BT-Drucksache 17/2483

Naturlandschaft Senne erhalten - Beteiligungsrechte beim Ausbau des Truppenübungsplatzes gewährleisten

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2483
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Ute Koczy, Katja Keul, Agnes Malczak, Oliver Krischer, Britta
Haßelmann, Bärbel Höhn, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Cornelia
Behm, Viola von Cramon-Taubadel, Bettina Herlitzius, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Undine Kurth (Quedlinburg), Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Daniela Wagner
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Naturlandschaft Senne erhalten – Beteiligungsrechte beim Ausbau
des Truppenübungsplatzes gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Naturlandschaft in der Senne gehört mit ihren mehr als 5 000 Tier- und
Pflanzenarten, davon über 1 000 Arten der Roten Liste, zu den besonders schüt-
zenswerten Naturräumen in Deutschland. Seit über zwei Jahren liegen Pläne der
britischen Rheinarmee auf dem Tisch, den 112 km2 großen Truppenübungsplatz
Senne zwischen Bielefeld und Paderborn erheblich intensiver und für Jahr-
zehnte weiter nutzen zu wollen. Hierfür soll es ab Mai 2010 einschneidende bau-
liche Veränderungen geben.

Die geplanten Bauten (Kampfdörfer) auf dem Übungsgelände gefährden in er-
heblicher Weise die einmalige Naturlandschaft der Senne, die durch das bishe-
rige militärische Sperrgebiet erhalten werden konnte. Forderungen aus der Re-
gion, nach Abzug der Briten einen Nationalpark Senne zu begründen, würden
einen deutlichen Rückschlag erleiden und müssten für Jahrzehnte auf Eis gelegt
werden. Außerdem müsste sich die Bevölkerung auf erhöhten Lärm und auf ver-
schärfte Nutzungseinschränkungen einstellen müssen.

Zur Begründung einer in Aussicht gestellten Genehmigung für die Verbesserung
der britischer Übungsmöglichkeiten in Deutschland ließ die Bundesregierung in
der letzten Legislaturperiode verlauten: „Die Baumaßnahmen dienen unmittel-
bar der Landesverteidigung“ (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage „Bau von zusätzlichen Kampfdörfern und Panzerstraßen auf dem
Truppenübungsplatz Senne in Nordrhein-Westfalen“ der Abgeordneten Ute
Koczy, Britta Haßelmann, Winfried Nachtwei u. a. – Bundestagsdrucksache

16/10801). Durch die schwer nachvollziehbare Feststellung des Bundesminis-
teriums der Verteidigung (BMVg), bei den Ausbauplänen der vor allem außer-
halb Europas eingesetzten britischen Streitkräfte handele es sich um Maß-
nahmen, die der unmittelbaren Landesverteidigung Deutschlands dienen, sollen
die Beteiligungsrechte der betroffenen Kreise und Kommunen eingeschränkt
und ausgehebelt werden.

Drucksache 17/2483 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● klarzustellen, dass die geplanten Baumaßnahmen durch die britische Rhein-
armee nicht „unmittelbar der Landesverteidigung dienen“;

● auf die Verantwortlichen der britischen Rheinarmee einzuwirken, von den
Erweiterungsplänen Abstand zu nehmen;

● dafür Sorge zu tragen, dass alternative Standorte geprüft werden;

● dafür Sorge zu tragen, dass Kommunen, Kreise und Träger öffentlicher Be-
lange bei Baumaßnahmen auf Militärgelände ihre legitimierten Beteiligungs-
rechte wahrnehmen können;

● dafür Sorge zu tragen, dass im Planungsprozess die Abwägung mit den Be-
langen der Senne-Anwohner gewährleistet ist. Dazu gehören ein Wider-
spruchs- und Klagerecht der Betroffenen und die Einhaltung der Wider-
spruchsfristen;

● Bauvorhaben auf Militärgelände nicht mehr im reinen Anhörungsverfahren
zu genehmigen, sondern die Zuständigkeitsrechte der lokalen Behörden (in
diesem Fall Bau- und Umweltrecht) zu beachten und einzuhalten;

● im konkreten aktuellen Fall der erweiterten militärischen Nutzung der Senne
das Verfahren bis zur abschließenden Klärung der Beteiligungsrechte der be-
troffenen Kreise und Naturschutzverbände und gegebenenfalls der Ausübung
dieser Rechte ruhen zu lassen und

● so lange genehmigungsrechtliche Maßnahmen zu unterlassen.

