BT-Drucksache 17/2024

Steigerung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent gesetzlich festlegen

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2024
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, Jan van Aken,
Dr. Dietmar Bartsch, Steffen Bockhahn, Christine Buchholz, Roland Claus, Sevim
Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald
Koch, Michael Leutert, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Nord, Paul
Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Steigerung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent gesetzlich festlegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Am 24. Oktober 1970 hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit der
Annahme der UN-Resolution 2626 (International Development Strategy for
the Second United Nations Development Decade) verpflichtet anzustreben,
mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für die
öffentliche Entwicklungshilfe („Official Development Assistance“ – ODA)
aufzuwenden.

2. Dieses Ziel haben die Industrieländer im Laufe der Jahre immer wieder in
internationalen Abkommen bekräftigt, zum Beispiel im Rahmen der „Inter-
nationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung“ der UN im März
2002 in Monterrey, Mexiko, oder auf dem „Weltgipfel für nachhaltige Ent-
wicklung“ im selben Jahr in Johannesburg, Südafrika.

3. 2005 hatte die EU einen Stufenplan zur Erreichung einer ODA-Quote von
0,7 Prozent bis 2015 festgelegt. In Schweden wird die ODA-Quote 2010 laut
OECD bei 1,03 Prozent und in Dänemark bei 0,83 Prozent liegen. Auch
Großbritannien wird mit 0,56 Prozent deutlich über dem Soll des EU-Stufen-
plans liegen, der als Zwischenziel für 2010 0,51 Prozent vorsieht. Spanien
wird es wie zugesagt einhalten.

4. Im Gegensatz dazu verfehlt Deutschland durch den vorliegenden Haushalt
2010 mit einer prognostizierten ODA-Quote von etwa 0,40 Prozent das
Stufenziel der EU deutlich. Für 2009 wurden nur ca. 0,35 Prozent errechnet.
Von dem Ziel, bis 2015 0,7 Prozent des BNE in die ODA zu investieren, ist
Deutschland somit auch 40 Jahre nach der UN-Resolution 2626 immer noch
weit entfernt. Auch die Vorgängerregierung hat die Zwischenstufe bei
Weitem nicht erreicht. Deutschland missachtet damit seine internationalen

Verpflichtungen gegenüber den ärmsten Ländern der Welt und erweckt den
Eindruck, seine bereits 1970 gegebene Zusage auch weiterhin nicht erfüllen
zu wollen.

5. Selbst die niedrige ODA-Quote von 0,40 Prozent wird nur unter Anrechnung
nicht entwicklungsbezogener Ausgaben erreicht. Dazu zählen etwa Entschul-
dung, Studienkosten für Studierende aus den Entwicklungsländern, Kosten
für die Unterbringung von Asylbewerberinnen und -bewerbern und sogar für

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Abschiebungen, Ausbildungsmaßnahmen bzw. den Bau von Ausbildungs-
einrichtungen für Soldaten und Soldatinnen, Polizisten und Polizistinnen und
den Bau von Bundeswehrunterkünften in Afghanistan. Die Bundesregierung
plant zudem, auch die Ausgaben für Klimaschutz und die Anpassungsmaß-
nahmen an den Klimawandel in Entwicklungsländern in die ODA einzurech-
nen, wogegen sich berechtigter Widerspruch von Entwicklungsorganisatio-
nen und in den Partnerländern erhebt.

Der Klimawandel ist Resultat der Wirtschafts- und Lebensweise der Indus-
trieländer. Die Menschen in den Entwicklungsländern, die am stärksten unter
seinen Auswirkungen leiden, haben Anspruch auf Wiedergutmachung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der festschreibt, dass die Bundesrepublik
Deutschland spätestens ab 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens
jährlich in öffentliche Entwicklungshilfe investiert;

2. mit dem Gesetzentwurf einen Stufenplan vorzulegen, der eine gleichmäßige
schrittweise jährliche Erhöhung der ODA-Quote bis 2015 verpflichtend fest-
legt;

3. in die Berechnung der ODA-Quote ab sofort nur noch solche Leistungen ein-
zubeziehen, die direkt zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den
von der OECD als Entwicklungsländer eingestuften Staaten beitragen;

