BT-Drucksache 17/2437

Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages in Bezug auf Europäische Räte stärken

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2437
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Katja Keul, Memet Kilic, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof
Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages in Bezug
auf Europäische Räte stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist die Funktion und Bedeutung des
Europäischen Rates für die politische Ausrichtung der Europäischen Union
gewachsen. Insbesondere das neu geschaffene Amt des Präsidenten des Euro-
päischen Rates, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird, stärkt die Rolle des
Europäischen Rates gegenüber den anderen Ratsformationen. Diese Veränderun-
gen hat der amtierende Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy,
schnell umgesetzt und darüber hinaus angekündigt, ab 2011 acht statt der bisher
üblichen vier Europäischen Räte jährlich einzuberufen. Die Folge ist eine neue
Dominanz der Gipfeltagungen im Gefüge der EU.

Auf der Ebene des Deutschen Bundestages führen sowohl die Häufung der
Europäischen Räte wie auch die Zentralisierung ihrer unmittelbaren Vorberei-
tung beim Bundeskanzleramt dazu, dass die Kontroll- und Mitwirkungsrechte
des Parlamentes – die nach dem Muster der Ressortverantwortung für die ein-
zelnen Ratsformationen zugeschnitten sind – faktisch erschwert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Deutschen Bundestag entsprechend den Regelungen des Gesetzes über die
Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäischen Union vor den Tagungen des Europäischen Rates
sowie über die Vor- und Nachbereitungen dieser Sitzungen frühzeitig, fortlau-
fend und umfassend zu informieren.

III. Der Deutsche Bundestag bekräftigt,
seine Mitwirkungsrechte stärker als bisher auf den Europäischen Rat, seine Vor-
bereitung und Verantwortlichkeit als zunehmend relevantes Organ der EU aus-
zurichten. Der Deutsche Bundestag wird seine Geschäftsordnung und Beratungs-
praxis entsprechend anpassen. Dabei kommen insbesondere in Betracht:

● Implementierung von vereinbarten Debatten oder „Europäische Aktuelle
Stunden“ vor Tagungen des Europäischen Rates. Bei informellen Ratstagun-

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gen kann darauf verzichtet werden, sofern nicht eine Fraktion oder fünf vom
Hundert der Mitglieder des Deutschen Bundestages widersprechen;

● Durchführung von speziellen Befragungen der Bundesregierung vor den
Tagungen des Europäischen Rates (vgl. Antrag auf Bundestagsdrucksache
17/6);

● Sondersitzungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union des Deutschen Bundestages vor Tagungen des Europäischen Rates:
Auf Antrag einer Fraktion muss der Vorsitzende des Ausschusses für die An-
gelegenheiten der Europäischen Union abweichend von § 60 der Geschäfts-
ordnung des Deutschen Bundestages 10 Tage vor einem Europäischen Rat,
spätestens mit Vorliegen des Entwurfs der Schlussfolgerungen, zu einer
Sondersitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union laden, in der die Bundesregierung über den Stand der Vorbereitungen
des Europäischen Rates und ihre Interessenlage berichtet.

Berlin, den 6. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Auf der europäischen Ebene zeigt sich die Machtverschiebung von den Minis-
terräten zugunsten des Europäischen Rates seit dem Amtsantritt des ständigen
Präsidenten, Herman Van Rompuy. Dies ist z. B. daran festzumachen, dass der
Präsident des Europäischen Rates den Entwurf für die Schlussfolgerungen der
Gipfel ausarbeitet, die Agenda der Europäischen Räte weitgehend festlegt und
auch kurzfristig zu außerordentlichen Tagungen einlädt – was in den vergange-
nen Monaten zu deutlich häufigeren (informellen) Tagungen des Europäischen
Rates geführt hat.

Wenn die Staats- und Regierungschefs politische Weichenstellungen im Europä-
ischen Rat unbehelligt von vorherigen Abstimmungsprozessen zwischen den
Ressorts beschließen, schwächt das in erheblichem Maße die parlamentarische
Kontrolle über die Ausschüsse. Zwar wird der Europäische Rat selbst nicht
gesetzgeberisch tätig, er hat in den vergangenen Wochen aber eindrucksvoll
vorgeführt, dass seine Grundsatzbeschlüsse das Handeln der EU weitgehend
festlegen und teilweise innerhalb kürzester Frist in Gesetzgebung gefasst wor-
den sind. Um dennoch Transparenz und Vorhersehbarkeit des Regierungshan-
delns im Europäischen Rat und damit die Chance auf parlamentarische Mit-
wirkung und politische Debatten auch im Deutschen Bundestag und der
deutschen Öffentlichkeit zu bewahren, muss der Bundestag auf diese Entwick-
lung reagieren.

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