BT-Drucksache 17/2023

Öffnung der Ehe

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2023
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Cornelia Möhring, Dr. Dietmar
Bartsch, Matthias W. Birkwald, Steffen Bockhahn, Heidrun Dittrich, Jutta
Krellmann, Michael Leutert, Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens Petermann,
Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Öffnung der Ehe

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität sind ein drängendes Problem
in der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Bundestag ist sich seiner be-
sonderen Bedeutung für die Beseitigung jeder Art von Diskriminierung bewusst.
Als Gesetzgeber wird er alle Möglichkeiten ergreifen, um diese umfassend und
wirkungsvoll zu beenden. Von dem Willen getragen, allen Menschen unabhängig
von der sexuellen Identität grundsätzlich gleiche Rechte zu gewährleisten, be-
kennt sich der Bundestag zur Öffnung der Ehe für alle Menschen. Menschen-
rechte zu schützen und auszubauen ist nicht nur Sache der Gerichte, sondern aller
staatlichen Gewalt. Der Bundestag will nicht weiterhin nur die schrittweise An-
erkennung der Gleichstellung durch die Rechtsprechung nachvollziehen, son-
dern diese selbst vorantreiben.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber zu Recht ermahnt, die Un-
gleichbehandlung mit der Ehe zu beenden, wo dies als Diskriminierung wegen
der sexuellen Orientierung zu bewerten ist (vgl. hierzu die Entscheidung des
BVerfG, 1 BvR 1164/07 vom 7. Juli 2009, www.bverfg.de/entscheidungen/
rs20090707_1bvr116407.html). Die sofortige, vollständige Gleichstellung der
Rechte (und Pflichten) in eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe ist daher
ohnehin notwendig.

Gleichgeschlechtliche Paare würden aber auch dann noch diskriminiert, wenn
gleiche Rechte in eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe durchgesetzt
wären. Denn ein getrenntes Recht ist – selbst, wenn es inhaltlich identisch ist –
noch lange kein gleiches Recht. In vielen Staaten gab es ein getrenntes Recht für
Menschen aufgrund einer unterschiedlichen Hautfarbe. Nicht die Angleichung
des getrennten Rechts, sondern erst die Etablierung eines Rechts für alle Men-

schen (gleich, welcher Hautfarbe) hat die Diskriminierung beendet.

Das gesonderte Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft – neben
der Ehe – hemmt auf Dauer den Vollzug echter Gleichstellung. Für ein gesonder-
tes Rechtsinstitut besteht kein überzeugender Grund. Einzig die sexuelle Identi-
tät der zugelassenen Menschen scheidet beide Rechtsinstitute voneinander. Mit
der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft wurde zwar gesellschaft-

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lich für die Gleichbehandlung von Lesben und Schwulen viel erreicht. Zugleich
wurden gleichgeschlechtliche Paare aber weiterhin von der Ehe ausgeschlossen.
Dies wirkt diskriminierend.

Zu Recht hat sich auch der schwedische Gesetzgeber nach seiner 14-jährigen Er-
fahrung mit dem Partnerschaftsgesetz für dessen Abschaffung entschieden und
die Ehe für alle Menschen geöffnet. Norwegen, Spanien, Belgien und die Nieder-
lande sind mit einem gemeinsamen Rechtsinstitut für verschieden- und gleichge-
schlechtliche Paare ebenfalls diesen wichtigen und vorbildlichen Schritt in der
Antidiskriminierungspolitik gegangen, dem schon in Kürze weitere europäische
Staaten folgen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzent-
wurf vorzulegen, der

1. Regelungen zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher
Paare durch Öffnung der Ehe für alle Menschen und

2. die erforderlichen Anpassungs- und Überleitungsregelungen für das Institut
der eingetragenen Lebenspartnerschaft

enthält.

