BT-Drucksache 17/2008

Insolvenzrechtsreform unverzüglich vorlegen - Außergerichtliche Sanierungsverfahren stärken - Insolvenzplanverfahren attraktiver gestalten

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2008
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Christine Scheel, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, Kerstin
Andreae, Birgitt Bender, Memet Kilic, Maria Klein-Schmeink, Dr. Konstantin
von Notz, Lisa Paus, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Insolvenzrechtsreform unverzüglich vorlegen – Außergerichtliche Sanierungs-
verfahren stärken – Insolvenzplanverfahren attraktiver gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ziel einer Insolvenzrechtsreform muss die frühzeitige Rettung und Restruktu-
rierung von Unternehmen sein, damit sie erst gar nicht insolvent werden.

Für außergerichtliche Sanierungsverfahren soll ein geeigneter rechtlicher Rah-
men angestrebt werden. Sie müssen frühzeitig beginnen können. Das Zeitfens-
ter, das die derzeitigen Regelungen über die Insolvenzantragspflicht für Sanie-
rungsversuche offenlassen, ist zu klein. Es verhindert, dass grundsätzlich
lebensfähige Unternehmen noch rechtzeitig vor der Stigmatisierung durch ein
eröffnetes Insolvenzverfahren saniert werden. Es ist anzustreben ein Gläubiger-
schutzverfahren in Eigenverwaltung für einen überschaubaren Zeitraum einzu-
führen, um einen Sanierungsplan für das Unternehmen vor Eröffnung einer
Insolvenz ausarbeiten zu können. Die Gewährung von Gläubigerschutz sollte
von der Zustimmung der Mehrheit der Gläubiger abhängig gemacht werden.
Das Zeitfenster für die Erstellung eines Sanierungsplans muss durch einen neu
einzuführenden Gläubigerrat kontrolliert werden können, um gegebenenfalls
korrigierend in das Unternehmenshandeln eingreifen zu können.

Es ist notwendig für die Anwendung des Insolvenzplanverfahrens bessere Rah-
menbedingungen zu schaffen. Die Insolvenzrechtsreform von 1999 hat den an-
gestrebten Übergang zum Insolvenzplanverfahren nur in wenigen Fällen er-
möglicht. Das Insolvenzplanverfahren führt bei derzeitigen Insolvenzen ein
Schattendasein. Es wurde nur in rd. 2 Prozent der Fälle angewandt. Das Insol-
venzplanverfahren selbst muss deshalb attraktiver gestaltet werden, damit es
häufiger zur Anwendung kommt. Hierzu müssen Fragen der Haftung bei mög-
lichen Amtspflichtverletzungen von Richtern und Rechtspflegern geklärt wer-
den. Richter müssen in die Lage versetzt werden, dass sie nach nachvollzieh-
baren Kriterien die Auswahl des Insolvenzverwalters begründen. Es ist

notwendig, die Gerichtszuständigkeiten für Insolvenzen zu konzentrieren, um
die Fachkenntnisse von Richtern und Rechtspflegern für die Durchführung und
Beaufsichtigung von Insolvenzplanverfahren gegenüber den Insolvenzverwal-
tern zu verbessern. Konzerninsolvenzen sollen an einem Gerichtsstandort zen-
tralisiert werden. Die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren müssen ge-
stärkt werden. Es ist anzustreben, die Eigenverwaltung der vorhandenen
Geschäftsführung im Insolvenzverfahren verstärkt zu nutzen. Fragen der Haf-

Drucksache 17/2008 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

tung von Insolvenzverwaltern müssen geklärt werden. Die Managementkompe-
tenzen der Insolvenzverwalter zur Eignung für eine verantwortliche Unterneh-
mensführung müssen erhöht werden. Hierzu ist als Maßnahme geeignet, dass
den Gläubigern bei der Auswahl der Insolvenzverwalter ein Mitwirkungsrecht
eingeräumt wird. Die Sanierung von Unternehmen wird steuerlich flankiert,
weil Gläubiger auf Forderungen verzichten und hierdurch erzeugte Sanierungs-
gewinne mit auf normalem Weg erwirtschafteten Gewinnen nicht zu verglei-
chen sind. Erst der Schuldenerlass sichert die Unternehmensfortführung und er-
möglicht, dass Arbeitsplätze gerettet werden können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Reform des Insolvenzrechts vorzulegen, der

