BT-Drucksache 17/1856

Umsetzung des Förderprogramms für zusätzliches Pflegepersonal in den Krankenhäusern

Vom 26. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1856
17. Wahlperiode 26. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Martina Bunge, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Inge Höger, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Förderprogramms für zusätzliches Pflegepersonal in den
Krankenhäusern

Die finanzielle Situation der Krankenhäuser in Deutschland war und ist äußerst
angespannt, auch wenn die Meldungen der letzten Wochen eine leichte Besse-
rung vermelden. Für Patientinnen und Patienten und für das Personal ist dieser
Zustand bedrohlich. Es wurden bis zu 50 000 Vollkraftstellen in der Kranken-
hauspflege abgebaut (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V.
2010; Statistisches Bundesamt 2009; Simon 2008). Gleichzeitig stiegen die
Patientenzahlen und die Verweildauer in Krankenhäusern verkürzte sich (Deut-
sches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. 2010; Statistisches Bundes-
amt 2009). Das Ergebnis dieser Entwicklung ist die Verdichtung von Arbeit und
damit eine steigende Überlastung des Pflegepersonals in den Krankenhäusern.
Indikator hierfür ist der internationale Vergleich: In Krankenhäusern in Deutsch-
land versorgt ein Beschäftigter 20 Patientinnen und Patienten im Jahr, während
z. B. in den USA sich die Beschäftigten nur um acht Fälle kümmern müssen. In
der Schweiz sind es neun Fälle, in Dänemark, Norwegen und Großbritannien
zwölf, in Spanien 13 (Deutsche Krankenhaus Gesellschaft – DKG). Daher rührt
die hohe Zahl von Überlastungsanzeigen in Deutschland. Zudem leiden Gesund-
heits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger besonders häufig unter arbeits-
bedingten Gesundheitsproblemen (Deutsches Institut für angewandte Pflegefor-
schung e. V. 2010; Statistisches Bundesamt 2009). Wie internationale Studien
belegen, gibt es einen Zusammenhang zwischen der Personalausstattung und der
Qualität der Versorgung.

Mit dem am 25. März 2009 in Kraft getretenen Gesetz zum ordnungspolitischen
Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 (Krankenhausfinan-
zierungsreformgesetz – KHRG) wurde eine Möglichkeit eingeräumt, zusätz-
liche Pflegepersonalstellen zu schaffen. Gemäß § 4 Absatz 10 des Kranken-
hausentgeltgesetzes (KHGEntgG) werden bei einer Neueinstellung oder Auf-
stockung vorhandener Teilzeitstellen von ausgebildetem Pflegepersonal zusätz-
lich entstehende Personalkosten für die Jahre 2009 bis 2011 zu 90 Prozent

finanziell gefördert. Rund 16 000 zusätzliche Stellen im Pflegedienst sollten so
nach den Plänen der damaligen Bundesregierung schrittweise geschaffen wer-
den. Zur Erprobung neuer Arbeitszeitorganisationsmaßnahmen in der Pflege
sind bis zu 5 Prozent des jeweils vereinbarten Betrags vorgesehen.

Drucksache 17/1856 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Voraussetzung ist, dass nachweislich durch schriftliche Vereinbarung mit den
Arbeitnehmervertretungen in den Krankenhäusern zusätzliches Pflegepersonal
im Vergleich zum Bestand am 30. Juni 2008 beschäftigt wird. Über die Umset-
zung des Förderprogramms im jeweiligen Vorjahr soll der GKV-Spitzenverband
(GKV – gesetzliche Krankenkassen) dem Bundesministerium für Gesundheit
(BMG) jährlich zum 30. Juni berichten. Erstmals ist dies zum 30. Juni 2010 vor-
gesehen.

An der Wirksamkeit des Förderprogramms bestehen jedoch Zweifel. Es stellt
sich die Frage, ob zusätzliche finanzielle Mittel auch tatsächlich direkt in das
Personalbudget von Gesundheits- und Krankenpflege der Krankenhäuser ein-
fließen und ob diese Mittel tatsächlich die zusätzliche und reale Planung von
neuen Pflegestellen in den Einrichtungen auslösen. Umfragen des Deutschen
Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) lassen vermuten, dass die Entwicklung
des Pflegestellen-Förderprogramms den gewünschten Effekt einer Verbesserung
der Stellensituation der Pflege in den Krankenhäusern in Frage stellt. Um ein
Gegengewicht zum langjährigen Stellenabbau in diesem Bereich zu setzen,
müssten gegebenenfalls schnelle Umsteuerungsmaßnahmen erfolgen.

