BT-Drucksache 17/168

Aufklärung zur nicht erfolgten Entsendung von AWACS-Luftaufklärern der NATO nach Afghanistan

Vom 4. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/168
17. Wahlperiode 04. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Omid Nouripour, Katja Keul, Tom Koenigs, Agnes Malczak,
Alexander Bonde, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-
Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Jerzy Montag,
Kerstin Müller (Köln), Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof
Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufklärung zur nicht erfolgten Entsendung von AWACS-Luftaufklärern der NATO
nach Afghanistan

Nachdem die Bundesregierung in der Tanklasteraffäre dem Deutschen Bundes-
tag und der Öffentlichkeit entscheidende Informationen vorenthalten hat, be-
steht der Verdacht, dass der Deutsche Bundestag im Juni 2009 in einer Eil-
aktion zu einem nicht beschlussreifen Mandat gedrängt wurde, um eine Sonder-
sitzung in der Sommerpause oder im Vorfeld der Bundestagswahl zu verhin-
dern.

Bis heute sind wesentliche Voraussetzungen für einen Einsatz von AWACS-
Luftaufklärungsmaschinen der NATO in Afghanistan nicht erfüllt. Abgesehen
von Georgien haben Aserbaidschan und Turkmenistan die notwendigen Über-
flugrechte nicht erteilt, sodass die Bundesregierung den vom Deutschen Bun-
destag bis Dezember 2009 gebilligten AWACS-Einsatz bis auf Weiteres nicht
verlängern will. Damit steht die Frage im Raum, seit wann es sich abzeichnete,
dass bis zum geplanten Einsatz die Überfluggenehmigungen nicht vorliegen
werden.

Ohne vorherige Konsultation und ohne die konstitutive Zustimmung des Deut-
schen Bundestages einzuholen, stimmte die Bundesregierung am 12. Juni 2009
im NATO-Rat der Entsendung von bis zu vier AWACS-Flugzeugen der NATO
nach Afghanistan zu. Die Bundesregierung behauptete, dass eine vorherige
Konsultation des Deutschen Bundestages nicht möglich gewesen wäre, weil
„bis unmittelbar vor der Sitzung“ des NATO-Rates nicht verlässlich abzusehen
war, ob Frankreich seine monatelangen Bedenken hinsichtlich der Finanzierung
aufgeben würde.

Mit ihrer Zustimmung im NATO-Rat hatte die Bundesregierung Fakten ge-
schaffen, die der Deutsche Bundestag nicht widerrufen konnte, ohne das Anse-
hen Deutschlands in der NATO zu beschädigen. Das Parlament wurde in der
letzten Sitzungswoche der 16. Legislaturperiode und drei Monate vor der Bun-

destagswahl genötigt, über einen Einsatz zu beschließen, bei dem noch viele
Fragen offen waren und gegen den es in der Bevölkerung und in den Bundes-
tagsfraktionen erheblichen Widerspruch gab.

Der NATO-Oberbefehlshaber (SACEUR) hatte am 17. Juli 2008 erstmals den
Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen beantragt. Am 18. Mai 2009
beantragte der SACEUR die Stationierung der AWACS in Konya/Türkei.

Drucksache 17/168 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Nachdem Frankreich seine Vorbehalte hinsichtlich der Beteiligung an einer
Finanzierung aufgegeben hatte, stimmte der NATO-Rat am 12. Juni 2009 der
Verlegung zu. Nach dem vereinbarten Kostenschlüssel hatte Deutschland
16,6 Prozent, Frankreich 12,4 Prozent der Kosten zu tragen. Für den bis zum
13. Dezember 2009 mandatierten Einsatz von bis zu 300 Bundeswehrsoldaten
sollten Zusatzangaben in Höhe von 4,21 Mio. Euro anfallen, davon 3,14 Mio.
Euro Personal, 0,73 Mio. Euro Betriebsausgaben und 0,34 Mio. Euro Anteil an
der NATO-Gemeinschaftsfinanzierung.

