BT-Drucksache 17/1915

Stand des Ausbaus der Kinderbetreuung

Vom 3. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1915
17. Wahlperiode 03. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Agnes Alpers, Karin Binder,
Roland Claus, Heidrun Dittrich, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sabine Leidig,
Cornelia Möhring, Jens Petermann, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Stand des Ausbaus der Kinderbetreuung

Mit dem 2008 in Kraft getretenen Kinderförderungsgesetz (KiföG) will die Bun-
desregierung gemeinsam mit den Ländern und Kommunen jedem dritten Kind
mit Vollendung des ersten Lebensjahres ab 2013 einen Betreuungsplatz zur Ver-
fügung stellen. Sie will damit auch die EU-Vereinbarung von 2002 in Barcelona
umsetzen, wonach mindestens 33 Prozent aller Kinder unter drei Jahren einen
Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt bekommen sollen. Der Bund beteiligt
sich über das Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau mit 4 Mrd. Euro zu
rund einem Drittel an den prognostizierten Kosten, die mit insgesamt 12 Mrd.
Euro kalkuliert wurden. In jüngster Zeit wurden Forderungen laut, im Bildungs-
bereich zu sparen und das Ausbauziel von 35 Prozent bis 2013 zeitlich zu ver-
schieben. Die Bundesländer rufen unterschiedlich stark die Mittel aus dem
Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau ab, wobei sich die Frage stellt, ob
das an einer möglicherweise fehlenden Kofinanzierungsmöglichkeit in den
Kommunen durch deren schwindende Finanzkraft liegt. Dass gegen die, durch
das KiföG zusätzlich ausgelösten Kosten, bereits 22 Kommunen aus Nordrhein-
Westfalen vor dem Landesverfassungsgericht in Münster klagen, kann auch als
Indiz dafür gewertet werden.

Das Statistische Bundesamt hat am 3. Mai 2010 Berechnungen veröffentlicht,
nach denen in Westdeutschland ein zusätzlicher Betreuungsbedarf für 320 000
Kinder bis 2013 besteht, gehe man davon aus, dass in jedem Bundesland die
Quote von 35 Prozent erreicht werden soll (Pressemitteilung des Statistischen
Bundesamtes vom 3. Mai 2010). Die Bundesregierung geht allerdings in ihren
Berechnungen von einem bundesweiten Schnitt von 35 Prozent Kinderbetreu-
ungsplätzen aus, was andere Zahlen als die vom Statistischen Bundesamt be-
rechneten zur Folge hat, wodurch aber gerade die westdeutschen Bundesländer,
die einen großen Nachholbedarf haben, insgesamt weniger Kinderbetreuungs-
plätze schaffen müssten, da die ostdeutschen Bundesländer bereits heute über
der Quote von 35 Prozent liegen.
Die Einführung des Rechtsanspruches auf Bildung und Betreuung für Kinder
vom vollendeten ersten Lebensjahr an bedeutet mehr Bildungsbeteiligung und
mehr Bildungsgerechtigkeit. Allerdings ist dieser Rechtsanspruch nur als Halb-
tagsanspruch ausgestaltet. Gleichzeitig fehlen bei dem rechtlichen Rahmen die
notwendigen Impulse für die personelle Absicherung dieses Rechtsanspruches.
Legt man die oben genannten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zugrunde
und nimmt einen Betreuungsschlüssel von 1 : 5 an, so wären 64 000 zusätzliche

Drucksache 17/1915 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Erzieherinnen und Erzieher nötig. Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem in
den neuen Bundesländern auf Grund von Personalabbau infolge stark gesunke-
ner Kinderzahlen ein Großteil der in Kindertageseinrichtungen Tätigen älter als
50 Jahre ist und somit in einem überschaubaren Zeitraum nicht mehr zur Ver-
fügung stehen. Das betrifft bundesweit etwa 66 000 Betreuungskräfte (siehe
Dr. Matthias Schilling, Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatis-
tik: „Situation und Entwicklung der Beschäftigten in Kindertageseinrichtun-
gen“. Materialsammlung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft –
GEW, April 2009). Insgesamt muss allein dafür von einem zusätzlichen Per-
sonalbedarf von mindestens 130 000 neu auszubildenden Betreuungskräften
ausgegangen werden.

Der Ausbau der Kinderbetreuung ist gerade für alleinerziehende Eltern eine ele-
mentare Voraussetzung, um einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Ein
Halbtagsanspruch auf Kinderbetreuung hilft dementsprechend nicht den mehr
als 600 000 Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozial-
gesetzbuch beziehen, in Arbeit zu bringen. Dies ist aber wichtiges Ziel der Bun-
desregierung, die in ihrer Kabinettsitzung am 21. April 2010 beschlossen hat,
Alleinerziehenden neue Beschäftigungsperspektiven zu bieten. Sie erklärt dazu:
„Um Alleinerziehende in den Arbeitsmarkt eingliedern zu können, muss unter
anderem die Kinderbetreuung angemessen und passgenau geregelt sein.“
(www.bmas.de). Ein Halbtagsanspruch auf Kinderbetreuung kann aber nicht
„angemessen und passgenau“ sein, um Alleinerziehenden eine bedarfsdeckende
Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Das Aktionsprogramm Kindertagespflege, wel-
ches die Ausbildung von Tagespflegemüttern und -vätern mit 160-Stunden-
Qualifizierungskursen sowie den Ausbau von Strukturen der Kindertagespflege
fördert, kann nicht ausreichen, da lediglich ein Drittel der neu zu schaffenden
Kinderbetreuungsplätze in diesem Bereich entstehen soll. Es ist daher zu be-
fürchten, dass ein Großteil der Alleinerziehenden auch zukünftig vom Arbeits-
markt ausgeschlossen bleibt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Plätze zur Kinderbetreuung standen für Ein- bis Dreijährige und für
Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter vor Einführung des
Sondervermögens Kinderbetreuungsausbau zur Verfügung (bitte aufschlüs-
seln nach Bundesländern und Art der Kinderbetreuung (Kindertagesstätte
oder Tagespflege))?

