BT-Drucksache 17/1742

Für eine immissions- und baurechtliche Privilegierung von Sportanlagen

Vom 18. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1742
17. Wahlperiode 18. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Barbara Höll, Herbert
Behrens, Heidrun Bluhm, Ralph Lenkert, Jens Petermann, Richard Pitterle,
Ingrid Remmers, Frank Tempel, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine immissions- und baurechtliche Privilegierung von Sportanlagen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Dem Breitensport kommt eine große gesellschaftliche Bedeutung zu. Aus die-
sem Grunde ist sicherzustellen, dass alle gesellschaftlichen Gruppen hinrei-
chend Zugang zu Angeboten des Breitensports erhalten. Auch wenn die Verant-
wortung für die Förderung des Breitensports grundsätzlich bei den Ländern
liegt und das Grundgesetz keine Staatszielbestimmung zugunsten des Sports
enthält, steht die Bundesregierung aus gesamtstaatlicher Verantwortung für den
Sport ebenso in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für eine angemessene Ent-
wicklung des Breitensports weiter zu optimieren.

Die eigentliche Trägerschaft des Breitensports übernehmen die etwa 90 000
Turn- und Sportvereine mit ihren rund 27 Millionen Mitgliedschaften. Die
Sportvereine können ihre Aufgaben jedoch nur dann adäquat erfüllen, wenn in
ausreichender Zahl Sportanlagen vorhanden und diese für die Bürger wohnort-
nah und damit gut zu erreichen sind. Die Nutzung derartiger Anlagen führt
naturgemäß auch zur Entstehung gewisser Lärmimmissionen. Gerade in dicht
bewohnten Gebieten ist daher stets sicherzustellen, dass die Belange der Sport-
treibenden und die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner zu einem ange-
messenen Ausgleich gebracht werden. Anwohner sollen selbstverständlich
durch diesen Antrag gegenüber Immissionen von Sportanlagen nicht schutzlos
gestellt werden. Gleichwohl sind die durch Aktivitäten in Sportanlagen entste-
henden Immissionen rechtlich nicht mit den Immissionen gleichzusetzen, die
durch Gewerbe- oder Verkehrslärm hervorgerufen werden. Es handelt sich hier-
bei vielmehr um eine Ausdrucksform und Begleiterscheinung sozialen Verhal-
tens. Sportanlagen sollten daher nicht in erster Linie als regelungsbedürftige
Störungen, sondern als Bereicherung des sozialen und kulturellen Lebens ange-
sehen werden.

Die Sportvereine nutzen rund 127 000 Sportstätten, die zu 66 Prozent durch die
Kommunen, zu 32 Prozent durch die Länder und zu 1,6 Prozent durch den

Bund gefördert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sportliche Anlagen immissions- und bau-
rechtlich privilegiert.

Drucksache 17/1742 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In dem Gesetz soll insbesondere Folgendes geregelt werden:

1. § 3 Absatz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) wird dahin-
gehend ergänzt, dass der von Sportanlagen ausgehende Lärm in der Regel
keine schädliche Umwelteinwirkung im Sinne dieses Gesetzes darstellt.

2. Die Immissionsrichtwerte für reine Wohngebiete in § 2 Absatz 2 Nummer 4
der Achtzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions-
schutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV) sollen
den Immissionsrichtwerten für allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungs-
gebiete in § 2 Absatz 2 Nummer 3 18. BImSchV angeglichen werden.

Ziel ist die Erhöhung der Immissionsrichtwerte für reine Wohngebiete auf
55 dB(A) tagsüber außerhalb der Ruhezeiten, 50 dB(A) tagsüber innerhalb
der Ruhezeiten und 40 dB(A) nachts.

