BT-Drucksache 17/2573

Spekulative Derivategeschäfte von Kommunen

Vom 9. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2573
17. Wahlperiode 09. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Birgitt Bender, Dr. Thomas Gambke,
Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth,
Ingrid Nestle, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Spekulative Derivategeschäfte von Kommunen

Am 25. März 2010 ging der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang
Schäuble, in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag auf die Finanzlage der
Kommunen ein. Er hielt fest, „dass die Lebensfähigkeit und Leistungsfähigkeit
der Kommunen die Grundlage für die Nachhaltigkeit und Stabilität unserer frei-
heitlichen demokratischen Grundordnung bildet.“ Da einige Kommunen auf-
grund der strukturellen Unterfinanzierung und der Finanzkrise kurz vor dem
finanziellen Kollaps stehen, muss unverzüglich eine aufgabengerechte Finanz-
ausstattung der Städte und Gemeinden sichergestellt werden.

Die Finanznot der Gemeinden verleitet offenbar zu riskanten Geschäften als
Ausweg aus der Misere, obwohl die Gemeindeordnungen der Länder ein Speku-
lationsverbot vorgeben. Am 21. März 2010 berichtete die „Wirtschaftswoche“
in einem ausführlichen Artikel über die Folgen von Geschäften deutscher Kom-
munen mit hochspekulativen Zinsderivaten, die in Hagen, Pforzheim, Neuss,
Berlin und vielen weiteren Städten Verluste in Millionenhöhe verursachten.
Besonders betroffen waren Kommunen, die CMS Spread Ladder Swaps der
Deutschen Bank AG gekauft hatten. In den Medien wird von mehreren 100 Kom-
munen und zahlreichen mittelständischen Unternehmern berichtet, die verlust-
bringende Ladder Swaps oder andere hochriskante Produkte von verschiedenen
Finanzinstituten erwarben. Laut einem Artikel der Zeitschrift „Der Gemeinde-
haushalt“ aus dem Jahr 2007 (Ausgabe 12/2007) wurde allein das Schadens-
potential der Ladder Swaps der Deutschen Bank schon auf 1 Mrd. Euro ge-
schätzt. Betroffene Kommunen waren bereits überwiegend hoch verschuldet
und können die zusätzlichen Verluste nicht kompensieren. Die Geschäfte wur-
den im Rahmen des kommunalen „Schuldenmanagements“ durchgeführt. Kom-
plexe Derivate fallen jedoch wegen ihres spekulativen Charakters unter das Spe-
kulationsverbot, was den Banken, die Berater, Verkäufer und „Wettgegner“
zugleich waren, bekannt sein müsste.

Aus den verlustbringenden Geschäften folgten zahlreiche Klagen auf Schaden-
ersatz; zuletzt verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart eine beklagte Bank zur

vollständigen Begleichung der dem Kläger, einem mittelständischen Unter-
nehmen, entstandenen Schäden. Vorangegangene Verfahren endeten häufig mit
Vergleichen oder Urteilen zugunsten der Banken. Anwälte sehen jedoch eine
zugunsten der Kommunen veränderte Rechtslage durch die aktuelle Recht-
sprechung (vgl. Rheinische Post vom 18. April 2010: „Städte verzichten auf
Millionen“).

Drucksache 17/2573 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Finanzlage der Kommunen?

2. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über spekulative Deri-
vategeschäfte von Kommunen und ihre Beteiligungen vor, über die Art der
Geschäfte, die Größenordnung der Geschäfte, die Anzahl und Größe der
beteiligten Kommunen, Gewinne und Verluste, sowie die Verteilung der
Kommunen auf die verschiedenen Bundesländer?

3. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Finanzlage
der Kommunen und der Risikobereitschaft im Schuldenmanagement, und
wie bewertet die Bundesregierung die Folgen des Einsatzes möglicherweise
riskanter, derivativer Finanzierungsinstrumente im Schuldenmanagement
auf die finanzielle Situation der Kommunen?

4. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den Umfang vor, in
dem Banken, an denen der Bund beteiligt ist oder die staatliche Hilfen in
Anspruch genommen haben (Hypo Real Estate Holding AG, Commerz-
bank AG, WestLB AG, Bayerische Landesbank AG, HSH Nordbank AG,
Aareal Bank AG), spekulative Finanzprodukte wie zum Beispiel Spread
Ladder Swaps) an Kommunen verkauft haben?

5. Kann die Bundesregierung insoweit Medienberichte bestätigen, wonach die
Commerzbank in Pforzheim, die DEPFA BANK plc in Leipzig (Kommunale
Wasserwerke Leipzig GmbH) und die WestLB spekulative Finanzprodukte
an Kommunen verkauft haben?

6. Interpretiert die Bundesregierung die geltenden Anlegerschutzbestimmun-
gen (im Wertpapierhandelsgesetz – WpHG – und in der Verordnung zur
Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für
Wertpapierdienstleistungsunternehmen) so, dass die Bank sich ihrer Ver-
pflichtungen zur anlegergerechten Beratung durch einen Hinweis entledigen
kann, sie trete bezüglich eines einzelnen Geschäfts als Handelspartner auf?

7. Sieht die Bundesregierung Überarbeitungsbedarf bei der Ausgestaltung des
Anlegerschutzes für Kommunen wie beispielsweise bei der Definition eines
„professionellen Anlegers“ im Wertpapierhandelsgesetz?

8. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung an anderer Stelle, bei-
spielsweise in den Gemeindeordnungen der Länder oder in der Etablierung
einer unabhängigen Kommunalaufsicht auch mit beratender Funktion für
die Kommunen?

9. Wie bewertet die Bundesregierung unter dem Aspekt eines fairen Marktes,
dass die Banken, die Kommunen oder ihren Unternehmen beispielsweise
CMS Ladder Swaps anboten, gleichzeitig Berater, Vermittler, Verkäufer,
Provisionsempfänger und „Wettgegner“ (also Profiteure bei einer für den
Kunden nachteiligen Entwicklung des Zins-Spreads) waren?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Bank, die Derivate wie
CMS Ladder Swaps konstruiert und nach Beratung an eigene Kunden ver-
kauft, ihre Verpflichtung zur Vermeidung von Interessenkonflikten und
Wahrung der Kundeninteressen nach § 31 Absatz 1 Nummer 2 WpHG nur
zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Nachteil verwirklichen kann, weil es sich
dabei um ein Nullsummengeschäft handelt, in dem der Gewinn des einen
Geschäftspartners identisch mit dem Verlust des anderen ist?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2573

11. Teilt die Bundesregierung den Standpunkt des in der „Zeitschrift für Bank-
recht und Bankwirtschaft“ vom 15. April 2010 veröffentlichten Beitrags
„Strukturierte Zinsswaps vor den Berufungsgerichten: eine Zwischenbi-
lanz“, dass CMS Ladder Swaps sowohl durch den unvermeidbaren Interes-
senkonflikt von Bank und Anleger als auch durch das grobe Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung Sittenwidrigkeitselemente enthalten?

12. Hält die Bundesregierung die Vereinbarkeit der Derivategeschäfte der
WestLB mit nordrhein-westfälischen Kommunen und die spekulativen Kre-
ditgeschäfte der Landesbank Baden-Württemberg mit den Kommunalen
Wasserwerken Leipzig mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag von Landes-
banken für vereinbar?

Berlin, den 9. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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