BT-Drucksache 17/2359

Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen

Vom 30. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2359
17. Wahlperiode 30. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald,
Inge Höger, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring,
Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderungen und chronischen
Erkrankungen

In seiner 15. Sitzung am 3. Mai 2010 führte der Ausschuss für Arbeit und Sozia-
les des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zur Unterrichtung
durch die Bundesregierung – Bundestagsdrucksache 16/13829 – „Bericht der
Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer
Teilhabe“ durch.

Die Bundesregierung veröffentlichte diesen Bericht erst am 17. Juli 2009, so dass
eine Befassung des Bundestages der 16. Wahlperiode nicht mehr möglich war.
Dieses Vorgehen sowie die inhaltliche Ausgestaltung des Berichts sind zu kriti-
sieren. Diese Auffassung teilt der Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD) in
seiner Stellungnahme zur o. g. öffentlichen Anhörung und fordert sogar weiter-
gehende Maßnahmen und Normierungen (vgl. Ausschussdrucksache 17(11)125).

Auch die übrigen Sachverständigen stellten überwiegend fest, dass – trotz einiger
bereits erreichter Fortschritte – noch erheblicher Handlungsbedarf besteht, um
selbstbestimmte Teilhabe, Inklusion und umfassende Barrierefreiheit herzustel-
len. Hierbei wurden besonders die Bereiche Bildung und Arbeit hervorgehoben.

Kritisiert wurde zudem die ungenügende statistische Datenlage. Diese sollte
nach Auffassung vieler Sachverständiger alle Lebensbereiche aller Menschen
mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen erfassen sowie durchgängig
geschlechtsspezifisch differenziert sein.

Überhaupt nicht oder nur unzureichend wurden laut Deutschem Caritasverband
die spezifischen Bedarfe von „Kindern mit Behinderungen oder ihrer Familien,
von Menschen mit Behinderung aufgrund psychischer Erkrankungen sowie alten
Menschen mit Behinderungen“ analysiert (Ausschussdrucksache 17(11)124).

Die Interessenvertretung Weibernetz e. V. mahnte an, dass im Bereich Gesund-
heit insbesondere für Frauen mit Behinderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit
gravierende Probleme festzustellen sind. Auch das wichtige Thema Gewalt ge-

gen Frauen werde im Bericht nicht behandelt (Ausschussdrucksache 17(11)122).

Viele zentrale Lebensbereiche, wie z. B. Gesundheitspolitik, Kultur, Freizeit oder
Sport, werden im Bericht erst gar nicht hinsichtlich ihrer barrierefreien Teilhabe-
möglichkeiten von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankun-
gen betrachtet.

Drucksache 17/2359 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann plant die Bundesregierung, den Bericht über die Lage von Menschen
mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen nach § 66 SGB IX für
die 17. Wahlperiode vorzulegen und dem Deutschen Bundestag zuzuleiten?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des SoVD e. V., dass § 66 Absatz 1
SGB IX hinsichtlich einer regelmäßig wiederkehrenden Berichtspflicht kon-
kretisiert werden muss?

Wenn ja, wie soll diese Konkretisierung ausgestaltet werden?

Wenn nein, warum nicht?

3. Wie bewertet die Bundesregierung das Verhältnis zwischen dem genannten
Bericht und der staatlichen Berichtspflicht gemäß Artikel 35 der UN-Behin-
dertenrechtskonvention (BRK)?

4. Welche Stellung bezieht die Bundesregierung zu der Auffassung, der Behin-
dertenbericht sei angesichts des Staatenberichts (Artikel 35 BRK) zur UN-
Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen überflüssig?

5. Wie soll der Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderungen und
chronischen Erkrankungen der 17. Wahlperiode inhaltlich aufgebaut und
ausgestaltet werden?

6. Werden künftige Berichte in Form eines Rechenschaftsberichts abgefasst
oder wird der Bericht auf der Basis umfassenden Datenmaterials erstellt, um
daraus die Lebenswirklichkeiten abzuleiten und zu analysieren, Entwicklun-
gen sowie Defizite aufzuzeigen, um daraus Handlungskonzepte zu erarbei-
ten?

7. Auf welche Weise, in welchem Umfang und durch welche Geschäftsberei-
che wird der Bundesregierung zugearbeitet, um in zukünftigen Behinderten-
berichten weitere Bereiche wie z. B. Kultur, Freizeit oder Sport etc. einzube-
ziehen, die der letzte Bericht nicht berücksichtigt hat?

8. Auf welche Weise werden zukünftige Behindertenberichte umfassend auf
die Bedürfnisse aller Menschen mit den verschiedensten Behinderungen
und/oder chronischen Erkrankungen eingehen?

Inwieweit werden auch die Bedarfe von Menschen mit psychischen Erkran-
kungen, von Kindern mit Behinderungen und ihren Familien sowie von alten
Menschen mit Behinderungen ausführlich analysiert?

9. Wird der Bericht der 17. Wahlperiode durchgängig die Situation von Mäd-
chen/Frauen gegenüber der von Jungen/Männern mit Behinderungen dar-
stellen?

10. Wie wird die Bundesregierung auf die Kritik reagieren, dass kein umfassen-
des empirisch repräsentatives Datenmaterial vorliegt, um die Situation von
Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen gründlich zu
analysieren?

