BT-Drucksache 17/2096

Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2096
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch,
Herbert Behrens, Karin Binder, Steffen Bockhahn, Harald Koch, Caren Lay, Sabine
Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Thomas Lutze, Petra Pau, Jens Petermann,
Raju Sharma, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Sahra Wagenknecht, Halina
Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Politik vollzieht sich in modernen Gesellschaften immer mehr als Gesell-
schaftspolitik, an deren Willensbildungs- und Aushandlungsprozessen zahl-
reiche Akteure mitwirken. Gesetzgeberische Entscheidungen sind in vielen
Bereichen nicht mehr Ausdruck machtvoller Staatspolitik in einem Über-/
Unterordnungsverhältnis, sondern potentiell Betroffene können während des
Gesetzgebungsverfahrens Einfluss nehmen. Diese an sich positiv zu bewer-
tende Entwicklung hat zu einer verbandlichen Organisation und Professio-
nalisierung der Interessenvertretung gegenüber den politischen Institutionen
geführt. Die Einflussnahme von Lobbyisten auf politische Entscheidungs-
prozesse ist ein bedeutendes gesellschaftliches Faktum geworden.

2. Lobbyismus ist ein differenziert zu betrachtendes Phänomen pluralistischer
Demokratien und bewegt sich zwischen dem Anspruch legitimer, demokra-
tischer Interessenvertretung und illegaler Einflussnahme, die bis hin zu Kor-
ruption reichen kann. Einerseits zwingt zwar die Komplexität der politi-
schen Inhalte sowie die parlamentarische Schnelllebigkeit die Politikerinnen
und Politiker immer mehr, auf externe Information und Beratung zurück-
zugreifen. Andererseits stellt sich Lobbyismus auch als Privatisierung von
Politik dar, indem die Entscheidungsfindungsprozesse maßgeblich von Ak-
teuren bestimmt werden, denen die Verfassung keine Rolle im politischen
System zugewiesen hat.

3. Die Gesetzgebung muss in einem demokratischen Rechtsstaat auf einem
Willensbildungsprozess beruhen, der für die Bürgerinnen und Bürger voll
und ganz durchschaubar ist. Die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Öf-
fentlichkeit parlamentarischer Prozesse stellt daher auch ein entscheidendes

Indiz für die Legitimität der lobbyistischen Einflussnahme auf die Gesetz-
gebung dar.

Wer sich in Übereinstimmung mit der Verfassung und dem Willen der Bevölke-
rungsmehrheit sieht, profitiert regelmäßig davon, seine Position und seinen
Versuch der Einflussnahme transparent zu machen. Gleiches gilt für Interessen-
vertreterinnen und Interessenvertreter gesellschaftlicher Gruppen, die ihre For-

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derungen durch überzeugende Argumente und wahrheitsgemäße Informationen
untermauern können. Wer allerdings mit Hilfe verdeckten politischen Einflus-
ses Einzelinteressen durchzusetzen versucht, meidet den öffentlichen Diskurs
und verletzt so die Regeln der demokratischen Willensbildung. Eine solche
Vorgehensweise erweckt zumindest den Anschein, Vorteile auf Kosten der All-
gemeinheit erlangen zu wollen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregis-
ters vorzulegen, welcher folgenden Vorgaben gerecht wird:

a) Lobbyisten haben die sanktionsbewehrte Pflicht, sich in das Register ein-
zutragen. Als Lobbyisten gelten insoweit alle, die auf die Gesetzgebung,
Verordnungsgebung oder andere staatliche Direktiven Einfluss ausüben
wollen und zu diesem Zweck Kontakte mit Parlamentsmitgliedern, ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Funktionsträgerinnen und Funktions-
trägern der Parteien, Regierungsmitgliedern sowie Mitgliedern von Ver-
waltungseinrichtungen vorbereiten, anbahnen, durchführen oder nachbe-
reiten. Ausnahmen können vorgesehen werden soweit die Lobbyarbeit
gewisse Finanz- oder Zeit-Schwellenwerten nicht überschreitet. Mit der
Ausnahmemöglichkeit soll sichergestellt werden, dass Bürgerinnen und
Bürger, kleine Unternehmen oder Organisationen sich weiterhin ohne
Verwaltungsaufwand jederzeit politisch zu Wort melden können.