Selbst bei vollständiger Umsetzung würde dieses Programm den in den letzten
Jahren erfolgten Stellenabbau nur zu einem sehr kleinen Teil kompensieren
können. Deshalb können bei der Umsetzung zumindest dieses Programms keine
Abstriche hingenommen werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie stellt sich die Personalsituation von Gesundheits- und Krankenpflege-
kräften in Krankenhäusern aktuell dar?

2. Wie ist die Personalausstattung in den Krankenhäusern in Deutschland im
europäischen Vergleich (bitte nach den jeweiligen EU-Mitgliedsländern ein-
zeln auflisten)?

3. Wie hat sich die Personalsituation im Pflegebereich der Krankenhäuser ins-
besondere im Verhältnis zum weiteren medizinischen Personal seit 1989 ent-
wickelt (hier bitte das weitere medizinische Personal nach Berufsgruppen
trennen)?

4. Wie viele Vollzeitstellen wurden gegebenenfalls insgesamt in Kranken-
häusern und insbesondere im Pflegebereich in der Zeit von 1989 bis 2010
abgebaut (bitte weitere Berufsgruppen einzeln ausweisen)?

5. Worauf ist die vergleichsweise niedrige Personalausstattung in Krankenhäu-
sern zurückzuführen?

Was sind nach Ansicht der Bundesregierung die zentralen Gründe für den
Stellenabbau?

Welche Effekte hatte in diesem Zusammenhang die Einführung des DRG-
Systems (DRG – Diagnosis Related Groups)?

6. Wie hat sich die Anzahl der Krankenhausbetten in Krankenhäusern in der
Zeit von 1989 bis heute entwickelt (bitte in absoluten und relativen Zahlen
angeben und nach der Trägerstruktur und Größe des Hauses differenzieren)?

Wie hoch ist die Anzahl der Krankenhausbetten in Krankenhäusern im euro-
päischen Vergleich?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1856

7. In welchem Umfang nahmen die jährlichen Behandlungsfälle seit 1989 bis
heute zu (Angaben bitte aufschlüsseln nach

a) Krankenhäusern insgesamt,

b) Allgemeinen Fachabteilungen sowie

c) Psychiatrischen Kliniken und Abteilungen)?

8. Lässt sich eine überproportionale Zunahme des Anteils von älteren Patien-
tinnen und Patienten in Krankenhäusern feststellen, und falls ja, in welchem
Umfang?

Welche Auswirkungen hat dies auf den Pflegebedarf in Krankenhäusern?

9. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich des Zusam-
menhangs der Personalausstattung und der Versorgungsqualität vor?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Krankenstände und
Krankheitsursachen sowie den Berufsausstiegen von Gesundheits- und
Krankenpflegerinnen und -pflegern?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Arbeitszufrieden-
heit von Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pflegern?

12. Welcher Personalbedarf besteht gegenwärtig in Krankenhäusern in
Deutschland insgesamt (bitte erläutern, auf welcher Grundlage der Bedarf
ermittelt wird)?

13. Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung
angesichts von wissenschaftlichen Studien, dass die Unterbesetzung in
Krankenhäusern gegenwärtig bei ca. 70 000 Vollzeitkräften (Simon 2008)
liege, die mit den bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend ausgeglichen
wurden?

Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um einem weite-
ren Stellenabbau entgegenzuwirken?

14. Wann wird der Bericht des GKV-Spitzenverbandes zum Verlauf des Pflege-
personalstellen-Programms veröffentlicht?

15. Nach welchen Kriterien wird der sachgerechte Einsatz der Fördermittel
überprüft?

16. Welche Summe wurde

a) für die gesamte Dauer des Förderprogramms und

b) im ersten Jahr für das Förderprogramm

zur Verfügung gestellt?

17. Wie hoch ist die anteilige Summe, die von den Krankenhäusern für zusätz-
liches Pflegepersonal in den Jahren 2009 abgerufen wurde?

18. Wie viele Neueinstellungen (Anzahl Vollzeitkräfte) wurden mit den abge-
rufenen Fördermitteln geschaffen (Neueinstellungen beziehen sich auf den
Bestand aller Vollzeitkräfte am 30. Juni 2008)?

19. Wie viele Neueinstellungen erfolgten im Vergleich in einem entsprechen-
den Zeitraum vor Inkrafttreten dieses Förderprogramms?