– außergerichtliche Sanierungsverfahren für Unternehmen stärkt,

– das Insolvenzplanverfahren attraktiver gestaltet und zur häufigeren Anwen-
dung führt,

– Gerichtszuständigkeiten für die qualifizierte Begleitung von Insolvenzplan-
verfahren konzentriert, insbesondere Insolvenzen eines Konzerns an einem
Gerichtsstandort zentralisiert,

– die qualifizierte Auswahl von Insolvenzverwaltern nach objektiv nachvoll-
ziehbaren Kriterien gewährleistet,

– eine verbesserte fachliche Qualifikation für das Handeln von Insolvenzver-
waltern, Richtern und Rechtspflegern gewährleistet,

– der eine mit dem europäischen Beihilferecht abgestimmte Regelung zur
steuerlichen Erleichterung von Unternehmenssanierungen enthält. Voraus-
setzung hierfür ist, dass Forderungsverzichte im Rahmen des vereinbarten
Sanierungsplans und hierdurch verursachte Sanierungsgewinne zu Gunsten
der Unternehmensfortführung steuerlich begünstigt werden.

Berlin, den 8. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Eine Reform des Insolvenzverfahrens für Unternehmen und nicht nur für Ban-
ken ist überfällig. Dem Konjunktureinbruch folgt in diesem Jahr eine Insolvenz-
welle. Die Bundesregierung hat es versäumt rechtzeitig bessere Rahmenbedin-
gungen zu schaffen. Sie ist dringend aufgefordert für die Wirtschaft transparen-
tere Bedingungen und Erleichterungen bei der Sanierung krisengeschädigter
Unternehmen herbeizuführen. Jede abgewendete Insolvenz und jede gelungene
Unternehmenssanierung ist ein praktischer Beitrag zum Schutz von Arbeits-
plätzen.

2009 gab es laut Statistischem Bundesamt 32 687 Insolvenzen (plus 11,6 Pro-
zent) in Deutschland. Für 2010 erwartet Creditreform infolge des Konjunktur-
einbruchs eine weitere Zunahme der Insolvenzen auf 38 000 bis 40 000 Unter-
nehmen. Offensichtlich kamen in der Konjunkturkrise besonders häufig Indus-
triebetriebe in Existenznot. Jede neunte insolvente Firma kam aus dem ver-
arbeitenden Gewerbe. 2008 war es noch jede zehnte.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2008

Die hohe Zahl der Unternehmensinsolvenzen hat 2009 zu volkswirtschaftlichen
Schäden (Forderungsausfällen) in Höhe von 48,6 Mrd. Euro geführt. 521 000
Arbeitnehmer waren von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen.

Bisher wird das Insolvenzplanverfahren zur Sanierung und Rettung von Firmen
viel zu selten angewandt. Dabei gibt es gelungene Sanierungsbeispiele durch
die Anwendung des Insolvenzplanverfahrens. Experten schätzen, dass das
Insolvenzplanverfahren mit dem Ziel der Unternehmenssanierung für 20 bis
30 Prozent der Insolvenzfälle in Frage käme, wenn die Rahmenbedingungen
für seine Anwendung zielgerichtet reformiert werden.

Mit diesem Verfahren können bei entsprechenden betriebswirtschaftlichen
Qualifikationen der Insolvenzverwalter, der Richter und Rechtspfleger erhal-
tungsfähige Unternehmen fortgeführt und viele Arbeitsplätze gerettet werden.

Eine Insolvenzrechtsreform muss daran festhalten, dass die Insolvenzordnung
zum Ziel hat, Gläubiger zu befriedigen und eine Marktbereinigung zu organi-
sieren.

Wir brauchen unverzüglich eine Insolvenzrechtsreform, die bessere Rahmen-
bedingungen schafft, um mehr Unternehmen sanieren zu können und weniger
Unternehmen zerschlagen und abwickeln zu müssen.

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