4. durch Schuldenerlass frei gewordene Gelder, Ausgaben für ausländische Stu-
dierende, Kosten für die Unterbringung von Asylbewerberinnen und -bewer-
bern einschließlich Abschiebungskosten, Kosten für Ausbildungsmaßnah-
men, Ausbildungseinrichtungen und Beratungsmaßnahmen für Soldaten und
Soldatinnen oder Polizeikräfte oder etwa Kosten für den Bau der Bundes-
wehrunterkünfte in Afghanistan nicht mehr in die öffentliche Entwicklungs-
hilfequote einzuberechnen;

5. Mittel für Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Anpassung an den
Klimawandel in Entwicklungsländern nicht in die ODA-Quote einzuberech-
nen, sondern zusätzlich bereitzustellen;

6. im Gesetzentwurf eine umfassende Berichts- und Auskunftspflicht gegen-
über dem Deutschen Bundestag vorzusehen.

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Um die Glaubwürdigkeit der deutschen Entwicklungspolitik zu stärken, ver-
spieltes Vertrauen bei den Ländern des Südens wiederherzustellen und um einen
Beitrag dazu zu leisten, die extreme Armut weltweit zu bekämpfen, muss die
Bundesregierung die bereits vor Jahrzehnten gegebenen Versprechen an die Ent-
wicklungsländer spätestens bis 2015 verbindlich erfüllen. Das 0,7-Prozent-Ziel
ist das einzige international vereinbarte Instrument zur Erreichung der von der
55. Generalversammlung der UN im September 2000 beschlossenen Millen-
niumsziele. Hier verpflichtete sich auch Deutschland, eine neue globale Partner-

schaft zur Reduzierung von extremer Armut einzuleiten. In der Erklärung
wurden acht Entwicklungsziele, die sogenannten Millenniumsentwicklungs-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2024

ziele (MDGs), festgelegt, die bis zum Jahre 2015 umgesetzt werden sollten. Die
Ziele reichen von der Halbierung des Anteils der Weltbevölkerung, der unter
extremer Armut leidet, von der Ermöglichung einer Grundschulausbildung für
alle Kinder und den Kampf gegen HIV/AIDS.

Die Bundesregierung muss dringend ihren zugesagten Mindestbeitrag leisten,
auch um andere Geberländer zu ermutigen, erteilte Zusagen gegenüber den Län-
dern des Südens einzuhalten. Besonders während einer weltweiten Finanz- und
Wirtschaftskrise müssen die Geberländer Zuverlässigkeit demonstrieren, weil
nur langfristige Investitionen die Entwicklungsländer in die Lage versetzen kön-
nen, die Millenniumsziele zu erreichen.

Aus diesen Gründen liegt in Großbritannien ein Gesetzentwurf des Ministers für
internationale Entwicklung zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels bis 2013 be-
reits vor. Außerdem haben mehrere Länder das 0,7-Prozent-Ziel heute schon er-
reicht, so Dänemark, Schweden, Norwegen, die Niederlande und Luxemburg.
Dieser Antrag soll dafür sorgen, dass die Bundesrepublik Deutschland diesen
positiven Beispielen folgt und eine führende Rolle auf globaler Ebene im Kampf
gegen Hunger, Krankheiten und Elend einnimmt. Mit der gesetzlichen Veranke-
rung des 0,7-Prozent-Ziels können Bundesregierung und Bundestag die Bedeu-
tung, die sie der Erreichung dieses Ziels beimessen, untermauern, jeden Zweifel
an ihrer Entschlossenheit, dieses Ziel zu erreichen, ausräumen und internatio-
nales Vertrauen schaffen.

Um die Finanzierung einer ODA-Quote von 0,7 Prozent zu gewährleisten, hat
die Fraktion DIE LINKE der Bundesregierung bereits verschiedene geeignete
Vorschläge vorgelegt, etwa die Anträge zur Einführung einer Finanztrans-
aktionssteuer (Bundestagsdrucksache 17/518) und einer Flugticketabgabe
(Bundestagsdrucksache 16/1203). Große Einsparpotenziale bestehen aber auch
innerhalb des bestehenden Haushalts, insbesondere im Etat des Bundesministe-
riums der Verteidigung. Alleine im Haushaltsjahr 2010 könnten im Einzelplan 14
(Militärhaushalt) 4 Mrd. Euro für Rüstungsbeschaffungsvorhaben und Bundes-
wehreinsätze eingespart werden.

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