BT-Drucksache 17/2241

Diskussion über Standards und Kürzung von sozialen Leistungen in der Gemeindefinanzkommission

Vom 18. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2241
17. Wahlperiode 18. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Katja Dörner, Katrin Göring-Eckardt,
Kai Gehring, Markus Kurth, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, Dr. Thomas Gambke,
Priska Hinz (Herborn), Maria Klein-Schmeink, Monika Lazar, Brigitte Pothmer,
Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Diskussion über Standards und Kürzung von sozialen Leistungen in der
Gemeindefinanzkommission

Am 24. Februar 2010 beschloss die Bundesregierung eine Kommission zur
Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung ein-
zurichten. Diese Kommission, an der auch die Länder und kommunalen Spit-
zenverbände, nicht jedoch die Parlamente beteiligt sind, befasst sich in einer
Arbeitsgruppe mit dem Titel „Standards“ mit der Benennung von Standards,
die flexibilisiert werden sollen. Diese Arbeitsgruppe soll auch entsprechende
Entlastungsvolumina benennen.

Der Zeitschrift „Der Landkreis“, 3/2010, ist zu entnehmen, dass auch soziale
Lasten der Kommunen in den Kommissionsauftrag einbezogen wurden und der
Arbeitsauftrag der Arbeitsgruppe Standards weitergehend definiert werden soll.

In der aktuellen Sparliste der Bundesregierung zur Sanierung des Bundeshaus-
haltes sind ebenfalls Vorschläge zur Kürzung sozialer Leistungen, wie die
Abschaffung des Zuschusses an die Rentenversicherung beim Arbeitslosengeld
(ALG) II enthalten. Außerdem ist die im Koalitionsvertrag zwischen CDU,
CSU und FDP vereinbarte Pauschalierung von Leistungen für die Unterkunft
und Heizung von ALG-II-Beziehenden im Gespräch. Vor der Sommerpause
soll ein Gesetzentwurf über die Pauschalierung der Unterkunftskosten vorge-
legt werden.

Der Deutsche Städtetag hat in seiner Broschüre „Sozialleistungen der Städte in
Not“ deutliche Kostensteigerungen der Kommunen, insbesondere in den Be-
reichen

● der Unterkunftskosten für ALG-II-Beziehende,

● der Jugendhilfe (Hilfen zur Erziehung und Kindertagesbetreuung) und

● der Sozialhilfe (Eingliederungshilfe, Grundsicherung im Alter und Hilfe zur

Pflege)

aufgeführt. Der Deutsche Städtetag hat in dieser Skizze über die Kostenent-
wicklung herausgearbeitet, dass eine ausreichende Beteiligung des Bundes
und/oder der Länder an den Sozialausgaben der Städte und Gemeinden not-
wendig ist. Er fordert damit eine aufgabengerechte Finanzausstattung ein.

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Angesichts des Sanierungsdruckes, der nicht nur durch die Wirtschafts- und
Finanzkrise, sondern auch aufgrund fortwährender Steuersenkungen bei Bund,
Ländern und Kommunen entstanden ist, droht die Gefahr, dass die Gemeinde-
finanzkommission den Abbau sozialer Leistungen forciert. Auch im Kabinetts-
beschluss vom 24. Februar 2010 zur Einsetzung der Gemeindefinanzkommis-
sion, ist festgelegt, dass Aufkommens- und Lastenverschiebungen, insbeson-
dere zwischen dem Bund auf der einen und Ländern und Kommunen auf der
anderen Seite, zu vermeiden sind. Diese Vorgabe forciert den Druck, über eine
Senkung von sozialen Standards eine notwendige Entlastung der Städte und
Gemeinden herbeizuführen. In diesem Falle müssten die Hilfebedürftigen den
Preis für Steuersenkungen für Besserverdienende und Unternehmen zahlen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Rolle spielt die Gemeindefinanzkommission im Zusammenhang
mit der Kürzung sozialer Leistungen, die auch in den Haushaltsberatungen
thematisiert werden?

2. Welchen konkreten Arbeitsauftrag hat die Arbeitsgruppe „Standards“ der
Gemeindefinanzkommission, und inwiefern werden die sozialen Lasten
der Kommunen in den Kommissionsauftrag einbezogen?

3. Welche Standards bzw. soziale Leistungen plant die Bundesregierung ins-
besondere in den Bereichen Unterkunftskosten für ALG-II-Beziehende,
der Jugendhilfe (Hilfen zur Erziehung und Kindertagesbetreuung) und der
Sozialhilfe (Eingliederungshilfe, Grundsicherung im Alter und Hilfe zur
Pflege) wie zu verändern, und welche Änderungen werden dazu von der
Gemeindefinanzkommission vorgeschlagen bzw. diskutiert?

4. Wann, in welcher Form, und durch wen werden die relevanten Fachaus-
schüsse und der Unterausschuss Kommunalpolitik des Deutschen Bundes-
tages über mögliche Rechtsänderungen informiert und in die fachliche
Beratung einbezogen?