In einem Schreiben an die Vorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN teilten der Außen- und der Verteidigungsminister am 29. Juni 2009
mit: „NATO-AWACS-Maschinen werden (sic!) auf dem Transit von Konya in
das Einsatzgebiet die sogenannte Nordroute (führt über Georgien, Armenien,
Aserbaidschan, das Kaspische Meer und Turkmenistan) nutzen …“. Um die
Dringlichkeit zu unterstreichen, wurden unmittelbar vor der Bundestagsabstim-
mung drei der vier AWACS-Maschinen nach Konya verlegt. „Zwei AWACS-
Aufklärungsflugzeuge warten auf dem NATO-Stützpunkt im zentralanatoli-
schen Konya auf die deutschen Besatzungsmitglieder zum Flug nach Afghanis-
tan“ (ddp, 2. Juli 2009). Angesichts der Erwartung, dass ohne eine umgehende
Zustimmung der Einsatz nicht möglich sei, stimmten am 2. Juli 2009 in nament-
licher Abstimmung 461 Abgeordnete für den Antrag der Bundesregierung,
81 lehnten ihn ab, 15 Abgeordnete enthielten sich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit gab es in der Bundesregierung mit Blick auf die Bundestagswahl
und die lange sitzungsfreie Zeit des Deutschen Bundestages im ersten Halb-
jahr 2009 konkrete Überlegungen, die Entscheidung über die seit Juli 2008
offene Frage einer AWACS-Entsendung nach Afghanistan zu beschleuni-
gen?

Wenn ja, was wurde beschlossen, um diese Überlegungen umzusetzen, und
wer wurde mit der Umsetzung federführend betraut?

2. Inwiefern wurde der Zeitpunkt der AWACS-Entscheidung im NATO-Rat im
Wesentlichen mit beeinflusst von der Tatsache, dass eine Zustimmung des
Deutschen Bundestages vor der Sommerpause wünschenswert wäre, weil
ansonsten der Deutsche Bundestag in den darauffolgenden Monaten und vor
der Bundestagswahl zu einer Sondersitzung zusammenkommen müsste?

3. Inwieweit hat die Bundesregierung im Vorfeld der Entscheidung des NATO-
Rates vom 12. Juni 2009 gezielt auf Frankreich eingewirkt, seine Bedenken
zurückzustellen?

Welche Zugeständnisse und Anreize wurden Frankreich im Gegenzug in
Aussicht gestellt bzw. konkret gemacht?

4. Wieso hat Frankreich seinen lang anhaltenden Widerstand plötzlich und in
letzter Sekunde aufgegeben?

5. Wie lautete der Beschluss des NATO-Rats vom 12. Juni 2009 hinsichtlich
des AWACS-Einsatzes?

6. Welche Weisungen haben die NATO und die Bundeswehr zur Einsatzvor-
bereitung, Verlegung und zum Überflug zwischen 12. Juni und 3. Juli 2009
erteilt?

7. Wie und auf welche Weise wurde die Bundesregierung bezüglich der noch
einzuholenden Überflugrechte für Georgien, Aserbaidschan und Turkmenis-
tan durch die NATO informiert und ein Zeitplan präsentiert, bis wann mit

der Genehmigung der Überflugrechte zu rechnen sei?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/168

8. Inwieweit war den NATO-Partnern und der Bundesregierung zum Zeit-
punkt des Beschlusses in der NATO bzw. zum Zeitpunkt der Verlegung
klar, dass noch keine Überfluggenehmigungen vorliegen und eine rasche
Entsendung der AWACS-Maschinen nicht zu erwarten ist?

9. Wann rechnete die Bundesregierung damit, dass die erforderlichen Über-
fluggenehmigungen vorliegen würden, und worauf gründete diese Erwar-
tung?

10. Ab wann wusste die Bundesregierung, dass die für den Einsatz der
AWACS-Flugzeuge notwendigen Überfluggenehmigungen noch nicht aus-
gehandelt sind und bis zur Mandatserteilung aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht ausgehandelt sein werden?

11. Seit wann verhandelte die NATO mit Georgien, um Überflugrechte für
einen Einsatz der AWACS-Maschinen in Afghanistan zu erhalten?

Seit wann liegt die Überfluggenehmigung vor?

12. Seit wann verhandelt die NATO mit Aserbaidschan, um Überflugrechte für
einen Einsatz der AWACS-Maschinen in Afghanistan zu erhalten?

Wann und wie oft ist es zu offiziellen Gesprächen gekommen?

Woran ist die Erteilung der AWACS-Überfluggenehmigung bislang ge-
scheitert?

Wann erwartet die Bundesregierung eine Einigung?

13. Seit wann verhandelt die NATO mit Turkmenistan, um Überflugrechte für
einen Einsatz der AWACS-Maschinen in Afghanistan zu erhalten?