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Mit dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft vom 16. Februar
2001 (verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung
gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. 2. 2001
(BGBl. I S. 266) hat der Gesetzgeber eine wegweisende Entscheidung getroffen.
Er hat nach jahrzehntelanger Diskriminierung unter Geltung des Grundgesetzes
(GG) und jahrhundertelanger Verfolgung in der Rechtsgeschichte endlich eine
Möglichkeit der rechtlichen Anerkennung für gleichgeschlechtliche Paare ge-
schaffen. Diese Entscheidung ist auf Dauer – gemessen an dem Ziel der endgül-
tigen Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften –
jedoch nur unzureichend.

Die Bundesregierung soll daher einen verfassungskonformen Gesetzentwurf
vorlegen. Dieser soll Regelungen zur vollständigen Gleichstellung von gleichge-
schlechtlichen und verschiedenengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften durch
die Öffnung der Ehe enthalten. Erst mit der Schaffung eines gemeinsamen
Rechtsinstituts für alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Identität, wird
dem Ziel des Gesetzgebers umfassend Rechnung getragen.

Der Ehebegriff des Grundgesetzes (Artikel 6 Absatz 1 GG) steht der Öffnung der
Ehe nicht grundsätzlich entgegen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor der Änderung des Transsexuellengeset-
zes im Urteil vom 27. Mai 2008 als eine von mehreren verfassungskonformen ge-
setzgeberischen Möglichkeiten erkannt, die Voraussetzung der Ehelosigkeit für
die Anerkennung des geänderten Geschlechts im Transsexuellengesetz zu strei-
chen. Die hierdurch ermöglichte gesetzliche „Öffnung“ der Ehe für gleichge-

schlechtliche, bereits verheiratete Paare sei auch angesichts dessen, „dass die
Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau durch Artikel 6 Absatz 1 GG

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2023

geschützt ist, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“ (vgl. BVerfG, 1 BvL
10/05 vom 27. Mai 2008, Absatz 72, a. a. O.). Der Gesetzgeber hat dann die
Voraussetzung der Ehelosigkeit gestrichen (vgl. Gesetz zur Änderung des Trans-
sexuellengesetzes vom 17. Juli 2009, BGBl. I S.1978). Die verfassungsrechtlich
eröffnete Möglichkeit, die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe ausnahmslos
zu bewahren, hat er nicht genutzt. Es besteht daher bereits nach geltendem Recht
die verfassungskonforme Möglichkeit von gleichgeschlechtlichen Ehen – wenn
auch nur für die kleine Personengruppe bereits verheirateter transsexueller Men-
schen und deren Ehegattinnen bzw. Ehegatten. Ob dies unter verfassungsrecht-
lichen Gesichtspunkten dazu führen muss, dass die Ehe allen Menschen, gleich
welcher sexuellen Orientierung, offen stehen muss, ist bisher nicht entschieden
worden. Hierfür spricht der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Absatz 1
GG unter Bezugnahme auf das Diskriminierungsverbot wegen der sexuellen
Orientierung, das einen strengen Maßstab für die unterschiedliche gesetzliche
Ausgestaltung von Regelungen für gleich- bzw. verschiedengeschlechtliche
Paare vorgibt (vgl. hierzu BVerfG, 1 BvR 1164/07 vom 7. Juli 2009, Absatz 87 ff.,
www.bverfg.de/entscheidungen/rs20090707_1bvr116407.html). Die Anforde-
rungen bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen sind danach umso
strenger, je größer die Gefahr ist, dass eine Anknüpfung an Persönlichkeitsmerk-
male, die mit denen des Artikels 3 Absatz 1 GG vergleichbar sind, zur Diskrimi-
nierung einer Minderheit führt (BVerfG, 1 BvR 1164/07 vom 7. Juli 2009,
Absatz 87, a. a. O.). Ob das Grundgesetz die vollständige Öffnung der Ehe for-
dert, kann aber dahinstehen. Einer derartigen gesetzlichen Regelung steht es zu-
mindest nicht entgegen. Eine verfassungsgerichtliche Entscheidung muss nicht
abgewartet werden.