b) In diesem Register müssen die Lobbyisten über die Angaben in der seit
1972 beim Deutschen Bundestag geführten „Öffentlichen Liste der re-
gistrierten Verbände und deren Vertreter“ hinaus die Aufwendungen für
ihre Lobbyarbeit und deren Nutznießerinnen und Nutznießer offenlegen.
Soweit sie nicht im eigenen Interesse handeln, haben sie ihre Auftragge-
berinnen und Auftraggeber und deren Aufwendungen anzuzeigen. Inso-
weit muss auch eine Möglichkeit geschaffen werden, damit diese Rege-
lung nicht durch das Dazwischenschalten von Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälten aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht umgangen wer-
den kann, denn Sinn und Zweck der Verschwiegenheitspflicht ist nicht
der berufsrechtliche Schutz eines Anwaltslobbyings.

c) Sofern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lobbyorganisationen bzw.
Unternehmen an Ministerien ausgeliehen werden, muss jedenfalls sowohl
in dem Register als auch ggf. in einer parlamentarischen Initiative, die die
Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter (mit-)bearbeitet hat, ein entsprechen-
der Vermerk erfolgen.

d) Zur Führung des Registers und zur Durchsetzung von Sanktionsmöglich-
keiten wird eine Stelle mit Ombudsmann-Funktionen beim Deutschen
Bundestag eingerichtet. Diese hat das Register zu verwalten, Hinweise
auf mögliche Verstöße entgegenzunehmen und zu überprüfen, eigenstän-
dig Prüfungen durchzuführen und bei Pflichtverstößen Sanktionen fest-
zusetzen. Die Stelle hat sicherzustellen, dass alle Angaben regelmäßig
(etwa alle drei Monate) aktualisiert werden;

2. das Register, die Aufstellungen über Aufwendungen und die Stellungnah-
men zu den parlamentarischen Initiativen im Internet übersichtlich öffent-
lich zu machen, damit Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, wel-
che Personen, Verbände, Unternehmen und Interessengruppen auf
gesetzliche Regelungen und behördliche Maßnahmen und Vorgehensweisen
Einfluss haben und welche Informationen auf welchen Wegen wen beein-
flussen können oder sollen;

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3. sich dafür einzusetzen, dass auf EU- Ebene und in den Bundesländern eben-
falls ein verpflichtendes Lobbyistenregister eingeführt wird, das den obigen
Vorgaben entspricht. Das Register auf Länderebene muss dabei auch Lobby-
ismus auf kommunaler Ebene erfassen;

4. Gesetzentwürfe und andere parlamentarische Initiativen gleichberechtigt zu-
gänglich zu machen. Das heißt, sobald eine Person, die nicht der Bundes-
regierung angehört und auch nicht bei dieser angestellt ist, einen Gesetzent-
wurf, an dem ein Mitglied oder eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter der
Bundesregierung mitgewirkt hat, erhält, muss dieser zwingend allen Interes-
sierten mittels des Internets zugänglich gemacht werden.

III. Der Deutsche Bundestag wird dafür Sorge tragen,

dass bei öffentlichen Anhörungen zu parlamentarischen Initiativen, die benann-
ten Sachverständigen, die Fraktion, die sie vorgeschlagen hat und die Stellung-
nahme umgehend im Internet veröffentlicht werden.

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der ständige Informationsaustausch zwischen Verbänden, Unternehmen und
Interessengruppen auf der einen und Politik, Parlament und Verwaltung auf der
anderen Seite ist Bestandteil unseres politischen Systems und wirkt sich in den
meisten Fällen in der Sache positiv aus. Die Einwirkung der Zivilgesellschaft
auf den Staat ist Ausdruck der Demokratie und Voraussetzung, um deren stetige
Fortentwicklung zu ermöglichen.

