biologie, eine Ausweitung der im Radarbericht von 2003 festgelegten An-
erkennungskriterien notwendig machen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Anträge auf Entschädigung oder Versorgung sind insgesamt von

Strahlengeschädigten der Bundeswehr oder ihren Angehörigen gestellt wor-
den, und wie viele davon
a) wurden zugunsten der Geschädigten entschieden,
b) wurden von den Antragstellern zurückgezogen,
c) wurden abschlägig beschieden (bitte unter Angabe der Gründe für die

Ablehnung),
d) sind derzeit noch offen (bitte unter Angabe der bisherigen Verfahrens-

dauer)?

Drucksache 17/3137 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wie viele Anträge auf Entschädigung oder Versorgung sind insgesamt von
Strahlengeschädigten der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) oder
ihren Angehörigen gestellt worden, und wie viele davon
a) wurden zugunsten der Geschädigten entschieden,
b) wurden von den Antragstellern zurückgezogen,

c) wurden abschlägig beschieden (bitte unter Angabe der Gründe für die
Ablehnung),

d) sind derzeit noch offen (bitte unter Angabe der bisherigen Verfahrens-
dauer)?

3. In wie vielen Fällen hat die Bundesregierung gegen Gerichtsentscheidun-
gen, die die Entschädigung oder Versorgung radargeschädigter ehemaliger
Soldaten betreffen, Widerspruch eingelegt bzw. ist sie in Berufung ge-
gangen?

4. Durch welche Maßnahmen wurde den Betroffenen bzw. ihren Angehörigen
die Einsicht in die relevanten Personalunterlagen erleichtert?

5. Inwieweit werden die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten
Jahre, aus denen sich auch neue Grenzwerte für die Bemessung der Strahlen-
belastung und der gesundheitlichen Folgen ergeben, bei den Entscheidungen
der Bundesregierung über die Anträge mitberücksichtigt?

6. Plant die Bundesregierung eine Fortschreibung des Berichts der Radar-
kommission und eine Neufestsetzung der Kriterien?

7. Erkennt die Bundesregierung an, dass, gemäß dem Radarbericht von 2003,
Strahleneinwirkung neben malignen Tumoren auch weitere Krebserkran-
kungen hervorrufen kann?
Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, was sind die Konsequenzen für die vorliegenden Versorgungs-
anträge?

8. Erkennt die Bundesregierung den Zusammenhang zwischen Strahlenein-
wirkungen und Krankheiten auch bei ehemaligen Angehörigen von Bundes-
wehr und NVA an, die zwar keine Unterstützungstätigkeiten für Radartech-
niker geleistet haben, aber für mindestens zwei Jahre den Gammastrahlen
der radioaktiven Leuchtfarbe ausgesetzt waren?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, was sind die Konsequenzen für die vorliegenden Versorgungs-
anträge?

9. Erkennt die Bundesregierung an, dass auch strahleninduzierte nichtkarzino-
gene Erkrankte, die bei der Bundeswehr, der NVA oder zivilen Einrichtun-
gen der DDR gearbeitet haben, entschädigt werden müssen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, was sind die Konsequenzen für die vorliegenden Versorgungs-
anträge?

10. Erkennt die Bundesregierung an, dass nach neueren wissenschaftlichen Er-
kenntnissen molekularbiologische Effekte und deren Wirkungen auf Zellen,
Organe und Gewebe durch Röntgenstrahlen, gepulster Hochfrequenz sowie
externe und interne Expositionen der radioaktiven Leuchtfarben einzelne
oder gemeinsame Einwirkungen hervorgerufen werden können?
Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, was sind die Konsequenzen für die vorliegenden Versorgungs-
anträge?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3137

11. Erkennt die Bundesregierung gemäß dem Runderlass des Bundesministe-
riums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 20. Oktober 2003
(Az. 435-655 17) und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Bundes-
wehr bis 1976 weder personell noch materiell in der Lage war, alle Stör-
strahler festzustellen, zu überprüfen und zu überwachen, die Beweislast-
umkehr zugunsten der ehemaligen Bundeswehrsoldaten an?

12. Wird es neue Ausführungsbestimmungen auf Grundlage des Merkblatts
BK 2402 über Erkrankungen durch ionisierende Strahlen geben?

Wenn ja, wann?

Wenn nein, warum nicht?
13. Hat die Bundesregierung vor, künftig, gemäß den Zusagen des Bundes-

ministeriums der Verteidigung, den Radarbericht umzusetzen?

Wenn nein, warum nicht?
14. Hat die Bundesregierung vor, die individuelle Arbeitsplatzbewertung, die

von 2003 bis 2005 durchgeführt wurde, künftig wieder durchzuführen?

Wenn nein, warum nicht?
15. Hat die Bundesregierung vor, künftig den höchst gemessenen Messwert an

dem entsprechenden Strahler anzuwenden?

Wenn nein, warum nicht?
16. Hat die Bundesregierung vor, künftig die Berechnungen der Organdosis

wieder nach den Empfehlungen des Radarberichtes durchzuführen?

Wenn nein, warum nicht?
17. Hat die Bundesregierung vor, künftig bei unterschiedlichen Dosisbewer-

tungen der Kläger und der Beklagten ein Audit durch einen Schlichter bzw.
eine neutrale Institution durchführen zu lassen?

Wenn nein, warum nicht?

18. Warum hat die Bundesregierung die Zuständigkeit für Strahlengeschädigte
der ehemaligen DDR an die Bundesunfallkasse übertragen?

19. Was sind aus der Sicht der Bundesregierung die Vorteile einer getrennten
Abwicklung von Bundeswehr-Radargeschädigten einerseits und Strahlen-
opfern der ehemaligen NVA und ziviler Einrichtungen der DDR anderer-
seits?

20. Hat die Bundesregierung vor, Strahlengeschädigte der ehemaligen DDR,
trotz nicht vorhandener Rechtsnachfolge, künftig vom Bundesministerium
der Verteidigung und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales be-
treuen zu lassen?

Wenn ja, ab wann?

Wenn nein, warum nicht?
21. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass, unabhängig von der

rechtlichen Grundlage, die Bundesregierung die politische Verantwortung
hat, die betroffenen Personen und ihre Strahlenschäden gleich zu be-
handeln?

Berlin, den 29. September 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeigerVerlagsgesellschaft mbH, Postfach 1005 34, 50445 Köln, Telefon (0221)97668340, Fax (0221)976683 44, www.betrifft-gesetze.de

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