2. Wie viele Plätze zur Kinderbetreuung stehen für Ein- bis Dreijährige und für
Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter seit Einführung des
Sondervermögens Kinderbetreuungsausbau zur Verfügung (bitte aufschlüs-
seln nach Bundesländern und Art der Kinderbetreuung (Kindertagesstätte
oder Tagespflege))?

3. Wie viele Plätze zur Kinderbetreuung sollen laut KiföG für Ein- bis Dreijäh-
rige und für Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter 2013 mit
Abschluss des Sondervermögens Kinderbetreuungsausbau zur Verfügung
stehen (bitte aufschlüsseln nach Bundesländern und Art der Kinderbetreuung
(Kindertagesstätte oder Tagespflege))?

Wie kommt die Bundesregierung ihrer durch das KiföG bestehenden Ver-
pflichtung nach, dass diese Plätze auch wirklich entstehen?

4. Wie viele Personen waren in der Kinderbetreuung vor Einführung des Son-
dervermögens Kinderbetreuungsausbau tätig, wie viele Personen sind zurzeit
in der Kinderbetreuung tätig, und wie viele Personen sollen nach Abschluss
des Sondervermögens Kinderbetreuungsausbau in der Kinderbetreuung tätig

sein (bitte aufschlüsseln nach Bundesländern, Art der Kinderbetreuung
(Kindertagesstätte oder Tagespflege) und Ausbildungsgrad)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1915

5. Inwieweit wird der Zeitplan der Bundesregierung, die Quote von 35 Prozent
bis 2013 zu erreichen, eingehalten?

Gibt es Verzögerungen im Ausbau der Kinderbetreuung in einzelnen Bun-
desländern, und wenn ja, warum, und wie wird gewährleistet, dass der Zeit-
plan trotzdem eingehalten wird (bitte aufschlüsseln nach Bundesländern)?

6. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung zur Ausbildung
und Qualifizierung des benötigten Betreuungspersonals bisher unternom-
men?

Welche Planungen und Absprachen gibt es dazu mit den Bundesländern?

7. Wie wird dem drohenden Personalmangel in der Kinderbetreuung begeg-
net?

Gibt es Programme bzw. Planungen der Bundesregierung diesem durch eine
vermehrte Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern zu begegnen?

Wenn ja, wie sehen diese aus?

Wenn nein, warum nicht?

8. Wie viele Personen wurden bisher im Rahmen des Aktionsprogramms Kin-
dertagespflege weitergebildet und werden es bis 2012 sein (bitte aufschlüs-
seln nach Bundesländern, Geschlecht und Alter der ausgebildeten Personen)?

Welche Zwischenergebnisse liegen der Bundesregierung aus den ausge-
wählten Modellstandorten vor, und welche Schlussfolgerungen und konkre-
ten Maßnahmen zieht die Bundesregierung sowohl für den weiteren Verlauf
des Aktionsprogramms als auch für die Strukturen zur Gewinnung, Qualifi-
zierung und Vermittlung von Tagesmüttern und -vätern über das Aktionspro-
gramm hinaus?

Sollten noch keine Zwischenergebnisse vorliegen, wann werden diese ein-
treffen?

9. Wie erklärt sich die Bundesregierung den unterschiedlich hohen Mittelabruf
der Bundesländer beim Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau, und
welche konkreten Maßnahmen ergeben sich für die Bundesregierung daraus?

10. Hält die Bundesregierung trotz eines zögerlichen Mittelabrufes der Bundes-
länder an dem Ausbauziel von 35 Prozent fest, und wie sichert sie die Um-
setzung dieses Zieles ab?

11. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den tatsächlichen Bedarf an Kinder-
betreuungsplätzen ab 2013?

Wie bewertet die Bundesregierung die Berechnung des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW Berlin), wonach künftig nicht 750 000
sondern 1,2 Millionen Betreuungsplätze nachgefragt würden, und welche
konkreten Maßnahmen ergeben sich für die Bundesregierung daraus?

12. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Alleinstehende für ihre
Kinder einen Betreuungsplatz als notwendige Voraussetzung für Erwerbstä-
tigkeit erhalten?

Welche Strategien und Maßnahmen ergreift die Bundesregierung für einen
Betreuungsbedarf der Kinder von Alleinerziehenden über den Halbtags-
anspruch hinaus?

Berlin, den 3. Juni 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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