Berlin, den 6. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die britischen Streitkräfte planen den Ausbau des von ihnen genutzten Truppen-
übungsplatzes in der Senne, einer einmaligen Natur- und Kulturlandschaft zwi-
schen Bielefeld, Detmold und Paderborn in Nordrhein-Westfalen. Nach einer
Überarbeitung der umfangreicheren Pläne von 2009 will die britische Armee
2010 dennoch in erheblichem Maße bauliche Veränderungen durchführen. Von
Mai bis voraussichtlich Oktober 2010 sollen der Bau von weiteren drei Übungs-
einheiten für den Häuserkampf, sogenannte Kampfdörfer, der Ausbau einer
solchen bereits vorhandenen Übungseinheit und ein neues, Übungshaus für
Schießübungen erfolgen. Darüber hinaus sollen zusätzlich drei militärische Be-
festigungsanlagen, so genannte vorgezogene Stützpunkte, entstehen. Trotz der
Reduzierung der Baupläne ist nach wie vor ein massiver Eingriff in die vor-
handene Landschaft gegeben, da die Baumaßnahmen unter anderem auch
Rodungen des Gebiets einschließen und Bau und Betrieb gefährdete Tier- und
Pflanzenarten beeinträchtigen.

Nach Aussage der britischen Streitkräfte ist der Zweck der geplanten Baumaß-
nahmen die Vorbereitung britischer Soldaten auf ihren Auslandseinsatz in
Afghanistan. Die britischen Streitkräfte haben erklärt, dass sie den Truppen-
übungsplatz in der Senne weitere 27 Jahre nutzen wollen und ihn zum wichtigen
Zentrum der Ausbildung ihrer Soldaten machen wollen. Andere Übungsstand-
orte in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sollen dafür geschlossen werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2483

Die Verwirklichung des britischen COE-Projektes (COE = Contemporary Ope-
ration Environment) in Deutschland würde das Ökosystem im Fauna-Flora-
Habitat- und Vogelschutzgebiet der Senne in erheblichem Ausmaß schädigen.
Immerhin gibt es über 5 000 Tier- und Pflanzenarten, davon über 1 000 Arten
der Roten Liste auf dem 112 km2 großen Truppenübungsplatz. Die National-
parkwürdigkeit des Gebietes wäre gefährdet.

Statt der bisher ca. 4 000 britischen Soldaten soll die drei- bis vierfache Anzahl
in der Senne üben. Diese Nutzungsintensivierung wäre nicht nur für Flora und
Fauna schädlich, auch die Menschen der umliegenden Region und Anrainer-
gemeinden würden durch zunehmenden Lärm bei Schieß- und Hubschrauber-
betrieb und durch Kettenfahrzeuge zusätzlich beeinträchtigt und gestört. Für die
angrenzenden Erholungs- und Kurorte wäre dies ein existenzbedrohender, herber
Rückschlag. Inzwischen hat der Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU) in
Nordrhein-Westfalen 2010 zusammen mit weiteren Naturschutzorganisationen,
Verbänden und Aktionsbündnissen Klage gegen den Sofortvollzug der Baumaß-
nahmen eingereicht.

Die geplante Errichtung so genannter Kampfdörfer in der Senne berührt nach-
haltig Belange des Natur- und des Lärmschutzes sowie der touristischen Ent-
wicklung. Damit greift die beschriebene Baumaßnahme in originäre Zuständig-
keiten der betroffenen Kreise ein.

Durch die nicht nachvollziehbare Feststellung des BMVg, bei den Plänen der
britischen Streitkräfte handele es sich um Maßnahmen, die der Landesverteidi-
gung dienen, sollen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort als nach-
rangig eingestuft und die Beteiligungsrechte der Kreise ausgehebelt werden.

Zwanzig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist es darüber hinaus fragwür-
dig, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für Nutzungsplanungen auf militäri-
schen Liegenschaften noch dem heutigen Stand des materiellen Planungsrechtes
entsprechen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.