BT-Drucksache 17/2347

Streichung von Rentenbeiträgen für ALG-II-Beziehende im Rahmen des Kürzungspakets

Vom 30. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2347
17. Wahlperiode 30. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Werner Dreibus, Diana Golze,
Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Kornelia Möller,
Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE
LINKE.

Streichung von Rentenbeiträgen für ALG-II-Beziehende im Rahmen des
Kürzungspakets

Die Bundesregierung will laut ihrem am 8. Juni 2010 im Kabinett beschlosse-
nen Kürzungspaket unter anderem „den Rentenversicherungsbeitragssatz für
SGB II Empfänger abschaffen“ (SGB II: Zweites Buch Sozialgesetzbuch), um
„die Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
zu stärken“ (Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken – Acht Punkte für solide
Finanzen, neues Wachstum und Beschäftigung und Vorfahrt für Bildung –, S. 4).
Der Rentenversicherung würden dadurch Mindereinnahmen von 1,8 Mrd. Euro
jährlich entstehen. Die Nachhaltigkeitsrücklage der gesetzlichen Rentenversiche-
rung würde dadurch bis 2014 um rund 8 Mrd. Euro geringer ausfallen. Dadurch
würden sich mögliche Beitragssatzsenkungen verschieben und geringer ausfallen.

Im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages begründete
die Bundesregierung diese Maßnahme unter anderem damit, dass sich durch „die
bisherige Rentenbeitragszahlung des Bundes für Bezieher von Arbeitslosengeld II
deren spätere monatliche Rente um nur rund 2 Euro je Jahr des Bezugs von
Arbeitslosengeld II [erhöht]. Menschen mit sehr langen Leistungsbezugszeit-
räumen wären deshalb ohnehin auf die Grundsicherung im Alter angewiesen“
(Unterrichtung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu den
Sparbeschlüssen der Regierungskoalition in der Arbeitsmarktpolitik und der
Sozialpolitik, Ausschussdrucksache 17(11)187).

In ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 35 (Bundestagsdrucksache 17/2223)
des Abgeordneten Matthias W. Birkwald der Fraktion DIE LINKE. vom 10. Juni
2010 erläuterte die Bundesregierung, dass die Zeit der Arbeitslosigkeit bei Be-
zieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II (ALG II) künftig in der Regel
als sog. unbewertete Anrechnungszeit berücksichtigt wird.

Daraus ergeben sich Fragen sowohl nach den konkreten Auswirkungen auf die
Ansprüche von ALG-II-Beziehenden als auch auf die gesetzliche Rentenver-
sicherung und andere Sozialleistungsträger sowie Beitragszahlerinnen und Bei-

tragszahler.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie würde sich der Erwerb von Ansprüchen auf eine gesetzliche Rente bzw.
auf eine Erwerbsminderungsrente für ALG-II-Beziehende durch die geplante
Maßnahme verändern?

Drucksache 17/2347 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Welche Auswirkungen hat die Veränderung für ALG-II-Beziehende, die vor
ihrem Leistungsbezug bereits Ansprüche auf Renten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung erworben haben und welche auf ALG-II-Beziehende,
die keine solchen Leistungsansprüche erworben haben?

2. Wie viele ALG-II-Beziehende sind seit 2005 jährlich aus dem SGB-II-Be-
zug in den Bezug einer Erwerbsminderungsrente bzw. der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit übergewechselt?

Wie viele davon konnten ihren Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente
erst im ALG-II-Bezug vervollständigen (bitte insgesamt sowie differenziert
nach Geschlecht darstellen)?

3. Was bedeutet „in der Regel“ und soll bzw. kann es demnach auch Fallkon-
stellationen geben, in denen Zeiten des ALG-II-Bezugs nicht als unbewer-
tete Anrechnungszeit behandelt werden bzw. in denen diese als bewertete
Anrechnungszeiten behandelt werden?

4. Für welche Personengruppen ist es in Zukunft nicht mehr möglich, innerhalb
des ALG-II-Bezugs einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente zu
vervollständigen, und wie groß ist dieser Personenkreis (Personen im
ALG-II-Bezug, die noch nicht die Voraussetzungen des § 43 Absatz 1 und 2
SGB VI erfüllen, aber bereits Versicherungszeiten aufweisen; bitte insge-
samt sowie differenziert nach Geschlecht darstellen)?

5. Wie verträgt sich das Argument, die Beitragszahlungen im ALG-II-Bezug
könnten ohne große Verluste abgeschafft werden, da sie nur rund 2 Euro spä-
terer monatlicher Rente je Jahr ALG-II-Bezug brächten, mit der Begrün-
dung, durch die Streichungen im SGB-II-Bereich sollten Arbeitsanreize er-
höht werden, und bedeutet die Begründung, dass die Bundesregierung in den
2,09 Euro Rentenanspruch, die pro Jahr im Leistungsbezug entstehen, einen
negativen Anreiz zur Arbeitsaufnahme sieht?