Eine institutionalisierte Form des Informationsaustauschs und der Interessen-
vertretung stellt der sogenannte Lobbyismus dar. Als Lobbyisten lassen sich in-
soweit alle, die berufsmäßig im eigenen Interesse oder im Auftrag anderer oder
ehrenamtlich wiederkehrend auf die Gesetzgebung, Verordnungsgebung oder
andere staatliche Direktiven Einfluss ausüben wollen und zu diesem Zweck
Kontakte mit Parlamentsmitgliedern, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Fraktionen, Funktionsträgerinnen und
Funktionsträgern der Parteien, Regierungsmitgliedern sowie Mitgliedern von
Verwaltungseinrichtungen suchen, herstellen und pflegen, definieren. Das
Grundgesetz (GG) schützt die Organisation und Wahrnehmung von Interessen
durch die Vereinigungsfreiheit des Artikels 9 GG und auch auf die Meinungs-
freiheit kann sich das Lobbying berufen. Lobbyismus lässt sich also als eine in
unserem pluralistischen System angelegte Tatsache verstehen.

Allerdings ist er auch eine Form der Interessenvertretung in der Politik, die ein
Einfallstor für Korruption und die illegitime Durchsetzung von Partikularinter-
essen darstellt. Der Einfluss von ökonomischen und gesellschaftlichen Interes-
sengruppen auf politische Entscheidungen in Form des Lobbyismus kann zu-
dem mit zentralen Prinzipien der Demokratie in Konflikt geraten. Vor allem die
Grundsätze der Öffentlichkeit politischer Prozesse, der Gleichheit aller Bürger,
der Verfahrensmäßigkeit der Generierung politischer Entscheidungen und der
weitestgehenden Transparenz öffentlicher Angelegenheiten, lassen nicht zu,

dass sich ein politisch so bedeutsames Phänomen wie der Lobbyismus in einem
nahezu kontrollfreien Raum abspielt.

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Eine Reglementierung des Einflusses von Interessengruppen auf die Politik ist
auch im Hinblick auf die inhaltlichen Ergebnisse der Gesetzgebungsverfahren
und damit unter materiellen Gerechtigkeitsgesichtspunkten unverzichtbar. In
unserem pluralistischen System formaler Gleichheit besteht nämlich keine reale
Waffengleichheit der gesellschaftlichen Interessen. Die Durchsetzbarkeit der-
selben hängt stark von den wirtschaftlichen und strukturellen Mitteln ihrer In-
haberinnen und Inhaber ab.

Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse verstetigen sich so in undemokrati-
scher Weise durch ihren unterschiedlich starken Zugang zur Politik. Die politi-
sche Forcierung sinkender Reallöhne bei steigenden Unternehmensgewinnen
zeigt, dass sich die Interessen der ökonomisch stärkeren Wirtschaftslobbyisten
gegenüber denjenigen von Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern durchsetzen. Der unwürdige staatliche Umgang mit sozial Schwa-
chen und Arbeitslosen steht im direkten Zusammenhang mit dem Mangel einer
durchsetzungsfähigen Vertretung ihrer Interessen. Auch allgemeinen Interes-
sen, wie beispielsweise denjenigen der Verbraucherinnen und Verbraucher,
fehlt eine schlagkräftige Lobby, da es schwieriger ist, sie mittels verbandlicher
Organisation zu bündeln. Großen Wirtschaftszweigen gelingt es demgegenüber
regelmäßig, ihre Interessen in Gesetzgebungsverfahren einfließen zu lassen und
im Ergebnis zu wahren.

