BT-Drucksache 17/2438

Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren auch bei Rüstungsexporten an EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder konsequent umsetzen

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2438
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Katrin Göring-Eckardt, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Maria Klein-Schmeink, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak,
Kerstin Müller (Köln), Beate Müller-Gemmeke, Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia
Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren auch bei Rüstungs-
exporten an EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder konsequent umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Haushaltskrise Griechenlands zeigt, welche immensen Auswirkungen die
finanzielle Schieflage eines mit unserer Volkswirtschaft eng verflochtenen Staa-
tes auf die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union haben kann.
Griechenland ist einer der größten Abnehmer von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern aus Deutschland. Im Falle Griechenlands trugen ein hoher Rüs-
tungshaushalt und milliardenteure Rüstungsbeschaffungsprojekte zu der Ver-
schärfung der Krise bei. Auch nach Bekanntwerden der prekären Haushaltslage
wurden die deutschen Rüstungsgeschäfte fortgesetzt.

1998 hat der Rat den Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenaus-
fuhren angenommen, der acht Kriterien für die Ausfuhr konventioneller Waffen
enthielt. Der Gemeinsame Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. De-
zember 2008 ersetzt den Verhaltenskodex und erhöht dessen Verbindlichkeit.
Nach Artikel 2 Absatz 8 (Kriterium 8) des Gemeinsamen Standpunktes spielt
die Vereinbarkeit der Ausfuhr mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des
Empfängerlandes eine entscheidende Rolle, „wobei zu berücksichtigen ist, dass
die Staaten bei der Erfüllung ihrer legitimen Sicherheits- und Verteidigungs-
bedürfnisse möglichst wenige Arbeitskräfte und wirtschaftliche Ressourcen für
Rüstung einsetzen sollten. Die Mitgliedstaaten beurteilen anhand von Informa-
tionen aus einschlägigen Quellen, […] ob die geplante Ausfuhr die nachhaltige
Entwicklung des Empfängerlandes ernsthaft beeinträchtigen würde. Sie prüfen
in diesem Zusammenhang den jeweiligen Anteil der Rüstungs- und der Sozial-
ausgaben des Empfängerlandes und berücksichtigen dabei auch jedwede EU-
oder bilaterale Hilfe.“
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● den Gemeinsamen Standpunkt (2008/944/GASP) der Europäischen Union
auch für Exporte an EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder konse-
quent anzuwenden. Dies gilt insbesondere auch für das Kriterium 8, das die

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Vereinbarkeit mit der technischen und wirtschaftlichen Kapazität des Emp-
fängerlandes fordert;

● auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass EU-Kommission und Rat
im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ein besonderes Augen-
merk auf die Rüstungsausgaben legen, um unverhältnismäßig hohe Belastun-
gen für den jeweiligen Haushalt frühzeitig zu erkennen;

● bereits bewilligte, jedoch noch nicht ausgeführte Rüstungsexportgenehmi-
gungen anhand der Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes erneut zu prü-
fen und gegebenenfalls zu widerrufen.

Berlin, den 6. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die potentiellen Auswirkungen des Staatsbankrotts eines mit der Bundes-
republik Deutschland politisch und wirtschaftlich eng verflochtenen Staates
wurden durch die Haushaltskrise Griechenlands deutlich. Die drohende Zah-
lungsunfähigkeit Griechenlands und ein Zerfall der Eurozone konnten nur durch
massive Finanzhilfen verhindert werden. Nicht nur Griechenland steht nun vor
einem harten Konsolidierungskurs, um die eigene Finanzkrise zu bewältigen
und dadurch indirekt einen Beitrag zur Stabilisierung des Euros zu leisten.

Im Falle Griechenlands spielte ein Faktor eine besondere Rolle: die Rüstungs-
ausgaben. Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei haben zu einem
Wettrüsten geführt. Unter der Wahrnehmung eines vermeintlichen Sicherheits-
dilemmas wurden unverhältnismäßig hohe Rüstungsausgaben in Kauf genom-
men, um dem Aufrüsten des Nachbarn zu begegnen. Gemessen an der Wirt-
schaftsleistung gibt Griechenland mehr für Rüstungsausgaben aus als jedes
andere EU-Land. In der NATO rangiert Griechenland direkt hinter dem Spitzen-
reiter USA.

Auch deutsche Rüstungsunternehmen liefern Waffen und Kriegsgerät an Grie-
chenland (vgl. SIPRI: Trends in international arms transfers, 2009). Heraus-
ragend hierbei sind Milliardengeschäfte mit Leopard-2-Panzern und modernsten
U-Booten. Besonders das U-Boot-Geschäft geriet in die Schlagzeilen, nachdem
sich Griechenland weigerte eines der U-Boote abzunehmen und zudem in Zah-
lungsverzug geriet. Die Bundesregierung hat die Rüstungsexporte an Griechen-
land vorbehaltlos genehmigt.

Auch nach Bekanntwerden der desolaten Haushaltslage Griechenlands wurden
die genehmigten Rüstungsgeschäfte fortgesetzt. Mit der Gewährung von Finanz-
hilfen sicherten Geberländer wie Frankreich und Deutschland die Verträge ihrer
Rüstungsunternehmen ab. Das U-Boot-Geschäft mit Griechenland wurde nicht
nur weitergeführt, sondern nachverhandelt und im Ergebnis sogar aufgestockt
(vgl. SPIEGEL ONLINE vom 20. Mai 2010). Für die Zukunft hoffen deutsche
Unternehmen weiterhin auf lukrative Aufträge, wie beispielsweise den Verkauf
von Eurofighter-Kampfflugzeugen. Inzwischen hat der griechische Staat die Er-
kenntnis gewonnen, dass er seine Rüstungsausgaben drastisch reduzieren muss.
Entscheidungen über weitere Rüstungsaufträge wurden immerhin aufgescho-
ben.
Der Gemeinsame Standpunkt des Rates (2008/944/GASP) nennt als Kriterium 8
die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Kapazität des Empfängerlandes. Die

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2438

Berücksichtigung der wirtschaftlichen Kapazität muss auch für Ausfuhren in
NATO- und EU-Staaten Anwendung finden. Der Fall Griechenland zeigt, wie
wichtig es ist, dies gerade auch bei den Staaten zu prüfen, die mit der Bundes-
republik Deutschland wirtschaftlich und institutionell eng verbundenen sind, da
die Folgen einer verfehlten Entwicklung für die Bundesrepublik Deutschland
immens sein können.

Als einer der größten (Rüstungs-)Exporteure der Welt muss es im besonderen
Interesse Deutschlands liegen, Haushaltskrisen in EU-, NATO- und NATO-
gleichgestellten Ländern vorzubeugen. Eine teilweise irrationale Wahrnehmung
von Bedrohungen kann zu unverhältnismäßig hohen Rüstungsimporten führen,
bestehende finanzielle Schieflagen verschärfen oder sogar neue hervorrufen.
Das schwedische Forschungsinstitut SIPRI bestätigte zudem jüngst, dass die
weltweiten Rüstungsausgaben trotz Wirtschaftskrise steigen. Eine zwingende
Nachhaltigkeitsprüfung muss daher gerade auch bei unseren engsten Verbünde-
ten erfolgen.

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