6. Wie wirkt sich die Abschaffung der Rentenbeiträge im ALG-II-Bezug auf
die Zurechnungszeiten aus?

7. Welche möglichen Konsequenzen hat sie für die Aufwertung von Zeiten
niedrigen Entgelts nach der für Zeiten bis 1992 geltenden Rente nach Min-
destentgeltpunkten und die sich daraus ergebende Rentenhöhe für langjäh-
rige Beitragszahlerinnen und Beitragszahler?

8. Wie wirkt sich die Abschaffung der Rentenbeiträge für ALG-II-Beziehende
auf den Anspruch auf Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben aus, welcher
Personenkreis ist davon betroffen und wie groß ist dieser (bitte insgesamt
sowie differenziert nach Geschlecht darstellen)?

9. Wie viele ALG-II-Beziehende erhalten aktuell bzw. haben bisher insgesamt
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten (bitte insgesamt sowie
differenziert nach Geschlecht darstellen)?

10. Welche Auswirkungen hat die Abschaffung der Rentenbeiträge für ALG-II-
Beziehende auf den Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilita-
tion, und welche Personengruppen sind dadurch vom Verlust dieses An-
spruchs betroffen (bitte insgesamt sowie differenziert nach Geschlecht dar-
stellen)?

11. Wie viele ALG-II-Beziehende erhalten aktuell bzw. haben bisher insgesamt
Leistungen der medizinischen Rehabilitation erhalten (bitte insgesamt sowie
differenziert nach Geschlecht darstellen)?

12. Welche Auswirkungen hat die Abschaffung der Rentenbeiträge für ALG-II-
Beziehende auf das Erreichen verschiedener Wartezeiten in der gesetzlichen

Rentenversicherung, und an welchen Stellen bzw. bei welchen Leistungen
kann sie zu Lücken in der Versicherungsbiografie und zum Verfehlen von
Ansprüchen führen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2347

13. Hat die Umstellung von Beitragszeiten auf unbewertete Anrechnungszeiten
Auswirkungen für Sozialgeldbeziehende und Nichtleistungsbeziehende,
und wenn ja, welche?

14. Welche Konsequenzen hat die Abschaffung der Rentenbeiträge für ALG-II-
Beziehende für deren Anspruch auf geförderte Altersvorsorge (Riester-
Förderung)?

15. Wie würde sich der Verlust des Anspruchs von ALG-II-Beziehenden auf
Riester-Förderung damit vertragen, dass die Bundesregierung immer wieder
argumentiert, dass von der Riester-Förderung insbesondere Geringverdie-
nende und hier auch ALG-II-Beziehende profitieren, da sie mit einem Min-
destbeitrag von 60 Euro im Jahr die vollen Zulagen erhalten, und dies zur Le-
gitimation ihrer Politik der Absenkung des Rentenniveaus und der Förde-
rung privater Vorsorge heranzieht?

16. Wie wirkt sich die Streichung der Rentenbeitragszahlungen für ALG-II-Be-
ziehende auf die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung, die gesetz-
lichen Beitragssatzziele und die für 2014 anvisierte Absenkung des Renten-
beitragssatzes aus?

17. Wie bewertet die Bundesregierung, dass es durch die die Streichung der Ren-
tenbeitragszahlungen für ALG-II-Beziehende durch die Grundsicherungs-
träger zu einer Verschiebung von Lasten auf die Beitragszahlenden kommt,
und wie steht dies im Verhältnis zu den Bestrebungen der Bundesregierung,
die Beitragszahlenden nicht weiter zu belasten bzw. diese sogar zu entlasten?

18. Welche Be- und Entlastungen hinsichtlich der Rentenzahlungen für ALG-II-
Beziehende, der Ausgaben für Erwerbsminderungsrenten, für die Rente
nach Mindestentgeltpunkten, für Rehabilitationsmaßnahmen und Leistun-
gen der Teilhabe am Arbeitsleben ergeben sich durch die Umstellung von
Beitragszeiten auf unbewertete Anrechnungszeiten, und wie lassen sich
diese jeweils beziffern bzw. einschätzen (falls keine genaue Bezifferung
bzw. Abschätzung möglich ist, bitte tendenzielle Be- und Entlastungseffekte
durch die einzelnen Auswirkungen skizzieren)?

19. Entstehen der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bilanz der Be- und
Entlastungen durch die Umstellung jenseits der 1,8 Mrd. Euro Minderein-
nahmen aus Beitragszahlungen der Grundsicherungsträger weitere Minder-
einnahmen bzw. Belastungen, und wenn ja, in welcher Höhe?

20. Welche Belastungen entstehen den kommunalen Haushalten durch die Um-
stellung und eine damit eventuell verbundene verstärkte künftige Inan-
spruchnahme von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
durch ehemalige ALG-II-Beziehende (wenn Belastungen nicht konkret
beziffer- bzw. abschätzbar sind, bitte tendenzielle Auswirkungen für die
kommunalen Haushalte skizzieren)?

Berlin, den 30. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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