Wann und wie oft ist es zu offiziellen Gesprächen gekommen?

Woran ist die Erteilung der AWACS-Überfluggenehmigung bislang ge-
scheitert?

14. Inwieweit verfügt die Bundesregierung über einen Zeitplan, bis wann die
benötigten Überfluggenehmigungen vorliegen sollen?

15. Wie erklärt die Bundesregierung die eilige Befassung des Deutschen Bun-
destages mit der Erteilung des Mandats vor dem Hintergrund, dass der Ein-
satz der AWACS-Flugzeuge aufgrund fehlender Überfluggenehmigungen
noch gar nicht beginnen konnte und bis heute noch nicht begonnen hat?

16. Inwiefern ist die Bundesregierung bereit, der Zusage des Bundesministers
der Verteidigung im Verteidigungsausschuss zu folgen und dem Deutschen
Bundestag künftig keine Mandate mehr vorzulegen, bei denen die Voraus-
setzungen für einen Einsatz nicht gegeben sind?

Wenn nein, warum nicht?

17. Wie viele Soldatinnen und Soldaten sowie etwaiges ziviles Personal wur-
den nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages für den AWACS-Ein-
satz bereitgestellt bzw. auf den Einsatz vorbereitet?

18. Auf welche Stützpunkte wurden zu welchen Zeitpunkten wie viele dieser
Soldatinnen und Soldaten sowie ziviles Personal verlegt, um einen
AWACS-Einsatz in Afghanistan vorzubereiten?

19. Wie viele AWACS-Flugzeuge wurden für den Einsatz vorbereitet, welche
AWACS-Flugzeuge wurden für welche Dauer auf Abruf für einen bevor-
stehenden Afghanistan-Einsatz nach Konya oder auf andere Stützpunkte
verlegt?

20. Welche Ausrüstung wurde konkret für den Einsatz vorbereitet und zur Ver-

fügung gestellt?

Drucksache 17/168 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Welche Kosten sind durch den Beschluss des Deutschen Bundestages,
AWACS-Flugzeuge zur Flugsicherung und Luftraumkoordinierung in Af-
ghanistan zu entsenden, dem Bundeshaushalt tatsächlich entstanden (bitte
aufschlüsseln: Personal, Ausrüstung, Transport, Übungen)?

22. Mit welchem Auftrag und welchen Aufgaben wurden die für den AWACS-
Einsatz abgestellten Soldatinnen und Soldaten sowie etwaiges ziviles Per-
sonal seit dem Mandatsbeschluss betraut?

23. Wie viele zivile und wie viele militärische Flugzeuge haben Afghanistan
seit dem 1. Juli 2009 überflogen, wie viele insgesamt in den Jahren 2008
sowie bis dato im Jahr 2009?

24. Wie viele Beinahezusammenstöße haben sich seit dem 1. Juli 2009 ereig-
net, und in wie vielen Fällen war militärischer Flugverkehr daran beteiligt?

25. Wie viele zivile und wie viele militärische Flüge mussten seit dem 1. Juli
2009 aufgrund eines unzureichenden Luftlagebildes oder fehlender Luft-
raumkoordinierung gestrichen werden?

26. Wie haben sich die Flugsicherung und Luftraumkoordinierung seit dem
1. Juli 2009 in Afghanistan hinsichtlich Infrastruktur, Personalausbildung
und Einsatz sowie Koordination und Kommunikation entwickelt?

27. Inwieweit ist die Bundesregierung weiterhin der Ansicht, dass eine Unter-
stützung der Flugsicherung und Luftraumkoordinierung durch AWACS-
Aufklärungsflugzeuge notwendig ist?

28. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, in naher Zukunft auf den Ein-
satz von AWACS-Flügen zur Unterstützung der Flugsicherung und Luft-
raumkoordinierung in Afghanistan hinzuwirken, und wenn ja, wie, und mit
welchem Zeitplan?

29. Welche Maßnahmen haben die NATO, die afghanische Regierung oder
Dritte seit dem 1. Juli 2009 unternommen, um den nicht stattgefundenen
Einsatz der AWACS-Aufklärungsflüge zu kompensieren und die Sicherheit
des zivilen und militärischen Flugverkehrs über Afghanistan zu gewähr-
leisten?

30. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um Afghanistan bei
der Flugsicherung und Luftraumkoordinierung zu unterstützen?

Berlin, den 4. Dezember 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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