20. Wie viele Krankenhäuser haben im Bundesgebiet seit Inkrafttreten des
Programms zusätzliche Mittel für die Aufstockung von Pflegepersonal be-
antragt?

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21. Wie viele Krankenhäuser haben im Bundesgebiet seit Inkrafttreten des
Pflegepersonalstellen-Programms zusätzliche Mittel des Förderprogramms
erhalten (bitte nach der Trägerstruktur und Größe des Hauses differenzie-
ren)?

22. Wie viele Krankenhäuser haben finanzielle Mittel des Pflegepersonalstel-
len-Programms beantragt, konnten aber die Voraussetzungen für eine För-
derfähigkeit nicht erreichen?

Welche Gründe liegen für ein Nichterreichen der Förderfähigkeit vor?

23. Welche Arten der Neuorganisationen konnten im Zusammenhang mit der
Bereitstellung von 5 Prozent des Sonderprogramms für „innovative Organi-
sationsmodelle“ im Pflegebereich geschaffen werden?

24. Wie viele der durch das Pflegepersonalstellen-Programm mit finanzierten
neu geschaffenen Stellen im Pflegebereich der Krankenhäuser unterliegen
ordentlichen Tarifverträgen gemäß dem Tarifvertrag für den öffentlichen
Dienst (TVöD)?

25. Wie hoch ist die Summe der im Jahr 2009 abgerufenen finanziellen Mittel
für „innovative Organisationsmodelle“ im Pflegebereich?

26. Wie viele der durch das Pflegepersonalstellen-Programm neu geschaffenen
Stellen im Pflegebereich der Krankenhäuser sind unbefristet?

27. Wie viele der durch das Pflegepersonalstellen-Programm neu geschaffenen
Stellen im Pflegebereich der Krankenhäuser sind befristet (bitte aufschlüs-
seln nach Länge der Befristung)?

28. Für wie viele der Kliniken, die durch das Förderprogramm befristete Stellen
geschaffen haben, erhöhte sich dadurch das vereinbarte Budget?

29. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die finanziellen Mittel des För-
derprogramms ordnungsgemäß und ausschließlich für die im Gesetz fest-
gelegten Zwecke verwendet werden?

30. Welche Sanktionen erwartet Kliniken, welche Gelder des Förderprogramms
erhalten haben, aber eine ordnungsgemäße Verwendung der Mittel nicht
nachweisen können?

31. Wie viele Kliniken konnten eine ordnungsgemäße Verwendung der finan-
ziellen Mittel des Pflegestellenförderprogramms nicht nachweisen?

32. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass Kliniken den Stellenplan der
Pflege nicht bewusst zu niedrig ansetzen, um mit den finanziellen Hilfen
des Förderprogramms zusätzliche Kosteneinsparungen zu realisieren?

33. Wie viele betriebliche Vereinbarungen sind zum Zweck der Teilnahme am
Förderprogramm geschaffen worden?

34. Wie viele Krankenhäuser, welche die Bedingungen der Förderung erfüllt
haben und am Förderprogramm teilnehmen, können die dadurch entstande-
nen Stellen nicht besetzen?

35. In welchen Abteilungen der Krankenhäuser sind durch das Förderpro-
gramm vorrangig neue Pflegestellen besetzt worden?

36. Wann ist, im Zusammenhang mit der Befristung des Pflegestellenförderpro-
gramms bis Ende 2011, mit Ergebnissen des Instituts für das Entgeltsystem
im Krankenhaus (InEK) zu rechnen, nach denen gemäß § 4 Absatz 10
Satz 14 KHEntgG ab dem Jahr 2012 die zusätzlichen Finanzmittel des
Pflegestellenförderprogramms im Rahmen des DRG-Vergütungssystems
zielgerichtet den Bereichen zugeordnet werden sollen, die einen erhöhten

pflegerischen Aufwand aufweisen?

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37. Welche Ergebnisse erzielte gegebenenfalls das Institut für das InEK bereits
im Zusammenhang mit § 4 Absatz 10 Satz 14 KHEntgG bei der Entwick-
lung von Kriterien, die eine Zuordnung von Bereichen mit einem erhöhten
pflegerischen Aufwand im DRG-System zielgerichtet ermöglichen soll?

Wann werden erste Ergebnisse dazu vorliegen?

38. Sieht die Bundesregierung gesetzgeberischen Handlungsbedarf, Mindest-
anforderungen an eine quantitative und qualitative Personalbesetzung im
Pflegedienst der Krankenhäuser vorzugeben?

Berlin, den 26. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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