Aber auch innerhalb der Verbände dominieren die starken Akteure, wie die
Großgrundbesitzerinnen und Großgrundbesitzer bei der Bauernschaft und die
Großunternehmen in den Wirtschaftsverbänden. Kleine und mittelständische
Unternehmen sind daher innerhalb ihrer eigenen Interessenvertretungen unter-
repräsentiert. Hinzu kommt das praktisch permanente Ungleichgewicht zwi-
schen ökonomischen und nichtökonomischen Interessengruppen.

In der Bundesrepublik Deutschland existieren keine nennenswerten rechtlichen
Rahmenbedingungen für Zulässigkeit und Form der Einflussnahme von Inter-
essenvertreterinnen und Interessenvertretern auf die Politik. Zwar wird seit
1972 beim Deutschen Bundestag die „Öffentliche Liste der registrierten Ver-
bände und deren Vertreter“ geführt. Sie enthält die Anschrift des jeweiligen
Verbandes sowie Angaben zu Vorstand und Geschäftsführung, zur Verbands-
vertretung, zum Interessenbereich, zur Mitgliederzahl und zur Anzahl der ange-
schlossenen Organisationen. Allerdings hat sich diese als ein untaugliches Mit-
tel zur Herstellung von Transparenz erwiesen. Es erfolgt weder eine Prüfung
der Zulassung noch gibt es eine Pflicht zur Registrierung. Zudem sind die In-
formationen wenig aufschlussreich, da nicht ersichtlich ist, welche Mittel die
Verbände besitzen, woher sie diese beziehen und wie sie sie verwenden. Daher
ist auch nicht ersichtlich, wessen Interessen wirklich hinter den Verbänden
stehen. Zudem existiert keine Aufstellung über die Unternehmensvertreterin-
nen und Unternehmensvertreter, obwohl es kaum Großunternehmen gibt, die
keine eigene Interessenvertretung in Berlin unterhalten.

Da es sich bei dem Phänomen Lobbyismus um eine notwendige und grund-
rechtlich geschützte Tätigkeit handelt, ist es sachgerecht, durch die Herstellung
weitestgehender Transparenz in Form eines verpflichtenden Lobbyistenregis-
ters auf die Redlichkeit der Interessenvertretung hinzuwirken. Insbesondere
durch die Offenlegung der Aufwendungen von Lobbyisten und Unternehmen
sowie deren jeweilige Nutznießer, wird die Öffentlichkeit in die Lage versetzt
zu erkennen, inwieweit demokratisch nicht legitimierte Akteure auf das Ergeb-
nis eines Gesetzgebungsprozesses Einfluss genommen haben.

Eine derartige Mindestregulierung erfordert auch die Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts, welches in BVerfGE 40, S. 296, 327 – im Zusammen-
hang mit der Abgeordnetenentschädigung – ausgeführt hat: „(…) das demokra-

tische und rechtsstaatliche Prinzip (Art. 20 GG) verlangt, daß der gesamte
Willensbildungsprozeß für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor

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den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird. Denn dies ist die einzige wirk-
same Kontrolle. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen
des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch
geschieht, ist nicht möglich.“

Auch und insbesondere auf europäischer Ebene ist die Einführung eines ver-
pflichtenden Lobbyistenregisters notwendig. Selbst konservative Schätzungen
gehen davon aus, dass 15 000 bis 20 000 Lobbyisten in Brüssel tätig sind. Das im
Rahmen der European Transparency Initiative (ETI) durch die Europäische
Kommission am 3. Mai 2006 vorgestellte Grünbuch, welches Vorschläge für
mehr Transparenz im EU-Lobbying enthält, ist nicht geeignet, hinreichende
Transparenz herzustellen. Zu Recht wurde an dem Entwurf kritisiert*, dass er le-
diglich ein freiwilliges Registrierungssystem enthält und keinerlei Ansätze zeigt,
den privilegierten Zugang von Wirtschaftslobbyisten zu beenden. Ebenso wenig
schafft er Transparenz über nur kurzfristig für die Kommission tätige Beschäf-
tigte.
* Etwa: Pressemitteilungen ALTER-EU vom 3. Mai 2006 und 21.März 2007.

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