Es geht bei der Öffnung der Ehe nicht darum, nur ein legitimes Modell der Le-
bensweisen zu errichten. Die Öffnung der Ehe soll den Gleichheitsgrundsatz des
Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 1 GG) und die Möglichkeit der umfassenden
freien Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Abs.1 GG) verwirklichen. Die ge-
schlechtliche und sexuelle Vielfalt ist in den letzten Jahrzehnten stärker in Er-
scheinung getreten. Hierdurch konnten sich verschiedenste Lebensweisen etab-
lieren. Die Ehe ist nur eine rechtliche Möglichkeit, um diesen Lebensweisen
Rechnung zu tragen. Sie darf nicht dazu genutzt werden, um andere Lebenswei-
sen abzuwerten. „Die Ehe und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften
sollten zweifellos als Optionen verfügbar sein, doch eine von beiden als Modell
für sexuelle Legitimität einzusetzen bedeutet gerade, die Sozialität des Körpers
auf akzeptable Formen einzuschränken“ (Judith Butler, Die Macht der Ge-
schlechternormen, Frankfurt 2009, S. 48). Die Gleichstellung aller Lebenspart-
nerschaften, unabhängig von der sexuellen Identität, entbindet den Gesetzgeber
nicht von seiner Verantwortung, Unabhängigkeit und Gleichberechtigung in der
Partnerschaft gesetzlich voranzubringen „Es wäre ein bedauerlicher Rückschritt,
wenn sich Lebenspartner aus Gleichheitsgründen in Rollen einrichteten, die eher
dem Gestern angehören sollten, weil sie in Abhängigkeit bringen und einer
gleichberechtigten Partnerschaft abträglich sind.“, (Homann-Dennhardt, Chris-
tine: Gleichheit nur für Heteros? Keine Diskriminierung wegen der „sexuellen
Identität“ in: Kritische Justiz (Hrsg.), Verfassungsrecht und gesellschaftliche Re-
alität, 2009, S. 132). Das Bundesverfassungsgericht stellte jüngst klar, dass nicht
jede Ehe auf Kinder ausgerichtet sei und die Ehe außerdem nicht mehr auf eine
bestimmte Rollenverteilung festgelegt werden könne (vgl. BVerfG, 1 BvR 1164/07
vom 7. Juli 2009, Absatz 112, a. a. O.). Eine Privilegierung der Ehe aus dem
Grund, weil aus ihr Kinder hervorgehen können, ist verfassungsrechtlich in ers-
ter Linie Gegenstand des Grundrechtsschutzes der Familie und nicht auf ver-
heiratete Eltern beschränkt (vgl. BVerfG, 1 BvR 1164/07 vom 7. Juli 2009, Ab-
satz 102, a. a. O.). Privilegien aufgrund des familiären Einstandes für Kinder
oder für Pflegepersonen müssen allen Betroffenen zustehen. Im Gegenzug muss

die Ehe entprivilegiert werden.

Drucksache 17/2023 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Mit der Öffnung wird die Ehe nun auch Lesben und Schwulen als eine Möglich-
keit, in der sie ihre Liebe dauerhaft füreinander einstehen können, zur Verfügung
stehen. Aber auch Transgendern sowie trans- und intersexuellen Menschen wird
hiermit ein (erleichterter) Zugang zur Ehe gewährt werden. Zugleich müssen An-
passungs- und ggf. Überleitungsregelungen für eingetragene Lebenspartner-
schaften geschaffen werden. Zuvor muss geprüft werden, welche tatsächlichen
Bedürfnisse für die Beibehaltung dieses Instituts bestehen und welche Möglich-
keiten der (etwaigen) Überleitung bestehender eingetragener Lebenspartner-
schaften – vor allem aus Sicht der Betroffenen – angemessen sind.

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