BT-Drucksache 17/3042

Sozialkassen vor Beitragsverlusten bewahren

Vom 28. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3042
17. Wahlperiode 28. 09. 2010

Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina
Bunge, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Sozialkassen vor Beitragsverlusten bewahren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit über neun Monaten ist bekannt, dass es erhebliche Zweifel an der Tarif-
fähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und
Personalserviceagenturen (CGZP) gibt. In zwei Instanzen haben Arbeitsge-
richte entsprechende Entscheidungen getroffen. Das Bundesarbeitsgericht
wird voraussichtlich im Dezember 2010 abschließend darüber entscheiden.
Sollte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die bisherige Rechtsprechung bestäti-
gen, wären die bisherigen Tarifverträge, die die Basis für massenweise Bil-
liglöhne in der Leiharbeit darstellen, hinfällig und den Leiharbeitnehmerinnen
und -arbeitnehmern stände der gleiche Lohn zu, den vergleichbare Festange-
stellte erhalten.

Unabhängig von dem Umstand, dass Lohnrückforderungen durch die Betroffe-
nen individuell geltend zu machen sind, wären die höheren Löhne die Basis für
die an die Sozialkassen abzuführenden Beiträge. Hier müssen die Sozialver-
sicherungsträger endlich aktiv werden, um wenigstens die möglicherweise
höheren Beiträge seit 2006 zu sichern. Sollte die Rentenversicherung auf ihrem
Standpunkt, die letztinstanzliche Entscheidung abzuwarten, auch weiterhin be-
harren, drohen erhebliche Beitragsansprüche zu verjähren. Dieser Umstand hat
besonderes Gewicht angesichts der Kassenlage bei der Deutschen Rentenver-
sicherung Bund oder bei den gesetzlichen Krankenkassen. Bereits für die Jahre
2004 und 2005 haben die Rentenkassen darauf verzichtet, jährlich ca. 600 Mio.
Euro vor der Verjährung zu schützen und mögliche Forderungen geltend zu
machen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. umgehend tätig zu werden und die Deutsche Rentenversicherung Bund zu
veranlassen, vorsorglich Beitragsforderungen aus Entgelten basierend auf
Tarifverträgen mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für
Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) im Einzelnen in der Höhe
konkret feststellen zu lassen und möglicherweise rückwirkend fällig wer-
dende Beitragseinnahmen vor der Verjährung zu schützen;

Drucksache 17/3042 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. dem Deutschen Bundestag Vorschläge zu unterbreiten, wie die Prüfmöglich-
keiten der Sozialversicherungsträger in Zukunft erweitert und unbürokra-
tischer gestaltet werden können.

Berlin, den 28. September 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Nach vorsichtigen Schätzungen des Münsteraner Arbeitsrechtsexperten Prof.
Peter Schüren belaufen sich die möglichen Beitragsnachforderungen der Deut-
schen Rentenversicherung Bund derzeit auf ca. 1,8 Mrd. Euro. Auch wenn die
konkrete Zahl der betroffenen Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer
bisher nicht veröffentlicht ist, ist bei 122 Haustarifverträgen und drei Verbands-
tarifverträgen mit Stand März 2010 von mehr als 200 000 Betroffenen auszuge-
hen. Die eventuell rückwirkend fällig werdenden höheren Beitragseinnahmen
für die Jahre 2004 und 2005 sind in Höhe von ca. 600 Mio. Euro jährlich auf-
grund der Verjährungsfristen möglicherweise bereits verfallen. Für diese wurde
von Prof. Peter Schüren vom größten Verzicht auf Beitragsnachzahlung aller
Zeiten gesprochen. Dieser Betrag wird sich noch einmal erheblich vergrößern,
wenn nicht die Forderungen für das Jahr 2006 und die Folgejahre vor der Ver-
jährung geschützt werden. Die Sozialversicherungsträger müssen diesbezüglich
Betriebsprüfungen vornehmen und Bescheide erlassen, aus denen die Zweifel
an der Tariffähigkeit der CGZP hervorgehen. Im weiteren Verfahrensablauf
wird die Leiharbeitsfirma gegen den Bescheid klagen, wenn sie nicht zahlen
will. Das zuständige Sozialgericht muss das Verfahren aussetzen und die Ent-
scheidung des BAG über den Status abwarten, damit ist die Verjährung bereits
gehemmt. Der Anspruch auf die Sozialbeiträge besteht unabhängig davon, ob
die Betroffenen einen individuell höheren Lohn geltend machen.

Die Untätigkeit der Verantwortlichen bei den Spitzenorganisationen der Sozial-
versicherung belastet die Solidargemeinschaft der Beitragszahler insgesamt.
Über das Instrument der Betriebsprüfung haben die Sozialversicherungsträger
die Möglichkeit, der Verjährung der Beitragsforderungen noch rechtzeitig zu-
vorzukommen. Noch ist Zeit, zu handeln. Es kann nicht sein, dass eine an sich
schon verfehlte Politik der Beitragssatzstabilität in den einzelnen Sozialver-
sicherungszweigen allein auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
betrieben wird: In der gesetzlichen Rentenversicherung wurde als Folge das
Rentenniveau pauschal abgesenkt. Bei den gesetzlichen Krankenkassen wurden
Zusatzbeiträge erhoben und die Beitragsbemessungsgrenze in der freiwilligen
Arbeitslosenversicherung erhöht. Jegliche notwendige Leistungsverbesserung
wird ausgeschlossen und im Gegenzug wird die Verjährung für Beitragsforde-
rungen mit Milliardenverlusten in Kauf genommen. Schon deshalb sollten die
Sozialversicherungsträger jede sich bietende Möglichkeit nutzen, um die eigene
Finanzausstattung zu verbessern und mögliche Haushaltsrisiken auf ein Mini-
mum zu reduzieren. Bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. „Konsequenzen aus einer vorläufigen Tarifunfähigkeit der Tarif-
gemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-
agenturen“ auf Bundestagsdrucksache 17/1121 hat sich die Bundesregierung
ausschließlich auf letztendlich gerichtliche Entscheidungen zurückgezogen.
Bisher fehlt eine Positionierung dazu, wie mit den Beitragsansprüchen der Soli-
dargemeinschaft verfahren wird, wenn die Leiharbeitnehmerinnen und Leih-

arbeitnehmer nicht individualrechtlich ihre höheren Lohnansprüche geltend ma-
chen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3042

Im Interesse der von illegalen Dumpinglöhnen Betroffenen und im Interesse
der Solidargemeinschaft dürfen die Sozialversicherungsträger solche Kosten-
senkungsstrategien, wie zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständische
Personaldienstleister e. V. und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerk-
schaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen, nicht auf sich beruhen
lassen.

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