5. In welcher Höhe plant die Bundesregierung ihren Anteil an den Unter-
kunftskosten für ALG-II-Beziehende zu erhöhen, um die Kommunen zu
entlasten?

6. In welcher Weise ist eine Ausrichtung der Anpassungsformel für die Unter-
kunftskosten an die tatsächliche Kostenentwicklung geplant?

7. Falls nein, warum verzichtet die Bundesregierung trotz steigender Unter-
kunftskosten bei sinkender Zahl der Bedarfsgemeinschaften auf eine Neu-
ausrichtung der Anpassungsformel?

8. Wann wird die Bundesregierung das Vermittlungsverfahren bezüglich der
Erhöhung des Bundesanteils an den Unterkunftskosten, das die Bundes-
länder angerufen haben, wieder aufnehmen?

9. In welcher Weise soll eine Pauschalierung der Unterkunftskosten vor-
genommen werden (bundesweit, landesweit, regional, lokal oder stadtteil-
bezogen)?

10. Ist eine Flächenbegrenzung des „angemessenen“ Wohnraums pro Person
und Bedarfsgemeinschaft geplant?

Falls ja, wie sieht dies konkret aus?

Falls nein, warum nicht?

11. Wie wird gewährleistet, dass bei einer möglichen Flächenbegrenzung der
besondere, etwa behinderungs- oder pflegebedingte Raumbedarf Berück-

sichtigung findet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2241

12. Ist geplant auch die steigenden Heizkosten der ALG-II-Beziehenden zu
pauschalieren?

Falls ja, wie sieht diese konkret aus?

Falls nein, warum nicht?

13. Welche Regelungen sind für den Fall vorgesehen, dass der örtliche Woh-
nungsmarkt nicht ausreichend Wohnungen aufweist, die im Rahmen der
Pauschale für die Kosten der Unterkunft und Heizung liegt?

14. Erwartet die Bundesregierung Einsparungen durch die Pauschalierung der
Kosten der Unterkunft und Heizung?

Wenn ja, in welcher Höhe?

15. In welcher Höhe steigen die Kosten für Umzüge und Renovierungen auf-
grund des durch die Pauschalierung verstärkten Anreizes zum Umzug in
eine kostengünstigere Wohnung?

16. Wie will die Bundesregierung verhindern, dass Kinder und Jugendliche so-
wie ältere Menschen durch Umzüge in andere Stadtteile, die aufgrund der
Pauschalierung notwendig werden, aus ihrem schulischen beziehungsweise
sozialen Umfeld gerissen werden?

17. Welche städtebaulichen Programme plant die Bundesregierung zu er-
greifen, um die Segregation in den Städten zu kompensieren, die durch ver-
stärkte Umzüge in schlecht sanierte Wohnungen vorangetrieben wird?

18. Welche Maßnahmen sind geplant, um zu verhindern, dass die Hilfe-
bedürftigen in eine Verschuldungsfalle geraten, weil sie in billige, schlecht
sanierte Wohnungen mit niedriger Kaltmiete, aber mit hohen Heizkosten
ziehen müssen?

19. In welcher Weise plant die Bundesregierung künftig Mietschulden nicht
mehr auf dem Darlehnswege zwecks Sicherung des Mietverhältnisses aus-
zugleichen?

20. Mit welchen zusätzlichen Kosten im ALG-II-Bezug und in Bezug von
Kosten der Unterkunft und Heizung rechnet die Bundesregierung für den
Bund und die Kommunen durch den geplanten Wegfall des Heizkostenzu-
schusses im Wohngeld und den dadurch ausgelösten Anstieg der An-
spruchsberechtigten im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)?

21. Plant die Bundesregierung, eine fundierte und aktualisierte Ermittlung des
tatsächlichen Bedarfs an Kinderbetreuungsplätzen zur Realisierung des
Rechtsanspruchs ab dem Jahr 2013 vorzunehmen?

Wenn nein, warum nicht?

22. Plant die Bundesregierung, das Finanzvolumen für den Ausbau der Kinder-
tagesbetreuung für unter 3-Jährige am tatsächlichen Bedarf auszurichten
und dabei alle Kosten zur Realisierung der mit dem Kita-Ausbau an-
gestrebten Ziele und Leistungen in die Kostenkalkulation einzubeziehen?

23. Welche Leistungs- bzw. Standardänderungen sind bei den Hilfen zur Er-
ziehung geplant bzw. werden in der Gemeindekommission diskutiert, und
welche Kostenersparnis wird dadurch erwartet?

24. In welcher Weise plant die Bundesregierung eine Einschränkung des
Wunsch- und Wahlrechts von Hilfebedürftigen in der Jugendhilfe, Ein-
gliederungshilfe oder Sozialhilfe?

25. Inwiefern plant die Bundesregierung eine Beteiligung des Bundes an den
Kosten der Hilfen zur Erziehung?

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26. Inwiefern plant die Bundesregierung zur Stärkung der Prävention eine Be-
teiligung an den Kosten der Jugendsozialarbeit an Schulen und in der
Jugendarbeit, wie sie auch beim ersten Bildungsgipfel diskutiert wurde?