11. Wird die Bundesregierung neue Studien in Auftrag geben?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

12. Wird die Bundesregierung Maßnahmen treffen, um zukünftig alle empiri-
schen Daten geschlechtsspezifisch zu differenzieren?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2359

13. Wird die Bundesregierung künftig Berichte über Benachteiligungen aus den
in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes genannten Gründen, die
von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gesammelt werden, in ihren
Bericht über die Lage von Menschen mit Behinderungen aufnehmen?

14. Wie positioniert sich die Bundesregierung zur Aussage der Bundesagentur
für Arbeit (BA) (Ausschussdrucksache 17(11)117) bezüglich der „Reibungs-
verluste/Probleme für die Teilhabe am Arbeitsleben“ aufgrund diverser
Schnittstellen zwischen SGB II, III und IX sowie zu der daraus abgeleiteten
Feststellung zu gesetzgeberischem „Handlungsbedarf zur zielgruppen-
adäquaten Betreuung behinderter Menschen“?

15. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, um das von der BA in die-
sem Zusammenhang genannte Ziel einer „Betreuung aus und die Verantwor-
tung in einer Hand“ zu verwirklichen?

16. Wird die Bundesregierung ein Gesamtkonzept – wie von der Bundesarbeits-
gemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) (Ausschuss-
drucksache 17(11)131) gefordert – ausarbeiten, „welches alle die für behin-
derte Menschen in Frage kommenden Teilhabe- und Rehabilitationsleistun-
gen umfasst“?

17. Was wird die Bundesregierung konkret unternehmen, um die bei vielen
Menschen mit Behinderungen vorhandenen Vorbehalte gegenüber dem
Persönlichen Budget abzubauen?

18. Wird die Bundesregierung das trägerübergreifende Persönliche Budget
weiter ausgestalten?

Wenn ja, in welche Richtung?

Welche Leistungen sollen verändert werden?

19. Wird die vielfältige Beratung von Menschen mit Behinderungen, insbeson-
dere bei der BA und den Sozialämtern, zukünftig Qualitätsstandards unter-
worfen?

Werden für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechende Schulungen
angeboten/durchgeführt, und wird es mehr Expertinnen und Experten in
eigener Sache geben?

20. Verfolgt die Bundesregierung neben den zahlreichen Einzelprogrammen ein
ganzheitliches und nachhaltiges arbeitsmarktpolitisches Konzept für alle
Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen?

21. Wird die Bundesregierung – wie vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)
(Ausschussdrucksache 17(11)129) gefordert – die Erhöhung der Beschäfti-
gungspflicht anstreben sowie spürbare Sanktionen für zuwiderhandelnde
Unternehmen einführen?

22. Wie wird die Bundesregierung der seitens der Bundesvereinigung der
Landesarbeitsgemeinschaften der Werkstatträte (Ausschussdrucksache
17(11)114) hinsichtlich der Unübersichtlichkeit der Instrumente zur Förde-
rung bzw. Sicherung von Beschäftigung geäußerten Kritik begegnen?

23. Wie begründet die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung hinsichtlich
der neuen EU-Antidiskriminierungsrichtlinie von 2008 nach erneut geäu-
ßerter Kritik an dieser Blockade u.a. durch den DGB (Ausschussdrucksache
17(11)129) und den Deutschen Verein (Ausschussdrucksache 17(11)121)?

24. Inwieweit wird der neue Bericht im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht
nur die medizinische Rehabilitation, sondern auch die gesundheitspolitische
Gesamtentwicklung bezüglich einer nachteiligen Entwicklung für Men-

schen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen und Pflegebedarf
beleuchten?

Drucksache 17/2359 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
25. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um allen Men-
schen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang zu allen medizini-
schen Einrichtungen zu gewährleisten?

26. Welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, um die
Zahl der barrierefreien Frauenhäuser erheblich zu steigern?

27. Wie und in welchen Gremien wird die Bundesregierung in Zusammenarbeit
mit den Ländern und Hochschulen die Forderung des Deutschen Studenten-
werkes (DSW) (Ausschussdrucksache 17(11)130) aufnehmen und darauf
hinarbeiten, gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention „die sozialrecht-
lichen Regelungen hinsichtlich der Finanzierung der notwendigen tech-
nischen Hilfen und Assistenzen an moderne – und politisch gewollte – Bil-
dungsverläufe anzupassen und so weiterzuentwickeln, dass die im Einzelfall
notwendigen Leistungen für ALLE Ausbildungsabschnitte im tertiären Bil-
dungsbereich diskriminierungsfrei und bedarfsgerecht zur Verfügung ste-
hen, dem Erfordernis des lebenslangen Lernens gerecht werden und ver-
mögens- und einkommensunabhängig bewilligt werden“?

28. Wird die Bundesregierung eine verzahnte Weiterentwicklung der Leistungs-
systeme von SGB V, XI und XII für die Belange von Menschen mit Behinde-
rungen vornehmen?

Wenn ja, wie wird diese genau ausgestaltet sein?

Wenn nein, warum nicht?

29. Sieht die Bundesregierung Schnittstellenprobleme zwischen SGB VIII und
SGB XII?

Wenn ja, wie sollen diese gelöst werden?

Wenn nein, weshalb nicht?

30. In welchen Strukturen und mit welchen personellen Ressourcen wird die
Bundesregierung zukünftige Behindertenberichte und Gesetze in diesem
Bereich auch in sog. leichter Sprache veröffentlichen?

Berlin, den 30. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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