3. Die in § 2 Absatz 5 Nummer 3 18. BImSchV festgelegten Ruhezeiten für
Sonn- und Feiertage sollen aufgehoben werden.

Ziel ist die Einführung tageseinheitlicher Immissionsrichtwerte an Sonn-
und Feiertagen. Die an Sonn- und Feiertagen tagsüber durchgängigen Im-
missionsrichtwerte lägen dann für Gewerbegebiete bei 65 dB(A), für Kern-,
Dorf- und Mischgebiete bei 60 dB(A), für allgemeine Wohn- und Kleinsied-
lungsgebiete sowie reine Wohngebiete bei 55 dB(A) und für Kurgebiete,
Krankenhäuser und Pflegeanstalten bei 45 dB(A).

4. § 3 18. BImSchV ist dahingehend zu ergänzen, dass die zuständige Behörde
bei der Auferlegung von Maßnahmen zur Erfüllung der Pflichten nach § 2
Absatz 1 18. BImSchV die Möglichkeit erhält, dem Betreiber der Sport-
anlage eine Übergangsfrist zur Einhaltung der Immissionsrichtwerte zu ge-
währen. Als Orientierung könnte hierbei die Regelung des § 5 Absatz 6
18. BImSchV dienen, die vorsieht, dass Sportanlagen in den neuen Bundes-
ländern bestimmte immissionsrechtliche Anforderungen erst nach einer be-
stimmten Übergangsfrist erfüllen müssen. Als Übergangsfrist sollte grund-
sätzlich der Zeitraum bis zum 1. Januar 2020 gelten. In begründeten
Ausnahmefällen soll auch eine Verlängerung bis zum 1. Januar 2022 möglich
sein.

5. Die §§ 2 und 3 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) sollen dahingehend
verändert werden, dass Anlagen, die sportlichen Zwecken dienen, als in der
Regel (und nicht nur in Ausnahmefällen) zulässig kategorisiert werden.

Berlin, den 18. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der in Deutschland organisierte Sport erbringt für die Gesellschaft unverzicht-
bare Leistungen.

Umwelteinwirkungen, insbesondere Geräusche, welche unvermeidbar bei
sportlichen Aktivitäten des Kinder-, Jugend- und Breitensports entstehen, ent-
stehen im Interesse der Allgemeinheit. Diese Umwelteinwirkungen sollen in
der Regel nicht dazu führen, dass die sie verursachenden sportlichen Aktivitä-
ten verhindert werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1742

Auf Landesebene kommt das Bewusstsein für die hohe gesellschaftliche Be-
deutung des Sports bereits dadurch zum Ausdruck, dass der Sport in 14 von 16
Landesverfassungen als Staatszielbestimmung bzw. Förderungsversprechen
(Artikel 3c Absatz 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Artikel 140
Absatz 3 der Bayerischen Verfassung, Artikel 32 der Verfassung von Berlin,
Artikel 35 der Verfassung des Landes Brandenburg, Artikel 62a der Verfassung
des Landes Hessen, Artikel 16 Absatz 1 der Verfassung des Landes Mecklen-
burg-Vorpommern, Artikel 6 der Niedersächsischen Verfassung, Artikel 18 Ab-
satz 3 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, Artikel 40 Absatz 4
der Verfassung für Rheinland-Pfalz, Artikel 34a der Verfassung des Saarlandes,
Artikel 11 Absatz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen, Artikel 36 Absatz 1
der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Artikel 9 Absatz 3 der Verfassung
des Landes Schleswig-Holstein, Artikel 30 Absatz 2 der Verfassung des Frei-
staats Thüringen) enthalten ist. Derartige Staatszielbestimmungen begründen
zwar keine subjektiven Rechte, sie sind jedoch in eine wertende Güterabwä-
gung bei der juristischen Prüfung des Einzelfalls einzubeziehen.

Der mit diesen Staatszielbestimmungen bezweckte Schutz des Sports findet
sich derzeit auf einfachgesetzlicher und auf Verordnungsebene nur sehr be-
grenzt wieder.