27. Inwiefern sind Änderungen der Standards im Hilfeplanungsverfahren nach
§ 36 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) vorgesehen oder in
der Arbeitsgruppe in der Diskussion?

28. Plant die Bundesregierung Änderungen der Standards nach § 72a
SGB VIII und in welchem Verhältnis stehen dort geplante Änderungen
zum Ziel, Einsparungen durch Standardreduktion zu erreichen?

29. Beabsichtigt die Bundesregierung eine Ausweitung von Kostenbeiträgen in
der Kinder- und Jugendhilfe über die bereits bestehende Regelung bei voll-
und teilstationären Leistungen hinaus?

30. Wie schätzt die Bundesregierung die perspektivische Entwicklung der
Ausgaben für die Grundsicherung ein (aufgeschlüsselt nach Grundsiche-
rung im Alter und Grundsicherung bei Erwerbsunfähigkeit), und wie wer-
den sich die Ausgaben der Kommunen für die Grundsicherung im Alter
entwickeln?

31. In welcher Weise plant die Bundesregierung eine Erhöhung ihres Anteils
an den steigenden Kosten der Grundsicherung im Alter?

32. Ist auch für die Leistungsbeziehenden des Zwölften Buches Sozialgesetz-
buch (SGB XII) eine Pauschalierung der Unterkunftskosten analog den
Unterkunftskosten für ALG-II-Beziehende geplant?

33. Welche finanziellen Auswirkungen für die Kommunen wird der Vorschlag
der Bundesregierung zur Streichung der Renteneinzahlung für ALG-II-
Empfänger haben?

34. Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Hauptursachen für den Grund-
sicherungsbezug im Alter?

Gibt es empirische Studien dazu?

35. Wie hoch ist der Anteil der über 65-Jährigen, die Anspruch auf Grund-
sicherung hätten, diesen aber nicht in Anspruch nehmen (verdeckte Armut)?

36. Inwiefern erwägt die Bundesregierung eine Beteiligung an den Kosten der
Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, um die örtlichen und überörtlichen
Sozialhilfeträger zu entlasten?

37. Inwiefern könnte nach Ansicht der Bundesregierung ein Bundeseinstieg in
die Kosten der Eingliederungshilfe Chancen eröffnen, dem Grundsatz der
„Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ näher zu kommen, als das
derzeit ob der kommunal so differenzierten Leistungsträgerschaft der Fall
ist?

38. Inwiefern werden die derzeitigen Auseinandersetzungen zur Zukunft der
Eingliederungshilfe in den jeweiligen Bund-Länder-Arbeitsgruppen auch
in der Gemeindefinanzkommission diskutiert?

39. Inwiefern könnten die Vorschläge der Arbeits- und Sozialministerkonfe-
renz aus dem November 2009, die im Schwerpunkt auf eine personenzent-
rierte Reform der Eingliederungshilfe zielen, auf Grund möglicher Ein-
sparvorschläge seitens der Gemeindefinanzkommission konterkariert wer-
den?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2241

40. Wie bewertet die Bundesregierung die Einsparvorschläge des Bayerischen
Städtetages, des Bayerischen Gemeindetages und des Bayerischen Land-
kreistages vom 5. Mai 2010, die unter anderem vorsehen, das Wunsch- und
Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen einzuschränken, in stationären
Einrichtungen Einbettzimmer zur Ausnahme zu erklären und Menschen mit
Behinderungen und deren Verwandte an den Kosten der Eingliederungshilfe
weitaus stärker zu beteiligen?

41. Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass die Rechte von Menschen
mit Behinderungen, die vor dem Hintergrund der für Deutschland verbind-
lichen UN-Behindertenrechtskonvention ausgebaut werden müssen, ob die
Einsparnotwendigkeiten im Rahmen der Gemeindefinanzkommission nicht
eingeschränkt werden?

42. Plant die Bundesregierung, der Forderung des Deutschen Städtetages nach
einer Beteiligung des Bundes an den steigenden Kosten der Kommunen für
die Hilfe zur Pflege nachzukommen?

Wenn ja, in Form welcher Maßnahmen?

43. Wenn nein, warum nicht, und welche Maßnahmen sind nach Auffassung
der Bundesregierung notwendig, damit die Kommunen die steigenden
Kosten für die Hilfe zur Pflege eigenständig bewältigen können?

44. Welche Standard- bzw. Leistungsänderungen im Bereich der Hilfe zur
Pflege sind geplant oder werden in der Gemeindefinanzkommission disku-
tiert?

45. Welche Kostenersparnis wird durch die Absenkung dieser Standards und
Leistungen erwartet, sofern eine solche Absenkung geplant ist?

46. Berücksichtigt die Bundesregierung die steigenden Kosten der Kommunen
für die Hilfe zur Pflege bei ihren Überlegungen für die im Koalitionsver-
trag zwischen CDU, CSU und FDP angekündigte Reform der Sozialen
Pflegeversicherung?

Wenn ja, in Form welcher Maßnahmen, und wann ist mit diesen Maß-
nahmen zu rechnen?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 18. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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