Eine klarstellende Ergänzung von § 3 Absatz 1 BImSchG als zentraler Norm
dieses Gesetzes soll dazu führen, dass bei zukünftigen juristischen Abwägungs-
prozessen in allen denkbaren Konstellationen (zu denken wäre hierbei auch an
nachbarrechtliche Streitigkeiten vor den Zivilgerichten) § 3 Absatz 1 BImSchG
als Argument für die gesetzliche Privilegierung des Sportes und der sportlichen
Anlagen herangezogen werden kann. In letzter Zeit haben nachbarrechtliche
Verfahren gegen den Betrieb sportlicher Anlagen stark zugenommen und häu-
fig zu einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit von Sportanlagen geführt.
Ein bekanntes Beispiel hierfür bildet die Anlage an der Kreuzberger Körte-
straße in Berlin. Hier hat eine Nachbarin gerichtlich erwirkt, dass Trillerpfeifen
verboten sind, dass das Flutlicht ab 21 Uhr abgeschaltet werden muss und dass
Sonntags ab 15 Uhr kein Spielbetrieb mehr stattfinden darf. Da in unmittelbarer
Nähe der Anlage hochwertige Eigentumswohnungen entstehen sollen, ist zu
befürchten, dass der Sportbetrieb in Zukunft sogar noch weiter eingeschränkt
wird. Der Deutsche Sportbund fordert in seinen umweltpolitischen Grundsät-
zen in diesem Zusammenhang, dass vorhandene Sportanlagen in ihrem Bestand
gesichert werden und über angemessene Entwicklungsmöglichkeiten verfügen
müssen.

Baurechtlich wird die Zulässigkeit von Sportanlagen durch die Baunutzungs-
verordnung (BauNVO) geregelt. Hiernach ist die Errichtung von Sportanlagen
zwar grundsätzlich zulässig, es gelten jedoch Ausnahmen für reine Wohnge-
biete § 3 Nummer 2 BauNVO und Kleinsiedlungsgebiete § 2 Absatz 3 Num-
mer 2 BauNVO, wonach Sportanlagen nur in Ausnahmefällen zulässig sind.
Hier ließe sich eine Privilegierung von Sportstätten dadurch erreichen, dass
Sportstätten unter die jeweiligen Absätze 2 der §§ 2 und 3 BauNVO gefasst
werden. Gegebenenfalls könnte hier zu Klarstellungszwecken eingefügt wer-
den, dass Sportanlagen im Einzelfall unzulässig sein können.

Zwar sind Errichtung und Betrieb von Sportanlagen immissionsrechtlich
grundsätzlich nicht genehmigungspflichtig (im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 1
BImSchG), sie unterliegen jedoch den Bestimmungen der Achtzehnten Verord-
nung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagen-
lärmschutzverordnung – 18. BImSchV). Hiernach haben die Betreiber von
Sportanlagen die Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte sicherzustellen.
Zur Erfüllung dieser Pflicht kann dem Betreiber der Sportanlage durch die zu-

ständige Behörde u. a. auferlegt werden, technische und bauliche Schallschutz-
maßnahmen zu treffen (§ 3 Nummer 2 18. BImSchV). Um zu erreichen, dass

Drucksache 17/1742 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Auflagen zur Vermeidung von Lärmimmissionen, etwa die Auflage eine Lärm-
schutzmauer zu errichten, nicht ohne Rücksicht auf die finanzielle Leistungs-
fähigkeit des Sportanlagenbetreibers oder des die Sportanlage nutzenden Ver-
eins erteilt werden, soll die zuständige Behörde die Möglichkeit erhalten, den
Betreibern Übergangsfristen für die Einhaltung ihrer Pflichten aus § 2
18. BImSchV einzuräumen. Die 18. BImSchV enthält bereits eine vergleich-
bare Regelung für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet, die
eine Übergangsfrist von zehn Jahren vorsieht (§ 5 Absatz 6 18. BImSchV).

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